Die Revision der Kläger gegen das Urteil
des Finanzgerichts München vom 15.07.2020 - 7 K 770/18 = SIS 20 13 30 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens haben die
Kläger zu tragen.
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I. Die Beteiligten streiten über die
abkommensrechtliche Betriebsstätte eines gewerblichen
Goldhandels im Vereinigten Königreich Großbritannien und
Nordirland (Großbritannien).
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Die Kläger und Revisionskläger
(Kläger) wohnten im Jahr 2007 (Streitjahr) in der
Bundesrepublik Deutschland (Deutschland). Am 18.09.2007
gründeten sie in London nach britischem Recht die beigeladene
X, eine Personengesellschaft in der Rechtsform einer General
Partnership (Beteiligungsquoten: 84,5 % [Kläger zu 1.], 14,5 %
[Kläger zu 2.] und 1 % [Kläger zu 3.]).
Gesellschaftszweck war der Handel, insbesondere mit Edelmetallen,
anderen Metallen und anderen Rohstoffen. Die Kläger waren laut
Gesellschaftsvertrag zur einstimmigen Geschäftsführung
befugt. Am 28.10.2008 wurde der Geschäftsbetrieb der X
veräußert. Im Anschluss daran wurde die Gesellschaft
aufgelöst.
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Am 18.09.2007 vereinbarte X mit dem
„Office-Dienstleister“ …
(Vermieter) ein „Business Centre Service
Agreement“. Gegenstand des Vertrags war vor
allem die Anmietung eines Büros in London mit zwei
Arbeitsplätzen für den Zeitraum vom 22.10.2007 bis zum
30.04.2008. Darüber hinaus nahmen die Kläger verschiedene
weitere Serviceleistungen in Anspruch (zum Beispiel Sekretariat,
Kurierdienst, Überlassung von IT). Außerdem erwarben sie
Büromaterial und EDV-Zubehör. Personal wurde nicht
eingestellt. Die Kläger hielten sich im Zeitraum 18.09.2007
bis April 2008 abwechselnd und gemeinsam an verschiedenen Tagen in
London auf.
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Am 30.10.2007 unterzeichneten die
Kläger mit …Bank, Zürich (Bank), einen
Rahmenkreditvertrag über … US-Dollar für die
Gewährung von Darlehen zum Kauf von Gold. Auf dieser Grundlage
kam es zum Abschluss von Darlehensverträgen. Zu den der Bank
gewährten Sicherheiten gehörten unter anderem das in
einem Tresor der Bank für X gelagerte physische Gold sowie
Put-Optionen auf Gold.
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In der Folge tätigte X mit der Bank
Goldgeschäfte sowohl in physischer als auch in verbriefter
Form für eigene Rechnung. Hierzu unterhielt X bei der Bank ein
Anlagekonto für Edelmetalle. X kaufte am 13.12.2007 …
Barren physisches Gold zu jeweils … oz für insgesamt
… US-Dollar, die sie am 03.01.2008 für insgesamt
… US-Dollar wieder veräußerte. Außerdem
kaufte sie ab 31.10.2007 bis zum 03.01.2008 Gold in verbriefter
Form, das sie bis zum 08.01.2008 vollständig
veräußerte. Darüber hinaus schloss X im Zeitraum
vom 31.10.2007 bis zum 08.01.2008 zur Sicherung mehrere
Optionsgeschäfte (sogenannte Plain-Vanilla-Optionen) ab, die
zum 15.01.2008 verfielen, sowie im November und Dezember 2007
insgesamt vier Devisen-Swap-Geschäfte. Am 03.04.2008 und am
25.06.2008 kam es zum Abschluss von insgesamt vier
Devisen-Kassa-Geschäften. Am 03.04.2008 kaufte X … oz
Gold in verbriefter Form (Mindestmenge für ein
Kaufgeschäft), die sie am 21.05.2008 wieder
veräußerte.
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Für den Zeitraum 18.09.2007 bis
05.04.2008 gab X in Großbritannien eine Steuererklärung
ab. In Deutschland reichte sie für das Streitjahr eine
Erklärung zur gesonderten und einheitlichen Feststellung der
nach einem Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) steuerfreien
Einkünfte aus Gewerbebetrieb ein (§ 180 Abs. 5 Nr. 1 der
Abgabenordnung in der für das Streitjahr geltenden Fassung -
AO - ). Aus dem Goldhandel seien negative „Einkünfte
gemäß § 4 Abs. 3 EStG“ in
Höhe von … EUR erzielt worden, die entsprechend der
Beteiligungsquoten der Kläger zu einem negativen
Progressionsvorbehalt gemäß § 32b des
Einkommensteuergesetzes in der für das Streitjahr geltenden
Fassung (EStG) führten.
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Der Beklagte und Revisionsbeklagte
(Finanzamt - FA - ) erließ am 10.05.2011 einen negativen
Feststellungsbescheid, in dem die beantragte Feststellung abgelehnt
wurde. Einspruch und Klage blieben erfolglos (Finanzgericht - FG -
München, Urteil vom 29.06.2015 - 7 K 928/13, EFG 2015, 1931 =
SIS 15 24 32).
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Im Revisionsverfahren hat der Senat die
Sache wegen des Fehlens der notwendigen Beiladung der X durch
Urteil vom 27.09.2017 - I R 62/15 (BFH/NV 2018, 620 = SIS 18 05 22)
an das FG zurückverwiesen. Im zweiten Rechtsgang blieb die
Klage aber ebenfalls erfolglos. Das FG ging in seinem Urteil vom
15.07.2020 - 7 K 770/18 (EFG 2020, 1679 = SIS 20 13 30) zwar davon
aus, dass X einen gewerblichen Goldhandel betrieben habe. Die
daraus erzielten Einkünfte könnten aber keiner in
Großbritannien belegenen Betriebsstätte zugeordnet
werden. X habe in Großbritannien nicht über eine
hinreichend verstetigte feste Geschäftseinrichtung
verfügt.
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Die Kläger rügen mit ihrer
Revision die Verletzung sowohl formellen als auch materiellen
Rechts. Sie beantragen, die Vorentscheidung aufzuheben und die
Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG
München zurückzuverweisen.
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Das FA beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
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Die Beigeladene hat keinen Antrag
gestellt.
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Die von den Klägern geltend gemachten
Verfahrensmängel waren auch Grundlage eines Antrags auf
Berichtigung des Tatbestands nach § 108 Abs. 1 der
Finanzgerichtsordnung (FGO). Das FG hat diesen Antrag mit Beschluss
vom 08.09.2020 überwiegend abgelehnt und lediglich die Angaben
zur Laufzeit der Darlehen korrigiert. Mit Beschluss vom gleichen
Tag hat das FG den Tatbestand wegen offenbarer Unrichtigkeiten nach
§ 107 Abs. 1 FGO geändert.
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II. Die Revision der Kläger ist
unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2
FGO). Das FG hat rechtsfehlerfrei dahin erkannt, dass die über
die X erzielten Einkünfte nicht Gegenstand einer gesonderten
und einheitlichen Feststellung nach § 180 Abs. 5 Nr. 1 i.V.m.
Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AO sind; es liegen wegen fehlender
ausländischer Betriebsstätte keine Einkünfte vor,
die nach einem DBA von der inländischen Bemessungsgrundlage
auszunehmen sind.
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1. Auf Grundlage der Feststellungen des FG
erzielten die in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtigen
Kläger im Streitjahr gewerbliche Einkünfte aus einem
über die X ausgeübten Goldhandel (§ 15 Abs. 1 Satz 1
Nr. 2 i.V.m. Abs. 2 EStG). Abkommensrechtlich handelt es sich
hierbei um gewerbliche Unternehmensgewinne im Sinne des Art. III
des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem
Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland zur
Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Verhinderung der
Steuerverkürzung vom 26.11.1964 (BGBl II 1966, 359, BStBl I
1966, 730) i.d.F. des Revisionsprotokolls vom 23.03.1970 (BGBl II
1971, 46, BStBl I 1971, 140) - DBA-Großbritannien 1964/1970 -
. Da zwischen den Beteiligten insoweit kein Streit mehr besteht,
wird von weiteren Ausführungen abgesehen.
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2. Diese Einkünfte sind nicht einer
Betriebsstätte in Großbritannien zuzuordnen und deshalb
auch nicht nach Art. XVIII Abs. 2 Buchst. a
DBA-Großbritannien 1964/1970 i.V.m. § 32b Abs. 1 Nr. 3
und Abs. 2 Nr. 2 EStG von der inländischen Besteuerung unter
Progressionsvorbehalt freizustellen. Es fehlt an einer in
Großbritannien belegenen Betriebsstätte im Sinne des
Art. II Abs. 1 Buchst. l DBA-Großbritannien 1964/1970.
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a) Eine Betriebsstätte ist nach Art. II
Abs. 1 Buchst. l Unterabs. i DBA-Großbritannien 1964/1970
eine feste Geschäftseinrichtung, in der die Tätigkeit des
Unternehmens ganz oder teilweise ausgeübt wird. Nach Art. II
Abs. 1 Buchst. l Unterabs. ii und iii DBA-Großbritannien
1964/1970 gelten als Betriebsstätte insbesondere ein Ort der
Leitung oder eine Geschäftsstelle, nicht aber - unter anderem
- das Unterhalten einer festen Geschäftseinrichtung
ausschließlich zur Werbung, zur Erteilung von
Auskünften, zur wissenschaftlichen Forschung oder zur
Ausübung ähnlicher Tätigkeiten, die für das
Unternehmen vorbereitender Art sind oder eine Hilfstätigkeit
darstellen.
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Eine feste Geschäftseinrichtung liegt
vor, wenn sich bei einer Gesamtwürdigung der in Wechselwirkung
zueinanderstehenden Merkmale der zeitlichen und örtlichen
Festigkeit der Geschäftseinrichtung sowie der dauerhaften
Verfügungsmacht des Unternehmens über diese
Geschäftseinrichtung eine ausreichende Verwurzelung des
Unternehmens mit dem Ort der Ausübung der unternehmerischen
Tätigkeit ergibt (zu weiteren Einzelheiten s. das Senatsurteil
vom 18.12.2024 - I R 47/21, m.w.N., zur amtlichen
Veröffentlichung bestimmt).
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b) Hinsichtlich der zeitlichen Voraussetzungen
einer „festen“ Geschäftseinrichtung
ist das FG zu Recht davon ausgegangen, dass grundsätzlich eine
Mindestdauer von sechs Monaten überschritten sein muss.
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Der Senat ist bereits in der Vergangenheit von
einer solchen Mindestdauer ausgegangen (z.B. Senatsurteil vom
28.06.2006 - I R 92/05, BFHE 214, 295, BStBl II 2007, 100 = SIS 07 00 36, m.w.N.; vgl. auch Schreiben des Bundesministeriums der
Finanzen vom 24.12.1999,
Betriebsstätten-Verwaltungsgrundsätze, BStBl I 1999, 1076
= SIS 00 04 71, Tz. 1.2.1.1; Wassermeyer/Kaeser in Wassermeyer MA
Art. 5 Rz 37a; Hruschka in Schönfeld/Ditz, DBA, 2. Aufl., Art.
5 (2014) Rz 56). Hieran wird weiterhin festgehalten, da in der
Regel erst nach sechs Monaten eine ausreichend intensive Bindung
zum Betriebsstättenstaat entsteht, die es rechtfertigt,
abkommensrechtlich nach Art. III Abs. 1 DBA-Großbritannien
1964/1970 nicht mehr ein ausschließliches Besteuerungsrecht
des Ansässigkeitsstaats anzunehmen, sondern die Schwelle zu
einem Besteuerungsrecht des Betriebsstättenstaats zu
überschreiten.
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Dagegen ist für die teilweise in der
Literatur vertretene Mindestdauer von zwölf Monaten
(Züger in Gassner/Lang/Lechner, Die Betriebstätte im
Recht der Doppelbesteuerungsabkommen, 1998, S. 56 f.) im
DBA-Großbritannien 1964/1970 kein ausreichender Anhaltspunkt
erkennbar. Dass für den Sonderfall einer
Montagebetriebsstätte in Art. II Abs. 1 Buchst. l Unterabs. ii
Doppelbuchst. gg DBA-Großbritannien 1964/1970
ausdrücklich eine Frist von zwölf Monaten geregelt ist,
spricht gerade gegen die Übertragung einer solchen Frist auf
sämtliche andere Betriebsstätten (Görl/Gradl in
Vogel/Lehner, DBA, 7. Aufl., Art. 5 Rz 33).
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c) Darüber hinaus ist das FG ohne
Rechtsfehler davon ausgegangen, dass sich die Frist von sechs
Monaten nicht nur auf die Dauer der Anmietung des Büroraums
bezieht, sondern auch auf die unternehmerische Tätigkeit, die
in der festen Geschäftseinrichtung ausgeübt wird (vgl.
auch Görl/Gradl in Vogel/Lehner, DBA, 7. Aufl., Art. 5 Rz
32).
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Eine Betriebsstätte setzt nach Art. II
Abs. 1 Buchst. l Unterabs. i DBA-Großbritannien 1964/1970
kumulativ sowohl eine feste Geschäftseinrichtung als auch eine
unternehmerische Tätigkeit voraus, die in dieser
Geschäftseinrichtung ausgeübt wird (vgl. auch
Wassermeyer/Kaeser in Wassermeyer MA Art. 5 Rz 56 f.). Durch die
Verwendung des Begriffs
„Geschäfts“einrichtung wird
zwischen diesen Merkmalen eine besondere Verknüpfung
hergestellt. In der Folge müssen die zeitlichen
Voraussetzungen nicht nur für die Geschäftseinrichtung,
sondern auch für die unternehmerische Tätigkeit
erfüllt sein. Besonders deutlich wird dies unter
Berücksichtigung der englischen Fassung der DBA, da hier der
Begriff „Betriebsstätte“ als
„permanent establishment“ bezeichnet
wird (Görl/Gradl in Vogel/Lehner, DBA, 7. Aufl., Art. 5 Rz
32). Dadurch bezieht sich das zeitliche Kriterium der
Dauerhaftigkeit schon begrifflich auf die gesamten Voraussetzungen
einer Betriebsstätte.
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d) Ausgehend von den Feststellungen des FG,
wonach die unternehmerische Tätigkeit (Goldhandel) nicht
für eine Dauer von mehr als sechs Monaten geplant war und auch
tatsächlich schon Mitte Januar 2008 geendet hat, ist die
grundsätzliche Mindestdauer von sechs Monaten im Streitfall
nicht erfüllt und die Annahme einer Betriebsstätte in
Großbritannien damit ausgeschlossen.
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Ob für den Beginn der Frist bereits auf
den Abschluss des Mietvertrags am 18.09.2007 oder erst auf den im
Mietvertrag genannten Zeitpunkt 22.10.2007 abzustellen ist (und
welche Bedeutung für diesen Zeitraum die Nutzung eines
„virtual office“ vor dem 22.10.2007
zukommt), kann unter diesen Umständen offengelassen werden.
Entsprechendes gilt für die Frage, ob auf die voraussichtliche
(so Wassermeyer/Kaeser in Wassermeyer MA Art. 5 Rz 37a;
Fresch/Strunk in Strunk/Kaminski/Köhler, AStG/DBA, Art. 5 Rz
54) oder (nur) auf die tatsächliche (so wohl Görl/Gradl
in Vogel/Lehner, DBA, 7. Aufl., Art. 5 Rz 37) Dauer der
unternehmerischen Tätigkeit abzustellen ist. Die Mindestdauer
von sechs Monaten wird auf Grundlage der Feststellungen des FG in
jedem Fall unterschritten.
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e) Das FG hat weiterhin zu Recht entschieden,
dass eine Gesamtwürdigung der konkreten Umstände des
Streitfalls keine Ausnahme von der 6-Monats-Frist rechtfertigt.
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aa) Dass die unternehmerische Tätigkeit
eines nur für weniger als sechs Monate bestehenden
Unternehmens (hier: Goldhandel) vollständig in der
Geschäftseinrichtung des Betriebsstättenstaats (hier:
angemieteter Büroraum in London) ausgeübt wird, reicht
hierfür nicht aus (kritisch auch Görl/Gradl in
Vogel/Lehner, DBA, 7. Aufl., Art. 5 Rz 36; Kahle/Kindich in
Lübbehüsen/Kahle, Brennpunkte der Besteuerung von
Betriebsstätten, 2. Aufl., Rz 2.144; Eckl, IStR 2009, 510,
511; Ronge, IStR 2013, 266, 268). Die in der Literatur vertretene
Gegenauffassung (Wassermeyer/Kaeser in Wassermeyer MA Art. 5 Rz
37a; wohl auch Haase in Haase, AStG/DBA, 4. Aufl., Art. 5 MA Rz
75), die insbesondere auf Tz. 30 des OECD-Musterkommentars 2017 zu
Art. 5 des OECD-Musterabkommens (in der im Streitjahr geltenden
Fassung: Tz. 6 OECD-Musterkommentar 2005) verweist, ist
abzulehnen.
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Abgesehen davon, dass es zum Zeitpunkt des
Abschlusses des DBA-Großbritannien 1964/1970 noch keinen
OECD-Musterkommentar gab und dieser ohnehin keine Bindungswirkung
im Finanzprozess entfaltet (vgl. zuletzt Senatsurteil vom
05.12.2023 - I R 42/20, BFHE 283, 94 = SIS 24 07 27), hat
Deutschland insoweit (s. Tz. 45.8 OECD-Musterkommentar 2005 und Tz.
179 OECD-Musterkommentar 2017) einen Vorbehalt aufgenommen (vgl.
zur Wirkung eines solchen Vorbehalts auch Senatsurteil vom
13.04.2022 - I R 1/19, BFHE 277, 137, BStBl II 2023, 16 = SIS 22 14 65, m.w.N.). Im Übrigen ist eine entsprechende Ausnahme von
der Mindestdauer bereits deshalb abzulehnen, weil die
Intensität einer Verwurzelung im Betriebsstättenstaat
nicht davon abhängen kann, ob und in welchem Umfang auch
unternehmerische Tätigkeiten in anderen Staaten ausgeübt
werden. Letztlich ist die Verwurzelung im Betriebsstättenstaat
allein an den dortigen Umständen zu messen. Nur so kann
bestimmt werden, ob abkommensrechtlich die Schwelle zum
Besteuerungsrecht des Betriebsstättenstaats überschritten
ist oder ob es beim Besteuerungsrecht des Ansässigkeitsstaats
bleibt.
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Dies widerspricht auch nicht dem bei der
Abgrenzung des Betriebsstättenbegriffs sachimmanenten
Gedanken, betriebsstättenlose Einkünfte beziehungsweise
sogenanntes floating income grundsätzlich zu vermeiden. In den
hierzu ergangenen Entscheidungen (Senatsurteil vom 19.12.2007 - I R
19/06, BFHE 220, 160, BStBl II 2010, 398 = SIS 08 12 26; Urteil des
Bundesfinanzhofs - BFH - vom 19.01.2017 - IV R 50/14, BFHE 257, 35,
BStBl II 2017, 456 = SIS 17 06 28; vgl. auch FG
Baden-Württemberg, Urteil vom 30.06.2020 - 5 K 3305/17, juris
= SIS 20 15 90, Rz 73) ging es maßgeblich um die Zuordnung
von Einkünften, wenn zumindest an einem Ort eine
Betriebsstätte besteht. Sofern - wie im Streitfall -
überhaupt keine Betriebsstätte vorhanden ist, muss und
kann nach der abkommensrechtlichen Systematik auf die Grundregel
des Art. III Abs. 1 DBA-Großbritannien 1964/1970
zurückgegriffen werden, wonach das Besteuerungsrecht dem
Ansässigkeitsstaat zusteht.
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Darüber hinaus besteht auch kein
Widerspruch zum Senatsurteil vom 26.02.2014 - I R 56/12 (BFHE 245,
143, BStBl II 2014, 703 = SIS 14 18 36). Zwar hat der Senat in
dieser Entscheidung den Betriebsausgabenabzug für den
Gründungsaufwand einer festen Einrichtung in einem
ausländischen DBA-Staat auch dann abgelehnt, wenn die
Errichtung der festen Einrichtung letztlich scheitert. Dem lag
jedoch ein vom Streitfall abweichender Sachverhalt zugrunde, da die
dortige Errichtung der festen Einrichtung auf einen Zeitraum von
mehr als sechs Monaten ausgerichtet war.
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bb) Dass die Abwicklung des für
kürzere Zeit bestehenden Unternehmens über die
6-Monats-Frist hinausgegangen ist, rechtfertigt ebenfalls keine
Ausnahme.
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Hierfür kommt es nicht darauf an, ob die
nach dem 15.01.2008 ausgeübten Tätigkeiten - wie vom FG
angenommen - als Hilfstätigkeiten im Sinne des Art. II Abs. 1
Buchst. l Unterabs. iii Doppelbuchst. ee DBA-Großbritannien
1964/1970 zu qualifizieren sind. Vielmehr ist entscheidend, dass
ein bereits eingestelltes Unternehmen grundsätzlich nicht
allein dadurch eine Betriebsstätte begründen kann, dass
seine Abwicklung eine längere Zeit in Anspruch nimmt. Solche
Abwicklungstätigkeiten tragen in der Regel nicht mehr zur
Verwurzelung des Unternehmens im Betriebsstättenstaat bei, da
sie gerade nicht auf einen Verbleib, sondern auf ein Verlassen des
Betriebsstättenstaats gerichtet sind.
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Dies gilt grundsätzlich auch dann, wenn
im Rahmen einer Abwicklung noch singuläre Geschäfte mit
Dritten getätigt werden, die vom ursprünglichen
Geschäftszweck gedeckt sind (wie im Streitfall insbesondere
der Ankauf einer Mindestmenge von Gold am 03.04.2008). Allerdings
bleibt es der tatrichterlichen Würdigung vorbehalten, ob wegen
der Art und des Umfangs dieser Geschäfte letztlich von einer
Fortführung der ursprünglichen unternehmerischen
Tätigkeit auszugehen ist (vgl. allgemein Wassermeyer/Kaeser in
Wassermeyer MA Art. 5 Rz 52). In diesem Fall könnten die
Tätigkeiten zu einer weiteren Verwurzelung im
Betriebsstättenstaat beitragen, zumal auch andere
Unterbrechungen der unternehmerischen Tätigkeit für die
Berechnung der 6-Monats-Frist unschädlich sein können
(vgl. hierzu Senatsurteil vom 28.06.2006 - I R 92/05, BFHE 214,
295, BStBl II 2007, 100 = SIS 07 00 36; Wassermeyer/Kaeser in
Wassermeyer MA Art. 5 Rz 58; ähnlich auch Haase in Haase,
AStG/DBA, 4. Aufl., Art. 5 MA Rz 76). Das FG hat die konkreten
Umstände des Streitfalls jedoch dahin gewürdigt, dass der
ursprüngliche Goldhandel der X nicht fortgeführt worden
ist und hierzu vor allem auf das geringe wirtschaftliche Volumen
abgestellt.
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3. Der Senat ist nach § 118 Abs. 2 FGO an
die tatsächliche Würdigung des FG zur geplanten und
tatsächlichen Dauer des Unternehmens gebunden (§ 118 Abs.
2 FGO). Die Würdigung widerspricht weder Denkgesetzen noch
allgemeinen Erfahrungssätzen. Die von den Klägern geltend
gemachten Verfahrensmängel liegen nicht vor.
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34
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a) Das FG hat weder gegen seine Pflicht zur
Aufklärung des Sachverhalts nach § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO
verstoßen noch folgt ein Verfahrensmangel aus § 96 Abs.
1 Satz 1 FGO (Entscheidung nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens,
Verstoß gegen den klaren Inhalt der Akten).
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aa) Die Kläger rügen insoweit, dass
aus der Befristung der Goldoptionen bis zum 15.01.2008 nicht auf
eine „bewusste“ Befristung des
Goldhandels geschlossen werden könne, da für die von X
vereinbarten sogenannten Plain-Vanilla-Optionen keine andere
Laufzeit möglich gewesen sei. Außerdem sei das FG
unzutreffend von einer Befristung des Mietvertrags bis zum
30.04.2008 ausgegangen, obwohl es ohne Kündigung zu einer
automatischen Verlängerung gekommen wäre. Es widerspreche
zudem der Logik, aus einem bis zum 30.04.2008 laufenden Vertrag auf
eine Einstellung des Goldhandels zum 15.01.2008 zu schließen.
Das Argument des FG, die Kläger hätten sich ab dem
15.01.2008 aus anderen Gründen in London aufgehalten, sei eine
unzutreffende Unterstellung, für die sich aus den Akten kein
Ansatzpunkt ergebe. Dem protokollierten Klägervortrag in der
mündlichen Verhandlung vom 15.07.2020 sei ebenfalls keine
Beendigung des Goldhandels zum 15.01.2008 zu entnehmen, da dort nur
von dem Erliegen des Geschäfts mit der Bank, aber nicht von
einem Erliegen ab dem 15.01.2008 gesprochen worden sei. Auch die
auf Grundlage einer Marktbeobachtung getroffene Entscheidung, kein
Handelsgeschäft abzuschließen, gehöre zur aktiven
Tätigkeit eines Goldhändlers. Schließlich habe das
FG nicht den Vortrag der Kläger berücksichtigt, noch im
April und Mai 2008 den Versuch unternommen zu haben, zur
Weiterführung des Goldgeschäfts einen Goldhändler in
Südafrika zu erwerben sowie nach dem 15.01.2008 Rechnungen
für Servicedienstleistungen erhalten und Zinserträge
erzielt zu haben. Dass die mit der Bank vereinbarten Darlehen nicht
auf 14 Tage befristet gewesen seien, habe das FG im Rahmen seines
Beschlusses vom 08.09.2020 zur Tatbestandsberichtigung
gemäß § 107 FGO berücksichtigt und könne
deshalb ebenfalls nicht für eine Befristung des gewerblichen
Goldhandels der X sprechen.
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36
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bb) Zwar hat sich das FG im Rahmen seiner
Gesamtwürdigung auch auf vertragliche Regelungen und
Umstände gestützt, die nicht zwingend für eine nur
kurzfristige Ausrichtung des Goldhandels bis Januar 2008 und dessen
tatsächliche Einstellung ab dem 15.01.2008 sprechen. Die
Würdigung durch das FG bleibt aber zumindest möglich und
ist frei von Widersprüchen. Darüber hinaus hat das FG
alle wesentlichen Umstände des Streitfalls in seine
Würdigung einbezogen (vgl. hierzu allgemein BFH-Urteile vom
20.05.2010 - VI R 12/08, BFHE 230, 136, BStBl II 2010, 1069 = SIS 10 26 88; vom 23.08.2023 - X R 15/22, BFH/NV 2023, 1397 = SIS 23 17 28), ohne dass sich ihm die Notwendigkeit einer weiteren
Sachverhaltsaufklärung hätte aufdrängen
müssen.
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Soweit es den Mietvertrag betrifft, geht es
dem FG im Ausgangspunkt erkennbar nur darum, dass überhaupt
ein Endtermin innerhalb von circa sechs Monaten nach der Anmietung
vereinbart war. Deshalb liegt auch kein Widerspruch vor, wenn
später unter Berücksichtigung weiterer Tatsachen von
einer voraussichtlichen Beendigung des Unternehmens schon im Januar
2008 ausgegangen wird.
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38
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Hinsichtlich der Optionen stellt das FG allein
darauf ab, dass diesen Optionen eine Verfallsfrist zum 15.01.2008
zugrunde lag. Ob die Vereinbarung einer anderen Frist bei den
gewählten Plain-Vanilla-Optionen möglich gewesen
wäre, spielte für das FG erkennbar keine Rolle. Im
Übrigen haben die Kläger die Möglichkeit einer
anderen Frist in ihrer Revisionsbegründung selbst
eingeräumt, auch wenn eine solche Option lediglich in anderer
und unrentabler Form möglich gewesen sein soll.
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39
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Die Würdigung des FG zu den
Äußerungen des Klägers zu 1. zum Zeitpunkt des
„Erliegens“ des Geschäfts ist
ebenfalls nicht zu beanstanden. Laut Protokoll der mündlichen
Verhandlung bezog sich diese Äußerung auf ein
Gespräch mit der Bank am 15.01.2008, in dem die Bank den
Klägern mitteilte, dass die Finanzierungskonditionen nicht
mehr aufrechterhalten werden könnten. Wenn das FG aus dieser
zeitlichen Zäsur - und aus dem Fehlen substantiierter Angaben
zu Art und Zeitpunkt der neuen Finanzierungskonditionen - den
Schluss zieht, dass die unternehmerische Tätigkeit bereits zum
15.01.2008 eingestellt worden war, ist dies zumindest möglich
und damit revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
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40
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Die Würdigung des FG steht auch nicht im
Widerspruch zu den Geschäften, die nach dem 15.01.2008
geschlossen wurden. Insbesondere der Vortrag des Klägers zu 1.
zum Gegenstand des Unternehmens (laut Protokoll der mündlichen
Verhandlung großvolumige Goldtransaktionen von
„mindestens … Dollar“) führt
dazu, dass die Würdigung des FG, es handele sich dabei um
Maßnahmen im Rahmen der Abwicklung des bereits eingestellten
Unternehmens und nicht um eine Fortführung der
ursprünglichen Geschäftstätigkeit, zumindest
möglich ist. Im Übrigen hat das FG die Suche nach anderen
Geldgebern ausdrücklich in seine Würdigung
einbezogen.
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Im Kern geht der Vortrag der Kläger
dahin, dass das FG im Rahmen der Gesamtwürdigung nach ihrer
Auffassung zu einem anderen Ergebnis hätte kommen müssen.
Dies führt aber weder zu einem Verfahrensfehler noch zu einer
Ausnahme von der Bindung des Revisionsgerichts an die
tatsächlichen Feststellungen des FG nach § 118 Abs. 2
FGO.
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b) Die Kläger können sich auch nicht
mit Erfolg auf einen Verstoß gegen den Grundsatz der
Gewährung rechtlichen Gehörs nach § 96 Abs. 2 FGO
berufen. Eine Überraschungsentscheidung liegt nicht vor. Dies
gilt sowohl im Hinblick auf die Argumentation mit einer Befristung
der Optionen bis zum 15.01.2008 und dem im Mietvertrag vereinbarten
Zeitpunkt 30.04.2008 als auch im Hinblick auf die vom FG
angenommenen Gründe für den Aufenthalt der Kläger in
London.
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Insofern ist zu berücksichtigen, dass
sowohl die örtliche als auch die zeitliche Verfestigung der
unternehmerischen Tätigkeit in London schon vor der
Entscheidung des FG im Rahmen des Austauschs der unterschiedlichen
Rechtsansichten der Beteiligten eine erhebliche Rolle spielten.
Dies gilt auch für die zeitliche Grenze von sechs Monaten als
Voraussetzung für eine abkommensrechtliche Betriebsstätte
(vgl. Schreiben des FA vom 07.11.2018, Bl. 72 ff. der FG-Akte Bd.
I). Die Kläger konnten hierzu umfassend vortragen und haben
diese Möglichkeit auch tatsächlich genutzt.
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Dass das FG in diesem Zusammenhang eine
umfassende Würdigung vornehmen und hierfür insbesondere
vertragliche Fristen und die Anwesenheiten der Kläger in
London einbeziehen würde, konnte für die Beteiligten
nicht überraschend sein. Insofern hätten die Kläger
von sich aus substantiierte Ausführungen zum
tatsächlichen Zeitpunkt eines (späteren) Entschlusses
über die Beendigung des Unternehmens machen müssen
(einschließlich substantiierter Angaben zum Zeitpunkt der
tatsächlichen Kündigung des Mietvertrags unter Beachtung
etwaiger Kündigungsfristen). Auch die Anwesenheit der
Kläger in London war sowohl Gegenstand der vorinstanzlichen
Schriftsätze als auch der mündlichen Verhandlung.
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4. Die Kostenentscheidung beruht auf §
135 Abs. 2 FGO. Etwaige außergerichtliche Kosten der
Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig (§ 139 Abs. 4
FGO); dies folgt schon daraus, dass die Beigeladene im Verfahren
keine eigenen Anträge gestellt und damit kein Kostenrisiko
getragen hat.
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