Die Revision der Beklagten gegen das Urteil
des Finanzgerichts Münster vom 28.02.2023 - 15 K 1527/22 Kg =
SIS 23 20 67 wird als
unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens hat die
Beklagte zu tragen.
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I. Streitig ist, ob die Klägerin und
Revisionsbeklagte (Klägerin) einen Anspruch auf
Kindergeldfestsetzung für die Kinder D und A für den
Zeitraum Dezember 2021 bis einschließlich März 2022
hat.
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Die Klägerin ist rumänische
Staatsangehörige. Sie wohnt seit dem XX.04.2019 in der
Bundesrepublik Deutschland (Deutschland). Ihre in Deutschland
geborenen Kinder D (XX.12.2019) und A (XX.09.2021) wohnen mit ihr
in einem Haushalt. Ab dem XX.11.2021 war die Klägerin bei der
deutschen Zeitarbeitsfirma S. GmbH als Retourenbucherin
beschäftigt. Sie erhielt einen Stundenlohn von 10,45 EUR
zuzüglich einer stündlichen Zulage in Höhe von 0,35
EUR. Das Nettogehalt stieg von 42,12 EUR anteilig für November
2021 über 426,34 EUR im Dezember 2021, 606,85 EUR im Januar
2022, 956,26 EUR im Februar bis auf 1.158,20 EUR im März 2022
an. Den Lohnabrechnungen ist zu entnehmen, dass die Klägerin
zudem im November 2021 insgesamt 21 Stunden und im Dezember 2021
insgesamt 56 Stunden - unbezahlt - als Ungeimpfte in
Quarantäne war.
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Die Beklagte und Revisionsklägerin
(Familienkasse) setzte mit Bescheiden vom 06.02.2020 und 03.11.2021
Kindergeld für die beiden Kinder der Klägerin
fest.
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Mit Bescheid vom XX.11.2021 stellte die
Stadt C (Ausländerbehörde) den Verlust des Rechts auf
Freizügigkeit der Klägerin und ihrer beiden Kinder
gemäß § 5 Abs. 4 des Gesetzes über die
allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern
(FreizügG/EU) fest. Die Entscheidung wurde damit
begründet, dass die Klägerin sich weniger als fünf
Jahre in Deutschland aufhalte und keine Erwerbstätigkeit
ausübe. Die Ausländerbehörde ordnete die sofortige
Vollziehung an. Der Bescheid wurde bestandskräftig.
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Die Ausländerbehörde erstattete
der Familienkasse gemäß § 18f des Gesetzes
über das Ausländerzentralregister (AZRG) Meldung, dass
bei der Klägerin der Verlust der Rechte gespeichert wurde,
woraufhin die Familienkasse eine Rückfrage an die
Ausländerbehörde richtete, ob ein Aufenthaltstitel
erteilt worden sei, was mit Mitteilung vom XX.01.2022 verneint
wurde. Die Familienkasse hob daraufhin mit Bescheid vom 27.01.2022
die Festsetzung des Kindergeldes für die Kinder D und A mit
Wirkung ab Dezember 2021 auf. Zur Begründung wurde darauf
verwiesen, dass die Voraussetzungen des § 62 des
Einkommensteuergesetzes (EStG) nicht vorlägen.
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Innerhalb der Einspruchsfrist reichte die
Klägerin verschiedene Unterlagen bei der Familienkasse ein,
was diese als Einspruch gegen den Bescheid auslegte.
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Mit Bescheid vom XX.04.2022 hob die
Ausländerbehörde die Bescheide, mit denen sie den Verlust
des Rechts auf Freizügigkeit der Klägerin und ihrer
beiden Kinder festgestellt hatte, mit Wirkung zum XX.04.2022 wieder
auf. Mit Schreiben vom selben Tage ordnete die
Ausländerbehörde die Klägerin der Personengruppe des
§ 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU und die Kinder der
Personengruppe des § 2 Abs. 2 Nr. 6 FreizügG/EU
zu.
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Mit Änderungsbescheid vom 05.05.2022
bewilligte die Familienkasse daraufhin Kindergeld für beide
Kinder ab April 2022. Mit Einspruchsentscheidung vom 18.05.2022
wurde der Einspruch für den verbleibenden Zeitraum Dezember
2021 bis März 2022 als unbegründet
zurückgewiesen.
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Die anschließend erhobene Klage hatte
Erfolg. Das Finanzgericht (FG) vertrat die Ansicht, dass die
Familienkasse die Voraussetzungen für einen Kindergeldanspruch
einschließlich der Voraussetzungen des § 2 Abs. 2 Nr. 1
FreizügG/EU in eigener Zuständigkeit prüfen
müsse. Da die Voraussetzungen des § 2 Abs. 2 Nr. 1
FreizügG/EU vorlägen, bestehe ein Anspruch auf Kindergeld
nach § 62 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 63 Abs. 1 EStG.
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Mit der Revision macht die Familienkasse
die Verletzung von Bundesrecht geltend.
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Die Familienkasse beantragt,
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das Urteil des FG Münster vom
28.02.2023 - 15 K 1527/22 Kg aufzuheben und die Klage
abzuweisen.
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Die Klägerin beantragt,
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die Revision zurückzuweisen.
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II. Die Revision ist unbegründet und wird
deshalb zurückgewiesen (§ 126 Abs. 2 der
Finanzgerichtsordnung - FGO - ). Das FG hat zu Recht einen
Kindergeldanspruch der Klägerin für den Streitzeitraum
bejaht.
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1. Die Voraussetzungen für einen
Kindergeldanspruch nach § 62 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 63
Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG liegen unstreitig vor.
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2. Der Kindergeldanspruch ist auch nicht durch
§ 62 Abs. 1a Satz 3 EStG ausgeschlossen. Das FG ist zutreffend
davon ausgegangen, dass die Klägerin als rumänische
Staatsangehörige im Streitzeitraum innerhalb der
Europäischen Union (EU) - für Zwecke der
Kindergeldfestsetzung - freizügigkeitsberechtigt war.
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Nach § 62 Abs. 1a Satz 3 EStG (i.d.F. vom
11.07.2019, eingeführt durch das Gesetz gegen illegale
Beschäftigung und Sozialleistungsmissbrauch vom 11.07.2019,
BGBl I 2019, 1066) ist der Kindergeldanspruch eines
Staatsangehörigen eines anderen Mitgliedstaats, der seit mehr
als drei Monaten im Inland einen Wohnsitz oder gewöhnlichen
Aufenthalt hat, unter anderem dann ausgeschlossen, wenn dieser die
Voraussetzungen des § 2 Abs. 2 oder Abs. 3 FreizügG/EU
nicht erfüllt. Gemäß § 62 Abs. 1a Satz 4 EStG
führt die Familienkasse die Prüfung, ob die
Voraussetzungen für einen Anspruch auf Kindergeld
gemäß Satz 3 nicht gegeben sind, in eigener
Zuständigkeit durch. Dementsprechend ist auch das FG
berechtigt, das Kriterium der Freizügigkeit selbst zu
überprüfen.
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a) Der persönliche Anwendungsbereich des
§ 62 Abs. 1a EStG ist eröffnet, da die Klägerin
Staatsangehörige eines anderen Mitgliedstaats der EU ist und
keine deutsche Staatsangehörigkeit besitzt.
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b) Die Vorschrift ist auch zeitlich anwendbar.
§ 62 Abs. 1a EStG in dieser am 18.07.2019 geltenden Fassung
ist für Kindergeldfestsetzungen anzuwenden, die - wie im
vorliegenden Fall - Zeiträume betreffen, die nach dem
31.07.2019 beginnen (§ 52 Abs. 49a Satz 1 EStG).
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Die Klägerin wohnt bereits seit April
2019 und damit im Streitzeitraum seit mehr als zwei Jahren in
Deutschland. Der streitige Kindergeldanspruch fällt daher
nicht in den Zeitraum von drei Monaten ab Begründung des
Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts, auf den sich die -
nach dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH)
Familienkasse Niedersachsen Bremen vom 01.08.2022 - C-411/20,
EU:C:2022:602 = SIS 22 13 88 gegen
das Unionsrecht verstoßende - Regelung des § 62 Abs. 1a
Satz 1 EStG bezieht.
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c) Die Klägerin erfüllt im
Streitzeitraum auch die Voraussetzungen des unionsrechtlichen
Freizügigkeitsrechts nach § 2 Abs. 2
FreizügG/EU.
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aa) Gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 1
FreizügG/EU sind Unionsbürger, die sich als Arbeitnehmer
oder zur Berufsausbildung aufhalten wollen,
freizügigkeitsberechtigt. Der Begriff des Arbeitnehmers im
Sinne des europäischen Gemeinschaftsrechts ist weit auszulegen
(EuGH-Urteil N. vom 21.02.2013 - C-46/12, EU:C:2013:97, Rz 39). Der
EuGH (Urteile Levin vom 23.03.1982 - C-53/81, EU:C:1982:105, NJW
1983, 1249, Rz 18; Vatsouras/Koupatantze vom 04.06.2009 - C-22/08
und C-23/08, EU:C:2009:344, Rz 26 und Genc vom 04.02.2010 -
C-14/09, EU:C:2010:57, Rz 18 ff.) betont in ständiger
Rechtsprechung, dass als Arbeitnehmer jeder anzusehen ist, der eine
tatsächliche und echte Tätigkeit ausübt, wobei nur
Tätigkeiten außer Betracht bleiben, die einen so
geringen Umfang haben, dass sie sich als völlig untergeordnet
und unwesentlich darstellen. Das wesentliche Merkmal des
Arbeitsverhältnisses besteht nach dieser Rechtsprechung darin,
dass jemand während einer bestimmten Zeit für einen
anderen nach dessen Weisung Leistungen erbringt, für die er
als Gegenleistung eine Vergütung erhält. Zudem führt
der Umstand, dass das mit der ausgeübten Tätigkeit
erzielte Entgelt unter dem von dem jeweiligen Mitgliedstaat
definierten Existenzminimum liegt, als solcher nicht dazu, dass
diese Tätigkeit vom Anwendungsbereich der
Arbeitnehmerfreizügigkeit ausgeschlossen ist (EuGH-Urteil
Levin vom 23.03.1982 - C-53/81, EU:C:1982:105, NJW 1983, 1249, Rz
18). Auch die Dauer der Tätigkeit ist nicht von entscheidender
Relevanz (vgl. Landessozialgericht für das Land
Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 05.07.2023 - L 7 AS 845/23 B ER,
Rz 8, juris). Die Arbeitnehmereigenschaft ist aufgrund einer
Gesamtbetrachtung aller Umstände, die die Art der in Rede
stehenden Tätigkeiten und des fraglichen
Arbeitsverhältnisses betreffen, festzustellen (vgl.
EuGH-Urteile Genc vom 04.02.2010 - C-14/09, EU:C:2010:57, Rz 26 f.;
N. vom 21.02.2013 - C-46/12, EU:C:2013:97, Rz 43; Urteil des
Bundessozialgerichts - BSG - vom 03.12.2015 - B 4 AS 44/15 R, BSGE
120, 149, Rz 26).
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bb) Nach diesen Maßstäben ist die
Würdigung des FG unter Berücksichtigung des
Arbeitsvertrages und der Lohnabrechnungen, die von der
Klägerin ab dem XX.11.2021 ausgeübte Tätigkeit als
Arbeitnehmerin im Sinne von § 2 FreizügG/EU zu
qualifizieren, nicht zu beanstanden. Das FG hat für den Senat
bindend festgestellt (§ 118 Abs. 2 FGO), dass die
Klägerin ab dem XX.11.2021 bei der Firma S. GmbH als
Retourenbucherin beschäftigt war. Ihre geringe Stundenzahl und
ihr dementsprechend niedriges Gehalt im November und Dezember 2021
(Coronazeit) resultierten lediglich daraus, dass sie als Ungeimpfte
zeitweise in Quarantäne war und in dieser Zeit ihrer
Beschäftigung nicht nachgehen konnte.
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3. Dem Kindergeldanspruch steht auch nicht der
Bescheid der Ausländerbehörde über den Verlust des
Freizügigkeitsrechts der Klägerin vom XX.11.2021
entgegen.
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a) Gemäß § 62 Abs. 1a Satz 4
EStG führt die Familienkasse die Prüfung, ob die
Voraussetzungen für einen Anspruch auf Kindergeld
gemäß Satz 3 nicht gegeben sind, in eigener
Zuständigkeit durch.
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Für das steuerrechtliche Kindergeld hat
der Gesetzgeber auf die Rechtsprechung des erkennenden Senats
(Urteil vom 15.03.2017 - III R 32/15, BFHE 258, 16, BStBl II 2017,
963 = SIS 17 12 70), wonach den Familienkassen die Berufung auf die
fehlende Freizügigkeitsberechtigung im Rahmen der Entscheidung
über den Kindergeldanspruch verwehrt war, wenn die fehlende
Freizügigkeitsberechtigung nicht durch die
Ausländerbehörden oder die Verwaltungsgerichte
förmlich festgestellt worden war (vgl. zu den Motiven für
die Einführung: Begründung der Bundesregierung vom
25.03.2019 zum Entwurf des Gesetzes gegen illegale
Beschäftigung und Sozialleistungsmissbrauch, BTDrucks 19/8691,
S. 63 ff.), mit der Einfügung des § 62 Abs. 1a Satz 4
EStG reagiert. Der Kindergeldanspruch ist insoweit nur an die
materiellen Voraussetzungen des Freizügigkeitsrechts
geknüpft, die die Familienkasse - und im Klageverfahren das FG
- nach der Einführung des § 62 Abs. 1a Satz 4 EStG in
eigener Zuständigkeit zu prüfen haben.
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b) § 62 Abs. 1a Satz 4 EStG ist nicht
dahingehend auszulegen, dass eine Prüfungskompetenz der
Familienkasse nicht mehr besteht, wenn die
Ausländerbehörde den Verlust der Freizügigkeit
festgestellt hat.
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aa) Für die Auslegung einer
Gesetzesvorschrift ist der in dieser zum Ausdruck kommende
objektivierte Wille des Gesetzgebers maßgebend, so wie er
sich aus dem Wortlaut der Gesetzesbestimmung und dem
Sinnzusammenhang ergibt (Urteil des Bundesgerichtshofs - BGH - vom
27.06.2012 - IV ZR 239/10, BGHZ 193, 369, Rz 21; Urteil des
Bundesfinanzhofs - BFH - vom 14.05.1991 - VIII R 31/88, BFHE 164,
516, BStBl II 1992, 167 = SIS 91 19 17, Rz 38, m.w.N.).
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bb) Ausgehend vom Gesetzeswortlaut wird das
Prüfungsrecht und die Prüfungspflicht der Familienkasse,
wenn es um die Frage geht, ob die materiellen Voraussetzungen der
Freizügigkeitsberechtigung des Kindergeldberechtigten
bestehen, nicht eingeschränkt. § 62 Abs. 1a Satz 4 EStG
bezieht die Prüfungskompetenz ohne Einschränkungen auf
die in § 62 Abs. 1a Satz 3 genannten
Freizügigkeitsregelungen nach § 2 Abs. 2 oder Abs. 3
FreizügG/EU.
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Zwar mag es zutreffen, dass der Gesetzgeber
bei Einführung des § 62 Abs. 1a Satz 4 EStG nur den Fall
im Blick hatte, dass die Ausländerbehörde noch keinerlei
Feststellungen über das Freizügigkeitsrecht getroffen hat
(vgl. BTDrucks 19/8691, S. 64). Der Wille, ausschließlich
diesen Fall zu regeln, hat aber in der Norm keinen Niederschlag
gefunden.
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Der Wille des Gesetzgebers beziehungsweise der
am Gesetzgebungsverfahren Beteiligten kann bei der
Gesetzesauslegung nur insoweit berücksichtigt werden, als er
auch im Text einen hinreichend bestimmten Niederschlag gefunden hat
(Urteil des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - vom 16.02.1983 - 2
BvE 1/83 u.a., BVerfGE 62, 1, unter C.II.3.a; BFH-Urteile vom
30.09.2020 - VI R 34/18, BFHE 271, 145, BStBl II 2021, 446 = SIS 21 04 21, Rz 30; vom 14.05.1991 - VIII R 31/88, BFHE 164, 516, BStBl
II 1992, 167 = SIS 91 19 17, Rz 38; Senatsurteil vom 24.01.2008 -
III R 9/05, BFHE 221, 383, BStBl II 2008, 688 = SIS 08 25 78, Rz
11). Die Gesetzesmaterialien dürfen nicht dazu verleiten, die
subjektiven Vorstellungen der gesetzgebenden Instanzen dem
objektiven Gesetzesinhalt gleichzusetzen (BFH-Urteil vom 04.04.2019
- VI R 18/17, BFHE 264, 6, BStBl II 2019, 449 = SIS 19 06 71, Rz
25, m.w.N.).
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Eine Auslegung dahingehend, dass bei einer
Feststellung des Verlustes der Freizügigkeit durch die
Ausländerbehörde keine eigene Prüfungskompetenz der
Familienkasse für einen Kindergeldanspruch mehr bestehen soll,
steht nicht mehr im Einklang mit der Gesetzesformulierung. Der
Gesetzgeber hätte ohne Weiteres die Prüfungspflicht
für bestimmte Fälle ausschließen können (z.B.
durch einen Halbsatz wie in § 23 Abs. 3 Satz 7 des
Zwölften Buches Sozialgesetzbuch oder in § 7 Abs. 1 Satz
4 2. Halbsatz des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch: „…
dies gilt nicht, wenn der Verlust des Rechts nach § 2 Absatz 1
des Freizügigkeitsgesetzes/EU festgestellt
wurde.“). Dies hat er jedoch nicht getan.
Vielmehr ist nach dem Wortlaut davon auszugehen, dass das Gesetz
den Familienkassen bei der Prüfung eines Kindergeldanspruchs
die Prüfung der Freizügigkeit nach § 2 Abs. 2 und 3
FreizügG/EU in allen Fällen überlassen will.
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cc) § 62 Abs. 1a Satz 4 EStG kann
entgegen der Ansicht der Familienkasse auch nicht im Wege einer
teleologischen Reduktion dahin eingeschränkt werden, dass eine
eigenständige Prüfungskompetenz nicht mehr besteht, wenn
der Verlust der Freizügigkeit durch die
Ausländerbehörde festgestellt worden ist.
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(1) Zwar stellt der Wortlaut der Norm nicht in
jedem Fall eine unüberwindliche Grenze der Rechtsanwendung dar
(vgl. BVerfG-Beschluss vom 16.12.2014 - 1 BvR 2142/11, BVerfGE 138,
64, Rz 93). Eine teleologische Reduktion gehört zu den
verfassungsrechtlich anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung
(BVerfG-Beschluss vom 19.05.2023 - 2 BvR 78/22, NJW 2023, 2632, Rz
35, m.w.N.). Die teleologische Reduktion eines zu weit gefassten
Wortlauts einer Norm ist aber nur dann geboten, wenn eine
gesetzliche Regelung nach ihrem Wortsinn Sachverhalte erfasst, die
sie nach dem erkennbaren Willen des Gesetzgebers nicht erfassen
soll. Sie setzt eine verdeckte Regelungslücke im Sinne einer
planwidrigen Unvollständigkeit des Gesetzes voraus (BFH-Urteil
vom 26.06.2007 - IV R 9/05, BFHE 219, 173, BStBl II 2007, 893 = SIS 07 31 78, unter II.5.; BGH-Beschluss vom 06.02.2024 - II ZB 19/22,
DB 2024, 794, Rz 11). Die Grenzen zulässiger Rechtsfortbildung
bei einer teleologischen Reduktion sind jedoch überschritten,
wenn sich eine solche Unvollständigkeit nicht sicher
feststellen lässt (vgl. BFH-Urteil vom 09.03.2023 - IV R
25/20, BFHE 279, 545, BStBl II 2023, 836 = SIS 23 06 50, Rz 25,
m.w.N; BSG-Urteil vom 03.11.2021 - B 11 AL 2/21 R, Neue Zeitschrift
für Sozialrecht 2022, 597, Rz 24, m.w.N.; Urteil des
Bundesverwaltungsgerichts vom 15.01.2019 - 1 C 15.18, BVerwGE 164,
179, Rz 17 f., m.w.N.). Keine (planwidrigen) Regelungslücken
sind rechtspolitische Unvollständigkeiten
(„rechtspolitische Fehler“), bei denen
die Ergänzung aus lediglich rechtspolitischen Gründen
wünschenswert wäre (u.a. BFH-Urteile vom 09.08.1989 - X R
30/86, BFHE 158, 45, BStBl II 1989, 891 = SIS 90 02 08, unter 2.a;
vom 26.09.2023 - IX R 19/21, BFHE 281, 514, BStBl II 2024, 43 = SIS 23 20 04, Rz 33). Es bedarf daher des sicheren Nachweises, dass
sich die Regelungsabsicht des Gesetzgebers im Normtext nicht
niedergeschlagen hat.
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(2) Diese Voraussetzungen sind im Hinblick auf
§ 62 Abs. 1a Satz 4 EStG nicht erfüllt. Eine planwidrige
Unvollständigkeit des Gesetzes ist nicht anzunehmen.
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Zwar lagen der Einfügung des Satzes 4 des
§ 62 Abs. 1a EStG vorwiegend Gestaltungen zugrunde, in denen
die Ausländerbehörde noch keine Feststellungen zur
Freizügigkeit des Kindergeldberechtigten getroffen hatte. In
diesen Fällen konnten die Familienkassen nach der
Rechtsprechung des erkennenden Senats (Urteil vom 15.03.2017 - III
R 32/15, BFHE 258, 16, BStBl II 2017, 963 = SIS 17 12 70) die
Kindergeldzahlungen bei nicht freizügigkeitsberechtigten
Kindergeldberechtigten erst einstellen, wenn die
Ausländerbehörde den Verlust der Freizügigkeit
festgestellt hatte. Aus der Gesetzesbegründung ergibt sich
aber nicht, dass nur die Fälle der fehlenden Feststellung der
ausländerrechtlichen Freizügigkeitsberechtigung von der
Prüfungskompetenz der Familienkassen erfasst werden sollten.
Vielmehr führt der Gesetzgeber in seiner
Gesetzesbegründung (BTDrucks 19/8691, S. 64) aus:
„Ergeben sich künftig aus den Erkenntnissen bei der
Kindergeldbearbeitung begründete Zweifel …, führt
die Familienkasse künftig in eigener Zuständigkeit eine
Prüfung aller Anspruchsvoraussetzungen des § 62 Abs. 1a
des Einkommensteuergesetzes einschließlich der
Voraussetzungen des § 2 des Freizügigkeitsgesetzes/EU
durch und trifft gegebenenfalls eine ablehnende Entscheidung
über den Kindergeldanspruch.“ Das Absehen
von einer Prüfung bei einer bestehenden
ausländerrechtlichen Verlustfeststellung der
Freizügigkeitsberechtigung wird nicht erwähnt. Dabei hat
der Gesetzgeber sehr wohl den Unterschied zwischen der Prüfung
der Voraussetzungen der Freizügigkeitsregelungen für
Zwecke der Kindergeldfestsetzung im Vergleich zur Prüfung der
Ausländerbehörde zum Zwecke des Erlasses
aufenthaltsrechtlicher Maßnahmen gesehen, indem er in der
Gesetzesbegründung weiter ausführt, dass „die mit
aufenthaltsrechtlichen Konsequenzen verbundene Feststellung des
Nichtbestehens oder des Verlusts des Freizügigkeitsrechts
… auch nach der Rechtsänderung ausschließlich der
Ausländerbehörde vorbehalten sein“
wird (BTDrucks 19/8691, S. 64). Im Regelungsbereich der
Kindergeldfestsetzung sollte hingegen den Familienkassen die
ausschließliche Prüfungskompetenz der
Freizügigkeitsregelungen übertragen werden.
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(3) Auch aus § 18f AZRG ergibt sich kein
eindeutiger Gesetzeszweck dergestalt, die Prüfungskompetenz
der Familienkassen bei Verlustfeststellungen der
Freizügigkeitsberechtigung durch die
Ausländerbehörde einzuschränken. Die in § 18f
AZRG geregelte automatisierte Übermittlung der Feststellung
des Nichtbestehens oder des Verlustes des Rechts auf Einreise und
Aufenthalt nach dem FreizügG/EU bleibt entgegen der Ansicht
der Familienkasse weiterhin sinnvoll und erforderlich. Eine
entsprechende Mitteilung über eine Verlustfeststellung wird
regelmäßig Zweifel der Familienkassen an der
Freizügigkeitsberechtigung des Kindergeldberechtigten
begründen und Anlass sein, in die eigenständige
Prüfung der Freizügigkeitsberechtigung des
Kindergeldberechtigten unter Berücksichtigung der Erkenntnisse
der Ausländerbehörde einzutreten. Die Mitteilungen der
Ausländerbehörde befreien die Familienkassen aber nicht
von ihrer gesetzlich normierten eigenen Prüfungspflicht.
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(4) Es ist auch nicht ersichtlich, dass die
wortlautgetreue Auslegung des § 62 Abs. 1a Satz 4 EStG zu
einem sinnwidrigen Ergebnis führt, wie gerade der Streitfall
zeigt. Nachdem die Klägerin der Ausländerbehörde
Nachweise ihrer Erwerbstätigkeit auch für den hier
vorliegenden Streitzeitraum vorgelegt hat, hob die
Ausländerbehörde die Verlustfeststellung der
Freizügigkeit auf. Dass dies lediglich mit Wirkung ex nunc
geschah, ändert nichts daran, dass die Voraussetzungen
für die Freizügigkeit im gesamten Streitzeitraum
erfüllt waren, so dass der Kindergeldanspruch insoweit
ebenfalls zu bejahen ist.
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c) Entgegen der Auffassung der Familienkasse
hat die Entscheidung der Ausländerbehörde zur
Feststellung des Verlustes der Freizügigkeitsberechtigung
gemäß § 5 Abs. 4 FreizügG/EU jedenfalls bei
der Prüfung des Kindergeldanspruchs auch keine (echte)
Tatbestandswirkung (vgl. Wendl in Herrmann/Heuer/Raupach, § 62
EStG Rz 13; vgl. Helmke/Bauer, Familienleistungsausgleich,
Kommentar, Fach A, I. Kommentierung, § 62 Rz 48.5; a.A.
Avvento in Kirchhof/Seer, EStG, 22. Aufl., § 62 Rz 5; Bauhaus
in Korn, § 62 EStG Rz 31.4). Eine solche Feststellung kann
zwar regelmäßig ausreichen, um Zweifel an dem Bestehen
der Freizügigkeit zu begründen (s. II.3.b cc). Aufgrund
der eigenen Prüfungskompetenz der Familienkasse kann diese
eine Versagung des Kindergeldanspruchs aber nicht allein auf die
Entscheidung der Ausländerbehörde stützen.
Entscheidend abzustellen ist vielmehr darauf, ob der
Kindergeldberechtigte tatsächlich nach § 2
FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigt ist.
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4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 143
Abs. 1, § 135 Abs. 2 FGO.
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