Die Revision des Klägers gegen das Urteil
des Finanzgerichts Köln vom 03.07.2020 - 12 K 449/18 =
SIS 21 00 86 wird als
unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der
Kläger zu tragen.
1
|
I. Der Kläger und Revisionskläger
(Kläger) erwarb am 25.07.2008 Anleihen der X B.V. (ISIN
…, Anleihen A) sowie am 18.12.2008 Anleihen der Y AG (ISIN
…, Anleihen B) und der Z AG & Co. KGaA (ISIN …,
Anleihen C). Die Anleihen A hatten eine 60-jährige Laufzeit
bis 2066, die Anleihen B und C eine ca. 100-jährige Laufzeit
bis 2104 bzw. 2105. Eine Trennung zwischen Ertragsebene und
Vermögensebene war möglich. Für einen begrenzten
Zeitraum, die sog. Festzinslaufzeit, waren die Anleihen
festverzinslich (A: 7,375 %, B: 5,0 %, C: 5,375 %), danach
bestanden jeweils eine variable Verzinsung und ein
Kündigungsrecht der Emittentin.
|
|
|
2
|
Nach Ablauf der jeweiligen Festzinslaufzeit
kündigte die Emittentin die Anleihen. Aus den
Rückzahlungen zum Nennwert erzielte der Kläger im
Streitjahr 2015 Gewinne in Höhe von 3.035,89 EUR aus den
Anleihen B und 1.578,58 EUR aus den Anleihen C sowie im Streitjahr
2016 einen Gewinn in Höhe von 616,33 EUR aus den Anleihen
A.
|
|
|
3
|
Die Bank des Klägers beurteilte die
Rückzahlung der Anleihen jeweils als steuerpflichtiges
Veräußerungsgeschäft, ermittelte die der Höhe
nach unstreitigen Veräußerungsgewinne nach § 43a
Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 20 Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes
in seiner in den Streitjahren anzuwendenden Fassung (EStG) und
unterwarf sie dem Kapitalertragsteuerabzug.
|
|
|
4
|
Mit den Einkommensteuererklärungen
für 2015 und 2016 beantragte der Kläger, die von der Bank
einbehaltenen und abgeführten Steuerabzugsbeträge
(Kapitalertragsteuer und Solidaritätszuschlag) in Höhe
von insgesamt 1.217,06 EUR (2015) bzw. 162,55 EUR (2016) zu
erstatten. Dazu reichte er jeweils eine Anlage KAP sowie die
Abrechnungen über die Wertpapierkäufe und die
Gesamtkündigungen ein. In der Zeile 5 der Anlagen KAP
beantragte er gemäß § 32d Abs. 4 EStG jeweils eine
Überprüfung des Steuereinbehalts für bestimmte
Kapitalerträge und gab hierzu in der Zeile 7 die aus den
Anleihen erzielten Veräußerungsgewinne in Höhe von
insgesamt 4.614,47 EUR (2015) bzw. 616,33 EUR (2016) sowie als
korrigierten Betrag den nach seiner Auffassung zutreffenden Betrag
von jeweils 0 EUR an. Ergänzend führte der Kläger
aus, dass es sich bei den Wertpapieren um nachrangige
festverzinsliche Schuldverschreibungen (Subordinated Medium-Term
Notes) handele, welche nicht als echte Finanzinnovationen nach
§ 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 des Einkommensteuergesetzes in der am
31.12.2008 anzuwendenden Fassung (EStG 2008) zu qualifizieren
seien, da eine Trennung zwischen Kapitalstamm und Zinskupon und
somit zwischen Kapitalnutzungsentgelt und Wertentwicklung des
Kapitals problemlos möglich sei. Die Besteuerung eines
Veräußerungsgewinns scheide daher nach Ablauf der
einjährigen Spekulationsfrist aus.
|
|
|
5
|
In den Einkommensteuerbescheiden für
2015 vom 13.12.2016 und für 2016 vom 08.08.2017 versagte der
Beklagte und Revisionsbeklagte (Finanzamt - FA - ) die von dem
Kläger begehrte Erstattung der Steuerabzugsbeträge. Die
Einspruchsverfahren blieben erfolglos (Einspruchsentscheidungen vom
25.01.2018 zur Einkommensteuer 2015 und betreffend
Ablehnungsbescheid gegen den Antrag auf schlichte Änderung des
Einkommensteuerbescheids 2016).
|
|
|
6
|
Der Kläger erhob Klage, die das
Finanzgericht (FG) aus den in EFG 2021, 366 = SIS 21 00 86 mitgeteilten Gründen
abwies.
|
|
|
7
|
Mit der vom FG zugelassenen Revision macht
der Kläger die Verletzung von Bundesrecht und insbesondere die
Verfassungswidrigkeit der Übergangsvorschriften in § 52
Abs. 28 Sätze 15 bis 17 EStG (§ 52a Abs. 10 Sätze 6
bis 8 EStG a.F.) geltend. Sie könnten die Anwendung des §
20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG auf die vorliegenden Gewinne nicht
begründen, sondern seien durch teleologische bzw.
verfassungskonforme Reduktion in ihrer Reichweite zu begrenzen.
Hilfsweise macht der Kläger die Verletzung des allgemeinen
Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes - GG - )
geltend.
|
|
|
8
|
Der Kläger beantragt,
|
|
|
1.
|
das Urteil des FG Köln vom 03.07.2020
- 12 K 449/18 aufzuheben,
|
2.
|
den Einkommensteuerbescheid für 2015
vom 13.12.2016 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 25.01.2018
dahingehend abzuändern, dass die Gewinne aus der
Rückzahlung der Anleihen B in Höhe von 3.035,89 EUR und
der Anleihen C in Höhe von 1.578,58 EUR mit jeweils 0 EUR als
Einkünfte aus Kapitalvermögen und die einbehaltenen
Steuerabzugsbeträge in Höhe von 1.217,06 EUR
berücksichtigt werden,
|
3.
|
das FA zu verpflichten, den
Einkommensteuerbescheid für 2016 vom 08.08.2017 unter
Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom 18.10.2017 in Gestalt der
Einspruchsentscheidung vom 25.01.2018 dahingehend zu ändern,
dass der Gewinn aus der Rückzahlung der Anleihen A in
Höhe von 616,33 EUR mit 0 EUR als Einkünfte aus
Kapitalvermögen und die einbehaltenen Steuerabzugsbeträge
in Höhe von 162,55 EUR berücksichtigt werden.
|
|
|
9
|
Das FA beantragt,
|
|
die Revision als unbegründet
zurückzuweisen.
|
|
|
10
|
II. Die Revision ist unbegründet und
deshalb gemäß § 126 Abs. 2 der
Finanzgerichtsordnung (FGO) zurückzuweisen. Die
Vorentscheidung verletzt weder Bundesrecht noch ist der Senat davon
überzeugt, dass die Übergangsregelungen in § 52 Abs.
28 Sätze 15 bis 17 EStG (§ 52a Abs. 10 Sätze 6 bis 8
EStG a.F.), soweit sie im Streitfall zur Anwendung gelangen, eine
verfassungswidrige Rückwirkung vorsehen oder gegen den
allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG verstoßen.
Das Revisionsverfahren ist daher nicht auszusetzen, um eine
Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) einzuholen.
|
|
|
11
|
1. Das FG hat zutreffend entschieden, dass die
vom Kläger in den Streitjahren vereinnahmten Gewinne aus der
Rückzahlung der Anleihen gemäß § 20 Abs. 2
Satz 1 Nr. 7, Abs. 2 Satz 2 und Abs. 4 EStG als steuerpflichtige
Einkünfte aus Kapitalvermögen zu qualifizieren sind.
|
|
|
12
|
Bei den Gewinnen aus der Rückzahlung der
Anleihen A, B und C handelt es sich um Gewinne aus der
Veräußerung von sonstigen Kapitalforderungen jeder Art
i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG; diese Gewinne gehören
gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG zu den
Einkünften aus Kapitalvermögen. Begrifflich liegen bei
den Anleihen A, B und C sonstige Kapitalforderungen i.S. des §
20 Abs. 1 Nr. 7 EStG vor (vgl. Beschluss des Bundesfinanzhofs - BFH
- vom 28.05.2019 - VIII R 7/16, BFHE 265, 132, BStBl II 2019, 610 =
SIS 19 10 37, Rz 22). Gemäß § 20 Abs. 2 Satz 2 EStG
gelten als Veräußerung insbesondere auch die
Einlösung und die Rückzahlung (vgl. zur Gleichstellung
der in § 20 Abs. 2 Satz 2 EStG genannten
Ersatztatbestände BFH-Urteil vom 03.12.2019 - VIII R 34/16,
BFHE 267, 232, BStBl II 2020, 836 = SIS 20 04 05, Rz 29). Es bedarf
danach keiner Entscheidung darüber, ob die Rückzahlung
der Anleihen zum Nennwert einen Einlösungs- oder
Rückzahlungsvorgang im Sinne der Vorschrift darstellt. Auch
die Höhe der vom Kläger erzielten Gewinne (vgl. § 20
Abs. 4 Satz 1 EStG) ist unstreitig.
|
|
|
13
|
2. Das anlässlich der Einführung der
Abgeltungsteuer zum 01.01.2009 normierte Übergangsrecht
führt zu keinem anderen Ergebnis. Insbesondere führt
§ 52 Abs. 28 Satz 16 EStG nicht dazu, dass § 20 Abs. 2
Satz 1 Nr. 7 EStG im Streitfall durch § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2
EStG verdrängt wird.
|
|
|
14
|
a) Gemäß § 52 Abs. 28 Satz 15
EStG ist § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG i.d.F. des Art. 1 des
Unternehmensteuerreformgesetzes 2008 vom 14.08.2007 (BGBl I 2007,
1912) grundsätzlich erstmals auf die nach dem 31.12.2008
zufließenden Kapitalerträge aus der
Veräußerung sonstiger Kapitalforderungen anzuwenden.
Danach sind die Veräußerungsgewinne, die der Kläger
aus den im Jahr 2008 erworbenen Anleihen in den Streitjahren
aufgrund der Rückzahlung erzielt hat, gemäß §
20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG steuerpflichtig. Entgegen der
Auffassung des Klägers folgt weder aus Satz 16 noch aus Satz
17 des § 52 Abs. 28 EStG eine Ausnahme in dem Sinne, dass die
Vorschrift des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG vorrangig ist und
die Anwendung des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG
ausschließt.
|
|
|
15
|
b) Die Voraussetzungen des § 52 Abs. 28
Satz 16 EStG für eine Fortgeltung des alten Rechts über
den 31.12.2008 hinaus liegen im Streitfall nicht vor. Grund
hierfür ist der dritte Teilsatz in § 52 Abs. 28 Satz 16
EStG, der im Sinne einer Rückausnahme die im ersten Teilsatz
normierte Ausnahme von der Anwendung des § 20 Abs. 2 Satz 1
Nr. 7 EStG für Kapitalforderungen, die vor dem 01.01.2009
erworben wurden, wieder ausschließt.
|
|
|
16
|
§ 52 Abs. 28 Satz 16 EStG (§ 52a
Abs. 10 Satz 7 EStG a.F.) lautet:
|
|
|
|
„Für Kapitalerträge aus
Kapitalforderungen, die zum Zeitpunkt des vor dem 1.1.2009
erfolgten Erwerbs zwar Kapitalforderungen im Sinne des § 20
Absatz 1 Nummer 7 in der am 31.12.2008 anzuwendenden Fassung, aber
nicht Kapitalforderungen im Sinne des § 20 Absatz 2 Satz 1
Nummer 4 in der am 31.12.2008 anzuwendenden Fassung sind, ist
§ 20 Absatz 2 Satz 1 Nummer 7 nicht anzuwenden; für die
bei der Veräußerung in Rechnung gestellten
Stückzinsen ist Satz 15 anzuwenden; Kapitalforderungen im
Sinne des § 20 Absatz 2 Satz 1 Nummer 4 in der am 31.12.2008
anzuwendenden Fassung liegen auch vor, wenn die Rückzahlung
nur teilweise garantiert ist oder wenn eine Trennung zwischen
Ertrags- und Vermögensebene möglich
erscheint.“
|
|
|
17
|
Zwar hat der Kläger die Anleihen A, B und
C im Jahr 2008 und damit noch vor dem 01.01.2009 erworben;
außerdem lagen nach der Rechtsprechung zu unechten
Finanzinnovationen (vgl. BFH-Urteile vom 24.10.2000 - VIII R 28/99,
BFHE 193, 374, BStBl II 2001, 97 = SIS 01 01 04; vom 20.11.2006 -
VIII R 97/02, BFHE 216, 79, BStBl II 2007, 555 = SIS 07 06 12, und
vom 17.12.2013 - VIII R 42/12, BFHE 244, 36, BStBl II 2014, 319 =
SIS 14 04 77) keine Kapitalforderungen i.S. des § 20 Abs. 2
Satz 1 Nr. 4 EStG 2008, sondern sonstige Kapitalforderungen
gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG 2008 vor. Für
eben diese Fälle hat der Gesetzgeber jedoch in § 52 Abs.
28 Satz 16 Teilsatz 3 EStG eine Rückausnahme normiert.
Insbesondere dann, wenn eine Trennung zwischen Ertrags- und
Vermögensebene möglich ist oder zumindest möglich
erscheint, werden dadurch die unechten Finanzinnovationen den
Kapitalforderungen i.S. des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 EStG 2008
gleichgestellt, so dass § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG auf die
nach dem 31.12.2008 zufließenden Kapitalerträge aus der
Veräußerung sonstiger Kapitalforderungen anzuwenden ist
(vgl. BFH-Beschluss vom 12.07.2017 - VIII R 48/14, BFH/NV 2018, 412
= SIS 17 25 74, Rz 20 f.). Die Rückausnahme gilt auch dann,
wenn die Trennbarkeit - wie im vorliegenden Fall - unzweifelhaft
gegeben ist.
|
|
|
18
|
c) Ebenfalls nicht zu einer Ausnahme von der
Anwendung des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG führt im
Streitfall § 52 Abs. 28 Satz 17 EStG (früher § 52a
Abs. 10 Satz 8 EStG a.F.), da die Anleihen A, B und C unstreitig
nicht in die Kategorie der von der Vorschrift erfassten
Vollrisikopapiere fallen (vgl. BFH-Urteil vom 29.10.2019 - VIII R
16/16, BFHE 266, 550, BStBl II 2020, 254 = SIS 20 02 87, Rz
29).
|
|
|
19
|
3. Für eine teleologische Reduktion des
§ 52 Abs. 28 Satz 16 EStG oder des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr.
7 EStG besteht keine Veranlassung. Eine teleologische Normreduktion
zielt darauf ab, den Geltungsbereich einer Norm mit Rücksicht
auf ihren Zweck gegenüber dem zu weit gefassten Wortlaut
einzuschränken. Sie ist aber nicht bereits dann
gerechtfertigt, wenn die vom Gesetzgeber getroffene Entscheidung
rechtspolitisch fehlerhaft erscheint, sondern kommt
grundsätzlich nur in Betracht, wenn die auf den Wortlaut
abgestellte Auslegung der Regelung zu einem sinnwidrigen Ergebnis
führen würde (vgl. BFH-Urteile vom 12.06.2018 - VIII R
14/15, BFHE 262, 66, BStBl II 2018, 755 = SIS 18 14 52, Rz 32; vom
14.05.2019 - VIII R 20/16, BFHE 264, 459, BStBl II 2019, 586 = SIS 19 11 77, Rz 28, und vom 16.06.2020 - VIII R 15/17, BFHE 269, 495,
BStBl II 2020, 841 = SIS 20 15 55, Rz 20). Die Wortlautauslegung
der Sätze 15 ff. des § 52 Abs. 28 EStG und des § 20
Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG führt jedoch nicht zu einem
sinnwidrigen, sondern zu einem dem Gesetzeszweck entsprechenden
Ergebnis. Durch die Einfügung des dritten Teilsatzes in §
52 Abs. 28 Satz 16 EStG wollte der Gesetzgeber nämlich
Abgrenzungsschwierigkeiten vermeiden und den mit der
Abgeltungsteuer ab dem 01.01.2009 angestrebten Vereinfachungseffekt
nicht konterkarieren (vgl. BT-Drucks. 16/10189, S. 66 f.;
näher dazu unter II.4.b cc).
|
|
|
20
|
4. Die mit der Revision erstrebte
verfassungskonforme Auslegung kommt schon deswegen nicht in
Betracht, weil die Übergangsregelungen in § 52 Abs. 28
Sätze 15 ff. EStG entgegen der Auffassung des Klägers
nicht zu einem verfassungswidrigen Zustand führen. Aus diesem
Grund scheidet auch die Aussetzung des Revisionsverfahrens zum
Zwecke der Vorlage an das BVerfG gemäß Art. 100 Abs. 1
Satz 1 GG aus.
|
|
|
21
|
Die Sätze 15 ff. des § 52 Abs. 28
EStG verstoßen weder gegen das Rückwirkungsverbot noch
gegen den allgemeinen Gleichheitssatz. Dies gilt insbesondere im
Hinblick auf den für die Anwendung des § 20 Abs. 2 Satz 1
Nr. 7 EStG im Streitfall entscheidenden dritten Teilsatz von §
52 Abs. 28 Satz 16 EStG.
|
|
|
22
|
a) Nach Maßgabe der Rechtsprechung des
BVerfG zum Rückwirkungsverbot bewirkt § 52 Abs. 28 Satz
16 EStG im Streitfall keine verfassungswidrige
Rückwirkung.
|
|
|
23
|
aa) Die Verfassungsmäßigkeit des
zeitlichen Anwendungsbereichs einer Vorschrift des Steuerrechts ist
regelmäßig primär nach den Maßstäben zum
verfassungsrechtlichen Vertrauensschutz zu beurteilen.
Außerhalb des Strafrechts beruht das grundsätzliche
Verbot rückwirkender belastender Gesetze auf den
grundrechtlich geschützten Interessen der Betroffenen sowie
den Prinzipien der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes
(Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG; vgl. BVerfG-Beschluss vom
25.03.2021 - 2 BvL 1/11, BVerfGE 157, 177 = SIS 21 07 84, Rz 51).
Zu differenzieren ist zwischen echter und unechter
Rückwirkung. Eine Rechtsnorm entfaltet echte Rückwirkung,
wenn ihre Rechtsfolge mit belastender Wirkung schon für vor
dem Zeitpunkt ihrer Verkündung bereits abgeschlossene
Tatbestände gelten soll („Rückbewirkung von
Rechtsfolgen“). Die echte Rückwirkung
ist verfassungsrechtlich grundsätzlich unzulässig (vgl.
BVerfG-Beschluss in BVerfGE 157, 177 = SIS 21 07 84, Rz 52,
m.w.N.).
|
|
|
24
|
Soweit belastende Rechtsfolgen einer Norm erst
nach ihrer Verkündung eintreten, tatbestandlich aber von einem
bereits ins Werk gesetzten Sachverhalt ausgelöst werden
(„tatbestandliche
Rückanknüpfung“), liegt eine
unechte Rückwirkung vor. Sie ist nicht grundsätzlich
unzulässig. Der verfassungsrechtliche Vertrauensschutz geht
insbesondere nicht so weit, die Steuerpflichtigen vor jeder
Enttäuschung zu bewahren. Soweit nicht besondere Momente der
Schutzwürdigkeit hinzutreten, genießt die bloß
allgemeine Erwartung, das geltende Recht werde zukünftig
unverändert fortbestehen, keinen besonderen
verfassungsrechtlichen Schutz. Der Gesetzgeber muss aber, soweit er
für künftige Rechtsfolgen an bereits ins Werk gesetzte
Sachverhalte anknüpft, dem verfassungsrechtlich gebotenen
Vertrauensschutz in hinreichendem Maß Rechnung tragen. Die
Interessen der Allgemeinheit, die mit der Regelung verfolgt werden,
und das Vertrauen des Einzelnen auf die Fortgeltung der Rechtslage
sind abzuwägen. Der Grundsatz der
Verhältnismäßigkeit muss gewahrt sein. Eine unechte
Rückwirkung ist mit den Grundsätzen des grundrechtlichen
und rechtsstaatlichen Vertrauensschutzes daher nur vereinbar, wenn
sie zur Förderung des Gesetzeszwecks geeignet und erforderlich
ist und wenn bei einer Gesamtabwägung zwischen dem Gewicht des
enttäuschten Vertrauens und dem Gewicht und der Dringlichkeit
der die Rechtsänderung rechtfertigenden Gründe die Grenze
der Zumutbarkeit gewahrt bleibt (vgl. BVerfG-Beschluss in BVerfGE
157, 177 = SIS 21 07 84, Rz 53 ff., m.w.N.).
|
|
|
25
|
bb) Der Kläger ist im Hinblick auf die
mit der Revision angegriffene Besteuerung in den Streitjahren 2015
und 2016 insofern von einer
„rückwirkenden“ bzw.
vergangenheitsbezogenen Regelung betroffen, als er die Anleihen A,
B und C im Jahr 2008 erworben hat, noch bevor die betreffenden
Veräußerungs- bzw. Rückzahlungsgewinne mit Wirkung
vom 01.01.2009 in den Anwendungsbereich des § 20 Abs. 2 Satz 1
Nr. 7 EStG einbezogen wurden. Da die durch die Gewinnrealisierung
ausgelöste Besteuerung indes erst in den Streitjahren 2015 und
2016 eintrat und nicht eine bereits eingetretene Rechtsfolge
nachträglich änderte, ist keine echte, sondern eine
unechte Rückwirkung gegeben.
|
|
|
26
|
Diese unechte Rückwirkung (vgl.
BT-Drucks. 16/10189, S. 66 f.) ist nach den Rechtsgrundsätzen
der verfassungsgerichtlichen Judikatur verfassungsgemäß.
Zu Recht hat das FG seine diesbezügliche Würdigung
insbesondere auf den Beschluss des BVerfG vom 07.07.2010 - 2 BvL
14/02 (BVerfGE 127, 1, BStBl II 2011, 76 = SIS 10 22 45) gestützt
(so auch Urteil des FG Düsseldorf vom 30.01.2018 - 13 K
2430/16 E, EFG 2018, 1179 = SIS 18 10 94) und danach eine
Verletzung des grundrechtlichen Vertrauensschutzes des Klägers
verneint. Der Kläger hatte die Anleihen A, B und C am
25.07.2008 bzw. 18.12.2008, d.h. im letzten Jahr vor Inkrafttreten
des neuen Rechts erworben. Die aus diesen Anleihen resultierenden
Veräußerungs- bzw. Rückzahlungsgewinne waren
deshalb zur Zeit der Verkündung des Jahressteuergesetzes
(JStG) 2009 (BGBl I 2008, 2794) am 19.12.2008 und ebenso bei
Inkrafttreten des neuen Rechts am 01.01.2009 insofern noch nicht
steuerlich „entstrickt“, als die
Jahresfrist des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG noch nicht
abgelaufen war und deshalb ein etwaiger Gewinn aus der
Veräußerung bzw. Rückzahlung der Anleihen vom
Kläger bis zum Jahresende 2008 noch nicht steuerfrei
hätte vereinnahmt werden können. Die bloße
Möglichkeit, Gewinne zu einem späteren Zeitpunkt
steuerfrei vereinnahmen zu können, begründet keine
vertrauens- bzw. verfassungsrechtlich geschützte Position
(vgl. BVerfG-Beschluss in BVerfGE 127, 1, BStBl II 2011, 76 = SIS 10 22 45, Rz 62 ff.). Mit der Einfügung des § 52 Abs. 28
Satz 16 Teilsatz 3 EStG (§ 52a Abs. 10 Satz 7 Teilsatz 3 EStG
a.F.) konnte deshalb die am 01.01.2009 gemäß § 23
EStG bestehende
„Steuerverhaftung“ durch die
Neuregelung des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG ohne Verletzung
verfassungsrechtlich geschützten Vertrauens verlängert
werden (vgl. auch BFH-Beschluss vom 26.03.2021 - IX B 45/20, BFH/NV
2021, 767 = SIS 21 07 29, Rz 16, zum BVerfG-Beschluss in BVerfGE
127, 1, BStBl II 2011, 76 = SIS 10 22 45). Auf den vom FG
zusätzlich angeführten Aspekt, dass der Kläger die
Anleihen B und C lediglich einen Tag vor der Verkündung des
JStG 2009 im BGBl erworben hatte, kommt es für die Frage der
Verfassungsmäßigkeit und den (fehlenden)
grundrechtlichen Vertrauensschutz nicht an.
|
|
|
27
|
b) Die vom Kläger gerügte Verletzung
von Art. 3 Abs. 1 GG liegt ebenfalls nicht vor, und zwar weder im
Hinblick auf § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG noch hinsichtlich
der grundsätzlichen zeitlichen Anwendung dieser Vorschrift ab
dem Veranlagungszeitraum 2009.
|
|
|
28
|
aa) Art. 3 Abs. 1 GG gebietet, alle Menschen
vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Das hieraus folgende Gebot,
wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu
behandeln, gilt für ungleiche Belastungen und ungleiche
Begünstigungen. Art. 3 Abs. 1 GG verwehrt dem Gesetzgeber
nicht jede Differenzierung. Differenzierungen bedürfen jedoch
stets der Rechtfertigung durch Sachgründe, die dem Ziel und
dem Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen sind. Es gilt
ein stufenloser, am Grundsatz der
Verhältnismäßigkeit orientierter
verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab, dessen Inhalt
und Grenzen sich nicht abstrakt, sondern nur nach den jeweils
betroffenen unterschiedlichen Sach- und Regelungsbereichen
bestimmen lassen (vgl. BVerfG-Urteil vom 10.04.2018 - 1 BvR
1236/11, BVerfGE 148, 217, BStBl II 2018, 303 = SIS 18 04 72, Rz
103 ff.).
|
|
|
29
|
bb) Die Einbeziehung von
Veräußerungsgewinnen in die Besteuerung ab einem
bestimmten gesetzlich definierten Zeitpunkt verstößt
für sich genommen nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz.
Ebenso wie kein grundrechtlicher Schutz des Vertrauens darauf
besteht, dass das geltende Recht unverändert fortbesteht (vgl.
dazu oben II.4.a aa), bietet auch Art. 3 Abs. 1 GG keinen Schutz
gegen belastende Rechtsänderungen. Der allgemeine
Gleichheitssatz begründet grundsätzlich keinen Anspruch
auf eine zukünftig gleichbleibende Rechtslage; in diesem Sinne
gibt es keine „Gleichheit in der
Zeit“ (so BFH-Urteil vom 11.08.2021 - I R
38/19, BFH/NV 2022, 334 = SIS 22 01 92, Rz 26, mit Verweis auf den
BVerfG-Beschluss vom 12.05.2009 - 2 BvL 1/00, BVerfGE 123, 111,
BStBl II 2009, 685 = SIS 09 21 10, Rz 14, und Kanzler, FR 2010,
987). Stichtags- und andere Übergangsvorschriften sind
verfassungsrechtlich nur daraufhin zu prüfen, ob der
Gesetzgeber den ihm zukommenden Spielraum in sachgerechter Weise
genutzt hat, ob er die für die zeitliche Anknüpfung in
Betracht kommenden Faktoren hinreichend gewürdigt hat und die
gefundene Lösung sich durch sachliche Gründe
rechtfertigen lässt oder als willkürlich erscheint (vgl.
BVerfG-Beschluss vom 18.03.2013 - 1 BvR 2436/11,
Kammerentscheidungen des Bundesverfassungsgerichts 20, 234, Rz 34,
m.w.N.).
|
|
|
30
|
cc) Anhaltspunkte dafür, dass die
Übergangsvorschrift des § 52 Abs. 28 Satz 16 EStG als
willkürlich anzusehen wäre, liegen nicht vor. Der
sachliche Grund für die vorliegend entscheidungserhebliche
Regelung ist den Gesetzesmaterialien zum JStG 2009 zu entnehmen. In
der Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zum JStG
2009 (BT-Drucks. 16/10189, S. 66 f.) wurde ausgeführt, die
Übergangsregelung in § 52a Abs. 10 Satz 7 EStG a.F.
(inzwischen § 52 Abs. 28 Satz 16 EStG) sehe vor, dass bei
Kapitalforderungen i.S. des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 EStG 2008
generell der als Unterschied zwischen Erlös und
Anschaffungskosten zu ermittelnde Gewinn oder Verlust den
Abgeltungsteuerregelungen unterliege. Ausdrücklich benanntes
Ziel war das öffentliche Interesse an einer einfachen und
praktikablen Abgeltungsteuer. Ohne den letzten Teil von § 52
Abs. 28 Satz 16 EStG wäre die Anwendung des
Kapitalertragsteuerabzugs auf Kapitalforderungen, die die
Voraussetzungen des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 EStG 2008
erfüllen, von einer Einzelfallprüfung der jeweiligen
Anleihebedingungen abhängig gewesen, was entgegen dem vom
Gesetzgeber mit der Einführung der abgeltenden Besteuerung
angestrebten Vereinfachungszweck eine Vielzahl von
Veranlagungsfällen zur Folge gehabt hätte.
|
|
|
31
|
dd) Diese sachliche Begründung für
die Gleichstellung zuvor unterschiedlich besteuerter Sachverhalte
mit Wirkung vom 01.01.2009 ist von Verfassungs wegen nicht zu
beanstanden. Der Kläger leitet insbesondere auch zu Unrecht
aus der Senatsrechtsprechung zur früheren Rechtslage einen
Verstoß des neuen Rechts gegen den aus Art. 3 Abs. 1 GG
resultierenden Grundsatz der Folgerichtigkeit ab. Denn aus dem
alten Recht kann nach Art. 3 Abs. 1 GG nicht - wie der Kläger
meint - abgeleitet werden, dass der Gesetzgeber auch ab dem
01.01.2009 nur solche Kapitalforderungen i.S. des § 20 Abs. 2
Satz 1 Nr. 4 EStG 2008 gemäß § 20 Abs. 2 Nr. 7 EStG
besteuern durfte, bei denen die Trennung zwischen Vermögens-
und Ertragsebene unmöglich ist, weil sie darauf angelegt sind,
die Erträge im Vermögensbereich entstehen zu lassen. Eine
Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes durch eine sachwidrige
Ungleichbehandlung wesentlich gleicher Sachverhalte oder eine
sachwidrige Gleichbehandlung wesentlich ungleicher Sachverhalte ist
nicht gegeben.
|
|
|
32
|
5. Die Kostenentscheidung beruht auf §
135 Abs. 2 FGO.
|
|
|
|