Die Revision des Beklagten gegen das Urteil
des Finanzgerichts Münster vom 24.06.2020 - 13 K 3029/18 F =
SIS 20 12 53 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der
Beklagte zu tragen.
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A. Streitig ist, ob die von der
Klägerin und Revisionsbeklagten (Klägerin), einer GmbH,
im Jahr 2014 (Streitjahr) in die ... GmbH & Co. KG (Beigeladene zu
2.) zum Buchwert eingebrachten Wirtschaftsgüter aufgrund
nachfolgender Veräußerung von Anteilen am Vermögen
dieser Gesellschaft rückwirkend mit dem Teilwert zu bewerten
sind.
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Die Klägerin ist eine
Organgesellschaft der ... AG (Beigeladene zu 1.) i.S. von § 14
Abs. 1 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) und war im
Streitjahr zu 100 % am Kapital und Vermögen der mit
Gesellschaftsvertrag vom 05.12.2014 gegründeten Beigeladenen
zu 2. beteiligt. Einzige Komplementärin der Beigeladenen zu 2.
war die V-GmbH, wobei die Klägerin im Streitjahr den einzigen
Geschäftsanteil an der V-GmbH hielt.
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Mit Wirkung zum 31.12.2014 brachte die
Klägerin alle für den Betrieb des Gasnetzes in den
Kommunen ... notwendigen Verteilungsanlagen mit allen
zugehörigen Rechten und Pflichten zu Buchwerten in die
Beigeladene zu 2. ein (Buchwertfortführung nach § 6 Abs.
5 Satz 3 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes - EStG - ); der
Übertragungswert belief sich auf insgesamt ... EUR.
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Mit Wirkung zum 30.09.2015
veräußerte die Klägerin 51 % ihrer Anteile am
Vermögen der Beigeladenen zu 2. zu einem Kaufpreis von ... EUR
an die Z-KG. Die Z-KG ist eine gemeinsame
Netzbeteiligungsgesellschaft von acht Kommunen. Gesellschafter der
Z-KG waren acht Körperschaften jeweils in der Rechtsform einer
GmbH (Z-Körperschaften).
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Der Beklagte und Revisionskläger (das
Finanzamt - FA - ) folgte mit Blick auf den Einbringungsvorgang
zunächst der Rechtsmeinung der Klägerin
(Buchwertfortführung) und stellte im Bescheid über die
gesonderte und einheitliche Feststellung des dem Organträger
zuzurechnenden Einkommens der Organgesellschaft und damit
zusammenhängender anderer Besteuerungsgrundlagen nach §
14 Abs. 5 KStG vom 01.09.2016 das dem Organträger für das
Streitjahr zuzurechnende Einkommen erklärungsgemäß
fest.
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Aufgrund der Veräußerung der
Anteile am Vermögen der Beigeladenen zu 2. wurde in dem
Bescheid nach § 179 Abs. 2 i.V.m. § 180 Abs. 1 Satz 1 Nr.
2 Buchst. a der Abgabenordnung über die gesonderte und
einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen für 2015
vom 22.09.2017 für die Beigeladene zu 2. ein
Veräußerungsgewinn in Höhe von ... EUR
festgestellt, der in voller Höhe der Klägerin zugerechnet
wurde. Dieser Gewinn ergab sich ausschließlich aufgrund der
Aufdeckung stiller Reserven in den von der Klägerin in die
Beigeladene zu 2. eingebrachten Wirtschaftsgütern.
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Nach einer Außenprüfung
vertraten die Prüfer die Auffassung, dass es aufgrund der
Anteilsveräußerung an die Z-KG im Jahr 2015 zur
Anwendung von § 6 Abs. 5 Satz 6 EStG komme. Daher seien die
Wirtschaftsgüter, die im Streitjahr zum Buchwert in das
Gesamthandsvermögen der Beigeladenen zu 2. eingebracht worden
waren und im Jahr 2015 durch den Verkauf der Gesellschaftsanteile
an der Beigeladenen zu 2. mittelbar auf die Z-KG übergegangen
seien, im Streitjahr zu 51 % mit dem Teilwert anzusetzen. Der im
Jahr 2015 von der Beigeladenen zu 2. erklärte
Veräußerungsgewinn in Höhe von ... EUR sei als
Gewinn aus der Aufdeckung stiller Reserven bereits im Streitjahr
bei der Klägerin anzusetzen und der Beteiligungswert an der
Beigeladenen zu 2. entsprechend zu erhöhen. Der bisher
für das Jahr 2015 gesondert und einheitlich festgestellte und
in voller Höhe der Klägerin zugerechnete
Veräußerungsgewinn sei nicht anzusetzen.
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Das FA erließ auf dieser Grundlage
für das Streitjahr am 28.05.2018 einen Änderungsbescheid
über die gesonderte und einheitliche Feststellung des dem
Organträger zuzurechnenden Einkommens der Organgesellschaft
und damit zusammenhängender anderer Besteuerungsgrundlagen
nach § 14 Abs. 5 KStG. Das dem Organträger zuzurechnende
Einkommen wurde nunmehr in Höhe von ... EUR
festgestellt.
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Der hiergegen erhobene Einspruch blieb ohne
Erfolg (Einspruchsentscheidung vom 28.08.2018). Das Finanzgericht
(FG) Münster gab der Klage mit in EFG 2020, 1503 = SIS 20 12 53 veröffentlichtem Urteil vom 24.06.2020 - 13 K 3029/18 F
statt. Denn § 6 Abs. 5 Satz 6 EStG sei nicht anzuwenden, wenn
eine Verlagerung von stillen Reserven auf ein
Körperschaftsteuersubjekt ausgeschlossen ist, weil es im Zuge
der Anteilsveräußerung - als der nachträglichen
Begründung oder Erhöhung des Anteils einer
Körperschaft an den nach § 6 Abs. 5 Satz 3 Nr. 1 EStG
übertragenen Wirtschaftsgütern - zur Aufdeckung der
stillen Reserven dieser Wirtschaftsgüter gekommen sei.
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Mit seiner Revision rügt das FA die
Verletzung materiellen Rechts. Es beantragt, die Vorentscheidung
aufzuheben und die Klage als unbegründet abzuweisen.
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Die Klägerin beantragt, die Revision
als unbegründet zurückzuweisen.
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Das Bundesministerium der Finanzen (BMF)
ist gemäß § 122 Abs. 2 Satz 1 der
Finanzgerichtsordnung (FGO) dem Revisionsverfahren beigetreten.
Einen eigenen Antrag hat es nicht gestellt.
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Die Beigeladenen haben im
Revisionsverfahren weder eine Stellungnahme abgegeben noch
Anträge gestellt.
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B. Die Revision ist unbegründet; sie ist
daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO). Das FG hat ohne
Rechtsfehler dahin erkannt, dass ein rückwirkender
Teilwertansatz nach § 6 Abs. 5 Satz 6 EStG i.V.m. § 8
Abs. 1 Satz 1 KStG nicht in Betracht kommt.
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I. Das FG hat die Klage ohne Rechtsfehler als
zulässig angesehen. Denn die Organgesellschaft einer
körperschaftsteuerrechtlichen Organschaft ist als Adressatin
des Bescheides nach § 14 Abs. 5 KStG beschwert i.S. des §
40 Abs. 2 FGO und damit klagebefugt.
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1. Nach § 14 Abs. 5 Satz 1 KStG werden
das dem Organträger zuzurechnende Einkommen der
Organgesellschaft und damit zusammenhängende andere
Besteuerungsgrundlagen gegenüber dem Organträger und der
Organgesellschaft gesondert und einheitlich festgestellt. Die
Feststellungen sind für die Besteuerung des Einkommens des
Organträgers und der Organgesellschaft bindend (§ 14 Abs.
5 Satz 2 KStG).
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2. Zwar wirkt sich die Frage, ob es im
Streitfall nach § 6 Abs. 5 Satz 6 EStG zu einem
rückwirkenden Teilwertansatz der eingebrachten
Wirtschaftsgüter kommt, im Ergebnis allein bei der
Beigeladenen zu 1. steuerbelastend aus. Denn dieser wird das
Einkommen der Klägerin für das Streitjahr zugerechnet. Es
besteht jedoch eine „parallele Rechtsschutzbefugnis“
der Organgesellschaft und der Organträgerin, was der Senat im
Urteil vom 01.07.2020 - XI R 20/18 (BFHE 269, 525 = SIS 20 21 32,
Rz 16 ff., m.w.N.), an dem festzuhalten ist, begründet
hat.
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II. Das FG hat zu Recht entschieden, dass die
mit Wirkung zum 31.12.2014 in das Vermögen der Beigeladenen zu
2. eingebrachten Wirtschaftsgüter ungeachtet der im Jahr 2015
erfolgten Anteilsveräußerung von 51 % an die Z-KG nicht
mit dem Teilwert anzusetzen sind.
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1. Die Beteiligten und das FG sind
übereinstimmend und zutreffend davon ausgegangen, dass die
Übertragung der Wirtschaftsgüter zum 31.12.2014 auf die
Beigeladene zu 2. im Zuge der Einbringung zum Buchwert erfolgen
konnte.
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a) § 6 Abs. 5 Satz 1 EStG sieht vor, dass
bei der Überführung eines einzelnen Wirtschaftsguts von
einem in ein anderes Betriebsvermögen desselben
Steuerpflichtigen das Wirtschaftsgut mit dem Wert anzusetzen ist,
der sich nach den Vorschriften der Gewinnermittlung ergibt, sofern
die Besteuerung der stillen Reserven sichergestellt ist. Diese sog.
Buchwertfortführung gilt nach § 6 Abs. 5 Satz 3 Nr. 1
EStG entsprechend, soweit ein Wirtschaftsgut unentgeltlich oder
gegen Gewährung oder Minderung von Gesellschaftsrechten aus
einem Betriebsvermögen des Mitunternehmers in das
Gesamthandsvermögen einer Mitunternehmerschaft übertragen
wird.
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b) Die Einbringung der Wirtschaftsgüter
zum 31.12.2014 erfüllt den Tatbestand des § 6 Abs. 5 Satz
3 Nr. 1 EStG, da die Klägerin einzelne Wirtschaftsgüter
ihres Betriebsvermögens gegen Gewährung von
Gesellschaftsrechten in das Gesamthandsvermögen der
Beigeladenen zu 2. übertragen hatte.
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c) § 6 Abs. 5 Satz 5 EStG hindert die
Buchwertübertragung nicht.
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Zwar ist nach dieser Regelung der Teilwert
auch anzusetzen, soweit in den Fällen des § 6 Abs. 1 Nr.
1 Satz 3 EStG der Anteil an einer Körperschaft,
Personenvereinigung oder Vermögensmasse an dem Wirtschaftsgut
unmittelbar oder mittelbar begründet wird oder dieser sich
erhöht. Im Streitfall hat die Einbringung der
Wirtschaftsgüter, die nach § 6 Abs. 5 Satz 3 Nr. 1 EStG
erfolgt ist, aber weder einen Anteil einer Körperschaft an den
eingebrachten Wirtschaftsgütern unmittelbar oder mittelbar
begründet noch hat sich ein solcher Anteil erhöht. Denn
die Klägerin war an den vor der Einbringung in ihrem
Alleineigentum stehenden Wirtschaftsgütern auch nach der
Einbringung über die Beigeladene zu 2. allein beteiligt; ihr
vermögensmäßiger Anteil hatte sich insoweit nicht
verändert.
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2. Die Veräußerung der
Mitunternehmeranteile an der Beigeladenen zu 2. führt nicht zu
einem rückwirkenden Teilwertansatz nach § 6 Abs. 5 Satz 4
EStG.
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a) Wird das nach § 6 Abs. 5 Satz 3 Nr. 1
EStG übertragene Wirtschaftsgut veräußert oder
entnommen, ist rückwirkend auf den Zeitpunkt der
Übertragung der Teilwert anzusetzen, es sei denn, die bis zur
Übertragung entstandenen stillen Reserven sind durch die
Erstellung einer Ergänzungsbilanz dem übertragenden
Gesellschafter zugeordnet worden (§ 6 Abs. 5 Satz 4 EStG).
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b) Im Streitfall wurden allerdings durch die
Übertragung der Mitunternehmeranteile in Höhe von 51 %
die in das Vermögen der Beigeladenen zu 2. eingebrachten
Wirtschaftsgüter weder veräußert noch entnommen.
Vielmehr verblieben die eingebrachten Wirtschaftsgüter
weiterhin im Gesamthandsvermögen der Beigeladenen zu 2. Es ist
nicht möglich, die Veräußerung eines
Teil-/Mitunternehmeranteils unter § 6 Abs. 5 Satz 4 EStG zu
subsumieren (z.B. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom
15.07.2021 - IV R 36/18, zur amtlichen Veröffentlichung
bestimmt, BFH/NV 2021, 1588 = SIS 21 17 38, Rz 47 ff.), auch wenn
der Anteil an einer Personengesellschaft steuerrechtlich die
Zusammenfassung aller Anteile an den Wirtschaftsgütern des
Gesellschaftsvermögens verkörpert (vgl. z.B. BFH-Urteile
vom 22.06.2017 - IV R 42/13, BFHE 259, 258 = SIS 17 21 49, Rz 33;
in BFH/NV 2021, 1588 = SIS 21 17 38, Rz 47 ff.). Da sich § 6
Abs. 5 Satz 4 EStG auf die Veräußerung oder Entnahme des
„nach Satz 3 übertragene[n]
Wirtschaftsgut[s]“ bezieht, kann nur dieses, nicht
dagegen auch ein Teil-/Mitunternehmeranteil tatbestandlich sein
(vgl. BFH-Urteil in BFH/NV 2021, 1588 = SIS 21 17 38, Rz 47
ff.).
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27
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3. Das FG hat auch zu Recht dahin erkannt,
dass die mit Wirkung zum 30.09.2015 erfolgte Übertragung von
51 % der Mitunternehmeranteile nicht zu einem rückwirkenden
Teilwertansatz nach § 6 Abs. 5 Satz 6 EStG führt.
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a) Soweit innerhalb von sieben Jahren nach der
Übertragung des Wirtschaftsguts nach Satz 3 in § 6 Abs. 5
EStG der Anteil einer Körperschaft, Personenvereinigung oder
Vermögensmasse an dem übertragenen Wirtschaftsgut aus
einem anderen Grund unmittelbar oder mittelbar begründet wird
oder dieser sich erhöht, ist gemäß § 6 Abs. 5
Satz 6 EStG rückwirkend auf den Zeitpunkt der Übertragung
ebenfalls der Teilwert anzusetzen.
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b) Diese Voraussetzungen liegen, wovon sowohl
die Vorinstanz als auch alle Beteiligten ausgehen, bei reiner
Wortlautbetrachtung im Streitfall vor.
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Der Übertragung des Mitunternehmeranteils
ist eine Übertragung nach § 6 Abs. 5 Satz 3 EStG
vorausgegangen (s.o. II.1.b). Außerdem wurde durch die
Übertragung an die Z-KG mittelbar ein Anteil der an der Z-KG
beteiligten Körperschaften an den übertragenen
Wirtschaftsgütern der Klägerin begründet. Denn unter
„Anteil“ i.S. des § 6 Abs. 5 Satz 6 EStG
ist im Grundsatz die (unmittelbare oder mittelbare)
vermögensmäßige Beteiligung eines
Körperschaftsteuersubjekts an einem zuvor nach § 6 Abs. 5
Satz 3 EStG übertragenen Wirtschaftsgut und damit an den darin
gespeicherten stillen Reserven gemeint (vgl. BFH-Urteil in BFH/NV
2021, 1588 = SIS 21 17 38, Rz 47 ff.; s.a. Niehus/Wilke in
Herrmann/Heuer/Raupach - HHR -, § 6 EStG Rz 1656).
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Der mittelbare Anteil der an der Z-KG
beteiligten Z-Körperschaften wurde auch aus einem
„anderen Grund“ begründet. Dieses
Tatbestandsmerkmal bringt zum Ausdruck, dass die
Anteilsbegründung nicht - wie nach § 6 Abs. 5 Satz 5 EStG
- aufgrund der Übertragung nach § 6 Abs. 5 Satz 3 EStG,
sondern erst aufgrund eines dieser Übertragung nachgelagerten
Vorgangs erfolgt. Dabei definiert § 6 Abs. 5 Satz 6 EStG
nicht, wie der nachgelagerte Vorgang beschaffen sein muss; es kann
sich um einen „Vorgang beliebiger Art“ handeln
(vgl. BFH-Urteil in BFH/NV 2021, 1588 = SIS 21 17 38, Rz 47 ff.,
m.w.N.).
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c) Das FG hat jedoch zu Recht dahin erkannt,
dass der Wortlaut im Wege der teleologischen Reduktion dahingehend
einzuschränken ist, dass ein Sperrfristverstoß
ausscheidet, wenn nachträglich ein Anteil einer
Körperschaft an einem zuvor zu Buchwerten eingebrachten
Wirtschaftsgut innerhalb von sieben Jahren aufgrund eines
vollentgeltlichen Beteiligungserwerbs (unmittelbar oder mittelbar)
begründet wird.
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aa) Eine teleologische Reduktion des Wortlauts
einer Rechtsnorm wird rechtsmethodisch dann zugelassen, wenn eine
allein wortlautgemäße Auslegung zu sinnwidrigen
Ergebnissen führt und der Schluss gerechtfertigt ist, dass der
gesetzgeberische Wille planwidrig umgesetzt wurde. Weichen
Gesetzeswortlaut und Gesetzeszweck voneinander ab, ist der Wortlaut
der Gesetzesbestimmung entsprechend einzuschränken, sofern
sich das Gesetz gemessen an seinem Zweck als planwidrig zu
weitgehend erweist (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Urteil
in BFH/NV 2021, 1588 = SIS 21 17 38, Rz 36), wie umgekehrt eine
teleologische Reduktion dann nicht in Betracht kommt, wenn eine
bewusste rechtspolitische Entscheidung des Gesetzgebers erkennbar
ist (vgl. BFH-Urteile vom 27.03.2007 - VIII R 25/05, BFHE 217, 467,
BStBl II 2008, 298 = SIS 07 21 06, unter II.4.a; in BFH/NV 2021,
1588 = SIS 21 17 38, Rz 36). So hat der BFH beispielsweise den
Anwendungsbereich des § 6 Abs. 5 Satz 4 EStG teleologisch
reduziert, wenn ein Wirtschaftsgut durch den zu 100 % beteiligten
Kommanditisten nach § 6 Abs. 5 Satz 3 Nr. 1 EStG eingebracht
wird und dieses Wirtschaftsgut bei unveränderten
Beteiligungsverhältnissen innerhalb der Sperrfrist durch die
KG veräußert wird (vgl. BFH-Urteile vom 31.07.2013 - I R
44/12, BFHE 242, 240, BStBl II 2015, 450 = SIS 13 27 35, Rz 16; vom
26.06.2014 - IV R 31/12, BFHE 246, 413, BStBl II 2015, 463 = SIS 14 28 40, Rz 30 zu § 6 Abs. 5 Satz 3 Nr. 2 EStG).
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bb) Es kann dabei dahinstehen, ob es sich bei
§ 6 Abs. 5 Satz 6 EStG um eine
Missbrauchsverhinderungsvorschrift handelt (vgl. HHR/Niehus/Wilke,
§ 6 EStG Rz 1674; Brandis/Heuermann/Ehmcke, § 6 EStG Rz
1373; Schulze in Widmann/Mayer, Umwandlungsrecht, Anhang 16 Rz 761;
zu § 6 Abs. 5 Satz 4 EStG s. BMF-Schreiben vom 08.12.2011,
BStBl I 2011, 1279 = SIS 11 39 28, Rz 22). Jedenfalls setzt der
Tatbestand des § 6 Abs. 5 Satz 6 EStG nach dem
Gesetzeswortlaut keine Missbrauchsabsicht voraus (vgl. BFH-Urteil
in BFH/NV 2021, 1588 = SIS 21 17 38, Rz 32 ff., m.w.N.).
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cc) Nach diesen Grundsätzen ist das FG zu
Recht davon ausgegangen, dass § 6 Abs. 5 Satz 6 EStG im
Streitjahr nicht anzuwenden ist.
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(1) Ausweislich der Gesetzesmaterialien zu
§ 6 Abs. 5 Sätze 5 und 6 EStG beabsichtigte der
Gesetzgeber mit dieser Regelung nicht nur, das Überspringen
stiller Reserven auf Kapitalgesellschaften zu verhindern, sondern
auch „generell das Verfügen über
Wirtschaftsgüter ohne Teilwertrealisation durch Verkäufe
von Anteilen an Kapitalgesellschaften unter Nutzung der Vorteile,
die durch die Umstellung auf das Halbeinkünfteverfahren
entstehen“, zu vermeiden (vgl. BT-Drucks. 14/6882, S.
33). Daraus lässt sich auf eine auf bestimmte
Fallkonstellationen („Überspringen stiller
Reserven“, „Vorteile (...) durch die Umstellung
auf das Halbeinkünfteverfahren“) beschränkte
Sperrfristregelung des § 6 Abs. 5 Satz 6 EStG
schließen.
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(2) Wenn aber der Nachbesteuerungstatbestand
des § 6 Abs. 5 Satz 6 EStG als (Rück-)Ausnahme zu der
Buchwertfortführung nach § 6 Abs. 5 Satz 3 EStG nur zur
Anwendung kommen soll, wenn „stille Reserven auf
Kapitalgesellschaften“ „ohne Teilwertrealisation
durch Verkäufe von Anteilen an
Kapitalgesellschaften“ übergehen, ist der über
diesen Anwendungsbereich hinausreichende Wortlaut des § 6 Abs.
5 Satz 6 EStG nicht die Folge einer bewussten rechtspolitischen
Entscheidung des Gesetzgebers. Vielmehr erfasst die Regelung des
§ 6 Abs. 5 Satz 6 EStG nicht jede
Anteilsveräußerung innerhalb der Sperrfrist, sondern sie
soll lediglich eingreifen, wenn/soweit die stillen Reserven im Zuge
der Veräußerung der Anteile nicht aufgedeckt werden.
Danach ist der Anwendungsbereich des § 6 Abs. 5 Satz 6 EStG
jedenfalls in Fällen, in denen - wie hier - infolge der
Entgeltlichkeit der Anteilsveräußerung die stillen
Reserven der übertragenen Wirtschaftsgüter aufgedeckt
werden und damit gerade nicht auf ein anderes
Körperschaftsteuersubjekt übergehen, nicht eröffnet.
Der Senat folgt damit für diese Fallgruppe der im Schrifttum
überwiegend vertretenen Auffassung (vgl. HHR/Niehus/Wilke,
§ 6 EStG Rz 1675; Brandis/ Heuermann/Ehmcke, § 6 EStG Rz
1371; Krumm in Kirchhof/Seer, EStG, 20. Aufl., § 15 Rz 392a;
Broemel, DStR 2020, 1407; Heerdt, Die Unternehmensbesteuerung - Ubg
- 2018, 70; Leidel/ Rosenfelder, BB 2020, 1517; Weiss/Brühl,
DStR 2019, 1065; Binnewies/Mühling, Die Aktiengesellschaft
2021, 113; Kleinmanns, BB 2020, 2802; Brauer/Richter/Baumeister,
Ubg 2020, 402).
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(3) Dieses Ergebnis entspricht auch der
Systematik der Regelung des § 6 Abs. 5 EStG. Für die
Sperrfristregelung des § 6 Abs. 5 Satz 4 EStG hat der BFH in
gefestigter Rechtsprechung ein Regel-Ausnahme-Verhältnis
dergestalt festgestellt, wonach die Grundregelung
„Buchwertfortführung“ des § 6 Abs. 5
Satz 1 EStG trotz Nichteinhaltung der Sperrfrist des § 6 Abs.
5 Satz 4 EStG (als „Ausnahme“) auch dann gelte,
wenn die bis zur Übertragung eines Wirtschaftsguts durch die
Mitunternehmerschaft aufgedeckten stillen Reserven dem
übertragenden Gesellschafter zugeordnet worden sind
(BFH-Urteile in BFHE 242, 240, BStBl II 2015, 450 = SIS 13 27 35,
und in BFHE 246, 413, BStBl II 2015, 463 = SIS 14 28 40). Die
Sperrfristregelung ist in diesen Fällen von vornherein nicht
anwendbar. Diese Systematik gilt für die
„Ausnahme“ des § 6 Abs. 5 Satz 6 EStG
entsprechend. Als Ausnahme zur „zwingenden
Buchwertfortführung“ findet diese Sperrfristregelung
keine Anwendung, wenn der Einbringung nach § 6 Abs. 5 Satz 3
Nr. 1 EStG ein vollentgeltlicher Beteiligungserwerb folgt, der -
wie im Streitfall - zur Aufdeckung der stillen Reserven
führt.
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dd) Der teleologischen Reduktion des § 6
Abs. 5 Satz 6 EStG steht auch nicht entgegen, dass in der Folge
anstelle der Klägerin im Ergebnis die Beigeladene zu 2. die
Gewerbesteuerbelastung der aufgedeckten stillen Reserven
trägt.
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40
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(1) Läge ein Sperrfristverstoß nach
§ 6 Abs. 5 Satz 6 EStG vor, wären bei der Klägerin
als der die Wirtschaftsgüter i.S. des § 6 Abs. 5 Satz 6
EStG übertragenden Rechtsperson die zum Zeitpunkt der
Übertragung in den übertragenen Wirtschaftsgütern
vorhandenen stillen Reserven rückwirkend im Streitjahr zu
erfassen. Insoweit wäre sie auch Schuldnerin der Gewerbesteuer
(§ 5 Abs. 1 Satz 1 des Gewerbesteuergesetzes - GewStG - ).
Treten hingegen die ertragsteuerrechtlichen Besteuerungsfolgen erst
zu einem späteren Zeitpunkt ein, da - wie hier - § 6 Abs.
5 Satz 6 EStG nicht anzuwenden ist, werden die stillen Reserven
gewerbesteuerrechtlich zu einem späteren Zeitpunkt und bei
einem anderen Schuldner der Gewerbesteuer, hier der Beigeladenen zu
2., erfasst (§§ 5 Abs. 1 Satz 3, 7 Satz 2 Nr. 2
GewStG).
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41
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(2) Dass der Gesetzgeber bei der
Ergänzung der Sätze 5 und 6 in § 6 Abs. 5 EStG
bezweckt hat, in gewerbesteuerrechtlicher Hinsicht zu
gewährleisten, dass die bei der Veräußerung des
Mitunternehmeranteils aufgedeckten stillen Reserven beim
Einbringenden (als Übertragenden i.S. des § 6 Abs. 5 Satz
3 EStG) erfasst werden, ist nicht ersichtlich (vgl. auch BFH-Urteil
in BFH/NV 2021, 1588 = SIS 21 17 38, Rz 48 ff.).
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42
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Dieses Ergebnis wird durch § 7 Satz 2 Nr.
2 GewStG gestützt. Nach dieser Regelung gehört zum
Gewerbeertrag auch der Gewinn aus der Veräußerung oder
Aufgabe des Anteils eines Gesellschafters, der als Unternehmer
(Mitunternehmer) des Betriebs einer Mitunternehmerschaft anzusehen
ist, soweit er nicht auf eine natürliche Person als
unmittelbar beteiligten Mitunternehmer entfällt. Mit der
Einfügung von § 7 Satz 2 GewStG wollte der Gesetzgeber
der Gefahr missbräuchlicher Gestaltungen begegnen. Dazu
heißt es in der Begründung des Gesetzentwurfs
(BT-Drucks. 14/6882, S. 41):
„Veräußerungsgewinne sollen bei
Mitunternehmerschaften (Personengesellschaften,
Erbengemeinschaften) künftig der Gewerbesteuer unterliegen,
soweit sie nicht auf natürliche Personen als Mitunternehmer
entfallen. Insbesondere bei einer Kapitalgesellschaft wird dies zur
Vermeidung von missbräuchlichen Gestaltungen für
unverzichtbar gehalten. Kapitalgesellschaften hätten ohne die
Regelung die Möglichkeit, Einzelwirtschaftsgüter, die bei
ihrer Veräußerung mit Gewinn der Gewerbesteuer
unterliegen, statt dessen nach § 6 Abs. 5 Satz 3 EStG
steuerneutral auf eine Personengesellschaft zu übertragen, und
könnten anschließend die Beteiligung an der
Personengesellschaft steuerfrei
veräußern.“
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Damit hat der Gesetzgeber im
Besteuerungsregime der Gewerbesteuer eine eigene
Missbrauchsverhinderungsregelung geschaffen, die mit Art. 3 Abs. 1
des Grundgesetzes vereinbar ist (vgl. Urteil des
Bundesverfassungsgerichts vom
10.04.2018 - 1 BvR 1236/11, BVerfGE 148, 217, BStBl II 2018, 303 =
SIS 18 04 72) und an die bisherige
Regelung des § 6 Abs. 5 Satz 3 EStG anknüpft.
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44
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ee) Auch Praktikabilitätserwägungen
des Gesetzgebers stehen einer teleologischen Reduktion des § 6
Abs. 5 Satz 6 EStG nicht entgegen; der Begründung des
Gesetzentwurfs lässt sich lediglich entnehmen, dass die
zeitliche Begrenzung der Sperrfrist auf sieben Jahre „aus
Gründen der Praktikabilität“ eingeführt
wurde (BT-Drucks. 14/6882, S. 33), ohne dass dies den
Anwendungsbereich der Regelung betrifft.
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ff) Ob § 6 Abs. 5 Satz 6 EStG in seinem
Anwendungsbereich darüber hinaus auch dann teleologisch zu
reduzieren ist, wenn es bei der Anteilsübertragung nicht zu
einer Verlagerung der stillen Reserven in den zuvor eingebrachten
Wirtschaftsgütern aus dem Einkommen- in das
Körperschaftsteuerregime kommt (so BFH-Urteil in BFH/NV 2021,
1588 = SIS 21 17 38, Rz 48 ff.), ist hier nicht zu entscheiden.
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III. Die Kostenentscheidung beruht auf §
135 Abs. 2 FGO; etwaige Kosten der Beigeladenen sind nicht
erstattungsfähig (§ 139 Abs. 4 FGO).
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IV. Der Entscheidung steht nicht entgegen,
dass die Beigeladenen nicht zur mündlichen Verhandlung
erschienen sind. Denn sie sind ausweislich der Akten
ordnungsgemäß geladen und dabei auch darauf hingewiesen
worden, dass bei Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne diesen
verhandelt und entschieden werden kann (§§ 91 Abs. 2, 121
Satz 1 FGO).
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