Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil
des Finanzgerichts Nürnberg vom 11.10.2017 - 3 K 348/17 = SIS 18 03 29 aufgehoben.
Die Einkommensteuerbescheide jeweils vom
03.07.2018 werden dahingehend geändert, dass die
Einkünfte aus Kapitalvermögen aus dem Gewinn aus der
Veräußerung von Aktien im Jahr 2011 um ... EUR, im Jahr
2012 um ... EUR und im Jahr 2013 um ... EUR verringert werden.
Die Berechnung der Steuer wird dem Beklagten
übertragen.
Die Kosten des Verfahrens trägt der
Beklagte.
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I. Die Kläger und Revisionsbeklagten
(Kläger) sind Eheleute und werden in den Streitjahren 2011 bis
2013 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt.
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Im Jahr 2015 ging beim Beklagten und
Revisionskläger (Finanzamt - FA - ) eine Kontrollmitteilung
der Steuerfahndungsstelle ein. Danach hatte der Kläger in den
Streitjahren bei der von B geführten Firma C Scheinrenditen
aus Dividenden und Aktienverkäufen erzielt, die er nicht in
den Einkommensteuererklärungen der Streitjahre angegeben
hatte.
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B hatte unter der Firma der C ein
Schneeballsystem mit fingierten Aktiengeschäften betrieben,
das am ... 2013 aufflog. Bis dahin hatte C zahlreiche Auszahlungen
vorgenommen. B bescheinigte dem Kläger in den Streitjahren im
Namen der C erhebliche Gewinne aus dem Verkauf von Aktien und
zahlte diese zum Teil auf ein Konto von dessen Tochter aus. Auf den
dem Kläger erteilten Abrechnungen wies C den rechnerisch
zutreffenden Einbehalt der Kapitalertragsteuer und des hierauf
entfallenden Solidaritätszuschlags auf die als
Kapitaleinkünfte angegebenen Erträge aus. Jedoch wurde
die Kapitalertragsteuer von C weder beim Finanzamt angemeldet noch
an das Finanzamt abgeführt, was dem Kläger nicht bekannt
war.
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Das FA erließ aufgrund der
Kontrollmitteilung jeweils am 23.10.2015 nach § 173 Abs. 1 Nr.
1 der Abgabenordnung (AO) geänderte Einkommensteuerbescheide
für die Streitjahre, in denen es beim Kläger aus den
Anlagen bei C im Jahr 2011 Gewinne aus Aktienverkäufen in
Höhe von ... EUR, im Jahr 2012 Gewinne aus
Aktienverkäufen in Höhe von ... EUR sowie
Dividendenerträge in Höhe von ... EUR und im Jahr 2013
Gewinne aus Aktienverkäufen in Höhe von ... EUR der
Besteuerung nach § 20 des Einkommensteuergesetzes (EStG)
zugrunde legte. Die von C einbehaltene Kapitalertragsteuer (zzgl.
Solidaritätszuschlag) wurde nicht angerechnet, da nach
Auffassung des FA keine ordnungsgemäße
Steuerbescheinigung vorlag.
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Die hiergegen erhobenen Einsprüche
wurden vom FA jeweils mit Einspruchsentscheidung vom 02.03.2017 als
unbegründet zurückgewiesen. Zur Begründung
führte das FA u.a. aus, dass die Abgeltungswirkung der von C
einbehaltenen Kapitalertragsteuer nach § 43 Abs. 5 Satz 1 EStG
nicht eingetreten sei, da die Kapitalerträge tatsächlich
nicht dem Kapitalertragsteuerabzug unterlegen hätten.
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Das Finanzgericht (FG) Nürnberg hat
der von den Klägern erhobenen Klage in seinem Urteil vom
11.10.2017 - 3 K 348/17 (EFG 2018, 117 = SIS 18 03 29)
stattgegeben.
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Hiergegen richtet sich die Revision des FA.
Dieses hat während des Revisionsverfahrens jeweils am
03.07.2018 für die Streitjahre geänderte
Einkommensteuerbescheide erlassen. Unter Hinweis auf das Urteil des
FG München vom 27.10.2017 - 2 K 956/16 (BB 2018, 468 = SIS 18 01 69) minderte es die Bemessungsgrundlage für die vom
Kläger aus dem Schneeballsystem erzielten
Kapitaleinkünfte um die von C einbehaltene Kapitalertragsteuer
und den Solidaritätszuschlag und legte den
Einkommensteuerfestsetzungen für die Streitjahre Gewinne aus
Aktienverkäufen in Höhe von ... EUR (2011), ... EUR
(2012) und ... EUR (2013) zugrunde. Die zuvor erfassten
Dividendenerträge legte es nicht mehr der Besteuerung
zugrunde.
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Zur Begründung seiner Revision
führt das FA aus, dass das FG zu Unrecht von der
Abgeltungswirkung der von C einbehaltenen Kapitalertragsteuer nach
§ 43 Abs. 5 Satz 1 EStG ausgegangen sei, da hierfür der
Ausweis des Abzugs der Kapitalertragsteuer und des
Solidaritätszuschlags auf den fingierten Depotauszügen
nicht ausreiche. Die Kapitalerträge müssten nach dem
Wortlaut des § 43 Abs. 5 Satz 1 EStG dem Steuerabzug
tatsächlich „unterlegen“ haben. Dies ergebe sich
auch aus der Gesetzesbegründung (BTDrucks 17/2249, S. 58). Die
Anlegerperspektive in Bezug auf das vorgetäuschte
Rechtsgeschäft sei für die Abgeltungswirkung des
Kapitalertragsteuerabzugs unerheblich und lediglich für die
Frage der Qualifizierung der Einkünfte von Bedeutung.
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Das FA beantragt,
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das Urteil des FG Nürnberg in EFG
2018, 117 = SIS 18 03 29 aufzuheben und die Klage
abzuweisen.
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Die Kläger beantragen,
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die Revision als unzulässig zu
verwerfen, hilfsweise als unbegründet
zurückzuweisen.
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II. Die Revision des FA ist nach § 124
Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zulässig. Entgegen der
Auffassung der Kläger entspricht die Revisionsbegründung
den Anforderungen des § 120 Abs. 3 FGO.
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1. Nach § 120 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. a FGO
muss die Revisionsbegründung die bestimmte Bezeichnung der
Umstände enthalten, aus denen sich die Rechtsverletzung
ergibt. Der Revisionskläger muss sich mit den tragenden
Gründen des finanzgerichtlichen Urteils auseinandersetzen und
darlegen, weshalb er diese für unrichtig hält (z.B.
Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 17.05.2017 - VI R 1/16,
BFHE 258, 365, BStBl II 2017, 1073 = SIS 17 15 97, m.w.N.).
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2. Die Revisionsschrift genügt diesen
Anforderungen. Das FA hat sich bei der Darlegung seiner von der
Ansicht des FG Nürnberg abweichenden Rechtsansicht
bezüglich der Voraussetzungen des Eintritts der
Abgeltungswirkung nach § 43 Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 1 EStG in
ausreichendem Umfang mit den tragenden Gründen des FG-Urteils
auseinandergesetzt.
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III. Das angefochtene Urteil ist aus
verfahrensrechtlichen Gründen aufzuheben, da sich während
des Revisionsverfahrens der Verfahrensgegenstand, über dessen
Rechtmäßigkeit das FG entschieden hatte, geändert
hat (§ 127 FGO). Das FG hat in seinem Urteil in EFG 2018, 117
= SIS 18 03 29 über die Einkommensteuerbescheide der
Streitjahre jeweils vom 23.10.2015 in Gestalt der
Einspruchsentscheidung vom 02.03.2017 entschieden. An deren Stelle
sind während des Revisionsverfahrens die
Änderungsbescheide jeweils vom 03.07.2018 getreten, die nach
§ 121 Satz 1 i.V.m. § 68 Satz 1 FGO Gegenstand des
Verfahrens geworden sind. Damit liegen dem FG-Urteil nicht mehr
existierende Bescheide zugrunde. Das angefochtene Urteil ist daher
gegenstandslos geworden und aufzuheben. Da sich durch die
Änderung der Einkommensteuerbescheide hinsichtlich der
streitigen Punkte keine Änderungen ergeben haben und die
Kläger auch keinen weiter gehenden Antrag gestellt haben,
bedarf es keiner Zurückverweisung der Sache an das FG
gemäß § 127 FGO. Das finanzgerichtliche Verfahren
leidet auch nicht an einem Verfahrensmangel, so dass die vom FG
getroffenen tatsächlichen Feststellungen durch die Aufhebung
des Urteils nicht weggefallen sind; sie bilden nach wie vor die
Grundlage für die Entscheidung des Senats in der Sache (vgl.
BFH-Urteil vom 22.02.2018 - VI R 17/16, BFHE 260, 532, BStBl II
2019, 496 = SIS 18 07 75, Rz 17, m.w.N.).
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IV. Der Senat kann auf der Grundlage der
tatsächlichen Feststellungen des FG in der Sache selbst
entscheiden. Die Sache ist spruchreif. Der Klage ist stattzugeben
(§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FGO). Die gemäß §
121 Satz 1 i.V.m. § 68 Satz 1 FGO zum Gegenstand des
Revisionsverfahrens gewordenen
Einkommensteueränderungsbescheide für die Streitjahre
jeweils vom 03.07.2018 sind rechtswidrig und im Umfang des Tenors
zu ändern.
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Das FG hat zu Recht entschieden, dass die von
C ausgewiesenen und teilweise ausgezahlten Scheinrenditen dem
Kläger in den Streitjahren in voller Höhe als
Kapitaleinkünfte i.S. des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Satz 1
EStG gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 EStG zugeflossen sind
(1.). Sie sind jedoch nach § 2 Abs. 5b EStG nicht der
Einkommensteuerfestsetzung zugrunde zu legen, da die
Einkommensteuer für diese Kapitaleinkünfte nach § 43
Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 1 EStG durch die Einbehaltung der
Kapitalertragsteuer abgegolten wurde (2.).
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1. Der Kläger hat in den Streitjahren mit
den Geldanlagen bei C Einkünfte aus Kapitalvermögen i.S.
des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 EStG erzielt, die ihm
gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 EStG in Höhe der
Auszahlungen an seine Tochter und der Gutschriften und Wiederanlage
in den Büchern der C auch zugeflossen sind.
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a) Die Kapitaleinkünfte aus den von C
vorgetäuschten Gewinnen aus Aktienverkäufen i.S. des
§ 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 EStG sind dem Kläger zum
einen dadurch zugeflossen, dass sie auf seine Anweisung auf ein
Konto seiner Tochter überwiesen wurden. Ein Zufluss nach
§ 11 Abs. 1 EStG setzt nicht zwingend voraus, dass die
Leistung i.S. des § 8 Abs. 1 EStG auf direktem Wege an den
Steuerpflichtigen erfolgt. Er liegt auch dann vor, wenn die
Leistung auf Geheiß des Steuerpflichtigen an einen Dritten
erfolgt (vgl. Senatsurteil vom 23.04.1996 - VIII R 30/93, BFHE 181,
7 = SIS 96 21 01).
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19
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b) Zum anderen hat der Kläger in
Höhe der von C bescheinigten und durch fiktive
Aktienkäufe „wieder angelegten“
Scheinrenditen in den Streitjahren Einnahmen aus
Kapitalvermögen gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1
Satz 1 EStG erzielt, da C bzw. deren Hintermann B in den
Streitjahren leistungsbereit und leistungsfähig war. Da dies
im vorliegenden Fall dem Grunde und der Höhe nach unstreitig
ist, wird zur weiteren Begründung auf die Ausführungen
des FG-Urteils und des Senatsurteils vom 02.04.2014 - VIII R 38/13
(BFHE 245, 295, BStBl II 2014, 698 = SIS 14 20 97) Bezug
genommen.
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20
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c) Die Bemessungsgrundlage der von dem
Kläger aus den Scheinrenditen erzielten Kapitaleinkünfte
i.S. des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Satz 1, Abs. 4 EStG mindert
sich nicht um die von C einbehaltene Abgeltungsteuer -
Kapitalertragsteuer und Solidaritätszuschlag - (anderer
Ansicht Urteil des FG München in BB 2018, 468 = SIS 18 01 69).
Der Einbehalt der Kapitalertragsteuer erfolgte nach § 44 Abs.
1 Satz 3 EStG durch C als auszahlende Stelle i.S. des § 44
Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 Buchst. a Doppelbuchst. aa EStG mit abgeltender
Wirkung für Rechnung des Klägers als Gläubiger der
Kapitalerträge (s. unter 2.). Dem Kläger sind danach auch
die von C für den Steuerabzug einbehaltenen
Kapitalerträge zzgl. des Solidaritätszuschlags i.S. des
§ 11 Abs. 1 Satz 1 EStG zugeflossen (vgl. Senatsurteil in BFHE
181, 7 = SIS 96 21 01, unter II.1.b).
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2. Die vom Kläger in den Streitjahren
erzielten Scheinrenditen sind nach § 2 Abs. 5b EStG nicht der
Einkommensteuerfestsetzung zugrunde zu legen, da diese aufgrund des
Einbehalts durch C der Kapitalertragsteuer unterlegen haben, so
dass die Abgeltungswirkung nach § 43 Abs. 5 Satz 1 EStG
eingetreten ist. Es ergibt sich weder aus dem Wortlaut noch aus der
Gesetzesbegründung noch aus der Gesetzessystematik, dass die
Abgeltungswirkung nach § 43 Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 1 EStG erst
dann eintritt, wenn die nach § 43 Abs. 1 EStG einbehaltene
Kapitalertragsteuer beim Finanzamt angemeldet und an dieses
abgeführt wird (Schmidt, DStR 2018, 1201; anderer Ansicht
Weiss, DStR kurzgefasst - DStRK - 2018, 72). Die Abgeltungswirkung
tritt auch dann ein, wenn die Kapitalerträge aus
Scheinrenditen aus der Sicht des Anlegers durch den Steuerabzug der
Kapitalertragsteuer unterlegen und die Voraussetzungen für den
Ausschluss der Abgeltungswirkung nach § 43 Abs. 5 Satz 1
Halbsatz 2 i.V.m. § 44 Abs. 1 Sätze 10 und 11 und Abs. 5
und § 43 Abs. 5 Satz 2 EStG nicht vorgelegen haben (Schmidt,
DStR 2018, 1201; anderer Ansicht Weiss, DStRK 2018, 72).
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a) Nach dem Wortlaut des § 43 Abs. 5 Satz
1 Halbsatz 1 EStG ist die Einkommensteuer für
Kapitalerträge i.S. des § 20 EStG mit dem Steuerabzug
abgegolten, soweit diese der Kapitalertragsteuer unterlegen haben.
Dies entspricht der gesetzlichen Definition der Kapitalertragsteuer
in § 43 Abs. 1 Satz 1 EStG, nach der die Einkommensteuer bei
Kapitalerträgen durch Abzug vom Kapitalertrag
(Kapitalertragsteuer) erhoben wird. Voraussetzung für den
Eintritt der Abgeltungswirkung ist danach allein der Steuerabzug.
Der Wortlaut der Regelung stellt weder auf die Anmeldung der
Kapitalertragsteuer nach § 45a EStG noch auf deren
Abführung nach § 44 EStG ab.
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b) Zwar enthält der Wortlaut des §
43 Abs. 5 Satz 1 EStG die Einschränkung, dass die
Abgeltungswirkung nur „soweit“ eintritt, wie die
Kapitalerträge der Kapitalertragsteuer unterlegen haben. Dies
bedeutet jedoch nicht, dass die Abgeltungswirkung nur dann
eintritt, wenn die Kapitalertragsteuer auch an das Finanzamt
abgeführt wird. Das Wort „soweit“ wurde
durch das Jahressteuergesetz 2010 vom 08.12.2010 (BGBl I 2010,
1768) eingeführt. Ziel der Gesetzesänderung war es zu
verhindern, dass durch gezielte Gestaltungen eine zu niedrige
Ersatzbemessungsgrundlage nach § 43a Abs. 2 Satz 7 EStG
geschaffen werden kann. Aus diesem Grund wurde für den
darüber hinausgehenden Betrag eine
„Veranlagungspflicht“ nach § 32d Abs. 3
EStG eingeführt (vgl. BTDrucks 17/2249, S. 58, dort zu Nr. 19
Buchst. d Doppelbuchst. aa). Eine solche Konstellation ist
vorliegend jedoch nicht gegeben.
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c) Auch die systematische Auslegung spricht
gegen die vom FA vertretene Auffassung, dass die Abgeltungswirkung
nach § 43 Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 1 EStG voraussetzt, dass die
Kapitalertragsteuer vom Schuldner der Kapitalerträge bzw. der
auszahlenden Stelle beim Finanzamt angemeldet und an dieses
abgeführt wird. Im EStG werden die Entrichtung der
Kapitalertragsteuer in § 44 und die Anmeldung der
Kapitalertragsteuer in § 45a Abs. 1 EStG i.V.m. § 150
Abs. 1 Satz 3 AO geregelt. Dagegen ist die Abgeltungswirkung in
§ 43 Abs. 5 Satz 1 EStG bei den Vorschriften zum Abzug der
Kapitalertragsteuer normiert. Bereits dieses Regelungssystem
spricht dafür, dass es für die Abgeltungswirkung nur auf
den Abzug und nicht auf die Anmeldung und Abführung der
Kapitalertragsteuer ankommt.
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d) Darüber hinaus wird dieses
Normverständnis auch durch die in den gesetzlichen
Ausschlussregelungen zur Abgeltungswirkung vorgesehene
Risikoverteilung bestätigt. Nach § 43 Abs. 5 Satz 1
Halbsatz 2 EStG tritt die Abgeltungswirkung nicht ein, wenn der
Gläubiger der Kapitalerträge nach § 44 Abs. 1
Sätze 8 und 9 und Abs. 5 EStG in der für die Streitjahre
geltenden Fassung in Anspruch genommen werden kann. Könnte der
Steuerpflichtige als Gläubiger der Kapitalerträge dennoch
für die vom Schuldner bzw. der auszahlenden Stelle nicht
angemeldete und an das Finanzamt abgeführte
Kapitalertragsteuer in Anspruch genommen werden, würde diese
gesetzliche Risikoverteilung leerlaufen (vgl. hierzu bereits
Senatsurteil in BFHE 181, 7 = SIS 96 21 01, unter II.1.b aa, und
Schmidt, DStR 2018, 1201, 1205).
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aa) § 44 Abs. 1 Sätze 8 und 9 EStG
betrifft Fälle, in denen die Kapitalerträge ganz oder
teilweise nicht in Geld bestehen und der in Geld geleistete Betrag
nicht zur Deckung der Kapitalertragsteuer ausreicht. Dies ist
vorliegend nicht der Fall.
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bb) Gemäß § 44 Abs. 5 Satz 2
EStG wird der Gläubiger der Kapitalerträge nur in
Anspruch genommen, wenn (1.) der Schuldner, die den Verkaufsauftrag
ausführende Stelle oder die die Kapitalerträge
auszahlende Stelle die Kapitalerträge nicht
vorschriftsmäßig gekürzt hat, (2.) der
Gläubiger weiß, dass der Schuldner, die den
Verkaufsauftrag ausführende Stelle oder die die
Kapitalerträge auszahlende Stelle die einbehaltene
Kapitalertragsteuer nicht vorschriftsmäßig
abgeführt hat, und dies dem Finanzamt nicht unverzüglich
mitteilt oder (3.) das die Kapitalerträge auszahlende
inländische Kreditinstitut oder das inländische
Finanzdienstleistungsinstitut die Kapitalerträge zu Unrecht
ohne Abzug der Kapitalertragsteuer ausgezahlt hat. Auch diese
Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt.
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e) Bestätigt wird diese Risikoverteilung
in Bezug auf die Nichtabführung der Kapitalertragsteuer auch
durch die Rechtsprechung des BFH zur Anrechnung der
Kapitalertragsteuer nach § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG.
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aa) Danach ist die Kapitalertragsteuer mit dem
ordnungsgemäßen Einbehalt durch den Schuldner der
Kapitalerträge auch dann erhoben, wenn sie nicht an das
Finanzamt abgeführt wird. Entscheidend ist allein, dass der
Gläubiger der Kapitalerträge nur den Nettobetrag
(Kapitaleinkünfte abzüglich der Kapitalertragsteuer)
erlangt hat. Grund hierfür ist, dass sich der Fiskus beim
Einzug der Kapitalertragsteuer des Schuldners der
Kapitalerträge als „Verwaltungsgehilfen“
bedient, der Gläubiger der Kapitalerträge
(Steuerschuldner) den Steuereinbehalt dulden muss und auf die
Abführung der einbehaltenen Kapitalertragsteuer durch den
Schuldner der Kapitalerträge grundsätzlich keinen
Einfluss hat. Vor diesem Hintergrund ist es gerechtfertigt, dass
das durch die Nichtabführung der Kapitalertragsteuer
realisierte Risiko des Ausfalls der Kapitalertragsteuer dem Fiskus
zugewiesen wird, der sich des Schuldners der Kapitalerträge
bzw. der auszahlenden Stelle als
„Verwaltungshelfer“, „verlängerten
Arm“ und „Inkassostelle“ bedient (vgl.
Senatsurteil in BFHE 181, 7 = SIS 96 21 01, unter II.1.b aa;
BFH-Urteil vom 20.10.2010 - I R 54/09, BFH/NV 2011, 641 = SIS 11 07 16, Rz 26; Urteile des Hessischen FG vom 10.02.2016 - 4 K 1684/14,
DStR 2016, 1084 = SIS 16 08 10, Rz 82, 83, und vom 10.03.2017 - 4 K
977/14, EFG 2017, 656 = SIS 17 05 29, Rz 99 f.).
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bb) Zwar ist in Bezug auf die Erhebung der
Steuer die Abgeltungswirkung nach § 43 Abs. 5 Satz 1 EStG von
der Anrechnung des Steuerabzugs nach § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG zu
unterscheiden. Gründe dafür, dass für den Eintritt
der Abgeltungswirkung nach § 43 Abs. 5 Satz 1 EStG ein anderes
systematisches Verständnis gelten könnte als für die
Erhebung der Kapitalertragsteuer i.S. des § 36 Abs. 2 Nr. 2
EStG, sind jedoch nicht ersichtlich (s.a. Schmidt, DStR 2018, 1201,
1204 f.). Denn auch bei der Abgeltungsteuer gemäß §
43 Abs. 5 Satz 1 EStG bedient sich das Finanzamt - wie bei der
Anrechnung nach § 36 Abs. 2 EStG - mit dem Schuldner der
Kapitalerträge bzw. der auszahlenden Stelle eines privaten
Einbehaltungspflichtigen, der dem Steuerpflichtigen als
verlängerter Arm der Finanzverwaltung gegenübersteht, so
dass dieser auf die Abführung der einbehaltenen
Kapitalertragsteuer keinen Einfluss nehmen kann. Eine sachgerechte
Risikoverteilung gebietet demnach, dass der Fiskus den Ausfall der
Kapitalertragsteuer zu tragen hat, wenn der Abzug i.S. des §
43 Abs. 5 Satz 1 EStG ordnungsgemäß erfolgt ist, die
Abzugssteuer jedoch nach dem Einbehalt nicht an das Finanzamt
abgeführt wird.
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31
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f) Die Annahme des FA, dass nur bei der
Besteuerung der Scheinrenditen auf die subjektive Sicht des
Steuerpflichtigen abzustellen ist, nicht jedoch in Bezug auf die
Abgeltungswirkung der für die Scheinrenditen einbehaltenen
Abzugssteuer (§ 43 Abs. 5 Satz 1 EStG), widerspricht aus der
Sicht des Senats Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG).
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32
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aa) Nach der Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) verlangt der allgemeine
Gleichheitssatz im Bereich des Einkommensteuerrechts eine an der
finanziellen Leistungsfähigkeit ausgerichtete, hinreichend
folgerichtige Ausgestaltung steuergesetzlicher
Belastungsentscheidungen (vgl. z.B. BVerfG-Urteil vom 09.12.2008 -
2 BvL 1/07, 2 BvL 2/07, 2 BvL 1/08, 2 BvL 2/08, BVerfGE 122, 210 =
SIS 08 43 42).
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33
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bb) Diesem Maßstab unterliegen auch die
von der Rechtsprechung des BFH entwickelten Grundsätze der
Besteuerung von Scheinrenditen aus Schneeballsystemen, der sich die
Finanzverwaltung angeschlossen hat (z.B. Senatsurteil in BFHE 245,
295, BStBl II 2014, 698 = SIS 14 20 97, Rz 38 ff.). Kommt es danach
bei Scheinrenditen hinsichtlich des Zuflusses von
Kapitaleinkünften i.S. von § 20 EStG nach § 11 Abs.
1 Satz 1 EStG durch bloße Gutschrift in den Büchern des
Schuldners oder durch sog. Novation darauf an, dass der
Gläubiger (Steuerpflichtige) nach den gesamten Umständen
des Einzelfalls davon ausgehen durfte, dass er statt des
„Stehenlassens“ des gutgeschriebenen Betrags
oder der „Novation“ die Auszahlung hätte
verlangen können, muss es auch bezüglich der
Abgeltungswirkung des § 43 Abs. 5 Satz 1 EStG auf diese
subjektive Sicht ankommen. Konnte der Steuerpflichtige davon
ausgehen, dass die Scheinrenditen, die ihm nach der Rechtsprechung
des BFH nach § 11 Abs. 1 Satz 1 EStG zugeflossen sind,
gemäß § 43 Abs. 5 Satz 1 EStG dem Steuerabzug
unterlegen haben, ist die Einkommensteuer abgegolten.
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34
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g) Eine andere Beurteilung der
Risikoverteilung in Bezug auf die Abführung der
Kapitalertragsteuer ergibt sich im vorliegenden Fall auch nicht
daraus, dass C keine aufsichtsrechtliche Genehmigung nach § 32
des Kreditwesengesetzes (KWG) hatte. Die Kapitalerträge
auszahlende Stelle ist gemäß § 44 Abs. 1 Satz 4 Nr.
1 Buchst. a Doppelbuchst. aa EStG in den Fällen des § 43
Abs. 1 Satz 1 Nr. 9 EStG das inländische Kreditinstitut oder
das inländische Finanzdienstleistungsinstitut i.S. des §
43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 Buchst. b EStG. C war ein unter § 43
Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 Buchst. b EStG fallendes
Finanzdienstleistungsinstitut i.S. des § 1 Abs. 1a Satz 1 Nr.
1a KWG, denn C erbrachte für andere gewerbsmäßig
Finanzdienstleistungen in der Form der Anlageberatung. Das Fehlen
der aufsichtsrechtlichen Genehmigung nach § 32 KWG steht der
Qualifikation des Unternehmens von C als
Finanzdienstleistungsinstitut nicht entgegen. Denn das Vorliegen
einer derartigen Erlaubnis begründet nicht die Eigenschaft als
Finanzdienstleistungsinstitut. Hierfür ist allein die
Erfüllung der Merkmale des § 1 Abs. 1a KWG
maßgebend. Dies gilt unabhängig davon, dass das
Betreiben von Bankgeschäften oder die Erbringung von
Finanzdienstleistungen ohne einschlägige Erlaubnis einen
Straftatbestand (§ 54 Abs. 1 Nr. 2 KWG) erfüllen kann
(BFH-Urteil vom 16.10.2002 - I R 23/02, BFH/NV 2003, 653 = SIS 03 22 52; Urteil des Niedersächsischen FG vom 30.09.2004 - 11 K
19/04, EFG 2005, 203 = SIS 05 06 21).
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h) Die Abgeltungswirkung des
Kapitalertragsteuerabzugs ist auch nicht nach § 43 Abs. 5 Satz
2 EStG entfallen, da der Kläger weder unter die Regelung des
§ 32d Abs. 2 EStG fällt noch die Kapitalerträge zu
den Einkünften aus Land- und Forstwirtschaft, aus
Gewerbebetrieb, aus selbständiger Arbeit oder aus Vermietung
und Verpachtung gehören.
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3. Die Abgeltungswirkung ist auch nicht
aufgrund eines Antrags des Klägers nach § 43 Abs. 5 Satz
3 i.V.m. § 32d Abs. 4 EStG ausgeschlossen. Der Kläger hat
in Bezug auf die bei C erzielten Scheinrenditen keinen Antrag auf
Einbeziehung der Kapitalerträge in die Steuerfestsetzung nach
§ 32d Abs. 4 EStG gestellt, da er diese Kapitalerträge
nicht in seiner Einkommensteuererklärung angegeben hat. Der
Antrag i.S. des § 32d Abs. 4 EStG muss nicht für
sämtliche Einkünfte aus Kapitalvermögen i.S. des
§ 20 EStG einheitlich gestellt werden, sondern kann auf
bestimmte Kapitalerträge beschränkt werden (Blümich/
Werth, § 32d EStG Rz 134; Schmidt/Levedag, EStG, 39. Aufl.,
§ 32d Rz 18). Der Antrag bezieht sich danach
grundsätzlich nur auf die Kapitalerträge, die der
Steuerpflichtige in der Einkommensteuererklärung angibt.
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4. Auch ein Antrag auf
Günstigerprüfung nach § 32d Abs. 6 EStG führte
im vorliegenden Fall zu keiner anderen Beurteilung, da die
tarifliche Besteuerung der Kapitaleinkünfte der Kläger
nicht zu einer niedrigeren Einkommensteuer führen
würde.
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5. Der Steuerabzug hatte somit abgeltende
Wirkung. Die Einkünfte werden nicht Teil des
Veranlagungsverfahrens (vgl. Lammers in Herrmann/Heuer/ Raupach,
§ 36 EStG Rz 42). Es liegt somit auch kein Fall der
Steueranrechnung nach § 36 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a EStG vor.
Eine Bescheinigung nach § 45a Abs. 2 oder Abs. 3 EStG ist -
entgegen der Auffassung des FA - nicht erforderlich.
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6. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135
Abs. 1 und Abs. 2 FGO.
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