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Zu den Anforderungen an die Gewährung des Vorsteuerabzugs aus Billigkeitsgründen

Zu den Anforderungen an die Gewährung des Vorsteuerabzugs aus Billigkeitsgründen: 1. Vorsteuerabzug im Billigkeitsverfahren setzt voraus, dass der Unternehmer gutgläubig war und alle Maßnahmen ergriffen hat, die vernünftigerweise von ihm verlangt werden können, um sich von der Richtigkeit der Angaben in der Rechnung zu überzeugen und seine Beteiligung an einem Betrug ausgeschlossen ist. - 2. Im Billigkeitsverfahren muss das FA nicht das Vorliegen objektiver Umstände nachweisen, die den Schluss zulassen, dass das Recht auf Vorsteuerabzug in betrügerischer Weise oder missbräuchlich geltend gemacht wird. Das ist nur dann erforderlich, wenn der Vorsteuerabzug trotz Vorliegens dessen objektiver Merkmale wegen der Einbindung des Unternehmers in eine missbräuchliche Gestaltung versagt werden soll. - 3. Es stellt keinen Ermessensfehler dar, wenn eine Behörde ihre Entscheidung auf mehrere Ermessenserwägungen stützt, von denen zwar eine oder einzelne fehlerhaft sind, die Behörde aber eindeutig zum Ausdruck gebracht hat, dass jede einzelne der Ermessenserwägungen bereits allein tragend ist. - Urt.; BFH 18.2.2016, V R 62/14; SIS 16 07 85

Kapitel:
Unternehmensbereich > Umsatzsteuer > Vorsteuerabzug
Fundstellen
  1. BFH 18.02.2016, V R 62/14
    BStBl 2016 II S. 589
    DStR 2016 S. 960

    Anmerkungen:
    zur Veröffentlichung in BStBl II bestimmt nach BMF-Online vom 1.7.2016
    -/- in NWB 18/2016 S. 1337
    J. H. in StuB 9/2016 S. 361
    W. Tausch in UVR 6/2016 S. 164
    M. Brill in DStZ 13/2016 S. 470
    B. Fleckenstein-Weiland/F. Stiehr in BB 7/2017 S. 349
    Ch. Wäger in BFH/PR 7/2016 S. 224
    Reichelt in MwStR 13/2016 S. 552
    B. Rätke in NWB 12/2016 S. 577
Normen
[AO 1977] § 163, § 227
[FGO] § 102
[UStG] § 15
Vorinstanz / Folgeinstanz:
  • vor: FG München, 20.05.2014, SIS 14 22 67, Billigkeit, Festsetzung, Vorsteuerabzug
Zitiert in... / geändert durch...
  • FG Hamburg 9.11.2023, SIS 24 02 41, Rückforderung von angerechneter Kapitalertragsteuer im "cum/ex-Verfahren": 1. Körperschaftsteuerbescheide...
  • FG Nürnberg 6.9.2023, SIS 23 18 70, Antrag auf abweichende Steuerfestsetzung wegen eines krankheitsbedingten Umbau des Wohnhauses: 1. Ziel de...
  • FG Berlin-Brandenburg 4.5.2022, SIS 22 09 64, Begrenzung der Umsatzsteuer-Identifikationsnummer nach § 27 a Abs. 1 a UStG, Voraussetzungen: 1. Dass nac...
  • FG Münster 29.3.2022, SIS 22 09 17, Land- und Forstwirtschaft, Frage der Anwendung der Differenzbesteuerung bei Weiterverkauf von Landmaschin...
  • FG München 28.10.2021, SIS 23 15 53, Vorsteuerabzug bei Erwerb von auf fremden Dächern zu verpachtenden PV-Anlagen im Rahmen eines betrügerisc...
  • BFH 20.10.2021, SIS 22 04 70, Versagung des Vorsteuerabzugs aus Altgoldlieferungen, Anforderungen an das "Wissenmüssen" des Steuerpflic...
  • FG Nürnberg 21.9.2021, SIS 21 17 95, EuGH-Vorlage zur Versagung des Vorsteuerabzugs beim Zweiterwerber, bei Kennenmüssen von Mehrwertsteuerhin...
  • FG Düsseldorf 24.3.2021, SIS 21 14 74, Nachweispflichten für Anwendung der Differenzbesteuerung, Umfang der Prüfungspflichten für die Gewährung ...
  • FG Nürnberg 15.6.2020, SIS 20 09 70, Aufhebung oder Abänderung eines Steuerbescheids, wenn die angefochtene, nicht aber die ursprüngliche Steu...
  • BFH 11.3.2020, SIS 20 10 27, Keine Versagung des Vorsteuerabzugs bei fehlendem Nachweis eines Steuerbetrugs, kein Vertrauensschutz bei...
  • BFH 14.2.2019, SIS 19 06 16, Zur Identität von Rechnungsaussteller und leistendem Unternehmer: Die für die Berechtigung zum Vorsteuera...
  • FG Bremen 6.6.2018, SIS 18 11 07, Vorsteuerabzug bei Zweifeln an der tatsächlichen Leistungserbringung durch den Rechnungsaussteller, kein ...
  • FG Nürnberg 12.4.2018, SIS 19 01 14, Vorliegen umsatzsteuerrechtlich relevanter Kommissionsgeschäfte bei Kfz-Handel unter Einschaltung von Exp...
  • OFD Karlsruhe 31.1.2017, SIS 17 04 32, Umsatzsteuer, Rechtsprechung: Die OFD Karlsruhe hat ihre Übersicht der im BStBl veröffentlichten Urteile ...
  • FG Köln 20.9.2016, SIS 16 27 36, Frage der Vorsteuerabzugsberechtigung, Bestimmung von Leistendem und Leistungsempfänger: Zur Bestimmung d...
  • FG München 26.7.2016, SIS 16 20 88, Vorsteuerabzug aus Vertrauensschutzgesichtspunkten bezüglich von "missing trader" erstellten Rechnungen: ...
Fachaufsätze
  • LIT 03 27 45 J. Grune, AktStR 3/2016 S. 475: Gewährung des Vorsteuerabzugs im Billigkeitsverfahren - Lit.; J. Grune, AktStR 3/2016 S. 475; BFH v. 18.2...

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Finanzgerichts München vom 20.5.2014 2 K 875/11 = SIS 14 22 67 wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens trägt der Beklagte.

 

1

I. Streitig ist im Revisionsverfahren, ob der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA - ) zu Recht eine abweichende Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen abgelehnt hat.

 

 

2

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) erzielt steuerpflichtige Umsätze aus der Lagerung, Kommissionierung und Verteilung von Gütern aller Art. Gesellschafter der Klägerin sind A und P.K. Mit ihrer Umsatzsteuererklärung für das Streitjahr (2006) machte die Klägerin u.a. abziehbare Vorsteuerbeträge aus zwei Rechnungen der Fa. H (Prag/Tschechien) vom 5.12.2005 und 11.1.2006 über die Lieferung von Nickel-Kathoden zum Preis von 249.674,99 EUR zzgl. 16 % Mehrwertsteuer in Höhe von 39.948 EUR und 258.022,57 EUR zzgl. 16 % Mehrwertsteuer in Höhe von 41.283,61 EUR geltend. Auf den Rechnungen ist eine Steuernummer mit einer vierstelligen Ziffernfolge im dritten Ziffernblock angegeben. Die Rechnungen enthalten den Hinweis, dass die Verladung im Lager N (Inland) bei der Fa. M nur in Absprache mit dem Mitarbeiter J erfolgen dürfe.

 

 

3

Mit Schreiben vom 3.3.2008 teilte das FA X dem beklagten FA mit, dass die Fa. H keine Geschäftstätigkeit ausgeübt und niemals Verfügungsmacht über die angeblich an die Klägerin gelieferten Waren gehabt habe. Die streitgegenständlichen Rechnungen seien deshalb zu Unrecht ausgestellt worden. Das FA X legte dazu Niederschriften über die Beschuldigtenvernehmung von Frau B, der Geschäftsführerin der Fa. H, vom 17.11.2006 und über die Zeugenvernehmung von A.K., dem Geschäftsführer der Klägerin, vom 8.11.2007, vor.

 

 

4

Im Rahmen der daraufhin von der Steuerfahndungsstelle des FA durchgeführten Ermittlungsmaßnahmen wurde festgestellt, dass die Waren von einer niederländischen Spedition ab dem Lager der Fa. M in N (Inland) direkt zum Abnehmer nach Italien transportiert wurden. Die Klägerin stellte die Lieferungen dem italienischen Abnehmer in Rechnung, der diese per Überweisung bezahlte. Die Klägerin überwies die Rechnungsbeträge auf das auf den Rechnungen angegebene Konto einer Schweizer Bank. Feststellungen zu einem Herrn J konnten nicht getroffen werden. Ein Mitarbeiter der Fa. M sagte als Zeuge aus, dass er einen Herrn J nicht kenne. Des Weiteren wurde festgestellt, dass die Fa. H im Handelsregister des Stadtgerichts Prag eingetragen war und über eine tschechische USt-IdNr. verfügte.

 

 

5

Das FA setzte daraufhin mit Steueränderungsbescheid vom 4.12.2008 die Umsatzsteuer für 2006 unter Versagung der Vorsteuer aus den beiden Rechnungen der Fa. H fest.

 

 

6

Hiergegen legte die Klägerin Einspruch ein und beantragte eine abweichende Festsetzung der Umsatzsteuer aus Billigkeitsgründen, die mit Bescheid vom 2.2.2010 abgelehnt wurde.

 

 

7

Den hiergegen eingelegten Einspruch und den Einspruch gegen den Umsatzsteuerbescheid vom 4.12.2008 verband das FA zu gemeinsamer Entscheidung und wies beide Einsprüche mit Einspruchsentscheidung vom 22.2.2011 als unbegründet zurück.

 

 

8

Die Ablehnung einer Gewährung des Vorsteuerabzugs aus Billigkeitsgründen begründete das FA damit, dass die Klägerin - obwohl es sich bei der Fa. H um eine neue Geschäftsbeziehung gehandelt habe - weder Kenntnis von den Geschäftsführern noch von sonstigen Kontaktpersonen bei der angeblichen Lieferantin Fa. H gehabt habe, auf Faxantworten der Fa. H auch keine Kontaktperson aufgeführt gewesen sei, unterschiedliche Adressen der Fa. H in der Rechnung und in der weiteren Korrespondenz genannt worden seien, die von der Fa. H verwendete Steuernummer erkennbar von den in der Bundesrepublik Deutschland (Deutschland) gebräuchlichen Steuernummern abgewichen sei, die Klägerin dies habe erkennen und mittels einer Nachfrage beim FA X verifizieren können und dass bei einem besonders gelagerten Geschäft, bei dem der Lieferant und der Abnehmer von einem Dritten, hier dem italienischen Geschäftsfreund, vorgegeben würden und keine Verhandlungen über den Geschäftsablauf und die Preisgestaltung geführt worden seien, besondere Aufmerksamkeit erforderlich sei.

 

 

9

Die Klage hatte zum Teil Erfolg. Das Finanzgericht (FG) bestätigte den Steueränderungsbescheid vom 4.12.2008 und die hierzu ergangene Einspruchsentscheidung, hob aber den Bescheid vom 2.2.2010 über die Ablehnung einer abweichenden Festsetzung der Umsatzsteuer aus Billigkeitsgründen und die dazu ergangene Einspruchsentscheidung vom 22.2.2011 wegen fehlerhafter Ermessensausübung auf.

 

 

10

Zur Begründung führte das FG im Wesentlichen aus, das FA habe den Vorsteuerabzug aus den Rechnungen der Fa. H zu Recht versagt, weil sie nicht die der Fa. H vom FA erteilte Steuernummer enthalten habe und die Fa. H auch nicht leistende Unternehmerin gewesen sei. Nicht die Rechnungsausstellerin die Fa. H, sondern ein (unbekannter) Dritter habe die Lieferungen der in den Rechnungen angeführten Nickel-Kathoden an die Klägerin ausgeführt. Bei der auf den Rechnungen angegebenen Adresse habe es sich somit nicht um den Namen und die Anschrift der leistenden Unternehmerin i.S. von § 14 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) gehandelt. Soweit die Klägerin über die Identität der Leistenden getäuscht worden sei, könne sie sich nicht darauf berufen, gutgläubig gewesen zu sein, denn § 15 Abs. 1 UStG schütze nicht den guten Glauben an die Erfüllung der Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug. Gesichtspunkte des Vertrauensschutzes könnten im Festsetzungsverfahren nicht berücksichtigt werden. Das FA habe daher im Steueränderungsbescheid vom 4.12.2008 den Vorsteuerabzug zu Recht versagt.

 

 

11

Anders verhalte es sich mit der Ablehnung der von der Klägerin beantragten abweichenden Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen. Der Ablehnungsbescheid vom 2.2.2010 und die dazu ergangene Einspruchsentscheidung seien aufzuheben, weil das FA hierbei das ihm zustehende Ermessen nicht ordnungsgemäß ausgeübt habe. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) könne dann, wenn nachgewiesen sei, dass die streitgegenständlichen Lieferungen von Gegenständen tatsächlich bewirkt und diese Gegenstände vom Steuerpflichtigen auf einer nachfolgenden Umsatzstufe für die Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet worden seien, das Recht auf Vorsteuerabzug nur versagt werden, wenn die Steuerbehörden das Vorliegen objektiver Umstände nachgewiesen hätten, die den Schluss zuließen, dass dieses Recht in betrügerischer Weise oder missbräuchlich geltend gemacht werde. Nur wenn Anhaltspunkte für Unregelmäßigkeiten oder Steuerhinterziehung vorlägen, könne ein verständiger Wirtschaftsteilnehmer nach den Umständen des konkreten Falls verpflichtet sein, über einen anderen Wirtschaftsteilnehmer, von dem er Gegenstände oder Dienstleistungen zu erwerben beabsichtige, Auskünfte einzuholen, um sicherzustellen, dass dessen Umsätze nicht in einen von einem Wirtschaftsteilnehmer auf einer vorhergehenden Umsatzstufe begangenen Betrug einbezogen seien.

 

 

12

Das FA habe aber weder im Ablehnungsbescheid vom 2.2.2010 noch in der dazu ergangenen Einspruchsentscheidung vom 22.2.2011 objektive Umstände dargelegt, aufgrund derer die Klägerin verpflichtet gewesen sei, weitere Auskünfte über die Fa. H einzuholen. Die Zahlung auf ein Konto in der Schweiz und die Vermittlung des Geschäfts mit der Fa. H durch einen, dem Geschäftsführer der Klägerin (G), bekannten Dritten seien keine außergewöhnlichen Umstände, die auf eine Steuerhinterziehung schließen ließen. Das gelte gleichermaßen für den Umstand, dass G die Ware nicht selbst gesehen und keinen persönlichen Kontakt zu Frau B gehabt habe und das Geschäft über den (angeblich) beauftragten J abgewickelt worden sei.

 

 

13

Mit der Revision, mit der es Verletzung materiellen Rechts (§ 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 14 UStG, § 31 der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung, §§ 163, 227 der Abgabenordnung - AO - ) geltend macht, wendet sich das FA gegen die Aufhebung seiner Entscheidungen im Billigkeitsverfahren. Zu den vom Leistungsempfänger zu ergreifenden Maßnahmen gehöre u.a. die dokumentierte Vergewisserung über die Unternehmereigenschaft des Leistenden. In der Einspruchsentscheidung seien diverse Besonderheiten aufgeführt und gewürdigt worden, die der Klägerin zu weiteren Nachforschungen Anlass gegeben hätten. Den sich daraus ergebenden Zweifeln sei die Klägerin aber nicht nachgegangen. Der vom FG geforderte Nachweis, dass die Klägerin ihr Vorsteuerabzugsrecht in betrügerischer Absicht oder missbräuchlich geltend mache, lasse sich weder aus der Rechtsprechung des EuGH noch aus der des Bundesfinanzhofs (BFH) herleiten.

 

 

14

Das FA beantragt, das FG-Urteil insoweit aufzuheben, als es der Klage stattgegeben hat und die Klage insgesamt abzuweisen.

 

 

15

Die Klägerin beantragt, die Revision des FA als unbegründet zurückzuweisen.

 

 

16

Zur Begründung trägt sie im Wesentlichen vor, die von der Fa. H an sie, die Klägerin, verkaufte Ware sei tatsächlich durch einen von ihr beauftragten Spediteur zum Abnehmer nach Italien verbracht worden. Das FA habe den Sachverhalt nicht hinreichend aufgeklärt, um eine sachgemäße Ermessensentscheidung treffen zu können. Allein der Umstand, dass eine erbrachte Leistung nicht tatsächlich von dem in der Rechnung angegebenen Leistenden bewirkt worden sei oder die Unterschriften der Personen, die bestimmte Dokumente als Leistende unterzeichnet hätten, sich als falsch erwiesen hätten, reiche nicht aus, den Vorsteuerabzug zu versagen. Das FA könne vom Steuerpflichtigen nicht verlangen, zu prüfen, ob der Aussteller der Rechnung Steuerpflichtiger sei.

 

 

17

II. Die Revision des FA ist unbegründet und deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO - ). Die Entscheidung des FG stellt sich im Ergebnis aus anderen Gründen als richtig dar (§ 126 Abs. 4 FGO).

 

 

18

1. Das FG hat die Voraussetzungen, unter denen im Billigkeitsverfahren (§§ 163, 227 AO) der Vorsteuerabzug gewährt werden kann, verkannt.

 

 

19

a) Das FG hat zu Unrecht entschieden, dass der Vorsteuerabzug im Billigkeitsverfahren zu gewähren ist, wenn die Steuerbehörden nicht das Vorliegen objektiver Umstände nachweisen, die den Schluss zulassen, dass das Recht auf Vorsteuerabzug in betrügerischer Weise oder missbräuchlich geltend gemacht wird, denn diese Voraussetzung betrifft nicht das Billigkeitsverfahren.

 

 

20

b) Das FG hat seine Auffassung insoweit zu Unrecht auf die EuGH-Urteile Mahagebén und Dávid vom 21.6.2012 C-80/11 und C-142/11 (EU:C:2012:373 = SIS 12 19 39), Maks Pen vom 13.2.2014 C-18/13 (EU:C:2014:69 = SIS 14 04 39) und Bonik vom 6.12.2012 C-285/11 (EU:C:2012:774 = SIS 13 07 66) gestützt. Denn in den vom EuGH in den Entscheidungen Mahagebén und Dávid, Maks Pen und Bonik zu beurteilenden Sachverhalten stand aufgrund der Vorlageentscheidungen fest, dass die nach der Richtlinie 2006/112/EG des Rates über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem vom 28.11.2006 (Mehrwertsteuersystem-Richtlinie - MwStSystRL - ) vorgesehenen materiellen und formellen Voraussetzungen für die Entstehung und die Ausübung des Rechts auf Vorsteuerabzug erfüllt waren (EuGH-Urteile Mahagebén und Dávid, EU:C:2012:373 = SIS 12 19 39, Rz 43, 44, 52; Maks Pen, EU:C:2014:69 = SIS 14 04 39, Rz 25, und Bonik, EU:C:2012:774 = SIS 13 07 66, Rz 29, 33, 40). Mit diesen Urteilen hat der EuGH daher das Recht auf Vorsteuerabzug nicht durch Vertrauensschutzgesichtspunkte erweitert, sondern begrenzt, indem er den Vorsteuerabzug selbst dann versagt, wenn dessen Voraussetzungen zwar tatsächlich vorliegen, jedoch aufgrund objektiver Umstände feststeht, dass der Steuerpflichtige wusste oder hätte wissen müssen, dass er sich mit seinem Erwerb an einem Umsatz beteiligt, der in eine vom Lieferer oder von einem anderen Wirtschaftsteilnehmer auf einer vorhergehenden oder nachfolgenden Umsatzstufe der Lieferkette begangene Steuerhinterziehung einbezogen war (BFH-Urteil vom 22.7.2015 V R 23/14, BFHE 250, 559, BStBl II 2015, 914 = SIS 15 19 48, Rz 36). Diese Sanktion, dem Steuerpflichtigen den Vorsteuerabzug trotz Vorliegens seiner objektiven Merkmale zu versagen, ist nur zu rechtfertigen, wenn das FA das Vorliegen objektiver Umstände nachweist, die den Schluss zulassen, dass das Recht auf Vorsteuerabzug vom Steuerpflichtigen in betrügerischer Weise oder missbräuchlich geltend gemacht wird (z.B. EuGH-Urteil Bonik, EU:C:2012:774 = SIS 13 07 66, Rz 44).

 

 

21

c) Entgegen der Auffassung des FG lassen sich auch aus dem EuGH-Urteil Maks Pen (EU:C:2014:69 = SIS 14 04 39, Rz 31) keine dahingehenden Schlussfolgerungen ableiten, dass auch bei unzutreffenden Rechnungsangaben der Vorsteuerabzug nur versagt werden dürfe, wenn das FA das Vorliegen objektiver Umstände nachweist, die den Schluss zulassen, dass das Recht auf Vorsteuerabzug vom Steuerpflichtigen in betrügerischer Weise oder missbräuchlich geltend gemacht wird. Aus Rz 31 ergibt sich, dass Zweifel daran, dass die Rechnungsangaben zutreffend und die Abrechnende auch die leistende Unternehmerin ist, nicht allein damit begründet werden können, dass die Abrechnende nicht über das erforderliche Personal sowie die erforderlichen Sachmittel und Vermögenswerte verfügt habe, die Kosten der Leistung nicht in ihrer Buchführung dokumentiert worden seien oder die Unterschrift der Personen, die bestimmte Dokumente als Leistende unterzeichnet haben, sich als falsch erwiesen haben. Vorliegend steht nach den Feststellungen des FG aber fest, dass die Fa. H nicht die leistende Unternehmerin war, sondern ein unbekannter Dritter und dass die Rechnung nicht die korrekte Steuernummer der Rechnungsausstellerin enthalten hat.

 

 

22

d) Im Billigkeitsverfahren (§§ 163, 227 AO) kann der Vorsteuerabzug ausnahmsweise unter dem Gesichtspunkt des allgemeinen Rechtsgrundsatzes des Vertrauensschutzes nach den Grundsätzen der EuGH-Rechtsprechung (Urteile Teleos vom 27.9.2007 C-409/04, EU:C:2007:548 = SIS 08 00 38, Rz 68, und Netto Supermarkt vom 21.2.2008 C-271/06, EU:C:2008:105 = SIS 08 16 63, Rz 25) in Betracht kommen. Das setzt voraus, dass der den Vorsteuerabzug begehrende Unternehmer gutgläubig war und alle Maßnahmen ergriffen hat, die vernünftigerweise von ihm verlangt werden können, um sich von der Richtigkeit der Angaben in der Rechnung zu überzeugen und seine Beteiligung an einem Betrug ausgeschlossen ist (BFH-Urteil vom 30.4.2009 V R 15/07, BFHE 225, 254, BStBl II 2009, 744 = SIS 09 21 18, Rz 49).

 

 

23

Die Begründung des FG trägt deshalb die Aufhebung der Ermessensentscheidung des FA nicht.

 

 

24

2. Die Aufhebung der Entscheidung des FA im Billigkeitsverfahren ist aber im Ergebnis richtig, weil dem FA Ermessensfehler unterlaufen sind.

 

 

25

a) Die vom FA im Rahmen einer Billigkeitsmaßnahme nach § 163 AO zu treffende Ermessensentscheidung ist im finanzgerichtlichen Verfahren nur eingeschränkt dahingehend überprüfbar, ob die Behörde bei ihrer Entscheidung die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten (Ermessensmissbrauch) oder von dem ihr eingeräumten Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat (Ermessensfehlgebrauch; vgl. BFH-Urteil vom 23.9.2004 V R 58/03, BFH/NV 2005, 825 = SIS 05 21 76, Rz 12).

 

 

26

b) Das FA hat in seinen Ermessenserwägungen berücksichtigt, dass die Klägerin - obwohl es sich bei der Fa. H um eine neue Geschäftsbeziehung handelte - weder Kenntnis von den Geschäftsführern noch von sonstigen Kontaktpersonen bei der angeblichen Lieferantin der Fa. H hatte, auf Faxantworten der Fa. H auch keine Kontaktperson aufgeführt war, unterschiedliche Adressen der Fa. H in der Rechnung und in der weiteren Korrespondenz genannt wurden und dass bei einem besonders gelagerten Geschäft, bei dem der Lieferant und der Abnehmer von einem Dritten, hier dem italienischen Geschäftsfreund, vorgegeben werden und keine Verhandlungen über den Geschäftsablauf und die Preisgestaltung geführt werden, besondere Aufmerksamkeit erforderlich ist.

 

 

27

c) Das FA hat darüber hinaus seine Ermessensentscheidung aber auch darauf gestützt, dass die von der Fa. H verwendete Steuernummer erkennbar von den in Deutschland gebräuchlichen Steuernummern abgewichen sei und die Klägerin sich über die Steuernummer der Fa. H durch eine Rückfrage beim FA X habe Gewissheit verschaffen können. Die Annahme des FA, dass die Steuernummern in Deutschland durchweg durch eine fünfstellige Ziffernkombination im dritten Ziffernblock gekennzeichnet seien, erweist sich als unzutreffend. Zumindest im Bundesland Nordrhein-Westfalen ist eine vierstellige Ziffernfolge im dritten Ziffernblock üblich. Deshalb ist auch die auf der Annahme einer erkennbar unzutreffenden Steuernummer beruhende Erwägung des FA, die Klägerin habe sich durch eine Nachfrage beim FA X Gewissheit verschaffen müssen, fehlerhaft.

 

 

28

d) Zwar stellt es keinen Ermessensfehler dar, wenn eine Behörde ihre Entscheidung auf mehrere Ermessenserwägungen stützt, von denen zwar eine oder einzelne fehlerhaft sind, die Behörde aber zum Ausdruck gebracht hat, dass bereits jede einzelne der Ermessenserwägungen sie dazu veranlasst hat, die von ihr getroffene Entscheidung vorzunehmen, also insofern bereits allein tragend ist. Für die Fehlerfreiheit einer Ermessensentscheidung genügt es, dass ein selbständig tragender Grund rechtlich fehlerfrei ist (BFH-Urteil vom 16.9.2014 X R 30/13, BFH/NV 2015, 150, 2 = SIS 14 34 32. Orientierungssatz und Rz 29; Urteile des Bundesverwaltungsgerichts vom 19.5.1981 1 C 169.79, BVerwGE 62, 215; vom 21.9.2000 2 C 5.99, Deutsches Verwaltungsblatt 2001, 726; vom 27.9.1978 1 C 28.77, Die öffentliche Verwaltung 1979, 374; vom 27.3.1979 1 C 15.77, Buchholz 402.24 § 10 der Ausländergesetzes Nr. 61; Kopp/Schenke, Verwaltungsgerichtsordnung, Kommentar, 21. Aufl., § 114 Rz 6a, m.w.N.).

 

 

29

Der Ermessensentscheidung des FA lässt sich aber nicht entnehmen, ob die unter II.2.b) genannten Erwägungen allein oder in ihrer Summe für die Entscheidung des FA maßgebend gewesen sind oder erst in der Gesamtschau mit den unter II.2.c) genannten fehlerhaften Erwägungen. Diese Entscheidung kann der Senat nicht an Stelle des FG treffen, denn das Gericht hat im Falle der Aufdeckung von Ermessensfehlern die Ermessensentscheidung aufzuheben (BFH-Urteil vom 3.8.1983 II R 144/80, BFHE 139, 128, BStBl II 1984, 321 = SIS 83 22 45, Orientierungssatz) und darf grundsätzlich nicht sein Ermessen an die Stelle des Ermessens der Verwaltungsbehörde setzen (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Urteil vom 6.11.2012 VII R 72/11, BFHE 239, 15, BStBl II 2013, 141 = SIS 12 34 03, Orientierungssatz und Rz 14).

 

 

30

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.