1
|
I. Der Kläger und Revisionsbeklagte
(Kläger) ist Insolvenzverwalter in dem über das
Vermögen der T-GmbH im September 2001 eröffneten
Insolvenzverfahren.
|
|
|
2
|
Nachdem der Beklagte und
Revisionskläger (das Finanzamt - FA - ) den Kläger
mehrfach vergeblich aufgefordert hatte, noch ausstehende
Steuererklärungen, Bilanzen sowie Gewinn- und
Verlustrechnungen für die Insolvenzschuldnerin abzugeben,
drohte er mit jeweils gesonderten Bescheiden dem Kläger die
Festsetzung von Zwangsgeld an, soweit er nicht für die
Zeiträume 3.9.2001 bis 31.12.2001 sowie die Kalenderjahre 2005
bis 2008 Steuererklärungen nebst Bilanzen sowie Gewinn- und
Verlustrechnungen vorlege.
|
|
|
3
|
Die dagegen eingelegten Einsprüche
blieben erfolglos.
|
|
|
4
|
Im Dezember 2009 setzte das FA
gegenüber dem Kläger die angedrohten Zwangsgelder fest.
In seinen Einsprüchen gegen die Festsetzungsbescheide wies der
Kläger erneut darauf hin, das Insolvenzverfahren sei
abschlussreif, die Zwangsgeldfestsetzungen deshalb unbillig und
unangemessen. Die Schlussunterlagen (mit dem Ergebnis der
Masseunzulänglichkeit) seien bereits übermittelt, die
entsprechenden Kontenjournale lege er nochmals vor.
|
|
|
5
|
Das FA wies die Einsprüche unter dem
18.3.2010 als unbegründet zurück. Der Insolvenzverwalter
bleibe auch nach einer Schätzung der Besteuerungsgrundlagen
verpflichtet, die Steuererklärungen für eine
Insolvenzschuldnerin zu erstellen.
|
|
|
6
|
Zum Schlusstermin im Juli 2011 zeigte der
Kläger dem Amtsgericht die Masseunzulänglichkeit der
Insolvenzschuldnerin gemäß § 208 der
Insolvenzordnung an. Die Einstellung des Verfahrens steht noch
aus.
|
|
|
7
|
Das Finanzgericht (FG) gab der gegen die
Zwangsgeldfestsetzungen gerichteten Klage statt. Das FA habe von
seinem Ermessen, die Abgabe von Steuererklärungen mit
Zwangsmitteln durchzusetzen, in einer dem Zweck der
Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht. Zwar
sei es zu Recht davon ausgegangen, dass der Insolvenzverwalter die
steuerlichen Pflichten für den Insolvenzschuldner zu
erfüllen habe, und zwar auch dann, wenn die Kosten für
die Erstellung dieser Erklärungen durch die Insolvenzmasse
nicht gedeckt sein sollten bzw. die Insolvenzmasse mit Kosten
belastet werde, denen keine finanziellen Vorteile
gegenüberstünden. Die Festsetzung von Zwangsgeldern
gegenüber dem Kläger sei jedoch in Anbetracht der
Situation der Insolvenzschuldnerin ein ungeeignetes Zwangsmittel.
Mit dem Zwangsgeld (§ 328 Abs. 1 der Abgabenordnung - AO - )
habe das FA Steuererklärungen (sowie Bilanzen ohne
maßgebliche Änderungen) eingefordert, obwohl ihm bekannt
gewesen sei, dass diese keine steuerlichen Auswirkungen
hätten. Es erscheine bei dieser Sachlage als verfehlt (und
unzweckmäßig), mit Zwangsgeld Steuererklärungen
einzufordern, die mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit
zu keinem Erfolg (Steuern) führten und lediglich Kosten
verursachten. Das Zwangsmittel werde hier von dem eigentlichen Ziel
der Steuererhebung entkoppelt. Das gelte auch dann, wenn der
Insolvenzverwalter lediglich sog. Nullmeldungen und aufbereitete
Bilanzen hätte vorlegen können. In Anbetracht der
konkreten Umstände wäre eine Schätzung das
„probate“ und weniger belastende Mittel
gewesen.
|
|
|
8
|
Die Entscheidung ist in EFG 2012, 388 = SIS 11 40 25 veröffentlicht.
|
|
|
9
|
Mit der Revision macht das FA die
Verletzung des § 328 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 5 AO geltend.
Entgegen der Auffassung des FG habe das FA mit der Verhängung
der Zwangsgelder von der Vorschrift in einer dem Zweck der
Ermächtigung dienenden Weise Gebrauch gemacht. Insbesondere
sei nicht offensichtlich gewesen, dass bei der insolventen T-GmbH
im Verlauf des (langjährigen) Insolvenzverfahrens keine
steuerrelevanten Vorgänge hätten entstehen können.
Nur durch die Abgabe der Jahresabschlüsse und
Steuererklärungen könne zweifelsfrei festgestellt werden,
ob die geschätzte Festsetzung auf 0 EUR zutreffend gewesen
sei. Auch treffe nicht zu, dass eine Schätzung hier das
weniger belastende Mittel gewesen sei. Wenn das FG meine, mangels
Geschäftstätigkeit der T-GmbH sei eine Schätzung der
Steuern ohne Aufwand möglich gewesen, so müsse das auch
für den mit der Erstellung einer Steuererklärung
verbundenen Aufwand des Klägers gelten.
|
|
|
10
|
Der Kläger hält die
Zwangsgeldfestsetzung „infolge der Massesituation“ mit
dem FG für unverhältnismäßig.
|
|
|
11
|
II. Die Revision des FA ist begründet.
Das Urteil des FG verstößt gegen Bundesrecht (§ 118
Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO - ). Die angefochtene
Zwangsgeldfestsetzung gegen den Kläger ist
rechtmäßig; das FA hat das ihm eingeräumte Ermessen
in rechtlich nicht zu beanstandender Weise ausgeübt.
|
|
|
12
|
Gemäß § 328 Abs. 1 AO kann ein
Verwaltungsakt, der auf Vornahme einer Handlung gerichtet ist, mit
Zwangsmitteln (Zwangsgeld, Ersatzvornahme, unmittelbarer Zwang)
durchgesetzt werden. Damit ist der Finanzbehörde in einem
ersten Schritt eine Ermessensentscheidung abverlangt, ob sie ein
Zwangsmittel anwenden soll (Entschließungsermessen), und in
einem zweiten Schritt, welches der drei abschließend
aufgeführten Mittel sachgerecht ist (Auswahlermessen).
|
|
|
13
|
1. Mit der Aufhebung der Zwangsgeldfestsetzung
wegen mangelhafter Ermessensausübung des FA hat das FG die
Grenzen der ihm durch § 102 FGO eingeräumten
Überprüfungsbefugnis überschritten.
|
|
|
14
|
Eine Korrektur der Ermessensentscheidung ist
dem FG nur unter den Voraussetzungen des § 102 FGO erlaubt.
Danach prüft es, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens
überschritten wurden oder die Behörde von ihrem Ermessen
in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise
Gebrauch gemacht hat (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs vom
28.9.2011 VIII R 8/09, BFHE 235, 298, BStBl II 2012, 395 = SIS 12 07 35). Hinsichtlich dieser letztgenannten Alternative ist die
gerichtliche Prüfung darauf beschränkt, ob ein sog.
Ermessensfehlgebrauch vorliegt, die Ausübung des Ermessens
also rechtlich zu beanstanden ist. Hingegen ist das Gericht nicht
befugt, eine eigene Ermessensentscheidung zu treffen und diese an
die Stelle der behördlichen Ermessensentscheidung zu setzen
(Senatsurteil vom 28.9.2010 VII R 45/09, BFHE 231, 409, ZfZ 2011,
12 = SIS 10 40 57; vgl. Gräber/ von Groll,
Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 102 Rz 14).
|
|
|
15
|
Den Feststellungen des FG sind keine
Anhaltspunkte für einen Ermessensfehlgebrauch des FA zu
entnehmen. Da der Kläger die Zwangsgeldandrohungen hat
bestandskräftig werden lassen, könnten ohnehin nur solche
Umstände einen Ermessensfehler bei der Zwangsgeldfestsetzung
begründen, die nicht schon bei der Androhung des Zwangsgeldes
hätten berücksichtigt werden können und müssen.
Derartige Umstände, die ein Absehen von der Festsetzung der
Zwangsgelder geböten, sind nicht ersichtlich. Auch das FG
meint nicht, das FA habe seine Entscheidung aufgrund eines
unrichtigen oder unvollständigen Sachverhalts getroffen. Es
hält die Entscheidung vielmehr gerade wegen der auch dem FA
bekannten Sachlage, dass die Abgabe der geforderten
Erklärungen durch den Kläger mit hoher Wahrscheinlichkeit
keine steuerlichen Auswirkungen haben dürfte, für
verfehlt und unzweckmäßig. Damit beanstandet es die
Wertung der bei der Ermessensentscheidung zu
berücksichtigenden und vom FA auch berücksichtigten
Umstände und setzt im Ergebnis seine für richtiger
gehaltene Ermessensentscheidung, von der Festsetzung der
Zwangsgelder abzusehen, anstelle derjenigen des FA. Soweit aber
reicht die gerichtliche Kontrollkompetenz des § 102 FGO
nicht.
|
|
|
16
|
2. Das Urteil ist auch nicht im Ergebnis
richtig, so dass die Revision auch nicht deswegen
zurückzuweisen ist (vgl. § 126 Abs. 4 FGO).
|
|
|
17
|
Die Ausführungen des FG, insbesondere die
Formulierung, die Festsetzung von Zwangsgeldern stelle in
Anbetracht der Situation der Insolvenzschuldnerin ein ungeeignetes
Zwangsmittel dar, deuten darauf hin, dass es die
Zwangsgeldfestsetzungen im Streitfall für
unverhältnismäßig hält. Die Wahrung des
Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit jeglicher
belastenden behördlichen Maßnahme ist eine
Rechtspflicht, deren Einhaltung der uneingeschränkten
gerichtlichen Überprüfung unterliegt (vgl.
Senatsbeschluss vom 1.8.2005 VII B 97/04, BFH/NV 2005, 2255 = SIS 05 48 90; s. auch Senatsurteil vom 17.5.2011 VII R 40/10, BFHE 233,
567, ZfZ 2011, 247 = SIS 11 25 85).
|
|
|
18
|
Der Streitfall weist allerdings keine
Besonderheiten auf, die die Annahme rechtfertigen könnten, die
- regelmäßig zulässige und gebotene - Durchsetzung
der auch vom Insolvenzverwalter zu erfüllenden
Erklärungspflichten durch Festsetzung der bestandskräftig
angedrohten Zwangsgelder sei ausnahmsweise
unverhältnismäßig. Wie das FG zutreffend
ausgeführt hat, steht der Durchsetzung der steuerlichen
Pflichten des Insolvenzverwalters weder entgegen, dass
möglicherweise entstehende Kosten die Insolvenzmasse belasten,
obwohl keine steuerlichen Auswirkungen zu erwarten sind (vgl.
Senatsurteil vom 23.8.1994 VII R 143/92, BFHE 175, 309, BStBl II
1995, 194 = SIS 95 03 83), noch dass das FA die Möglichkeit
der Schätzung hätte wahrnehmen können (Senatsurteil
vom 13.2.1996 VII R 43/95, BFH/NV 1996, 530).
|
|
|
19
|
Im vorliegenden Fall hat das FA zudem
zutreffend darauf hingewiesen, dass die Erfüllung seiner
Erklärungspflichten für den Kläger schon deshalb
keinen unverhältnismäßigen Aufwand bedeutete, weil
er die dafür erforderlichen Vorarbeiten mit seinem
Schlussbericht gegenüber dem Insolvenzgericht bereits
geleistet habe und die Erstellung der sich daraus nach seinen
eigenen Angaben ergebenden
„Null-Erklärungen“ ihm als Rechtsanwalt
keine Schwierigkeit bereiten sollte.
|