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I. Die Klägerin und
Revisionsklägerin (Klägerin) betreibt eine Klinik, in der
sie im Streitjahr 2002 durch approbierte Ärzte vorwiegend
ästhetisch-chirurgische Maßnahmen wie Fettabsaugungen,
Gesichts-, Hals- und Augenlid-Straffungen sowie
Brustvergrößerungen, -verkleinerungen und -straffungen
durchführte. Sie ging davon aus, dass ihre Leistungen im
Zusammenhang mit diesen Operationen nach § 4 Nr. 14 des
Umsatzsteuergesetzes in der für das Streitjahr (2002)
geltenden Fassung (UStG) steuerfrei seien.
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Demgegenüber unterwarf der Beklagte
und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA - ) die Umsätze in
dem Umsatzsteuerbescheid vom 25.9.2003, geändert durch
Bescheid vom 6.9.2004, der Umsatzsteuer, indem er die
Vergütungen der Klägerin als Gegenleistungen behandelte
und einen Vorsteuerabzug berücksichtigte. Einspruch und Klage
zum Finanzgericht (FG) hatten keinen Erfolg.
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Nach dem in EFG 2012, 1783 = SIS 12 17 97
veröffentlichten Urteil des FG setze die Steuerfreiheit
voraus, dass die Diagnose einer Gesundheitsstörung vorliege,
ohne die keine Heilbehandlung gegeben sei. Hierzu genügten
nicht allgemeine Feststellungen zu Gesundheitsstörungen in
Fällen plastischer Operationen; vielmehr müsse in jedem
der Leistung zugrunde liegenden Fall konkret eine solche Diagnose
vorliegen. Hinzu müsse kommen, dass das Hauptziel der
Maßnahme die Beseitigung oder Behandlung der
Gesundheitsstörung sei. Liege daneben zumindest
gleichgewichtig der Zweck in einer rein ästhetischen
Maßnahme, reiche dies für die Steuerfreiheit nicht aus.
Für sämtliche Voraussetzungen trage die Klägerin die
objektive Beweislast, und zwar für jeden einzelnen Umsatz.
Dieser Nachweis werde nicht bereits durch die Einschätzung des
behandelnden Arztes erbracht. Auch die von der Klägerin
vorgelegten Parteigutachten hätten diesen Nachweis nicht
erbracht. Soweit die Gutachten lediglich allgemeine
Ausführungen zu Gesundheitsstörungen bei plastischen
Operationen enthielten, erfüllten sie nicht die
Voraussetzungen des Nachweises, dass diese Voraussetzungen auch in
jedem einem Umsatz zugrunde liegenden Einzelfall tatsächlich
vorgelegen hätten. Die Einzelfallgutachten des Dr. H seien
Parteivortrag und genügten nicht. Der Nachweis der
Steuerfreiheit ergebe sich auch nicht aus den Einzelgutachten des
Dr. H, denn selbst wenn die Diagnosen tatsächlich vorliegen
sollten, sei damit nicht ausgeschlossen, dass die ästhetische
Maßnahme nicht zumindest gleichwertiger Zweck der Leistung
gewesen sei. Das vom Gericht eingeholte Gutachten durch Frau Dr. M
führe zu dem Ergebnis, dass eine medizinische Indikation nur
in Ausnahmefällen vorliege. Das Gutachten habe begründet,
dass die von der Klägerin durchgeführten plastischen
Operationen nur in wenigen Ausnahmefällen der Heilung bzw.
Behandlung einer möglichen Gesundheitsstörung gedient
hätten. Dies gelte insbesondere für die von der
Klägerin hauptsächlich vorgetragenen psychischen
Störungen. Gleichermaßen habe die Gutachterin
festgestellt, dass eine Liposuktion grundsätzlich nicht der
Behandlung von Fettleibigkeit diene und dass es für
Softlifting keine medizinische Indikation gebe. Unter diesen
Umständen könne die Steuerbefreiung nur gewährt
werden, wenn die Voraussetzungen durch Einzelbegutachtungen
sämtlicher Leistungen nachgewiesen würden. Nach dem vom
Gericht eingeholten Gutachten sei es grundsätzlich
möglich, anhand der Patientendokumentationen auch im
Nachhinein noch eine Diagnose zu erstellen. Eine Begutachtung setze
im Hinblick auf § 203 des Strafgesetzbuchs (StGB) aber in
jedem Fall das Einverständnis des betroffenen Patienten
voraus. Der Nachweis der medizinischen Indikation könne nicht
durch die Begutachtung von anonymisierten Patientenunterlagen
erbracht werden, da diese Rückfragen des Gutachters
ausschlössen. Aufträge zur Einzelbegutachtung hätten
nicht erteilt werden können. Die Klägerin habe trotz
insoweit eindeutigen Hinweises des Gerichts keine
Einverständniserklärungen der betroffenen Patienten
vorgelegt. Eine weitere Sachverhaltsaufklärung sei nicht
möglich gewesen. Damit könne der Nachweis, dass das
Hauptziel dieser Maßnahmen die Beseitigung oder Behandlung
einer Gesundheitsstörung - im Sinne der Definition, wie sie
bisher von der Rechtsprechung vorgenommen wurde - war, nicht als
erbracht angesehen werden.
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Hiergegen wendet sich die Klägerin mit
ihrer Revision, die sie auf die Verletzung materiellen und
formellen Rechts stützt. Sie betreibe eine Fachklinik für
plastisch chirurgische Eingriffe und für Diagnostik,
Diätetik und Prävention. Durch ihre auf die plastische
Chirurgie spezialisierten Fachärzte habe sie ärztliche
Leistungen erbracht. Ihre Umsätze hätten sich zu ca. 43 %
auf Fettabsaugungen, zu ca. 26 % auf Softlifting, zu ca. 15 % auf
Augenlid-Operationen und zu ca. 8 % auf Brustveränderungen
bezogen. Das FG habe aufgrund der Mitwirkung der Berichterstatterin
bei der Urteilsfindung ihren Anspruch auf den gesetzlichen Richter
verletzt. Verletzt sei auch der Anspruch auf rechtliches
Gehör, da das FG Privatgutachten unzutreffend gewürdigt
habe. Ebenso habe das FG die Pflicht zur richterlichen
Sachaufklärung verletzt. Materiell-rechtlich habe das FG den
Begriff der Heilbehandlung verkannt. Zu berücksichtigen sei
die unterschiedliche Auslegung in den Mitgliedstaaten wie auch
durch die nationalen Finanzgerichte. Eine ärztliche Leistung
sei steuerfrei, wenn aus Sicht des behandelnden Arztes
medizinisch-vertretbar eine therapeutische Zielsetzung der
Behandlungsmaßnahme zum Schutze der menschlichen Gesundheit
im Sinne einer Vorbeugung, Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung
angenommen werde. Diese Feststellung sei vom behandelnden Arzt
unter Berücksichtigung der Rechtsprechung zu treffen.
Ärztliche Leistungen der ästhetisch-plastischen Chirurgie
seien steuerfrei, da bei ihnen die therapeutische Zielsetzung
regelmäßig im Vordergrund stehe. Hierfür spreche
auch die Klassifizierung der Weltgesundheitsorganisation.
Chirurgisch behandelte Patienten mit Übergewicht hielten
aufgrund von Fettabsaugungen (Liposuktion) ihr Gewicht besser und
hätten eine signifikant geringere Neigung zu Depressionen als
bei einer Gewichtsreduktion mittels Diät. Dies werde durch
eine sozialgerichtliche Entscheidung bestätigt.
Fettabsaugungen seien nach der ärztlichen Gebührenordnung
abrechenbar. Damit liege eine regelmäßige
Behandlungsfinanzierung durch die Sozialversicherungsträger
vor. Ihre Leistungen der ästhetisch-plastischen Chirurgie
hätten auch der Linderung oder Heilung von psychischen Leiden
und seelischen Beeinträchtigungen der Patienten gedient.
Maßgeblich sei die therapeutische Zielsetzung, nicht aber die
Art der Behandlung. Leistungen eines Psychotherapeuten und eines
ästhetisch-plastischen Chirurgen dürften nicht ungleich
behandelt werden. Es reiche aus, dass die ärztliche Leistung
zur Gesundheitsvorsorge erbracht werde. Nicht notwendig sei ein
Zusammenhang mit einer drohenden Krankheit. Maßgeblich sei
die Beurteilung durch den behandelnden Arzt. Anders sei es nur bei
offenkundigen Zweifeln an dessen Beurteilung. Hierfür trage
das FA die Feststellungslast. Zu berücksichtigen seien auch
Privatgutachten. Die Auffassung des FG erhöhe die Kosten der
Heilbehandlung. Der verantwortlich behandelnde Arzt für alle
Umsätze im Streitfall, Dr. He. habe in jedem Einzelfall die
medizinische Indikation geprüft und bejaht. Hieran
bestünden keine offenkundigen Zweifel. Bestätigt werde
dies durch die Privatgutachten von Dr. Bo. und Dr. Ha.,
insbesondere die Einzelgutachten des Dr. Ha. Für die
Steuerfreiheit ihrer Leistungen spreche auch die Rechtsprechung des
Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH). Maßgeblich
seien danach die Feststellungen des behandelnden Arztes. Eine
Mitursächlichkeit des therapeutischen Zwecks reiche aus. Das
FG sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass der therapeutische Zweck
Hauptziel der Behandlung sein müsse. Der behandelnde Arzt habe
im Streitfall in Übereinstimmung mit den Leitlinien der
Deutschen Gesellschaft für Ästhetische Chirurgie zur
Liposuktion (GÄCD-Leitlinien) gehandelt, die auch
sozialversicherungsrechtlich von Bedeutung seien. Zumindest sei
eine Vorlage an den EuGH erforderlich.
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Die Klägerin beantragt, den
Umsatzsteuerbescheid 2002 vom 25.9.2003 in Gestalt der
Einspruchsentscheidung vom 6.6.2007 unter Aufhebung des Urteils des
FG dahingehend zu ändern, dass die Veranlagung wie
erklärt mit der Maßgabe durchgeführt wird, dass die
streitigen Umsätze der Klägerin aus ärztlichen
Behandlungsleistungen der plastischen Chirurgie steuerfrei
behandelt werden.
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Das FA beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
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Das FG habe verfahrensfehlerfrei
entschieden. Es entspreche der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs
(BFH), dass eine Einzelbetrachtung erforderlich sei. Es lägen
keine hinreichenden Nachweise für eine Steuerfreiheit
vor.
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II. Die Revision der Klägerin ist
begründet. Das Urteil des FG ist aufzuheben und die Sache an
das FG zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der
Finanzgerichtsordnung - FGO - ). Zwar stehen die Anforderungen, die
das FG an das Vorliegen einer steuerfreien Heilbehandlungsleistung
gestellt hat, im Ergebnis in Übereinstimmung mit der
höchstrichterlichen Rechtsprechung. Das FG ist aber zu Unrecht
davon ausgegangen, dass es zu einer Beweiserhebung über die
von der Klägerin im Einzelfall erbrachten Leistungen nicht
verpflichtet war. Das FG hat insoweit die sich aus § 76 Abs. 1
Satz 1 und Satz 2 FGO ergebenden Verpflichtungen verkannt, was als
materiell-rechtlicher Fehler zur Aufhebung des Urteils und zur
Zurückverweisung an das FG führt. Im zweiten Rechtsgang
ist die bislang unterbliebene Beweiserhebung zu den von der
Klägerin im Einzelnen erbrachten Leistungen nachzuholen.
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1. Nach § 4 Nr. 14 UStG, der nach dem
Senatsurteil vom 18.8.2011 V R 27/10 (BFHE 235, 58, BFH/NV 2011,
2214 = SIS 11 34 08, unter II.2.c) auch auf
Heilbehandlungsleistungen der Klägerin anzuwenden ist, waren
steuerfrei „die Umsätze aus der Tätigkeit als
Arzt ... oder aus einer ähnlichen heilberuflichen
Tätigkeit im Sinne des § 18 Abs. 1 Nr. 1 des
Einkommensteuergesetzes“.
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a) Diese Vorschrift ist nach ständiger
BFH-Rechtsprechung entsprechend Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c der
Sechsten Richtlinie des Rates vom 17.5.1977 zur Harmonisierung der
Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern
77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG) auszulegen. Daher setzt die
Steuerfreiheit voraus, dass der Unternehmer eine Heilbehandlung im
Bereich der Humanmedizin durch ärztliche oder
arztähnliche Leistungen erbringt und die dafür
erforderliche Qualifikation besitzt (vgl. z.B. BFH-Urteil in BFHE
235, 58, BFH/NV 2011, 2214 = SIS 11 34 08, unter II.1.a). Da die
Begriffe der „Heilbehandlungen im Bereich der
Humanmedizin“ i.S. von Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c
der Richtlinie 77/388/EWG und der „ärztlichen
Heilbehandlung“ i.S. von Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. b
der Richtlinie 77/388/EWG vom EuGH gleichbedeutend sind
(EuGH-Urteil vom 21.3.2013 C-91/12, PFC Clinic, UR 2013, 335 = SIS 13 11 68, Rdnr. 24), ist bei der Auslegung des nationalen Rechts
die zu diesen beiden Bestimmungen ergangene Rechtsprechung des EuGH
zu berücksichtigen. Da es aufgrund der Neuregelungen durch die
Richtlinie des Rates vom 28.11.2006 über das gemeinsame
Mehrwertsteuersystem 2006/112/EG (MwStSystRL) zu keinen
inhaltlichen Änderungen gekommen ist, gilt dies auch für
die zu Art. 132 Abs. 1 Buchst. b und c der MwStSystRL ergangene
Rechtsprechung (EuGH-Urteil vom 10.6.2010, C-86/09, Future Health
Technologies Ltd, Slg. 2010, I-5215 = SIS 10 26 07, Rdnr. 27).
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b) Heilbehandlungen im Bereich der
Humanmedizin dienen danach der Diagnose, Behandlung und, soweit
möglich, der Heilung von Krankheiten oder
Gesundheitsstörungen. Sie müssen einen therapeutischen
Zweck haben. Hierzu gehören auch Leistungen zum Zweck der
Vorbeugung und zum Schutz einschließlich der
Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung der menschlichen
Gesundheit. „Ärztliche Leistungen“,
„Maßnahmen“ oder „medizinische
Eingriffe“ zu anderen Zwecken sind keine Heilbehandlungen
(vgl. z.B. BFH-Urteil in BFHE 235, 58, BFH/NV 2011, 2214 = SIS 11 34 08, unter II.1.b).
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c) Für den Bereich der sog.
Schönheitsoperationen hat der EuGH seine Rechtsprechung
dahingehend präzisiert, dass „ästhetische
Operationen und ästhetische Behandlungen ... unter den Begriff
‘ärztliche Heilbehandlungen’ oder
‘Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin’ [fallen]
..., wenn diese Leistungen dazu dienen, Krankheiten oder
Gesundheitsstörungen zu diagnostizieren, zu behandeln oder zu
heilen oder die Gesundheit zu schützen, aufrechtzuerhalten
oder wiederherzustellen“ (EuGH-Urteil PFC Clinic in UR
2013, 335 = SIS 13 11 68, Leitsatz erster Gedankenstrich). Die
Leistungen müssen „dazu dienen, Personen zu behandeln
oder zu heilen, bei denen aufgrund einer Krankheit, Verletzung oder
eines angeborenen körperlichen Mangels ein Eingriff
ästhetischer Natur erforderlich ist“ (EuGH-Urteil
PFC Clinic in UR 2013, 335 = SIS 13 11 68, Rdnr. 29). Dabei
können die gesundheitlichen Probleme, die zu einer
steuerfreien Heilbehandlung führen, auch
„psychologischer Art“ sein (EuGH-Urteil PFC
Clinic in UR 2013, 335 = SIS 13 11 68, Rdnr. 33). Erfolgt
„der Eingriff jedoch zu rein kosmetischen
Zwecken“, reicht dies nicht aus (EuGH-Urteil PFC Clinic
in UR 2013, 335 = SIS 13 11 68, Rdnr. 29). Im Übrigen ist die
„rein subjektive Vorstellung, die die Person, die sich
einem ästhetischen Eingriff unterzieht, von diesem Eingriff
hat, ... als solche für die Beurteilung, ob der Eingriff einem
therapeutischen Zweck dient, nicht maßgeblich“
(EuGH-Urteil PFC Clinic in UR 2013, 335 = SIS 13 11 68, Leitsatz
zweiter Gedankenstrich). Von Bedeutung ist demgegenüber, dass
die Leistungen „von einer Person erbracht werden, die zur
Ausübung eines Heilberufs zugelassen ist, oder dass der Zweck
des Eingriffs von einer solchen Person bestimmt wird“
(EuGH-Urteil PFC Clinic in UR 2013, 335 = SIS 13 11 68, Leitsatz
dritter Gedankenstrich). Denn die Beurteilung medizinischer Fragen
„muss ... auf medizinischen Feststellungen beruhen, die
von dem entsprechenden Fachpersonal getroffen worden
sind“ (EuGH-Urteil PFC Clinic in UR 2013, 335 = SIS 13 11 68, Rdnr. 35).
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Nichts anderes ergibt sich aus der bisherigen
Rechtsprechung des erkennenden Senats, nach der als Heilbehandlung
nur die Tätigkeiten steuerfrei sind, die zum Zweck der
Vorbeugung, der Diagnose, der Behandlung und, soweit möglich,
der Heilung von Krankheiten oder Gesundheitsstörungen für
bestimmte Patienten ausgeführt werden, so dass eine
ärztliche Leistung, die in einem Zusammenhang erbracht wird,
der die Feststellung zulässt, dass ihr Hauptziel nicht der
Schutz der Gesundheit ist, nicht steuerfrei ist und es daher
für die Umsatzsteuerfreiheit von Schönheitsoperationen
nicht ausreicht, dass die Operationen nur von einem Arzt
ausgeführt werden können, sondern es vielmehr
erforderlich ist, dass auch derartige Operationen dem Schutz der
menschlichen Gesundheit dienen, womit es nicht zu vereinbaren ist,
Leistungen der Schönheitschirurgen ohne Rücksicht auf
ihre medizinische Indikation als steuerfrei zu behandeln (vgl.
zuletzt BFH-Urteil vom 7.10.2010 V R 17/09, BFH/NV 2011, 865 = SIS 11 13 05, unter II.3.b). Unter Berücksichtigung des
EuGH-Urteils PFC Clinic in UR 2013, 335 = SIS 13 11 68 bestehen an
der Auslegung des Unionsrechts keine Zweifel, die eine Vorlage an
den EuGH erforderlich machen.
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2. Die nach der EuGH-Rechtsprechung
erforderliche Feststellung, welche Zwecke mit ärztlichen
Leistungen verfolgt werden, ist in vielen Fällen, bei denen
sich die Zielsetzung bereits aus der Leistung selbst ergibt,
unproblematisch. Anders ist es im Bereich
ästhetisch-chirurgischer Maßnahmen, die sowohl
Heilbehandlungszwecken als auch bloßen kosmetischen Zwecken
dienen können. Im Bereich der ästhetisch-chirurgischen
Maßnahmen kommt es daher auf eine Einzelprüfung an.
Diese ist entgegen dem Urteil des FG unter
größtmöglicher Wahrung des zwischen Arzt und
Patient bestehenden Vertrauensverhältnisses und damit auf der
Grundlage anonymisierter Patientenunterlagen vorzunehmen. Daher
kommt es für die im finanzgerichtlichen Verfahren
erforderliche Beweiserhebung entgegen dem Urteil des FG nicht auf
Einwilligungserklärungen der Patienten zur Vermeidung einer
unbefugten Geheimnisoffenbarung i.S. von § 203 Abs. 1 Nr. 1
StGB an.
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a) Bei der Sachverhaltsaufklärung im
finanzgerichtlichen Verfahren sind gemäß § 84 Abs.
1 FGO i.V.m. §§ 101 bis 103 der Abgabenordnung (AO) die
dort bezeichneten Zeugnisverweigerungsrechte zu beachten. Die
Auskunft können danach insbesondere Ärzte verweigern,
soweit es um das geht, was ihnen in dieser Eigenschaft anvertraut
oder bekannt geworden ist (§ 102 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. c AO).
Das Auskunftsverweigerungsrecht erstreckt sich nach der
BFH-Rechtsprechung bei Rechtsanwälten und Steuerberatern auf
Identität des Mandanten und die Tatsache seiner Beratung
(BFH-Urteile vom 14.5.2002 IX R 31/00, BFHE 198, 319, BStBl II
2002, 712 = SIS 02 84 97, und vom 8.4.2008 VIII R 61/06, BFHE 220,
313, BStBl II 2009, 579 = SIS 08 24 21) und dementsprechend bei
Ärzten auf die Identität des Patienten und die Tatsache
seiner Behandlung (vgl. auch Urteil des Bundesgerichtshofs vom
20.2.1985 2 StR 561/84, BGHSt 33, 148).
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Daher braucht z.B. ein Steuerberater
Postausgangsbücher oder Fahrtenbücher insoweit nicht
vorzulegen, als sich aus ihnen Namen von Mandanten ergeben
(BFH-Urteil in BFHE 198, 319, BStBl II 2002, 712 = SIS 02 84 97).
Dem Schutz des Vertrauensverhältnisses zwischen z.B. Arzt und
Patient steht es aber nicht entgegen, wenn anonymisierte Unterlagen
für Zwecke der gerichtlichen Sachaufklärung verwertet
werden (BFH-Urteil in BFHE 198, 319, BStBl II 2002, 712 = SIS 02 84 97).
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Der durch § 84 Abs. 1 FGO i.V.m. §
102 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. c AO gewährleistete Schutz des
Vertrauensverhältnisses zwischen Arzt und Patient steht auch
einem Benennungsverlangen entgegen, mit dem Name und Anschrift der
behandelten Patienten ermittelt werden sollen, um diese als Zeugen
zu vernehmen.
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b) Ist es aufgrund des gesetzlich
geschützten Vertrauensverhältnisses zwischen Arzt und
Patient möglich, anonymisierte Unterlagen zu Patient und
Behandlung für die Prüfung zu berücksichtigen, ob
die Voraussetzungen für die Steuerfreiheit einer
Heilbehandlungsleistung vorliegen, muss das FG den Sachverhalt
aufklären und ist nicht berechtigt, den Streitfall nach
Maßgabe der Feststellungslast zu entscheiden.
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Nach der Rechtsprechung des BFH hat das FG vor
einer Anwendung der Regeln über die Feststellungslast zu
erwägen, ob das im konkreten Einzelfall für die
richterliche Überzeugungsbildung erforderliche, aber auch
ausreichende Beweismaß gegenüber dem
Regelbeweismaß zu reduzieren ist. Das Beweismaß kann
sich dabei auf eine „größtmögliche
Wahrscheinlichkeit“ verringern. Dies gilt nicht nur, wenn
gerichtliche Versuche zur Sachaufklärung erfolglos bleiben,
weil ein Beteiligter, der über eine besondere Beweisnähe
verfügt, die ihm zumutbare Mitwirkung an der
Sachaufklärung (§ 76 Abs. 1 Satz 3 FGO) verweigert
(BFH-Urteil vom 23.3.2011 X R 44/09, BFHE 233, 297, BStBl II 2011,
884 = SIS 11 23 90), sondern auch, wenn die
Sachverhaltsaufklärung - wie im Streitfall - im Hinblick auf
den gesetzlichen Schutz des Arzt-Patientenverhältnisses nicht
in der eigentlich gebotenen Weise durchgeführt werden
kann.
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Es kommt dann in gesteigertem Maße auf
ein das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient
wahrendes Zusammenwirken von FG und den Beteiligten an. Daraus
folgt, dass zumutbarer Inhalt und Intensität der richterlichen
Ermittlung im Zusammenhang mit dem Vorbringen der Beteiligten
stehen. Je intensiver sich die Mitwirkung der Beteiligten
gestaltet, umso stärker ist das FG gehalten, deren Vorbringen
zu untersuchen. Je weniger die Beteiligten andererseits ihrer
Mitwirkungspflicht nachkommen, umso weniger Möglichkeiten zur
Sachverhaltsaufklärung hat in der Regel auch das Gericht, so
dass sich die Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung mindert. Die
Pflicht des Gerichts zur Aufklärung des Sachverhalts von Amts
wegen wird so durch die Mitwirkungspflicht der Beteiligten begrenzt
(Thürmer in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 76 FGO Rz
116, m.w.N. zur Rechtsprechung des BFH).
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3. Danach ist das Urteil des FG aufzuheben.
Das FG ist zu Unrecht davon ausgegangen, dass es zu einer
Sachverhaltserforschung in Bezug auf die einzelnen
Behandlungsfälle nur dann verpflichtet gewesen wäre, wenn
die Patienten der Klägerin in die Offenbarung der zum
persönlichen Lebensbereich gehörenden
Behandlungsgeheimnisse einwilligen, da ansonsten eine Verletzung
von § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB vorläge. Demgegenüber
ist eine Sachverhaltsaufklärung in Bezug auf die einzelnen
Behandlungsfälle auf der Grundlage anonymisierter
Patientenunterlagen notwendig und möglich.
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4. Für das weitere Verfahren weist der
Senat vorsorglich auf Folgendes hin:
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a) Die im Streitfall gebotene Mitwirkung (s.
oben II.2.b) erfordert detaillierte Angaben zu der mit dem
jeweiligen Behandlungsfall verfolgten therapeutischen oder
prophylaktischen Zielsetzung. Hierfür ist es erforderlich,
für den jeweiligen Behandlungsfall die Tatsachen zur konkreten
Krankheit, Verletzung oder Beeinträchtigung anzugeben, die im
Sinne der EuGH-Rechtsprechung einen Eingriff ästhetischer
Natur im jeweiligen Einzelfall „erforderlich“
macht (EuGH-Urteil PFC Clinic in UR 2013, 335 = SIS 13 11 68 Rdnr.
29). Dies gilt insbesondere für die Erforderlichkeit
derartiger Eingriffe bei gesundheitlichen Problemen psychologischer
Art. Soweit die von der Klägerin vorgelegte Dokumentation
über die einzelnen Behandlungsfälle dem nicht
genügt, ist ihr Gelegenheit zu weitergehenden
Präzisierungen zu geben.
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Es ist dann auf der Grundlage derartiger, nach
Name und Anschrift des jeweiligen Patienten anonymisierten
Unterlagen Beweis durch Sachverständigengutachten über
die einzelnen Behandlungsfälle zu erheben. Dabei besteht keine
Bindung an die Beurteilung durch die Klägerin und das für
sie tätige ärztliche Personal. Erst wenn die von der
Klägerin anonymisiert beizubringenden Angaben nicht
ausreichen, um den Heilbehandlungscharakter nachzuweisen, ist
über die Steuerfreiheit nach Maßgabe der
Feststellungslast zu entscheiden, die im Streitfall die
Klägerin trifft, die die Steuerfreiheit geltend macht (vgl.
BFH-Urteil in BFHE 198, 319, BStBl II 2002, 712 = SIS 02 84 97).
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b) Am Urteil des FG hat entgegen der
Auffassung der Klägerin kein kraft Gesetzes ausgeschlossener
Richter mitgewirkt. Gemäß § 51 Abs. 2 FGO ist von
der Ausübung des Amtes als Richter auch ausgeschlossen, wer
bei dem vorausgegangenen Verwaltungsverfahren mitgewirkt hat. Aus
der dienstlichen Äußerung der Richterin X vom 27.5.2013
ergibt sich, dass sie bereits seit Juni 1995 - zunächst im
Wege der Abordnung - am FG tätig war. Eine Mitwirkung an dem
die Umsatzsteuerfestsetzung 2002 betreffenden Verwaltungsverfahren
ist damit ausgeschlossen.
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c) Auf die weiteren Verfahrensrügen kam
es nicht mehr an.
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