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Abweichende Steuerfestsetzung aus sachlichen Billigkeitsgründen wegen des Ausfalls von Rentenzahlungen

Abweichende Steuerfestsetzung aus sachlichen Billigkeitsgründen wegen des Ausfalls von Rentenzahlungen: Wird für eine von Todes wegen erworbene Leibrente nach § 23 Abs. 1 ErbStG die jährliche Besteuerung des Jahreswerts gewählt und fallen die Rentenzahlungen später wegen der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung des Verpflichteten aus, kann eine abweichende Festsetzung der Erbschaftsteuer für die Ablösung der Jahressteuer nach § 23 Abs. 2 ErbStG i.V.m. § 163 Satz 1 AO gerechtfertigt sein, wenn der Rentenberechtigte als Erwerber den Antrag auf Ablösung der Jahressteuer erst lange Zeit nach Beginn des Zahlungsausfalls stellt und nicht damit zu rechnen ist, dass er weitere Rentenzahlungen erhalten wird. Entscheidend sind jeweils die Umstände des Einzelfalls. - Urt.; BFH 22.10.2014, II R 4/14; SIS 14 32 12

Kapitel:
Verschiedenes > Billigkeitsmaßnahmen
Fundstellen
  1. BFH 22.10.2014, II R 4/14
    BStBl 2015 II S. 237
    BFHE 247 S. 170
    BFH/NV 2015 S. 116

    Anmerkungen:
    zur Veröffentlichung in BStBl II bestimmt nach BMF-Online vom 18.2.2015
    A.P. in BFH/PR 2/2015 S. 63
    Ch.M.H. in HFR 3/2015 S. 262
Normen
[BewG] § 13, § 14
[ErbStG] § 11, § 12, § 23
[AO 1977] § 163
[FGO] § 101, § 102
[BewG 1980] § 14
Vorinstanz / Folgeinstanz:
  • vor: FG Münster, 18.12.2013, SIS 14 09 93, Erbschaftsteuer, Erlass, Unbilligkeit, Ermessen
Zitiert in... / geändert durch...
  • Hessisches FG 27.1.2022, SIS 22 06 53, Berücksichtigung der Pro-Kopf-Betrachtung bei mittelbarer Anteilsvereinigung allenfalls im Rahmen des nic...
  • Gleich lautende Erlasse der obersten Finanzbehörden der Länder 30.12.2021, SIS 22 01 13, Billigkeitsmaßnahmen im Zusammenhang mit der Summe der maßgebenden jährlichen Lohnsummen nach § 13 a Abs....
  • FG Düsseldorf 30.6.2021, SIS 22 09 79, Abweichende Festsetzung der Erbschaftsteuer aus Billigkeitsgründen: 1. Die auf den Nachlassanteil eines M...
  • FG Düsseldorf 25.3.2021, SIS 21 09 51, Grunderwerbsteuer, Vertrauensschutz bei Rechtsprechungsänderung, mittelbare Anteilsvereinigung bei Zwisch...
  • FG Bremen 16.12.2020, SIS 21 03 00, Grunderwerbsteuer bei Verschmelzung von zuvor nicht aneinander beteiligten Genossenschaften nach vorangeg...
  • FG Nürnberg 27.10.2020, SIS 21 07 58, Vorsteuerabzug aus widerrufenen Gutschriften, Wirksamkeit von Widerrufserklärungen: 1. Aus einer Gutschri...
  • FG Köln 23.9.2020, SIS 21 09 66, Örtliche Zuständigkeit für den Billigkeitserlass von zurückgefordertem Kindergeld: 1. Eine Klage ist gemä...
  • BFH 22.7.2020, SIS 21 05 32, Keine Steueranrechnung im Billigkeitswege wegen Aufgabe der Rechtsprechung zur "Überprogression": Die Nic...
  • FG Köln 5.9.2018, SIS 19 01 40, Keine Billigkeitsmaßnahme hinsichtlich vortragsfähiger Verluste aus Spekulationsgeschäften im Jahr 2001: ...
  • FG Düsseldorf 22.6.2018, SIS 22 09 76, Abweichende Zinsfestsetzung auf Umsatzsteuernachforderungen aus Billigkeitsgründen, Liquiditätsvorteil be...
  • BFH 17.4.2018, SIS 18 10 56, Keine Übertragung eines für den Erblasser festgestellten Verlustvortrags zum 31.12.2009 auf die Erben aus...
  • FG Nürnberg 18.1.2018, SIS 18 05 37, Grunderwerbsteuerbefreiung bei Aufteilung eines einer Gesamthand gehörenden Grundstücks durch die Gesamth...
  • Hessisches FG 25.9.2017, SIS 17 24 91, Europarechtswidrigkeit des in § 27 Abs. 8 KStG vorgesehenen Antragsverfahrens zur gesonderten Feststellun...
  • BFH 30.8.2017, SIS 17 19 23, Keine Billigkeitsmaßnahmen bei der Schenkungsteuer wegen nachträglicher Wertminderungen: Eine nach der En...
  • BFH 12.7.2017, SIS 17 14 29, Abweichende Steuerfestsetzung bei außergewöhnlichen Belastungen: 1. Aufwendungen i.S. des § 33 Abs. 1 ESt...
  • BFH 23.2.2017, SIS 17 08 59, Erlass von Steuern aus Billigkeitsgründen: Begehrt ein Steuerpflichtiger, der an mehreren Personengesells...
  • BFH 28.11.2016, SIS 16 28 03, Steuererlass aus Billigkeitsgründen nach dem sog. Sanierungserlass des BMF: Mit dem unter den Voraussetzu...
  • FG München 22.11.2016, SIS 17 01 27, Verfahren zur Feststellung einer Einlagenrückgewähr von Kapitalgesellschaften aus einem EU-Mitgliedsstaat...
  • FG Baden-Württemberg 21.4.2015, SIS 15 25 39, Kein Billigkeitserlass bei verzögerter Eintragung des Gewinnabführungsvertrags in das Handelsregister auf...
  • FG Münster 19.3.2015, SIS 15 12 18, Wertfeststellung eines bereits von der Erblasserin gekündigten Kommanditanteils bei Abfindung der Erben m...

 

1

I. Die im Jahr 1936 geborene Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) erhielt aufgrund eines Vermächtnisses ihres 1980 verstorbenen Lebensgefährten (L) einen Betrag von ... DM sowie eine wertgesicherte Leibrente von anfangs monatlich 8.000 DM.

 

 

2

Mit dem Vermächtnis waren der Sohn (S) und die Tochter (T) des L als Erben beschwert. Nach Abschluss eines wegen des Vermächtnisses geführten Rechtsstreits zwischen der Klägerin und den Erben wurde T zu Lasten des S aus der Vermächtnisverpflichtung entlassen. S stellte eine Bankbürgschaft in Höhe von 1 Mio. DM.

 

 

3

Die Klägerin beantragte beim Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt - FA - ), die Rente nach § 23 Abs. 1 des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes (ErbStG) in der für 1980 geltenden Fassung mit dem Jahreswert zu besteuern. Das FA setzte mit Bescheid vom 22.9.1982 eine jährliche Erbschaftsteuer für die Rente in Höhe von 48.000 DM fest. Die Klägerin entrichtete die jeweils am 28. Februar/1. März fällige Jahressteuer.

 

 

4

In den Jahren 1997/1998 wurde S zahlungsunfähig. Die Rentenzahlungen an die Klägerin wurden bis einschließlich Mai 2005 aus der Bankbürgschaft geleistet. Für die Zeit ab Juni 2005 erhielt sie wegen der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung des S keine Rentenzahlungen mehr.

 

 

5

Am 8.12.2010 beantragte die Klägerin beim FA, die Jahressteuer nach § 23 Abs. 2 ErbStG abzulösen und wegen des Vermögensverfalls des S die Erbschaftsteuer für die Ablösung des Jahresbetrags mit 0 EUR anzusetzen. Das FA lehnte mit Bescheid vom 2.9.2011 eine Steuerfestsetzung mit 0 EUR ab und setzte zugleich die für die Ablösung zu entrichtende Erbschaftsteuer auf 186.912 EUR fest.

 

 

6

Einspruch und Klage, mit denen die Klägerin weiterhin eine abweichende Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen nach § 163 Satz 1 der Abgabenordnung (AO) begehrte, blieben ohne Erfolg. Das Urteil des Finanzgerichts (FG) ist in EFG 2014, 728 = SIS 14 09 93 veröffentlicht.

 

 

7

Mit der Revision rügt die Klägerin die Verletzung von § 163 AO i.V.m. § 23 Abs. 2 ErbStG.

 

 

8

Die Klägerin beantragt, die Vorentscheidung sowie die Einspruchsentscheidung vom 28.8.2012 und den Ablehnungsbescheid vom 2.9.2011 aufzuheben und das FA zu verpflichten, die Erbschaftsteuer für die Ablösung der Jahressteuer nach § 163 Satz 1 AO auf 0 EUR festzusetzen, hilfsweise einen eventuell festzusetzenden Ablösebetrag aus persönlichen Billigkeitsgründen nach § 227 AO zu erlassen.

 

 

9

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

 

10

II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung, der Einspruchsentscheidung und des Ablehnungsbescheids sowie zur Verpflichtung des FA, die Erbschaftsteuer für die Ablösung der Jahressteuer auf 0 EUR festzusetzen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO - ). Die Ablehnung einer abweichenden Festsetzung der Erbschaftsteuer für die Ablösung der Jahressteuer durch das FA ist entgegen der Auffassung des FG ermessensfehlerhaft. Die Klägerin hat im Hinblick auf die besonderen Umstände des Streitfalls einen Anspruch auf eine abweichende Steuerfestsetzung aus sachlichen Billigkeitsgründen auf 0 EUR.

 

 

11

1. Nach § 163 Satz 1 AO können Steuern niedriger festgesetzt werden und einzelne Besteuerungsgrundlagen bei der Festsetzung der Steuern unberücksichtigt bleiben, wenn die Erhebung der Steuer nach Lage des einzelnen Falls unbillig wäre.

 

 

12

a) Der Zweck des § 163 AO liegt darin, sachlichen und persönlichen Besonderheiten des Einzelfalls, die der Gesetzgeber in der Besteuerungsnorm nicht berücksichtigt hat, durch eine nicht den Steuerbescheid selbst ändernde Korrektur des Steuerbetrags insoweit Rechnung zu tragen, als sie die steuerliche Belastung als unbillig erscheinen lassen (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 17.4.2013 II R 13/11, BFH/NV 2013, 1383 = SIS 13 21 83, m.w.N.).

 

 

13

b) Die Entscheidung über die abweichende Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen ist eine Ermessensentscheidung der Finanzverwaltung (§ 5 AO), die gemäß § 102 FGO ggf. i.V.m. § 121 Satz 1 FGO nur eingeschränkter gerichtlicher Nachprüfung unterliegt (Beschluss des Gemeinsamen Senats der Obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 19.10.1971 GmS-OGB 3/70, BFHE 105, 101, BStBl II 1972, 603 = SIS 72 03 54). Stellt das Gericht eine Ermessensüberschreitung oder einen Ermessensfehler fest, ist es grundsätzlich auf die Aufhebung der angefochtenen Verwaltungsentscheidung beschränkt. Nur wenn der Ermessensspielraum im konkreten Fall derart eingeengt ist, dass nur eine einzige Entscheidung als ermessensgerecht in Betracht kommt (sog. Ermessensreduzierung auf Null), ist es befugt, seine Entscheidung an die Stelle der Ermessensentscheidung der Verwaltungsbehörde zu setzen und nach § 101 Satz 1 FGO eine Verpflichtung zum Erlass auszusprechen (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Urteile vom 24.8.2011 I R 87/10, BFH/NV 2012, 161 = SIS 12 00 07; vom 21.8.2012 IX R 39/10, BFH/NV 2013, 11 = SIS 12 32 75; in BFH/NV 2013, 1383 = SIS 13 21 83).

 

 

14

c) Sachlich unbillig ist die Festsetzung einer Steuer, wenn sie zwar äußerlich dem Gesetz entspricht, aber den Wertungen des Gesetzgebers im konkreten Fall derart zuwiderläuft, dass die Erhebung der Steuer als unbillig erscheint. So verhält es sich, wenn nach dem erklärten oder mutmaßlichen Willen des Gesetzgebers angenommen werden kann, dass der Gesetzgeber die im Billigkeitswege zu entscheidende Frage - wenn er sie als regelungsbedürftig erkannt hätte - im Sinne der beabsichtigten Billigkeitsmaßnahme entschieden hätte (vgl. BFH-Urteile in BFH/NV 2013, 11 = SIS 12 32 75, Rz 14, und in BFH/NV 2013, 1383 = SIS 13 21 83, Rz 13).

 

 

15

Eine Billigkeitsentscheidung darf jedoch nicht dazu führen, die generelle Geltungsanordnung des den Steueranspruch begründenden Gesetzes zu unterlaufen. Sie darf nicht die Wertung des Gesetzes durchbrechen oder korrigieren, sondern nur einem ungewollten Überhang des gesetzlichen Steuertatbestandes abhelfen (vgl. BFH-Urteile in BFH/NV 2013, 11 = SIS 12 32 75, Rz 15, und vom 19.6.2013 II R 10/12, BFHE 241, 402, BStBl II 2013, 746 = SIS 13 20 51, Rz 37, m.w.N.).

 

 

16

2. Wird für eine von Todes wegen erworbene Leibrente nach § 23 Abs. 1 ErbStG die jährliche Besteuerung des Jahreswerts gewählt und fallen die Rentenzahlungen später wegen der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung des Verpflichteten aus, kann eine abweichende Festsetzung der Erbschaftsteuer für die Ablösung der Jahressteuer nach § 23 Abs. 2 ErbStG i.V.m. § 163 Satz 1 AO gerechtfertigt sein, wenn der Rentenberechtigte als Erwerber den Antrag auf Ablösung der Jahressteuer erst lange Zeit nach Beginn des Zahlungsausfalls stellt und nicht damit zu rechnen ist, dass er weitere Rentenzahlungen erhalten wird. Entscheidend sind jeweils die Umstände des Einzelfalls.

 

 

17

a) Steuern, die von dem Kapitalwert von Renten oder anderen wiederkehrenden Nutzungen oder Leistungen zu entrichten sind, können nach Wahl des Erwerbers statt vom Kapitalwert jährlich im Voraus von dem Jahreswert entrichtet werden (§ 23 Abs. 1 Satz 1 ErbStG). Hat der Erwerber die Jahresversteuerung gewählt, hat er nach § 23 Abs. 2 Satz 1 ErbStG das Recht, die Jahressteuer zum jeweils nächsten Fälligkeitstermin mit ihrem Kapitalwert abzulösen. Für die Ermittlung des Kapitalwerts im Ablösungszeitpunkt sind die Vorschriften der §§ 13 und 14 des Bewertungsgesetzes (BewG) anzuwenden (§ 23 Abs. 2 Satz 2 ErbStG).

 

 

18

b) Die Erbschaftsteuer für die Ablösung nach § 23 Abs. 2 ErbStG ist in Höhe des Kapitalwerts der Jahressteuer in einem gesonderten Bescheid festzusetzen. Auf diesen Bescheid sind die für die Steuerfestsetzung geltenden Vorschriften anwendbar (vgl. Jülicher in Troll/Gebel/Jülicher, ErbStG, § 23 Rz 32; Jüptner, in Fischer/Jüptner/Pahlke/Wachter, ErbStG, 5. Auflage § 23 Rz 72). Damit ist auch im Rahmen des § 23 Abs. 2 ErbStG eine abweichende Steuerfestsetzung nach § 163 AO möglich.

 

 

19

c) Beim Erwerb einer Leibrente von Todes wegen ist deren Wert nach den Verhältnissen vom Todestag des Erblassers zu ermitteln. Das gilt auch für den Fall, dass der Erwerber die Jahresversteuerung gewählt hat (vgl. BFH-Urteil vom 8.6.1977 II R 79/69, BFHE 128, 72, BStBl II 1979, 562 = SIS 79 02 84).

 

 

20

aa) Die Erbschaftsteuer entsteht bei Erwerben von Todes wegen nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG mit dem Tode des Erblassers. Der Zeitpunkt der Entstehung der Steuer ist, soweit im ErbStG nichts anderes bestimmt ist, nach § 11 ErbStG auch für die Wertermittlung maßgebend (sog. Stichtagsprinzip).

 

 

21

Die Wertermittlung nach § 11 ErbStG stellt eine Momentaufnahme dar und nicht das Ergebnis einer dynamischen Betrachtung, mit der sich auch die weitere wertmäßige Entwicklung des Erwerbs nach dem Zeitpunkt der Steuerentstehung erfassen ließe. Nachträglich eingetretene Umstände können deshalb grundsätzlich nicht bei der Festsetzung der Steuer berücksichtigt werden (vgl. BFH-Urteil vom 2.3.2006 II R 57/04, BFH/NV 2006, 1480 = SIS 06 30 62, m.w.N.).

 

 

22

bb) Die Besteuerung geht bei einer von Todes wegen erworbenen Leibrente davon aus, dass der Erwerber als Berechtigter die Rente bis zu seinem Ableben erhält. Wählt der Erwerber die Besteuerung nach dem Jahreswert der Rente gemäß § 23 Abs. 1 ErbStG, muss er die Jahressteuer grundsätzlich in unveränderter Höhe bis zu seinem Ableben entrichten (vgl. BFH-Urteil in BFHE 128, 72, BStBl II 1979, 562 = SIS 79 02 84). Wählt der Erwerber nicht die Jahresversteuerung, wird der Kapitalwert der Rente auf den Todeszeitpunkt des Erblassers unter Berücksichtigung des vollendeten Lebensalters des Berechtigten ermittelt und besteuert (§ 12 Abs. 1 ErbStG, § 14 Abs. 1 BewG in der für 1980 geltenden Fassung i.V.m. Anlage 9 zu § 14 BewG a.F.); umso jünger der Rentenberechtigte zum Zeitpunkt des Ablebens des Erblassers ist, umso höher ist der Kapitalwert der lebenslänglichen Rente. Diese Besteuerung kann dazu führen, dass der Rentenberechtigte nicht über genügend liquide Mittel zur Begleichung der anfallenden Erbschaftsteuer verfügt. Nach dem Tod des Erblassers eintretende Leistungsstörungen werden erbschaftsteuerrechtlich nicht berücksichtigt, soweit nicht ein Fall des § 14 Abs. 2 BewG vorliegt.

 

 

23

d) Das im Erbschaftsteuerrecht geltende Stichtagsprinzip (vgl. § 11 ErbStG) schließt es jedoch nicht generell aus, dass im Einzelfall nachträglich eintretende Umstände eine abweichende Steuerfestsetzung aus sachlichen Billigkeitsgründen nach § 163 Satz 1 AO rechtfertigen können. Im Zusammenhang mit der Besteuerung einer von Todes wegen erworbenen Leibrente nach § 23 Abs. 1 ErbStG kann eine sachliche Unbilligkeit dadurch eintreten, dass die Besteuerung an die lebenslängliche Leistung der Rente anknüpft und die Rentenzahlungen tatsächlich aufgrund von Umständen entfallen, die der Rentenberechtigte nicht zu vertreten hat. Insoweit kommt es zu einem ungewollten Überhang des Steuertatbestandes, weil der Rentenberechtigte zwar keine Zahlungen mehr erhält, aber weiterhin bis zu seinem Ableben nach § 23 Abs. 1 ErbStG die Jahressteuer für eine lebenslängliche Rente zu entrichten hat.

 

 

24

In der Literatur wird für Fälle, in denen der Verpflichtete wegen Insolvenz keine Rentenzahlungen mehr an den Berechtigten leistet, ebenfalls ein Erlass der Erbschaftsteuer befürwortet (vgl. Schuck in Viskorf/Knobel/Schuck/Wälzholz, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, Bewertungsgesetz, 4. Aufl., § 23 ErbStG Rz 7; Jüptner, a.a.O., § 23 Rz 33; Eisele in Kapp/Ebeling, § 23 ErbStG, Rz 16; Meincke, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, Kommentar, 16. Aufl., § 23 Rz 9; Weinmann in Moench/Weinmann, § 23 ErbStG Rz 26).

 

 

25

e) Entfällt die Zahlung einer Leibrente wegen der Zahlungsunfähigkeit des Verpflichteten, spricht auch die mangelnde Verwertbarkeit des Rentenstammrechts für eine abweichende Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen.

 

 

26

Unter einer Leibrente (vgl. § 759 des Bürgerlichen Gesetzbuchs) ist ein einheitliches nutzbares Recht zu verstehen, das dem Berechtigten für die Lebensdauer eines Menschen eingeräumt ist und dessen Erträge aus fortlaufend wiederkehrenden gleichmäßigen Leistungen in Geld oder vertretbaren Sachen bestehen (vgl. Urteil des Bundesgerichtshofs vom 13.3.1980 III ZR 179/78, HFR 1981, 128).

 

 

27

Der Berechtigte kann den erworbenen Rentenanspruch nach dem Erwerb regelmäßig nicht durch einen Verkauf verwerten. Das Rentenstammrecht ist im Zweifel nicht übertragbar (Palandt/ Sprau, Bürgerliches Gesetzbuch, 73. Aufl., § 759 Rz 7a). Ein Markt für derartige Rentenansprüche ist nicht ersichtlich. Der Erwerber einer Leibrente ist vielmehr darauf angewiesen, dass die Rente auch tatsächlich für die gesamte Lebensdauer entrichtet wird. Insoweit unterscheidet sich der Anspruch auf eine Leibrente grundlegend von einem anderen Vermögensgegenstand, der ohne weiteres veräußert werden kann und bei dem der Erwerber zumindest die Möglichkeit hat, den Wert bei Gefahr einer drohenden Vermögensminderung zu realisieren.

 

 

28

3. Die auf anderen Rechtsgrundsätzen beruhende Vorentscheidung war aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. Der Ablehnungsbescheid und die dazu ergangene Einspruchsentscheidung des FA sind ebenfalls aufzuheben. Das FA hat die von der Klägerin begehrte, von § 23 Abs. 2 ErbStG abweichende Steuerfestsetzung ermessensfehlerhaft abgelehnt. Unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des Streitfalls ist es sachlich unbillig, Erbschaftsteuer für die im Dezember 2010 beantragte Ablösung der Jahressteuer festzusetzen. Das FA wird deshalb verpflichtet, die Erbschaftsteuer auf 0 EUR festzusetzen.

 

 

29

Die Klägerin hat bereits seit Juni 2005 keine Rentenzahlungen mehr erhalten. Den Antrag auf Ablösung der Jahressteuer nach § 23 Abs. 2 ErbStG hat sie erst im Dezember 2010 gestellt. Bis zum Zeitpunkt der Antragstellung sind über fünf Jahre vergangen, in denen keine Rentenzahlungen geleistet wurden. Während dieses Zeitraums haben sich keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass S als Verpflichteter die Rentenzahlungen an die Klägerin wieder aufnehmen wird. Für eine abweichende Steuerfestsetzung spricht auch, dass die Klägerin für den Erwerb des Rentenstammrechts aufgrund der Wahl der Besteuerung nach § 23 Abs. 1 ErbStG insgesamt eine wesentlich höhere Erbschaftsteuer zu entrichten hatte, als bei einer Sofortbesteuerung mit dem Kapitalwert nach § 12 Abs. 1 ErbStG i.V.m. § 14 Abs. 1 BewG in der für 1980 geltenden Fassung fällig gewesen wäre. Nach überschlägiger Berechnung und ohne Berücksichtigung der sonstigen Erwerbe hätte sie bei einer Sofortbesteuerung der Rente im Jahr 1980 Erbschaftsteuer in Höhe von 743.472 DM (Jahreswert der Rente 96.000 DM, Vervielfältiger für die zum Zeitpunkt des Ablebens des L 43 Jahre alte Klägerin 15,489, Steuersatz 50 %) zahlen müssen, während sie bis zur Antragstellung nach § 23 Abs. 2 ErbStG im Dezember 2010 Erbschaftsteuer in Höhe von ca. 1.488.000 DM (31 Jahre x 48.000 DM), also mehr als das Doppelte zu entrichten hatte. Es ist deshalb allein ermessensgerecht, die Erbschaftsteuer für die Ablösung der Jahressteuer abweichend von § 23 Abs. 2 ErbStG auf 0 EUR festzusetzen.