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I. Die Klägerin und
Revisionsklägerin (Klägerin) ist im Handel mit
Kraftfahrzeugen tätig. Für das Streitjahr 2002 reichte
sie ihre Umsatzsteuerjahreserklärung am 22.8.2003 beim
Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt - FA - ) ein. Hieraus
ergab sich ein Vergütungsanspruch in Höhe von
1.129.512,20 EUR. Das FA stimmte dem gemäß § 168
Satz 2 der Abgabenordnung (AO) zu. Im Februar 2006 fand bei der
Klägerin eine Außenprüfung statt, die auch das
Streitjahr betraf. Aus hier nicht streitigen Gründen
verminderte das FA im Anschluss an die Außenprüfung den
Vergütungsanspruch auf 1.129.286,60 EUR und hob den Vorbehalt
der Nachprüfung (§ 164 AO) auf. Änderungen bei den
nach § 6a des Umsatzsteuergesetzes in der für das
Streitjahr geltenden Fassung (UStG) steuerfreien
innergemeinschaftlichen Lieferungen ergaben sich nicht.
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Bereits am 11.7.2005 hatte eine
Steuerfahndungsprüfung begonnen, die durch Bericht vom
31.7.2008 abgeschlossen wurde. Die Fahndungsprüferin ging
davon aus, dass die Klägerin für 15 Fahrzeuglieferungen
an die italienische Firma RC und eine Fahrzeuglieferung an die
spanische Firma LC die Steuerfreiheit für
innergemeinschaftliche Lieferungen zu Unrecht in Anspruch genommen
habe. Daher wurden Lieferungen mit einer Vergütung von
insgesamt 306.500 EUR (brutto), die die Klägerin als Entgelt
für steuerfreie Lieferungen behandelt hatte, als
steuerpflichtige Lieferungen angesehen. Dem folgte das FA und
erließ am 3.11.2008 einen nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO
geänderten Umsatzsteuerbescheid für das Streitjahr. Der
Vergütungsanspruch verminderte sich auf 1.087.010,76 EUR, so
dass sich ein Rückzahlungsanspruch von 42.275,84 EUR
ergab.
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Der hiergegen eingelegte Einspruch hatte
nur insoweit Erfolg, als das FA die aufgrund der
Fahndungsprüfung als steuerpflichtig angesehene Lieferung an
LC mit einer Gegenleistung von 34.500 EUR als erst in 2004
ausgeführt behandelte. Durch den Änderungsbescheid vom
11.11.2010 ergab sich ein Vergütungsanspruch von nunmehr
1.091.769,32 EUR.
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Die Klage zum Finanzgericht (FG) hatte
keinen Erfolg. In seinem in EFG 2014, 793 = SIS 14 06 38
veröffentlichten Urteil begründete das FG die
Klageabweisung damit, dass dem Erlass des Bescheides vom 3.11.2008
aufgrund einer Ablaufhemmung gemäß § 171 Abs. 5
Satz 1 AO nicht der Eintritt der Festsetzungsverjährung
entgegengestanden habe. Die Lieferungen seien nicht nach § 6a
UStG steuerfrei gewesen. Die Klägerin habe den Beleg- und
Buchnachweis nicht ordnungsgemäß geführt. Die
CMR-Frachtbriefe erfüllten die Nachweisfunktion nicht. Es sei
nicht ersichtlich, wer auf wessen Veranlassung die Transporte
durchgeführt habe. Es ergebe sich nicht, wer Auftraggeber der
Speditionen gewesen sei. Die Erwerberfirma RC sei nach
behördlichen Feststellungen ein Scheinunternehmen gewesen. In
einem Abholfall fehle die Abholerversicherung. Der Objektivnachweis
sei nicht erbracht, obwohl Fahrzeuge zeitnah in Italien zugelassen
worden seien, da die Zulassungen auf Dritte erfolgt seien. Es komme
auch kein Vertrauensschutz in Betracht, da der Belegnachweis
unvollständig sei. Die Klägerin habe sich selbst
unzutreffender Weise als Absender in den Frachtbriefen
eingetragen.
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§ 173 Abs. 2 AO stehe dem
Änderungsbescheid nicht entgegen, da der Klägerin eine
leichtfertige Steuerverkürzung vorzuwerfen sei. Diese ergebe
sich daraus, dass die Klägerin und ihre Mitarbeiter
Frachtbriefe ausgefüllt hätten, obwohl ihnen Kenntnisse
über die tatsächlichen Lieferverhältnisse gefehlt
hätten. Auftraggeber und Lieferwege seien nicht
nachvollziehbar gewesen. Ein auf dieser Grundlage ausgestellter
Beleg erbringe nicht den Nachweis der Steuerfreiheit der
innergemeinschaftlichen Lieferung. Die Klägerin habe auch
Zweifel an der Identität der Abnehmer haben
müssen.
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Hiergegen wendet sich die Klägerin mit
ihrer Revision. Das FG habe zu Unrecht die Korrekturbefugnis nach
§ 173 Abs. 2 AO bejaht, da sie nicht leichtfertig gehandelt
habe. Insoweit liege ein Verstoß gegen Denkgesetze und gegen
den klaren Inhalt der Akten vor. Zudem habe das FG zu geringe
Anforderungen an den Begriff der Leichtfertigkeit gestellt. Dass
sie als Absender im CMR-Frachtbrief eingetragen sei, stehe dem
Nachweis der Steuerfreiheit nicht entgegen. Der CMR-Frachtbrief
müsse nicht vollständig ausgefüllt werden. Wer
Auftraggeber des Frachtführers sei, sei für die
Steuerfreiheit irrelevant. Es bestünden gleichwohl hinreichend
Kontrollmöglichkeiten für die Finanzverwaltung. In Bezug
auf die Person des Abnehmers habe das FG lediglich
Behördenfeststellungen wiedergegeben. Die Belegfehler
stünden der Gewährung von Vertrauensschutz nicht
entgegen, da diese nicht erkennbar gewesen seien.
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Die Klägerin beantragt, das Urteil des
FG aufzuheben und das FG zu verpflichten, den Umsatzsteuerbescheid
2002 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 11.11.2010
dahingehend zu ändern, dass Lieferungen zu einem Bruttoentgelt
in Höhe von 272.000 EUR als steuerfreie innergemeinschaftliche
Lieferungen behandelt werden.
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Das FA beantragt sinngemäß, die
Revision zurückzuweisen.
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Die Klägerin und ihre Mitarbeiter
hätten wissentlich Frachtbriefe falsch ausgefüllt, da sie
von den tatsächlichen Lieferwegen keine Kenntnis gehabt
hätten. Von der objektiven Sachlage habe die Klägerin
keine Kenntnis gehabt. Ein Verfahrensfehler liege nicht
vor.
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II. Die Revision der Klägerin ist
begründet. Das Urteil des FG ist aufzuheben und die Sache an
das FG zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der
Finanzgerichtsordnung - FGO - ). Entgegen dem Urteil ergibt sich
eine leichtfertige Steuerverkürzung nicht bereits allein
daraus, dass der Unternehmer die Steuerfreiheit nach § 6a UStG
in Anspruch nimmt, ohne über einen vollständigen Beleg-
und Buchnachweis zu verfügen.
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1. Ein aufgrund einer Außenprüfung
ergangener Steuerbescheid kann nur geändert werden, wenn
zumindest eine leichtfertige Steuerverkürzung vorliegt.
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a) Nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO sind
Steuerbescheide aufzuheben oder zu ändern, wenn Tatsachen oder
Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer
höheren Steuer führen. Steuerbescheide, die auf Grund
einer Außenprüfung ergangen sind, können
gemäß § 173 Abs. 2 Satz 1 AO nur aufgehoben oder
geändert werden, wenn eine Steuerhinterziehung oder eine
leichtfertige Steuerverkürzung vorliegt.
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b) Ob eine leichtfertige Steuerverkürzung
i.S. von § 173 Abs. 2 AO vorliegt, bestimmt sich nach §
378 AO (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 7.2.2008 VI R
83/04, BFHE 220, 220, BStBl II 2009, 703 = SIS 08 15 06, unter
II.2.). Danach handelt ordnungswidrig, wer als Steuerpflichtiger
oder bei Wahrnehmung der Angelegenheiten eines Steuerpflichtigen
eine der in § 370 Abs. 1 AO bezeichneten Taten leichtfertig
begeht.
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aa) Täter i.S. von §§ 370, 378
AO ist, wer gegenüber den Finanzbehörden oder anderen
Behörden über steuerlich erhebliche Tatsachen unrichtige
oder unvollständige Angaben macht (§ 370 Abs. 1 Nr. 1
AO), die Finanzbehörden pflichtwidrig über steuerlich
erhebliche Tatsachen in Unkenntnis lässt (§ 370 Abs. 1
Nr. 2 AO) oder pflichtwidrig die Verwendung von Steuerzeichen oder
Steuerstemplern unterlässt (§ 370 Abs. 1 Nr. 3 AO) und
dadurch Steuern verkürzt oder für sich oder einen anderen
nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt.
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bb) Leichtfertigkeit i.S. von § 378 AO
erfordert einen erhöhten Grad von Fahrlässigkeit, der im
Wesentlichen der groben Fahrlässigkeit des bürgerlichen
Rechts entspricht, dabei aber die persönlichen
Fähigkeiten des Täters berücksichtigt (BFH-Urteile
vom 31.10.1989 VIII R 60/88, BFHE 160, 7, BStBl II 1990, 518 = SIS 90 13 54, und vom 16.2.2011 X R 10/10, BFH/NV 2011, 977 = SIS 11 15 68, unter II.4.d dd). Leichtfertig handelt, wer die Sorgfalt
außer Acht lässt, zu der er nach den besonderen
Umständen des Falles und seinen persönlichen
Fähigkeiten und Kenntnissen verpflichtet und imstande ist und
dem sich danach aufdrängen muss, dass er dadurch Steuern
verkürzt (BFH-Urteile vom 24.4.1996 II R 73/93, BFH/NV 1996,
731, und vom 17.11.2011 IV R 2/09, BFH/NV 2012, 1309 = SIS 12 19 04, unter II.4.b aa).
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2. Im Streitfall erging der Bescheid, den das
FA mit dem angefochtenen Bescheid vom 3.11.2008 geändert hat,
aufgrund einer Außenprüfung. Eine Änderungsbefugnis
bestand daher für das FA nur nach § 173 Abs. 2 Satz 1
AO.
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a) Ob Leichtfertigkeit vorliegt, ist im
Wesentlichen Tatfrage, kann aber in der Revisionsinstanz
insbesondere daraufhin überprüft werden, ob das FG den
Rechtsbegriff der Leichtfertigkeit richtig erkannt hat (BFH-Urteil
vom 30.6.2010 II R 14/09, BFH/NV 2010, 2002 = SIS 10 31 86, unter
II.2.b bb). Hieran fehlt es im Streitfall.
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b) Das FG hat für ein leichtfertiges
Handeln der Klägerin angeführt, dass sie und ihre
Mitarbeiter die CMR-Frachtbriefe ausgefüllt hatten, obwohl
Kenntnisse über die tatsächlichen Lieferverhältnisse
fehlten. Derartige Belege seien zur Nachweisführung nicht
geeignet. Zudem hätten sich Zweifel an der Identität des
Abnehmers ergeben.
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Damit hat das FG nicht hinreichend
berücksichtigt, dass der BFH seine frühere
Rechtsprechung, nach der Unternehmer die Steuerfreiheit für
innergemeinschaftliche Lieferungen ausschließlich beleg- und
buchmäßig nachweisen konnten (vgl. BFH-Urteil vom
30.3.2006 V R 47/03, BFHE 213, 148, BStBl II 2006, 634 = SIS 06 24 58, unter II.2.), aufgegeben hat (BFH-Urteil vom 6.12.2007 V R
59/03, BFHE 219, 469, BStBl II 2009, 57 = SIS 08 10 23, Leitsatz
4): Der Unternehmer ist berechtigt, das Vorliegen der
Voraussetzungen der Steuerfreiheit auch objektiv nachzuweisen (vgl.
z.B. BFH-Urteil vom 12.5.2011 V R 46/10, BFHE 234, 436, BStBl II
2011, 957 = SIS 11 28 16, unter II.3.).
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Aufgrund der geänderten Rechtsprechung
des Senats handelt der Unternehmer nur leichtfertig, wenn es sich
ihm zumindest „aufdrängen muss“ (s. oben
II.1.b bb), dass er die Voraussetzungen des § 6a UStG weder
beleg- und buchmäßig noch objektiv nachweisen kann (vgl.
BFH-Urteil in BFHE 234, 436, BStBl II 2011, 957 = SIS 11 28 16,
unter II.4.). Das bloße Abstellen auf die Beleglage reicht
nach der geänderten Rechtsprechung nicht aus.
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3. Da die Vorentscheidung diesen
Maßstäben nicht entspricht, ist sie aufzuheben und die
Sache an das FG zurückzuverweisen. Im zweiten Rechtsgang ist
zu prüfen, ob die Klägerin davon ausgehen konnte, die
Voraussetzungen der Steuerfreiheit zumindest objektiv nachweisen zu
können.
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Dabei wird zu ermitteln sein, ob die
Klägerin im Hinblick auf das unstreitige Gelangen der
Fahrzeuge nach Italien und der ihr darüber hinaus vom
Bundeszentralamt qualifiziert bestätigten
Umsatzsteuer-Identifikationsnummer des Abnehmers den Tatbestand der
innergemeinschaftlichen Lieferung als erfüllt ansehen konnte.
Bei dieser Sachlage rechtfertigten bloße
„Zweifel“ an den
„Lieferwegen“ und das vom FG als möglich
angesehene Vorliegen eines Reihengeschäfts ggf. zwar die
Versagung der Steuerfreiheit nach § 6a UStG, nicht aber auch
die Annahme eines leichtfertigen Handelns i.S. von § 378 AO.
Im Übrigen begründet auch die Kontaktaufnahme zur
italienischen Abnehmerfirma über dessen inländischen
Vertreter für sich allein nicht den Vorwurf leichtfertigen
Handelns.
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4. Über die geltend gemachten
Verfahrensfehler ist nicht zu entscheiden.
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