1
|
I. Der Kläger und Revisionsbeklagte
(Kläger) schloss als „Auftraggeber“ mit dem
Bankkaufmann C (C) am 6.7.1992 eine Vereinbarung über eine
Kapitalanlage. Über den Zufluss von Kapitaleinkünften
anderer Steuerpflichtiger in den Streitjahren 1994 und 1995, die
eine vergleichbare Anlage mit C vereinbart hatten, hat der Senat
bereits mit Urteil vom 16.3.2010 VIII R 4/07 (BFHE 229, 141, BStBl
II 2014, 147 = SIS 10 19 14) entschieden (zur Vermögensteuer
s. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 22.9.2010 II R 62/08,
BFH/NV 2011, 7 = SIS 10 39 44).
|
|
|
2
|
Nach der Vereinbarung vom 6.7.1992 und
einer zugehörigen Anlage betrug die anfängliche
Anlagesumme 50.000 DM und wurde dem C für fünf Jahre auf
einem Sonderkonto als Treuhänder zur Verfügung gestellt.
Die Anlagesumme sollte mit Anlagebeträgen anderer Anleger
zusammengefasst (gepoolt) werden, weshalb der Kläger auf eine
vorzeitige Rückzahlung des Anlagebetrags verzichten
musste.
|
|
|
3
|
C sollte nach der Vereinbarung mit dem
Kläger selbst als „Anleger“ einen bestimmten
Geldbetrag („Anlagekapital“) bei noch nicht benannten
„Partnern“ anlegen. Das Anlagekapital sollte durch eine
Bankgarantie abgesichert und mit 12 % p.a. verzinst werden. Zudem
sollte ein „Bonus“ von weiteren 12 % p.a. gezahlt
werden. C standen als Vergütung gegenüber dem Kläger
und dessen verstorbener Ehefrau 5 % des Anlageertrags zu.
|
|
|
4
|
Als Verwaltungsgesellschaft zur Abwicklung
der Kapitalanlage war vereinbarungsgemäß die X mit Sitz
in Vaduz eingeschaltet. Bei dieser handelte es sich um eine
Briefkastengesellschaft.
|
|
|
5
|
Von 1992 bis 1999 wurden durch C über
40 Anleger mit einem Anlagekapital von über 6 Mio. DM
geworben. Ein erheblicher Teil des Anlagekapitals wurde veruntreut,
sodass bereits bis 1994 ein Großteil des eingesammelten
Kapitals nicht mehr vorhanden war. C konnte bis etwa Mitte 1994
alle Zinsansprüche durch Zahlung auf die Konten der Anleger
begleichen. Ab Mitte 1994 bis 1997 ging er dazu über, die
Anleger telefonisch zur Neuanlage der Erträge ohne Auszahlung
aufzufordern. Die Neuanlagen erfolgten formlos ohne erneute
schriftliche Vereinbarung. C zahlte jedoch auch in diesem Zeitraum
auf Verlangen der Anleger gutgeschriebene Erträge aus, wenn
der Anleger darauf bestand. Er wurde im Jahr 2007 zu einer
Freiheitsstrafe von 14 Monaten verurteilt, die zur Bewährung
ausgesetzt wurde.
|
|
|
6
|
C erteilte dem Kläger auch in den
Streitjahren durch die X „offizielle“ Abrechnungen
(unter dem Briefkopf der X) und „inoffizielle
Abrechnungen“ (ohne Briefkopf der X – „nur zu
Ihrer persönlichen Information“).
|
|
|
7
|
Zwischen dem 17.7.1992 und dem 1.3.1995
zahlten der Kläger und dessen verstorbene Ehefrau insgesamt
152.000 DM zum Zweck der Kapitalanlage an C. Sie richteten
vereinbarungsgemäß bei einer schweizerischen Bank zwei
Konten ein, auf die von C die in den Abrechnungen gutgeschriebenen
Beträge überwiesen wurden. Im Zeitraum bis Ende 1993
wurden dem Kläger und seiner verstorbenen Ehefrau auf diese
Konten insgesamt 32.700 DM überwiesen und abgehoben. Hierbei
handelte es sich um die ihnen gegenüber als
„Erträge“ abgerechneten Beträge.
|
|
|
8
|
Im Streitjahr 1994 wurden dem Kläger
durch C Abrechnungen über Erträge in Höhe von 13.600
DM (zum 30.4.1994), 14.400 DM (zum 31.8.1994) und 14.180 DM (zum
31.12.1994) erteilt. Von dem Gesamtbetrag in Höhe von 42.180
DM ließ sich der Kläger 18.780 DM, nämlich 13.600
DM aus der Abrechnung zum 30. April und 5.180 DM aus der Abrechnung
zum 31.12.1994 auszahlen. Im Streitjahr 1995 wurden dem Kläger
Abrechnungen über Erträge zum 30.4.1995 in Höhe von
15.200 DM, zum 31.8.1995 in Höhe von 19.300 DM und zum
31.12.1995 in Höhe von 20.700 DM erteilt. Hiervon ließ
sich der Kläger 10.000 DM zum 31.12.1995 auszahlen.
|
|
|
9
|
Von den abgerechneten Erträgen des
Streitjahres 1994 wurden aufgrund Vereinbarungen des Klägers
mit C Teilbeträge in Höhe von 14.400 DM zum 1.9.1994 und
in Höhe von 9.000 DM zum 1. Januar oder 1.3.1995 (insgesamt
23.400 DM) mit den Auszahlungsansprüchen verrechnet und als
Einzahlungen auf die Anlagesumme behandelt. Im Streitjahr 1995
wurden von den abgerechneten Erträgen Teilbeträge in
Höhe von 15.200 DM zum 1.5.1995, in Höhe von 19.300 DM
zum 1.9.1995 und in Höhe von 10.700 DM zum 1.1.1996 (insgesamt
45.200 DM) wie vereinbart mit Zinsauszahlungsansprüchen
verrechnet und als Einzahlungen auf die Anlagesumme
behandelt.
|
|
|
10
|
Am 24.9.2001 wurde das Insolvenzverfahren
über das Vermögen des C eröffnet und am 9.9.2010
abgeschlossen. Der Kläger, dessen Kapital laut der
Abrechnungen des C zum 1.5.1995 226.275 DM (115.692,57 EUR) betrug,
meldete einen Rückzahlungsanspruch in dieser Höhe zur
Tabelle an, auf den im Jahr 2010 1.777,40 EUR (1,54 %) ausgezahlt
wurden.
|
|
|
11
|
Im Anschluss an eine
Steuerfahndungsprüfung erließ der Beklagte und
Revisionskläger (das Finanzamt - FA - ) gegenüber dem
Kläger und dessen verstorbener Ehefrau, welche nach Beendigung
der Tätigkeit des Klägers als Arbeitnehmer nicht mehr
veranlagt worden waren, erstmalige Steuerbescheide für die
Streitjahre. In den Einkommensteuerbescheiden für die
Streitjahre (jeweils vom 16.10.2002) berücksichtigte das FA
Einnahmen aus Kapitalvermögen für das Streitjahr 1994 in
Höhe von 50.314,68 DM (darunter die ausgezahlten und die
wiederangelegten Erträge aus der Anlage bei C) und für
das Streitjahr 1995 in Höhe von 50.451,38 DM (darunter
ebenfalls die ausgezahlten und wiederangelegten Erträge aus
der Anlage bei C). Das folgende Einspruchsverfahren blieb ohne
Erfolg.
|
|
|
12
|
Das Finanzgericht (FG) gab der
anschließend für die Jahre 1992 bis 1995 erhobenen Klage
für die Streitjahre (1994 und 1995) teilweise statt. In Bezug
auf die Anlage bei C würdigte das FG das Rechtsverhältnis
nicht als Treuhandvereinbarung, sondern als unmittelbare
Kapitalüberlassung des Klägers und dessen verstorbener
Ehefrau an C. Die seitens des C als „Erträge“
ausgezahlten Beträge behandelte es als Einkünfte
gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 7, Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 des
Einkommensteuergesetzes (EStG) 1990. Hinsichtlich der abgerechneten
Erträge, die nicht ausgezahlt, sondern wiederangelegt wurden
(Streitjahr 1994: 23.400 DM und Streitjahr 1995: 45.200 DM), gab
das FG der Klage statt. Es verneinte insoweit einen Zufluss von
Einkünften aus Kapitalvermögen beim Kläger. Das
Urteil des FG ist in EFG 2012, 1642 = SIS 12 18 38
veröffentlicht.
|
|
|
13
|
Hiergegen richtet sich die Revision des FA,
das die Verletzung materiellen Bundesrechts durch das FG
rügt.
|
|
|
14
|
Das FA beantragt, das Urteil des FG des
Saarlandes vom 10.5.2012 1 K 2327/03 hinsichtlich der Entscheidung
für die Streitjahre 1994 und 1995 aufzuheben und die Klage
abzuweisen.
|
|
|
15
|
Der Kläger beantragt, die Revision als
unbegründet zurückzuweisen.
|
|
|
16
|
C habe ab Mitte 1994 die Anleger und auch
den Kläger telefonisch zur Wiederanlage von Erträgen
aufgefordert. Das FG habe hieraus zutreffend abgeleitet, das
gesamte Schneeballsystem habe sich bereits zu diesem Zeitpunkt in
Zahlungsschwierigkeiten befunden und habe nur über die von C
eingeforderten Wiederanlagen noch fortbestehen können. Die dem
Kläger gegenüber ausgewiesenen
Kapitalrückzahlungsansprüche seien zum Zeitpunkt der
Wiederanlage in den Streitjahren nicht mehr realisierbar gewesen
und dürften nicht in Höhe des Nennwerts der
wiederangelegten Beträge zu Zinseinkünften führen
(Hinweis auf Wolff-Diepenbrock, Festschrift für Wolfgang
Spindler 2011, S. 897). Es seien im Streitfall von Beginn an weder
die überwiesenen Erträge erwirtschaftet worden noch sei
die nach der Wiederanlage ausgewiesene höhere Anlagesumme
vorhanden gewesen.
|
|
|
17
|
II. Die Revision des FA ist begründet.
Die Sache ist spruchreif und die Klage abzuweisen (§ 126 Abs.
3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO - ). Die
Einkommensteuerbescheide der Streitjahre sind rechtmäßig
und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 100
Abs. 1 Satz 1 FGO), soweit das FA auch die wiederangelegten
Beträge als Zinseinkünfte des Klägers
gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG 1990 in den
Streitjahren berücksichtigt hat.
|
|
|
18
|
1. Zutreffend hat das FG entschieden, dass
eine unmittelbare Darlehensbeziehung zwischen C und dem Kläger
in den Streitjahren bestanden hat. Zur Vermeidung von
Wiederholungen nimmt der Senat auf sein Urteil in BFHE 229, 141,
BStBl II 2014, 147 = SIS 10 19 14 Bezug, das die Kapitalanlage
eines anderen Steuerpflichtigen bei C zu den gleichen Bedingungen
auch für den Streitzeitraum betraf.
|
|
|
19
|
2. Ebenso ist die Würdigung des FG, dem
Kläger seien in den Streitjahren die Einkünfte, welche C
ihm unter der Tilgungsbestimmung der „Auszahlung von
Erträgen“ überwiesen hat, als Einkünfte
aus Kapitalvermögen gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 7
EStG 1990 zugeflossen, revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
|
|
|
20
|
a) Die vom II. Senat des BFH in BFH/NV 2011, 7
= SIS 10 39 44 (unter II.2.a bb) - ausdrücklich nur für
Zwecke der Vermögensteuer - herangezogene Betrachtungsweise,
die Tilgungsbestimmungen des Betreibers eines Schneeballsystems
seien unwirksam und die Auszahlungen nach der Auslegungsregelung
des § 366 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs jeweils als
Rückzahlung des Anlagekapitals zu werten, ist für die
einkommensteuerrechtliche Beurteilung, ob als
„Erträge“ ausgezahlte Beträge i.S. des
§ 11 Abs. 1 EStG zugeflossen sind, nicht maßgeblich.
Gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 7 Satz 2 EStG ist die
zivilrechtliche Rechtslage einkommensteuerrechtlich insoweit
unerheblich. Für die Abgrenzung, ob eine Rückzahlung der
Anlagesumme oder eine Zinsauszahlung vorliegt, ist
einkommensteuerrechtlich allein an die Tilgungsbestimmung des
Betreibers bei Auszahlung anzuknüpfen, selbst wenn diese
Auszahlung zivilrechtlich mangels eines entstandenen
Zinsauszahlungsanspruchs unwirksam sein sollte (vgl. aus der
ständigen Rechtsprechung z.B. Senatsurteile vom 22.7.1997 VIII
R 12/96, BFHE 184, 34, BStBl II 1997, 761 = SIS 97 22 02; vom
22.7.1997 VIII R 13/96, BFHE 184, 46, BStBl II 1997, 767 = SIS 97 22 01; vom 10.7.2001 VIII R 31/97, BFH/NV 2001, 1554 = SIS 01 81 30; vom 30.10.2001 VIII R 15/01, BFHE 197, 126, BStBl II 2002, 138
= SIS 02 03 76, m.w.N.).
|
|
|
21
|
b) Ist der Anleger bei Auszahlung nicht
erwirtschafteter „Renditen“ durch den Betreiber
des Schneeballsystems zivilrechtlich zur Rückzahlung der
empfangenen Beträge verpflichtet (vgl. z.B. zur
Rückforderung von Scheinrenditen gemäß § 134
der Insolvenzordnung das Urteil des Bundesgerichtshofs vom
18.7.2013 IX ZR 198/10, DB 2013, 2075, m.w.N.), steht dies der
Annahme eines Zuflusses der als „Erträge“
ausgezahlten Summen nicht entgegen. Denn der Zufluss i.S. des
§ 11 Abs. 1 EStG setzt gerade nicht voraus, dass der
Steuerpflichtige die Leistung (endgültig) behalten darf (so
Senatsurteil in BFH/NV 2001, 1554 = SIS 01 81 30, unter II.1.b dd
bbb).
|
|
|
22
|
3. Zu Unrecht hat das FG die gutgeschriebenen
und wiederangelegten (Schein-)Renditen (im Streitjahr 1994: 23.400
DM und Streitjahr 1995: 45.200 DM) nicht als Einkünfte des
Klägers aus Kapitalvermögen angesehen.
|
|
|
23
|
a) Der Senat hält daran fest, dass auch
Gutschriften über wiederangelegte Renditen in
Schneeballsystemen zu Einnahmen aus Kapitalvermögen i.S. von
§ 20 EStG führen (vgl. Senatsurteile vom 14.12.2004 VIII
R 5/02, BFHE 209, 423, BStBl II 2005, 739 = SIS 05 22 04; VIII R
81/03, BFHE 209, 438, BStBl II 2005, 746 = SIS 05 22 05; vom
28.10.2008 VIII R 36/04, BFHE 223, 166, BStBl II 2009, 190 = SIS 08 41 00 - Verfassungsbeschwerde nicht angenommen: Beschluss des
Bundesverfassungsgerichts vom 9.7.2009 2 BvR 2525/08; in BFHE 229,
141, BStBl II 2014, 147 = SIS 10 19 14), wenn der Schuldner der
Erträge leistungsbereit und leistungsfähig ist.
|
|
|
24
|
aa) Einnahmen (§ 8 Abs. 1 EStG) sind nach
ständiger Rechtsprechung des BFH i.S. von § 11 Abs. 1
EStG zugeflossen, sobald der Steuerpflichtige über sie
wirtschaftlich verfügen kann. Eine Gutschrift in den
Büchern des Verpflichteten kann einen Zufluss bewirken, wenn
in der Gutschrift nicht nur das buchmäßige Festhalten
einer Schuld zu sehen ist, sondern darüber hinaus zum Ausdruck
gebracht wird, dass der Betrag dem Berechtigten von nun an zur
Verwendung zur Verfügung steht. Allerdings muss der
Gläubiger in der Lage sein, den Leistungserfolg ohne weiteres
Zutun des im Übrigen leistungsbereiten und
leistungsfähigen Schuldners herbeizuführen (Senatsurteile
vom 14.2.1984 VIII R 221/80, BFHE 140, 542, BStBl II 1984, 480 =
SIS 84 13 19; in BFHE 197, 126, BStBl II 2002, 138 = SIS 02 03 76;
BFH-Urteil vom 18.12.2001 IX R 74/98, BFH/NV 2002, 643 = SIS 02 62 23).
|
|
|
25
|
bb) Ein Zufluss kann ferner durch die
Vereinbarung zwischen Schuldner und Gläubiger bewirkt werden,
dass ein Betrag fortan aus einem anderen Rechtsgrund geschuldet
sein soll. In dieser Vereinbarung kann nach der gefestigten
Rechtsprechung des BFH (s. grundlegend Senatsurteil vom 10.7.2001
VIII R 35/00, BFHE 196, 112, BStBl II 2001, 646 = SIS 01 10 68„Ambros-Entscheidung“) eine Verfügung des
Gläubigers über die bisherige Forderung liegen, die
einkommensteuerrechtlich so zu werten ist, als ob der Schuldner die
Altschuld durch tatsächliche Zahlung beglichen (= Zufluss beim
Gläubiger) und der Gläubiger den vereinnahmten Betrag
infolge des neu geschaffenen Verpflichtungsgrundes dem Schuldner
sofort wieder zur Verfügung gestellt hätte (=
Wiederabfluss des Geldbetrages beim Gläubiger).
|
|
|
26
|
Voraussetzung für den Zufluss des
aufgrund der Altforderung geschuldeten Betrags i.S. von § 11
Abs. 1 EStG ist in derartigen Fällen der Schuldumschaffung
(Novation) nach der Rechtsprechung allerdings, dass sich die
Novation als Folge der Ausübung der wirtschaftlichen
Verfügungsmacht des Gläubigers (Anlegers) über den
Gegenstand der Altforderung darstellt und auf dessen freiem
Entschluss beruht. Entscheidend hierfür ist, ob der dem
Gläubiger geschuldete Betrag gerade in dessen Interesse nicht
ausgezahlt und aufgrund der Novation fortan aus einem anderen
Rechtsgrund geschuldet wird (Senatsurteil in BFHE 140, 542, BStBl
II 1984, 480 = SIS 84 13 19). Liegt ein solches alleiniges oder
überwiegendes Interesse des Gläubigers an der
Vereinbarung der Novation vor, indiziert dieses dessen
Verfügungsmacht über den Gegenstand der Altforderung
(vgl. zuletzt Senatsurteil in BFHE 223, 166, BStBl II 2009, 190 =
SIS 08 41 00, m.w.N.). Bleibt die Schuld hingegen im Interesse des
Schuldners bestehen, liegt wirtschaftlich gesehen trotz der
Novation lediglich eine Stundung der ursprünglichen Schuld
vor. Dem Gläubiger, dem eher an einer Auszahlung gelegen ist,
ist dann nichts zugeflossen (vgl. Senatsurteil in BFHE 140, 542,
BStBl II 1984, 480 = SIS 84 13 19, unter 2.c der Gründe).
|
|
|
27
|
cc) Ein Zufluss i.S. von § 11 Abs. 1 Satz
1 i.V.m. § 8 Abs. 1 EStG kann somit entweder durch eine
Gutschrift in den Büchern des Verpflichteten oder durch eine
Novation bewirkt werden. Beide Formen stellen getrennt voneinander
zu prüfende Tatbestände dar, von denen jeder für
sich genommen ausreicht. Es muss bei beiden
„Zuflusstatbeständen“ aber jeweils die
weitere Voraussetzung erfüllt sein, dass der Gläubiger
(der Anleger) im Zeitpunkt der Novation oder der Gutschrift in den
Büchern des Betreibers des Schneeballsystems tatsächlich
in der Lage gewesen ist, die Auszahlung ohne weiteres Zutun des
leistungsbereiten und leistungsfähigen Schuldners
herbeizuführen (vgl. Senatsurteile in BFHE 196, 112, BStBl II
2001, 646 = SIS 01 10 68; in BFHE 223, 166, BStBl II 2009, 190 =
SIS 08 41 00; vom 19.6.2007 VIII R 63/03, BFH/NV 2008, 194 = SIS 08 07 54).
|
|
|
28
|
b) Ob nach diesen Vorgaben ein Zufluss von
Kapitaleinkünften eintritt, ist anhand der tatsächlichen
Umstände des Einzelfalles zu prüfen. Zu Unrecht stellt
das FG für diese Beurteilung, insbesondere der
Leistungsfähigkeit des Schuldners (hier des C), auf die
Verhältnisse ab, die zum Zeitpunkt der letzten mündlichen
Verhandlung über die Streitjahre bekannt waren. Entscheidend
ist - wie der Senat wiederholt abweichend entschieden hat - die
Sicht des Leistungsempfängers (Kapitalanlegers) in dem
Zeitpunkt, in dem er aus seiner Sicht die wirtschaftliche
Verfügungsmacht über die Einnahme erstmals erlangt (vgl.
Senatsurteile in BFHE 209, 423, BStBl II 2005, 739 = SIS 05 22 04;
in BFHE 209, 438, BStBl II 2005, 746 = SIS 05 22 05; in BFHE 229,
141, BStBl II 2014, 147 = SIS 10 19 14).
|
|
|
29
|
c) Nach den vorstehenden Grundsätzen und
den zugrundeliegenden Feststellungen des Streitfalls ist entgegen
der Auffassung des FG von einem Zufluss auch der wiederangelegten
Beträge in den Streitjahren gemäß § 11 Abs. 1
Satz 1 i.V.m. § 8 Abs. 1 EStG auszugehen.
|
|
|
30
|
aa) Ein Zufluss der wiederangelegten
Beträge in den Streitjahren lässt sich zum einen aus den
Gutschriften, die der Kläger und dessen verstorbene Ehefrau
laut der Abrechnungen des C und der X erhielten, begründen.
Die Abrechnungen wiesen sowohl die tatsächlich ausgezahlten
als auch die wiederangelegten Beträge aus. Die in den
Abrechnungen ausgewiesenen Beträge konnten je nach Wunsch
abgerufen oder wiederangelegt werden. C war in den Streitjahren
auch leistungsbereit und leistungswillig (s. unter II.3.c cc).
Allein dies genügt, um im Streitfall eine hinreichende
Verfügungsmacht des Klägers (und dessen verstorbener
Ehefrau) aufgrund der erteilten Abrechnungen für die
bescheinigten Erträge annehmen zu können.
|
|
|
31
|
Ob die in den Abrechnungen ausgewiesenen
Zinsansprüche angesichts der vom FG angenommenen objektiv
bestehenden Deckungslücke zwischen den Forderungen aller
Anleger und dem bei C vorhandenen Kapital hätten befriedigt
werden können, wenn alle oder viele Anleger die Auszahlung der
gutgeschriebenen Erträge gleichzeitig verlangt hätten,
ist unbeachtlich (s. unter II.3.c dd).
|
|
|
32
|
bb) Ein Zufluss der wiederangelegten
Beträge lässt sich alternativ auch auf Grundlage der
abgeschlossenen Novationsvereinbarungen begründen.
|
|
|
33
|
aaa) Diese Vereinbarungen lagen im Interesse
des Klägers als Gläubiger der Kapitalerträge. Die
Interessenlage bestimmt sich maßgeblich danach, ob der
Gläubiger (hier: der Kläger) die ihm zustehende
Wahlmöglichkeit zwischen der Auszahlung der Renditen und deren
Wiederanlage ausübt, um fortan höhere Renditen erzielen
zu können (Senatsurteil in BFHE 196, 112, BStBl II 2001, 646 =
SIS 01 10 68). Letzteres war in den Streitjahren der Fall. Der
Kläger hat sich nach eigenem Gutdünken die
gutgeschriebenen Erträge teilweise auszahlen lassen und
teilweise auf Vorschlag des C deren Wiederanlage beschlossen. C war
leistungsbereit und leistungswillig (s. unter II.3.c cc). Hingegen
ist das Interesse des Klägers an der Wiederanlage nicht
deshalb zu verneinen, weil er sich bei objektiver Betrachtungsweise
in Kenntnis des Schneeballsystems anders entschieden hätte und
ihm eine funktionierende Geldanlage nur vorgespiegelt wurde. Die
Annahme, die nach der Wiederanlage erhöhten
Kapitalrückzahlungsansprüche könnten vom Betreiber
des Schneeballsystems befriedigt werden, stellt einen für die
steuerrechtliche Wertung unbeachtlichen Motivirrtum dar (vgl.
Senatsurteil in BFHE 223, 166, BStBl II 2009, 190 = SIS 08 41 00,
m.w.N.; a.A. Karla, FR 2013, 545, 549, m.w.N.)
|
|
|
34
|
bbb) Da es für den Zufluss
maßgeblich auf den Zeitpunkt der Verfügung des
Klägers über die zu seinen Gunsten abgerechneten und
wiederangelegten Erträge ankommt, sind dem Kläger auch
die „mit Wirkung zum 1.1.1996“ der Anlagesumme
zugeschlagenen Erträge in Höhe von 10.700 DM noch im
Streitjahr 1995 zugeflossen (s. Senatsurteil in BFHE 229, 141,
BStBl II 2014, 147 = SIS 10 19 14).
|
|
|
35
|
cc) C war entgegen der Auffassung des FG als
leistungsbereiter und leistungsfähiger Schuldner anzusehen, da
er nach den bindenden Feststellungen (§ 118 Abs. 2 FGO) in den
Streitjahren den Auszahlungswünschen des Klägers ohne
Weiteres nachkam. Entscheidend ist - wie der Senat mehrfach
entschieden hat -, ob der Steuerpflichtige in seinem konkreten Fall
auf Wunsch eine Auszahlung der Scheinerträge erreichen kann.
Von einem nicht mehr leistungsbereiten und leistungsfähigen
Betreiber des Schneeballsystems kann erst ausgegangen werden, wenn
dieser auf einen Auszahlungswunsch des Anlegers hin eine sofortige
Auszahlung ablehnt und stattdessen über anderweitige
Zahlungsmodalitäten verhandelt (Senatsurteile in BFHE 197,
126, BStBl II 2002, 138 = SIS 02 03 76; in BFHE 229, 141, BStBl II
2014, 147 = SIS 10 19 14). Einer solchen Verweigerung oder
Verschleppung der Auszahlung steht es nicht gleich, wenn - wie im
Streitfall - der Betreiber des Schneeballsystems den Anlegern die
Wiederanlage nahelegt, um den Zusammenbruch des Schneeballsystems
zu verhindern, die vom Anleger angeforderten Teilbeträge
jedoch auszahlt.
|
|
|
36
|
dd) Unbeachtlich ist, ob eine
Deckungslücke zwischen den dem C tatsächlich zur
Verfügung stehenden finanziellen Mitteln und den
tatsächlich bestehenden Forderungen, wenn diese auf einen
Schlag zu befriedigen wären, im Zeitpunkt der Novation (oder
Gutschrift) bestanden hat. Aus einer solchen Deckungslücke
lässt sich für die Frage des Zuflusses von Erträgen
jedenfalls so lange nichts herleiten, wie das Schneeballsystem als
solches funktioniert, d.h. die Auszahlungsverlangen der Anleger
ohne Einschränkung bedient werden. Auf eine hypothetische
Zahlungsverpflichtung gegenüber allen Anlegern kann in diesem
Zusammenhang nicht abgestellt werden (Senatsurteil in BFHE 229,
141, BStBl II 2014, 147 = SIS 10 19 14; a.A. Wolff-Diepenbrock,
Festschrift für Wolfgang Spindler 2011, S. 897, 910;
Elicker/Neumann, FR 2003, 221, 225; Schmidt-Liebig, FR 2007, 409,
414; Marx, FR 2009, 515, 522; Karla, FR 2013, 545, 549). Dass
Schneeballsysteme zusammenbrechen, wenn alle Anleger gleichzeitig
die Rückzahlung ihrer Gelder verlangen, ist für die
Annahme eines Zuflusses beim einzelnen Anleger unbeachtlich (vgl.
Senatsurteile in BFHE 223, 166, BStBl II 2009, 190 = SIS 08 41 00;
in BFHE 229, 141, BStBl II 2014, 147 = SIS 10 19 14). Denn mit
einer solchen Konstellation muss der Betreiber eines
Schneeballsystems auch bei verständiger und objektiver
Beurteilung nicht rechnen, solange er den gestellten
Auszahlungsverlangen nachkommt (vgl. Senatsurteil in BFHE 223, 166,
BStBl II 2009, 190 = SIS 08 41 00).
|
|
|
37
|
ee) Schließlich steht der Annahme eines
Zuflusses im Wege der Novation auch nicht die vom FG zu diesem
Zeitpunkt angenommene Wertlosigkeit des Anspruchs auf
Rückzahlung der Anlagesumme entgegen.
|
|
|
38
|
aaa) Zwar ist ein Zufluss auf Grundlage einer
Novation i.S. des § 11 Abs. 1 EStG zu verneinen, wenn
über eine wertlose Forderung verfügt wird (Senatsurteil
vom 21.7.1987 VIII R 211/82, BFH/NV 1988, 224). Von der
Wertlosigkeit des Anspruchs auf Rückzahlung der Anlagesumme
ist indes im Regelfall nicht auszugehen, solange ein Antrag auf
Eröffnung des Konkurs- oder Insolvenzverfahrens über das
Vermögen des Betreibers des Schneeballsystems noch nicht
gestellt wurde (ständige Rechtsprechung, vgl. Senatsurteil in
BFHE 223, 166, BStBl II 2009, 190 = SIS 08 41 00, m.w.N.). Hierzu
ist es während der Streitjahre nicht gekommen. Entgegen der
Auffassung des FG waren die jeweiligen (noch nicht fälligen)
Forderungen auf Rückzahlung der Anlagesumme in den
Streitjahren als werthaltig anzusehen.
|
|
|
39
|
bbb) Es besteht auch angesichts der
Entscheidung des II. Senats des BFH in BFH/NV 2011, 7 = SIS 10 39 44, der gemäß § 12 Abs. 1 und 2 des
Bewertungsgesetzes im Rahmen einer Prognoseentscheidung für
Zwecke der Vermögensteuer zu einer anderen Bewertung der
Kapitalrückzahlungsforderungen gelangt ist, kein Grund,
hiervon abzuweichen. Der II. Senat hat in dieser Entscheidung unter
II.1.a selbst darauf hingewiesen, die Bewertung der
Rückzahlungsforderungen unterhalb des Nennwerts für
Vermögensteuerzwecke sei für die Beurteilung der Frage,
ob einkommensteuerrechtlich Einnahmen aus Kapitalvermögen
zufließen, nicht maßgeblich.
|
|
|
40
|
ccc) Den Überlegungen Wolff-Diepenbrocks
(Festschrift für Wolfgang Spindler 2011, S. 897, 911 f.)
vermag der Senat nicht zu folgen. Diese beruhen im Wesentlichen auf
der Prämisse, dem Anleger fließe als Gegenleistung
für den hingegebenen Zinsauszahlungsanspruch nur eine
(erhöhte) Kapitalrückzahlungsforderung zu, die erst mit
ihrer Befriedigung zu einer Einnahme i.S. des § 8 Abs. 1 EStG
führen könne. Wolff-Diepenbrock geht zum einen jedoch -
innerhalb seines abweichenden Verständnisses des
Novationsvorgangs - selbst davon aus, der Zufluss einer Forderung
führe auch zum „Zufluss von Geld“ (und
nicht nur der Forderung), wenn der Gläubiger über seine
Altforderung im eigenen Interesse verfüge (s. Festschrift
für Wolfgang Spindler 2011, S. 897, 904 f., 912). Letzteres
ist aber in Schneeballsystemen der Fall, da der Anleger im
Zeitpunkt der Wiederanlage wegen der Aussicht auf die versprochene
hohe Verzinsung nicht vereinnahmte Zinsen der Anlagesumme
zuschlagen will. Die Entscheidung zur Wiederanlage liegt
ausschließlich in seinem Interesse. Auf die rein objektive
Betrachtung, dass der Anleger sich anders verhalten würde,
wenn er über das Vorliegen eines Schneeballsystems informiert
wäre, kommt es gerade nicht an (s. unter II.3.c bb aaa). Die
weitere Annahme Wolff-Diepenbrocks (Festschrift für Wolfgang
Spindler 2011, S. 897, 911), der im Zeitpunkt der Novation
zufließende Kapitalrückzahlungsanspruch habe (stets)
einen Wert unterhalb des Nennwerts der Forderung, teilt der Senat
ebenfalls nicht (s. unter II.3.c dd). Es ist nicht ersichtlich,
warum im Zeitpunkt der Novation vor Eintritt der
Zahlungsunfähigkeit des Betreibers des Schneeballsystems der
Wert der „zufließenden“ Forderung
einkommensteuerrechtlich unterhalb des Nennwerts dieser Forderung
liegen sollte.
|
|
|
41
|
4. Die Vorentscheidung ist aufzuheben. Die
Sache ist spruchreif und die Klage abzuweisen (§ 126 Abs. 3
Satz 1 Nr. 1 FGO), da die angefochtenen Einkommensteuerbescheide
der Streitjahre rechtmäßig sind und den Kläger
nicht in seinen Rechten verletzen (§ 100 Abs. 1 Satz 1
FGO).
|