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I. Streitig ist, ob die Voraussetzungen
einer doppelten Haushaltsführung vorliegen.
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Der im Jahre 1964 geborene Kläger und
Revisionskläger (Kläger) ist alleinstehend und erzielte
im Streitjahr 2007 als Chemiker Einkünfte aus
nichtselbständiger Arbeit. Er arbeitete im Streitjahr in B.
Diese Stelle hatte er im Jahr 2006 angetreten und dort auch seinen
Zweitwohnsitz begründet. Seinen Hauptwohnsitz behielt er in N
bei und wohnte dort zusammen mit seiner Mutter im Einfamilienhaus,
das im Streitjahr seiner (im Streitjahr 71 Jahre alten) Mutter zu
3/4 und dem Kläger und seiner Schwester zu jeweils 1/8
gehörte. Er nutzte nach eigenen Angaben in dem Einfamilienhaus
ein Schlaf- und Arbeitszimmer sowie ein Badezimmer allein. Die
Küche, das Ess- und Wohnzimmer wurden von ihm und seiner
Mutter gemeinsam genutzt. Im Jahr 2010 wurde das Anwesen auf den
Kläger übereignet.
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In seiner Einkommensteuererklärung
für das Streitjahr machte der Kläger erfolglos
Mehraufwendungen für eine doppelte Haushaltsführung in
Höhe von insgesamt 7.053 EUR als Werbungskosten bei seinen
Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit geltend.
Einspruch und Klage blieben ebenfalls ohne Erfolg. Zwar seien sich
die Beteiligten inzwischen einig, dass der Kläger das
Fortbestehen seines Lebensmittelpunktes am Heimatort durch
geeignete Belege nachgewiesen habe. Gleichwohl habe der Beklagte
und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA - ) die geltend gemachten
Aufwendungen für eine doppelte Haushaltsführung bei der
angefochtenen Einkommensteuerfestsetzung zu Recht nicht
berücksichtigt. Denn der Kläger habe in N keinen eigenen
Hausstand unterhalten, sondern sei lediglich in den Haushalt der
Mutter eingegliedert gewesen. Das Urteil ist in EFG 2012, 1921 =
SIS 12 23 52 veröffentlicht.
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Mit der Revision rügt der Kläger
die Verletzung formellen und materiellen Rechts.
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Er beantragt, das Urteil des Finanzgerichts
(FG) Rheinland-Pfalz vom 14.2.2012 3 K 2338/09 und die
Einspruchsentscheidung vom 11.9.2009 aufzuheben sowie den
Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2007 vom 4.3.2009
dahingehend abzuändern, dass bei den Einkünften des
Klägers aus nichtselbständiger Arbeit Aufwendungen
für eine doppelte Haushaltsführung in Höhe von 2.949
EUR als Werbungskosten berücksichtigt werden,
hilfsweise
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das Ruhen des Verfahrens bis zu einer
Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) oder des
Bundesverfassungsgerichts hinsichtlich der
Verfassungsmäßigkeit der derzeitigen Gesetzeslage bzw.
Verwaltungspraxis.
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Das FA beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
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II. Die Revision ist begründet. Sie
führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur
Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen
Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der
Finanzgerichtsordnung - FGO - ).
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1. Gemäß § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr.
5 des Einkommensteuergesetzes (EStG) sind notwendige
Mehraufwendungen, die einem Arbeitnehmer wegen einer aus
beruflichem Anlass begründeten doppelten Haushaltsführung
entstehen, Werbungskosten. Eine doppelte Haushaltsführung
liegt nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 2 EStG vor, wenn der
Arbeitnehmer außerhalb des Ortes, in dem er einen eigenen
Hausstand unterhält, beschäftigt ist und auch am
Beschäftigungsort wohnt. Dies gilt grundsätzlich auch
für einen alleinstehenden Arbeitnehmer; auch er kann einen
doppelten Haushalt führen (ständige Rechtsprechung des
Senats, zuletzt Urteil vom 21.4.2010 VI R 26/09, BFHE 230, 5, BStBl
II 2012, 618 = SIS 10 22 53, m.w.N.).
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a) Hausstand i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 3
Nr. 5 Satz 2 EStG ist der Haushalt, den der Arbeitnehmer am
Lebensmittelpunkt führt, also sein Erst- oder Haupthaushalt.
Bei einem alleinstehenden Arbeitnehmer ist entscheidend, dass er
sich in dem Haushalt, im Wesentlichen nur unterbrochen durch die
arbeits- und urlaubsbedingte Abwesenheit, aufhält; denn allein
das Vorhalten einer Wohnung für gelegentliche Besuche oder
für Ferienaufenthalte ist noch nicht als Unterhalten eines
Hausstands zu bewerten. Ebenfalls wird ein eigener Hausstand nicht
unterhalten, wenn der nicht verheiratete Arbeitnehmer als nicht die
Haushaltsführung wesentlich bestimmender bzw. mitbestimmender
Teil in einen Hausstand eingegliedert ist, wie es
regelmäßig bei jungen Arbeitnehmern der Fall ist, die
nach Beendigung der Ausbildung weiterhin - wenn auch gegen
Kostenbeteiligung - im elterlichen Haushalt ihr Zimmer bewohnen.
Die elterliche Wohnung kann in einem dieser häufigen
Fälle zwar, auch wenn das Kind am Beschäftigungsort eine
Unterkunft bezogen hat, wie bisher der Mittelpunkt seiner
Lebensinteressen sein, sie ist aber nicht ein von dem Kind
unterhaltener eigener Hausstand (BFH-Urteil vom 5.10.1994 VI R
62/90, BFHE 175, 430, BStBl II 1995, 180 = SIS 95 01 33). Bei
älteren, wirtschaftlich selbständigen, berufstätigen
Kindern, die mit ihren Eltern oder einem Elternteil in einem
gemeinsamen Haushalt leben, ist hingegen davon auszugehen, dass sie
die Führung des Haushalts maßgeblich mitbestimmen, so
dass ihnen dieser Hausstand als „eigener“
zugerechnet werden kann. Diese Regelvermutung gilt insbesondere,
wenn die Wohnung am Beschäftigungsort dem Arbeitnehmer im
Wesentlichen nur als Schlafstätte dient. Denn dort ist
regelmäßig weder der Haupthausstand noch der Mittelpunkt
der Lebensinteressen des Steuerpflichtigen zu verorten. Entspricht
die Wohnsituation am Heimatort der Wohnung am
Beschäftigungsort in Größe und Ausstattung oder
übertrifft sie diese, ist dies vielmehr ein wesentliches Indiz
dafür, dass der Mittelpunkt der Lebensführung nicht an
den Beschäftigungsort verlegt worden ist, sondern der
Haupthausstand dort fortgeführt wird (vgl. BFH-Urteil in BFHE
175, 430, BStBl II 1995, 180 = SIS 95 01 33). Dies gilt umso mehr,
wenn der Steuerpflichtige dort sein Privatleben führt, weil
zum Heimatort die engeren persönlichen Beziehungen bestehen,
beispielsweise wegen der - mit steigender Lebenserwartung immer
häufiger - alten, betreuungs- oder sogar
pflegebedürftigen Eltern (BFH-Urteile in BFHE 175, 430, BStBl
II 1995, 180 = SIS 95 01 33; vom 9.8.2007 VI R 10/06, BFHE 218,
380, BStBl II 2007, 820 = SIS 07 29 04).
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b) Der Umstand, dass der Arbeitnehmer dabei am
Heimatort nicht über eine abgeschlossene Wohnung verfügt,
steht dieser Vermutung nicht entgegen. Nach ständiger
Rechtsprechung des BFH können die durch das Leben am
Beschäftigungsort zusätzlich entstehenden notwendigen
Aufwendungen grundsätzlich auch dann zu Werbungskosten
führen, wenn die Wohnverhältnisse des Steuerpflichtigen
am Ort seines Lebensmittelpunktes vergleichsweise einfach oder
beengt sein sollten (BFH-Urteil vom 14.10.2004 VI R 82/02, BFHE
207, 292, BStBl II 2005, 98 = SIS 04 41 15, m.w.N.). Insbesondere
müssen die dem Arbeitnehmer zur ausschließlichen Nutzung
überlassenen Räumlichkeiten nicht den
bewertungsrechtlichen Anforderungen an eine Wohnung gerecht werden
(BFH-Urteil in BFHE 207, 292, BStBl II 2005, 98 = SIS 04 41 15).
Der Senat hat es in dieser Entscheidung auch für unerheblich
angesehen, dass sich der Arbeitnehmer in der ihm von seinen Eltern
überlassenen Wohnung die Sanitäreinrichtung mit seiner
Schwester teilen musste, weil ihm die übrigen
Räumlichkeiten eine eigenständige Haushaltsführung
ermöglichten (vgl. auch BFH-Urteil vom 15.12.2005 III R 27/05,
BFHE 212, 376, BStBl II 2006, 561 = SIS 06 20 01, m.w.N.).
Entsprechendes gilt, wenn dem Arbeitnehmer die Küche nicht zur
alleinigen Verfügung steht (BFH-Urteil vom 30.7.2009 VI R
13/08, BFH/NV 2009, 1986 = SIS 09 36 28). Deshalb kann ein eigener
Hausstand auch dann unterhalten werden, wenn der Erst- oder
Haupthausstand gemeinsam mit den Eltern oder einem Elternteil
geführt wird (Senatsurteil vom 26.7.2012 VI R 10/12, zur
amtlichen Veröffentlichung bestimmt, BFH/NV 2013, 112 = SIS 12 30 60).
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c) Auch bedarf es der Übernahme einer
besonderen finanziellen Verantwortung für den (gemeinsamen)
Hausstand durch die gleichmäßige Beteiligung an den
laufenden Haushalts- und Lebenshaltungskosten durch den
Steuerpflichtigen nicht. Denn eine finanzielle Beteiligung, aus der
auf eine gemeinsame Haushaltsführung von Eltern und Kindern
geschlossen werden kann, kann auch vorliegen, wenn etwa eine
Aufteilung nach laufenden und einmaligen Kosten oder nach
gewöhnlichem und außergewöhnlichem Aufwand
vorgenommen wird. Im Übrigen ist dem Merkmal der
Entgeltlichkeit lediglich - eine gewichtige - Indizfunktion
beizumessen. Denn die Entgeltlichkeit ist keine unerlässliche
Voraussetzung (conditio sine qua non) einer steuererheblichen
doppelten Haushaltsführung. Dies gilt sowohl für die
Überlassung der Wohnung selbst als auch für die
Kostentragung im Übrigen. Es ist deshalb nicht ausgeschlossen,
dass ein alleinstehender Steuerpflichtiger auch dann einen eigenen
Haushalt unterhält, wenn nicht er selbst, sondern Dritte
für diese Kosten aufkommen. Denn eine eigene
Haushaltsführung des auswärts Beschäftigten ist
nicht zwingend ausgeschlossen, wenn sich dessen finanzielle
Beteiligung am Haushalt nicht feststellen lässt, wie auch
umgekehrt aus einem finanziellen Beitrag allein nicht zwingend auf
das Unterhalten eines eigenen Haushalts zu schließen ist
(Senatsurteile vom 28.3.2012 VI R 87/10, BFHE 236, 553, BStBl II
2012, 800 = SIS 12 13 80, und in BFH/NV 2013, 112 = SIS 12 30 60).
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2. Die Entscheidung des FG entspricht diesen
Grundsätzen nicht. Denn die Vorinstanz hat zum einen die
gleichmäßige Beteiligung von Eltern und Kindern an den
laufenden Haushalts- und Lebenshaltungskosten zu einer
unverzichtbaren Voraussetzung für eine doppelte
Haushaltsführung im Rahmen eines Mehrgenerationenhaushalts
erhoben. Zum anderen hat das FG verkannt, dass bei einem
erwachsenen, wirtschaftlich selbständigen Kind - wie dem
Kläger, ein im Streitjahr 43 Jahre alter promovierter
Diplomchemiker - regelmäßig vermutet werden kann, dass
es nicht als Gast in den elterlichen Haushalt eingegliedert ist,
sondern jedenfalls dann, wenn es dort lediglich unterbrochen durch
Arbeits- und Urlaubsaufenthalte gemeinsam mit den Eltern oder einem
Elternteil wohnt und deshalb dort der Mittelpunkt der
Lebensinteressen zu verorten ist, auch die gemeinsame
Haushaltsführung wesentlich mitbestimmt. Schließlich hat
die Vorinstanz im Streitfall auch nicht alle maßgeblichen
Umstände in ihre Überzeugungsbildung einbezogen. Denn es
hat weder die Wohnsituationen am Heimat- wie Beschäftigungsort
in den Blick genommen noch gegeneinander abgewogen. Dies stellt
einen materiell-rechtlichen Fehler dar. Auch deshalb bindet die
Würdigung des FG, der Kläger habe keinen
steuererheblichen doppelten Haushalt geführt, den Senat
gemäß § 118 Abs. 2 FGO nicht.
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3. Die Sache ist nicht entscheidungsreif. Das
FG wird daher im zweiten Rechtsgang unter Beachtung der
vorgenannten Rechtsgrundsätze entsprechende weitere
Feststellungen zu dem behaupteten Haupthausstand, insbesondere zu
den Wohnsituationen des Klägers am Heimat- wie
Beschäftigungsort zu treffen haben. Sollte es dabei zu der
Erkenntnis gelangen, dass der Kläger am Beschäftigungsort
nur über eine kleine bescheidene Unterkunft
(Schlafstätte) verfügt - wofür die geltend gemachten
Unterkunftskosten von weniger als 200 EUR monatlich sprechen - und
am Heimatort bei seiner Mutter zwei Zimmer und ein Badezimmer
alleine nutzt, liegt es nahe, aufgrund des Alters des Klägers
und seiner wirtschaftlichen Unabhängigkeit sowie dem Umstand,
dass der Lebensmittelpunkt von den Beteiligten unstreitig am
Heimatort verortet wird, vom Vorliegen einer doppelten
Haushaltsführung i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 EStG
auszugehen. Demgegenüber kommt es nicht darauf an, ob der
Kläger sich an den laufenden Haushaltskosten (beispielsweise
für Wasser, Strom und Gas) beteiligt hat. Im Übrigen
spricht das Vorbringen des Klägers, der behauptete gemeinsame
Haushalt sei - abredegemäß - dergestalt finanziert
worden, dass seine Mutter die laufenden Haushaltskosten und er die
einmaligen hohen Kosten (beispielsweise für
Instandhaltungsmaßnahmen, Schönheitsreparaturen,
Gartenpflege u.Ä.) übernommen habe, ohnehin gegen eine
unentgeltliche Überlassung der vom Kläger zu Wohnzwecken
genutzten Räumlichkeiten.
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4. Der Senat muss nicht entscheiden, ob dem FG
die von dem Kläger gerügten Verfahrensfehler unterlaufen
sind. Der Kläger hat seine Revision auch auf die Verletzung
materiellen Rechts gestützt. In einem solchen Fall muss der
BFH das angefochtene Urteil in vollem Umfang auf die Verletzung
revisiblen Rechts prüfen, ohne dabei an die vorgebrachten
Revisionsgründe gebunden zu sein (Senatsurteil vom 21.1.2010
VI R 51/08, BFHE 228, 85, BStBl II 2010, 700 = SIS 10 05 61;
Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 118 Rz
73). Da die Revision aus anderen Gründen zur Aufhebung der
Vorentscheidung führt, muss der Senat nicht noch darüber
entscheiden, ob der Kläger auch infolge eines
Verfahrensfehlers in seinen Rechten verletzt ist.
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