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I. Streitig ist, ob die Voraussetzungen
einer doppelten Haushaltsführung vorliegen.
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Der aus M stammende, im April 1974 geborene
und in den Streitjahren 2005 und 2006 ledige Kläger und
Revisionskläger (Kläger) nahm im Jahr 2002 ein Studium in
L auf. Am 15.2.2002 mieteten er und seine damalige Kommilitonin,
Frau A, eine Wohnung in L, die sie fortan gemeinsam - nach
Klägerangaben in Form einer Wohngemeinschaft - bewohnten.
Ausweislich des Mietvertrages verfügte diese Wohnung über
drei Zimmer, Küche und Bad und war insgesamt ca. 86 qm
groß. Der Kläger schloss sein Studium 2004 ab und ist
seit dem 17.1.2005 in L nichtselbständig tätig. Die
gemeinsame Wohnung behielten er und A bei. Am 1.11.2005 zog A aus
der Wohnung aus; ab diesem Zeitpunkt war der Kläger alleiniger
Mieter und Nutzer dieser Wohnung.
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Der Kläger behielt während der
gesamten Zeit einen Wohnsitz auf dem elterlichen Grundstück in
M bei. Das Grundstück, das zunächst beiden Eltern zu
Miteigentum gehörte, war mit einem nicht in separate Wohnungen
unterteilten Wohnhaus bebaut. Das Haus verfügte über
fünf Wohn- bzw. Schlafzimmer, von denen zwei im Keller gelegen
waren, sowie über zwei Badezimmer, von denen sich eines im
Keller befand, und eine Küche. Die Kellerräume waren
über einen separaten Eingang erreichbar. In dem im Keller
gelegenen Bad befand sich die einzige Waschmaschine des Hauses. Der
Kläger und seine Eltern bewohnten das Haus in den Streitjahren
in der Weise gemeinsam, dass dem Kläger - nach seinen Angaben
- die beiden im Keller gelegenen Räume zur alleinigen,
ausschließlichen Nutzung überlassen waren; das
Badezimmer stand den Eltern für die Nutzung der Waschmaschine,
im Übrigen aber dem Kläger zur Verfügung. Die
(einzige) Küche des Hauses nutzte der Kläger gemeinsam
mit seinen Eltern; allerdings stand dem Kläger im Keller ein
eigener Kühlschrank zur Verfügung. Den einzigen
Telefonanschluss im Haus nutzten der Kläger und seine Eltern
gemeinsam.
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Ein Entgelt (Miete) für das Nutzen der
Räumlichkeiten im Keller zahlte der Kläger an seine
Eltern nicht. Es war jedoch vereinbart, dass der Kläger die
Kosten für die Gebäudeversicherung, sämtliche im
Haus anfallenden Reparaturrechnungen sowie die Grundsteuer zu
tragen habe; die Eltern übernahmen demgegenüber für
das gesamte Objekt die Betriebskosten (Strom, Heizung, Wasser). Der
Kläger erledigte darüber hinaus Einkäufe für
sich und für seine Eltern und übernahm körperlich
schwere Arbeiten im Garten.
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Am 18.10.2005 übertrug der Vater des
Klägers diesem seinen Anteil an dem Grundstück. Seitdem
sind der Kläger und seine Mutter Miteigentümer je zur
Hälfte.
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In seinen Einkommensteuererklärungen
für die Streitjahre machte der Kläger die ab dem
18.10.2005 getragenen Aufwendungen für die Wohnung in L sowie
für Familienheimfahrten in Höhe von 1.788 EUR (2005) bzw.
7.713 EUR (2006) geltend. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das
Finanzamt - FA - ) erkannte bei der Veranlagung für 2005 mit
Bescheid vom 31.8.2006 die Kosten der Unterkunft zunächst an,
nicht jedoch die Kosten für die Familienheimfahrten. Der
Kläger erhob hiergegen am 7.9.2006 Einspruch. Das FA teilte
dem Kläger daraufhin mit, nunmehr auch die Kosten der
Unterbringung in L nicht mehr berücksichtigen zu wollen; die
Voraussetzungen für eine doppelte Haushaltsführung seien
nicht gegeben. Für das Jahr 2006 verweigerte das FA im
Bescheid vom 6.6.2007 den geltend gemachten Aufwendungen von
vornherein die Anerkennung. Die dagegen nach erfolglosem
Einspruchsverfahren erhobene Klage hat das Finanzgericht (FG)
abgewiesen. Das FA habe den Aufwendungen im Rahmen der geltend
gemachten doppelten Haushaltsführung zu Recht die Anerkennung
versagt. Denn bei Würdigung aller bekannten Umstände des
Streitfalles könne nicht davon ausgegangen werden, dass der
Kläger in M einen eigenen Hausstand unterhalten habe.
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Mit der dagegen eingelegten Revision
rügt der Kläger die Verletzung formellen und materiellen
Rechts.
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Der Kläger beantragt
sinngemäß, das Urteil des FG Berlin-Brandenburg vom
14.9.2011 12 K 12092/09 und die Teileinspruchsentscheidungen vom
23.3.2009 aufzuheben sowie den Einkommensteuerbescheid für das
Jahr 2005 vom 31.8.2006 und den Einkommensteuerbescheid für
das Jahr 2006 vom 6.6.2007 dahingehend abzuändern, dass bei
den Einkünften des Klägers aus nichtselbständiger
Arbeit weitere Werbungskosten in Höhe von 1.788 EUR für
das Jahr 2005 und 8.809 EUR für das Jahr 2006
berücksichtigt werden.
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Das FA beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
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II. Die Revision ist begründet. Sie
führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur
Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen
Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der
Finanzgerichtsordnung - FGO - ). Mangels Entscheidungserheblichkeit
kann offenbleiben, ob die Rüge des Klägers, die
Vorinstanz habe den Sachverhalt mangelhaft aufgeklärt,
schlüssig erhoben wurde (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH -
vom 30.7.2009 VI R 13/08, BFH/NV 2009, 1986 = SIS 09 36 28).
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1. Gemäß § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr.
5 des Einkommensteuergesetzes (EStG) sind notwendige
Mehraufwendungen, die einem Arbeitnehmer wegen einer aus
beruflichem Anlass begründeten doppelten Haushaltsführung
entstehen, Werbungskosten. Eine doppelte Haushaltsführung
liegt nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 2 EStG vor, wenn der
Arbeitnehmer außerhalb des Ortes, in dem er einen eigenen
Hausstand unterhält, beschäftigt ist und auch am
Beschäftigungsort wohnt. Dies gilt grundsätzlich auch
für einen alleinstehenden Arbeitnehmer; auch er kann einen
doppelten Haushalt führen (ständige Rechtsprechung des
Senats, zuletzt Urteil vom 21.4.2010 VI R 26/09, BFHE 230, 5, BStBl
II 2012, 618 = SIS 10 22 53, m.w.N.).
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a) Hausstand i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 3
Nr. 5 Satz 2 EStG ist der Haushalt, den der Arbeitnehmer am
Lebensmittelpunkt führt, also sein Erst- oder Haupthaushalt.
Bei einem alleinstehenden Arbeitnehmer ist entscheidend, dass er
sich in dem Haushalt, im Wesentlichen nur unterbrochen durch die
arbeits- und urlaubsbedingte Abwesenheit, aufhält; denn allein
das Vorhalten einer Wohnung für gelegentliche Besuche oder
für Ferienaufenthalte ist noch nicht als Unterhalten eines
Hausstands zu bewerten. Ebenfalls wird ein eigener Hausstand nicht
unterhalten, wenn der Arbeitnehmer die Haushaltsführung nicht
zumindest mitbestimmt, sondern nur in einen fremden Haushalt - etwa
in den der Eltern oder als Gast - eingegliedert ist. Dann liegt
keine eigene Haushaltsführung vor (BFH-Urteil in BFHE 230, 5,
BStBl II 2012, 618 = SIS 10 22 53, mit Hinweis auf BFH-Urteil vom
14.6.2007 VI R 60/05, BFHE 218, 229, BStBl II 2007, 890 = SIS 07 29 07).
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b) Nach der vorgenannten Senatsrechtsprechung
(Urteile in BFHE 230, 5, BStBl II 2012, 618 = SIS 10 22 53; in BFHE
218, 229, BStBl II 2007, 890 = SIS 07 29 07) ist insbesondere dann,
wenn dem Arbeitnehmer die Wohnung unentgeltlich überlassen
wird, zu prüfen, ob der Arbeitnehmer einen eigenen Hausstand
unterhält oder in einen fremden eingegliedert ist. Dabei hat
der Senat aber dem Merkmal der Entgeltlichkeit lediglich - eine
gewichtige - Indizfunktion beigemessen, ohne die Entgeltlichkeit
indessen als unerlässliche Voraussetzung (conditio sine qua
non) zu betrachten. Dies gilt sowohl für die Überlassung
der Wohnung selbst als auch für die Kostentragung im
Übrigen. Zwischen dem Unterhalten eines eigenen Haushalts und
der Frage, wer die Kosten dafür trägt, ist zu
unterscheiden. Es ist deshalb nicht ausgeschlossen, dass ein
alleinstehender Steuerpflichtiger auch dann einen eigenen Haushalt
unterhält, wenn nicht er selbst, sondern Dritte für diese
Kosten aufkommen. Denn eine eigene Haushaltsführung des
auswärts Beschäftigten ist nicht zwingend ausgeschlossen,
wenn sich dessen finanzielle Beteiligung am Haushalt nicht
feststellen lässt, wie auch umgekehrt aus einem finanziellen
Beitrag allein nicht zwingend auf das Unterhalten eines eigenen
Haushalts zu schließen ist (Senatsurteil vom 28.3.2012 VI R
87/10, BFHE 236, 553 = SIS 12 13 80).
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c) Der Hausstand i.S. des § 9 Abs. 1 Satz
3 Nr. 5 Satz 2 EStG ist der Erst- oder Haupthaushalt, den der
Steuerpflichtige in einer Wohnung innehat. Ob ein Steuerpflichtiger
in einer Wohnung einen eigenen Hausstand führt, kann mithin
nur unter Berücksichtigung insbesondere der Einrichtung, der
Ausstattung und der Größe eben dieser Wohnung
entschieden werden. Wird der Haushalt in einer in sich
abgeschlossenen Wohnung geführt, die auch nach
Größe und Ausstattung ein eigenständiges Wohnen und
Wirtschaften gestattet, wird regelmäßig vom Unterhalten
eines eigenen Hausstands auszugehen sein (Senatsurteil in BFHE 236,
553 = SIS 12 13 80). Allerdings müssen die dem Arbeitnehmer
zur ausschließlichen Nutzung überlassenen
Räumlichkeiten nicht den bewertungsrechtlichen Anforderungen
an eine Wohnung gerecht werden (BFH-Urteil vom 14.10.2004 VI R
82/02, BFHE 207, 292, BStBl II 2005, 98 = SIS 04 41 15). Der Senat
hat es in dieser Entscheidung auch für unerheblich angesehen,
dass sich der Arbeitnehmer in der ihm von seinen Eltern
überlassenen Wohnung die Sanitäreinrichtung mit seiner
Schwester teilen musste, weil ihm die übrigen
Räumlichkeiten eine eigenständige Haushaltsführung
ermöglichten (vgl. auch BFH-Urteil vom 15.12.2005 III R 27/05,
BFHE 212, 376, BStBl II 2006, 561 = SIS 06 20 01, m.w.N.).
Entsprechendes gilt, wenn dem Arbeitnehmer die Küche nicht zur
alleinigen Verfügung steht (BFH-Urteil in BFH/NV 2009, 1986 =
SIS 09 36 28). Deshalb kann ein eigener Hausstand auch dann
unterhalten werden, wenn der Erst- oder Haupthausstand im Rahmen
einer Wohngemeinschaft (mit den Eltern) geführt wird.
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Weiter sind aber auch die persönlichen
Lebensumstände, Alter und Personenstand des Steuerpflichtigen
zu berücksichtigen. So wird regelmäßig ein junger
Steuerpflichtiger, der nach Schulabschluss gerade eine Ausbildung
begonnen hat, noch eher in den Haushalt seiner Eltern eingegliedert
sein, wenn er im Haus der Eltern wohnt, selbst wenn er dort auch
eigene Räume zur Verfügung hat. Hatte der
Steuerpflichtige dagegen schon - etwa im Rahmen einer gefestigten
Beziehung oder Ehe - andernorts einen eigenen Hausstand
geführt, ist es regelmäßig nicht fernliegend, dass
er einen solchen auch dann weiter unterhalten und fortführen
wird, wenn er diesen aufgibt und wieder eine Wohnung im Haus seiner
Eltern bezieht (Senatsurteil in BFHE 236, 553 = SIS 12 13 80) oder
gar den elterlichen Haushalt über- und seine Eltern wegen
Krankheit oder Pflegebedürftigkeit in den vormals elterlichen,
nunmehr eigenen Haushalt aufnimmt.
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2. Die Entscheidung des FG entspricht diesen
Grundsätzen nicht.
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Mit seiner Auffassung, der Kläger
unterhalte keinen eigenen Hausstand, weil die Wohnsituation des
Klägers am vermeintlichen Haupthausstand und seine finanzielle
Beteiligung an diesem eher für einen gemeinsamen mit seinen
Eltern betriebenen Haushalt, als für eine von den Eltern
getrennte Haushaltsführung sprechen, verkennt das FG, dass ein
eigener Hausstand auch dann unterhalten werden kann, wenn der Erst-
oder Haupthausstand im Rahmen einer Wohngemeinschaft (mit den
Eltern) geführt wird. Zwar sind Kinder zunächst in den
Haushalt ihrer Eltern eingegliedert, und zwar regelmäßig
auch dann, wenn sie nach Beendigung der Ausbildung - gegen
Kostenbeteiligung - weiterhin im elterlichen Haus eigene Räume
bewohnen. Der „kleinfamilientypische“ Haushalt
der Eltern kann sich aber zu einem wohngemeinschaftsähnlichen,
gemeinsamen und mitbestimmten, Mehrgenerationenhaushalt oder gar
zum Haushalt des erwachsenen Kindes, in den die Eltern
beispielsweise wegen Krankheit oder Pflegebedürftigkeit
aufgenommen sind, wandeln.
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3. Die Sache ist nicht entscheidungsreif. Das
FG wird daher im zweiten Rechtsgang unter Beachtung der
vorgenannten Rechtsgrundsätze entsprechende weitere
Feststellungen - gegebenenfalls durch Zeugenbeweis - zu dem
behaupteten Haupthausstand treffen und auf dieser Grundlage erneut
zu würdigen haben, ob der Kläger in den fraglichen
Räumlichkeiten einen eigenen Hausstand i.S. des § 9 Abs.
1 Satz 3 Nr. 5 EStG, möglicherweise im Rahmen eines
Mehrgenerationenhaushalts, unterhalten hat.
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a) Dabei hat es insbesondere die Ausstattung
der dem Kläger zur Verfügung stehenden Räume mit
eigenen Möbeln und Haushaltsgegenständen, die Art und
Weise der (u.U. gemeinsamen) Haushaltsführung und die
persönliche Beteiligung des Klägers am möglichen
Mehrgenerationenhaushalt, aber auch die Größe der
Zweitwohnung und die erstmals im Revisionsverfahren behauptete
Untervermietung am Beschäftigungsort in den Blick zu nehmen.
Sollte das FG danach zu dem Ergebnis kommen, dass der Kläger
einen eigenen Haupthaushalt führt, hat es zunächst zu
prüfen, ob der Zweithaushalt am Beschäftigungsort
beruflich veranlasst ist. Das ist der Fall, wenn der Arbeitnehmer
den Zweithaushalt führt, um von dort aus seinen Arbeitsplatz
aufsuchen zu können. Dann ist es insoweit auch unerheblich, ob
der Arbeitnehmer diesen zweiten Haushalt allein oder gemeinsam mit
Freunden oder Arbeitskollegen führt. Das Einkommensteuerrecht
sieht insoweit keine weitere Motivforschung für die
gewählte Wohnform am Beschäftigungsort vor, begrenzt den
Werbungskostenabzug jedoch insoweit auf die notwendigen
Mehraufwendungen und damit auf den durchschnittlichen Mietzins
einer 60-qm-Wohnung (BFH-Urteil vom 28.3.2012 VI R 25/11, zur
amtlichen Veröffentlichung bestimmt, BFH/NV 2012, 1525 = SIS 12 19 54). Sodann hat das FG festzustellen, ob sich der
Lebensmittelpunkt des Klägers noch in seinem Heimatort
befand.
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b) Letzteres ist auch dann erforderlich, wenn
das FG erneut zu dem Ergebnis kommt, dass eine doppelte
Haushaltsführung zu verneinen ist. Denn dann wird
gegebenenfalls § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Satz 6 EStG zu beachten
sein. Wie der Kläger zutreffend ausführt, können
auch Aufwendungen eines Arbeitnehmers für die Fahrten zwischen
weiter entfernt liegender Wohnung und Arbeitsstätte
gemäß § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG als
Werbungskosten zu berücksichtigen sein, sofern der
Arbeitnehmer mehrere Wohnungen innehat, der örtliche
Lebensmittelpunkt des Steuerpflichtigen in der weiter entfernt
liegenden Wohnung zu verorten ist und er diese Wohnung nicht nur
gelegentlich aufsucht (§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Satz 6
EStG).
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