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I. Der Kläger und Revisionskläger
(Kläger) ist polnischer Staatsangehöriger. Er lebt mit
seiner Ehefrau und zwei Kindern, S und K, in einem gemeinsamen
Familienhaushalt in Polen. Ein Anspruch auf Kindergeld für die
beiden Kinder besteht in Polen nicht.
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Vom 2. April bis zum 30.9.2009 war der
Kläger im Inland sozialversicherungspflichtig
beschäftigt. Nach den Feststellungen des Finanzgerichts (FG)
ist der Kläger wegen der aus dieser Tätigkeit erzielten
Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit als
unbeschränkt einkommensteuerpflichtig gemäß §
1 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes in der im Streitjahr 2009
geltenden Fassung (EStG) behandelt worden.
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Dem Kläger war zunächst ab April
2009 Kindergeld für die Kinder S und K bewilligt worden. Dem
Einspruch gegen die (teilweise) Aufhebung der Kindergeldfestsetzung
für die Kinder S und K half die Beklagte und Revisionsbeklagte
(Familienkasse) mit Bescheid vom 28.10.2010 insoweit ab, als
für beide Kinder für den Zeitraum April bis September
2009 Kindergeld in voller gesetzlicher Höhe gewährt
wurde, nicht jedoch für den Zeitraum vor Aufnahme und nach
Beendigung der Erwerbstätigkeit (von Januar bis März bzw.
von Oktober bis Dezember 2009). Die hiergegen erhobene Klage, die
der Kläger damit begründet hatte, die Voraussetzungen
für die Kindergeldgewährung hätten nicht nur
für den Zeitraum der Arbeitstätigkeit, sondern im ganzen
Jahr vorgelegen, wies das FG als unbegründet ab. Der
Kläger habe zwar nach § 62 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG
i.V.m. § 1 Abs. 3 Satz 1 EStG Anspruch auf Kindergeld, weil er
als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig zu behandeln und
dementsprechend zur Einkommensteuer veranlagt worden sei. Den
erforderlichen Antrag nach § 1 Abs. 3 EStG habe er konkludent
mit der Abgabe der Einkommensteuererklärung 2009 bei dem
Finanzamt gestellt. Die unbeschränkte Einkommensteuerpflicht
bestehe allerdings nur für den Zeitraum, für den der
Kläger Einkünfte erziele, da die unbeschränkte
Steuerpflicht nach § 1 Abs. 3 Satz 4 2. Halbsatz EStG nur
„soweit“ entstehe, als inländische Einkünfte
vorlägen. Dieses Tatbestandsmerkmal betreffe nicht nur die
Höhe der Einkünfte, sondern enthalte auch einen
zeitlichen Moment.
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Hiergegen wendet sich der Kläger mit
der vom FG zugelassenen Revision.
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Das FG habe verfahrensfehlerhaft nicht
festgestellt, ob der Kläger außerhalb seiner
nichtselbständigen Tätigkeit vom April bis September 2009
keine weiteren Einkünfte erzielt habe. Das FG hätte dazu
die Einkommensteuerakten auswerten und von ausländischen
Steuerbehörden ergänzende Bescheinigungen beschaffen
müssen.
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Der Einschränkung in § 1 Abs. 3
EStG, wonach natürliche Personen ohne Wohnsitz oder
gewöhnlichem Aufenthalt im Inland unbeschränkt
steuerpflichtig seien, „soweit“ sie inländische
Einkünfte erzielen, sei keine zeitliche Beschränkung
für das Kindergeld zu entnehmen. Deren Sinn und Zweck sei
lediglich, vom Welteinkommen nur die im Inland erzielten
Einkünfte der inländischen Steuerpflicht zu unterwerfen.
Zudem verweist der Kläger auf § 32 Abs. 4 EStG, wonach
bei der Anrechnung eigener Einkünfte des Kindes auf den
Jahresbetrag abzustellen sei. Seine Rechtsauffassung werde auch von
der Dienstanweisung zur Durchführung des
Familienleistungsausgleichs nach dem X. Abschnitt des
Einkommensteuergesetzes (DA-FamEStG) unter Rz 62.1 Satz 10 sowie in
der Kommentarliteratur (Felix, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff,
EStG, § 66 Rz C 8; Pust in Littmann/Bitz/Pust, Das
Einkommensteuerrecht, Kommentar, § 66 Rz 52; Weber-Grellet in
Schmidt, EStG, 31. Aufl., § 66 Rz 6) geteilt. Zudem komme es
ohnehin nicht auf den Beginn oder das Ende der
Erwerbstätigkeit, sondern auf den Zufluss der Einkünfte
an. Die Anwendung des Monatsprinzips führe zu einer
Diskriminierung von Saisonarbeitern.
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Der Kläger beantragt, das Urteil des
FG sowie die Einspruchsentscheidung der Familienkasse vom 5.11.2010
aufzuheben und die Familienkasse zu verpflichten, Kindergeld
für die Kinder S und K für die Monate Januar bis
März und Oktober bis Dezember 2009 zu gewähren,
hilfsweise, dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH)
folgende Rechtsfrage vorzulegen:
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„Ist das EU-Primärrecht (hier
insbesondere die Artikel 3 und 45 des Vertrages über die
Europäische Union - AEUV - ) sowie das EU-Sekundärrecht
(hier insbesondere die VO 1408/71 bzw. 883/2004) jeweils in ihren
aktuellen Fassungen dahin auszulegen, dass sie einer Entscheidung
des Mitgliedstaates entgegenstehen, wonach einem Angehörigen
eines Mitgliedstaates, der sich zur Ausübung einer
Beschäftigung in diesem Mitgliedstaat dort aufhält und
tätig ist (sog. Wanderarbeitnehmer) und der als
unbeschränkt einkommensteuerpflichtig im gesamten Kalenderjahr
veranlagt wurde, Familienleistungen i.S.d. VO 1408/71 bzw. 883/2004
lediglich für den Zeitraum der Ausübung der
Beschäftigung in diesem Mitgliedstaat gewährt wird, wenn
nach der Entscheidung des Mitgliedstaates jedoch einem
Angehörigen eines Mitgliedstaates, der sich lediglich als sog.
Grenzpendler innerhalb seiner täglichen Arbeitszeit in diesem
Mitgliedstaat aufhält und als unbeschränkt
einkommensteuerpflichtig im gesamten Kalenderjahr veranlagt wurde,
die Familienleistungen für das gesamte Kalenderjahr
gewährt werden?“
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Die Familienkasse beantragt, die Revision
als unbegründet zurückzuweisen.
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Eine Zuweisung des Klägers unter die
deutschen Rechtsvorschriften aufgrund einer (weiteren)
Beschäftigung im Inland sei nicht möglich. Die Anwendung
der vom EuGH in der Rechtssache Bosmann (Urteil vom 20.5.2008
C-352/06, Slg. 2008, I-3827, HFR 2008, 877 = SIS 08 27 55)
aufgestellten Grundsätze komme nicht in Betracht, da
außerhalb des Zeitraums der sozialversicherungspflichtigen
Beschäftigung im Inland kein Anknüpfungspunkt für
eine im Hinblick auf die Arbeitnehmerfreizügigkeit gebotene
Gewährung deutschen Kindergeldes erkennbar sei.
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II. Die Revision des Klägers ist im
Ergebnis begründet. Das Urteil des FG ist aufzuheben und die
Sache an das FG zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 1
Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO - ). Das FG hat zwar zu Recht
entschieden, dass dem Kläger ein Anspruch auf Kindergeld nur
für diejenigen Kalendermonate zusteht, in denen er im Inland
unbeschränkt steuerpflichtige Einkünfte i.S. von § 1
Abs. 3 i.V.m. § 49 EStG erzielt hat. Hierzu sind jedoch noch
weitere Feststellungen zur „Behandlung als
unbeschränkt Steuerpflichtiger“ sowie zum Zeitpunkt
des Zuflusses der Einkünfte aus nichtselbständiger
Tätigkeit zu treffen.
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1. Dem Kläger steht nach § 62 Abs. 1
Nr. 1 EStG für die streitigen Monate Januar bis März 2009
und Oktober bis Dezember 2009 kein Anspruch auf Kindergeld zu; denn
nach § 62 Abs. 1 Nr. 1 EStG hat Anspruch auf Kindergeld
für Kinder i.S. des § 63 EStG, wer im Inland einen
Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat.
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Selbst wenn der Kläger in den Monaten,
für die er Kindergeld erhalten hat (von April bis September
2009) im Inland einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt
gehabt hätte, wofür nach dem vom FG nicht festgestellten
Akteninhalt die Geltendmachung von Aufwendungen für eine
doppelte Haushaltsführung spricht, stünde ihm für
die allein streitigen Monate Januar bis einschließlich
März 2009 und Oktober bis einschließlich Dezember 2009
kein Kindergeld nach § 62 Abs. 1 Nr. 1 EStG zu, weil er in
diesen Monaten keinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im
Inland hatte. Denn nach § 66 Abs. 2 EStG wird das Kindergeld
monatlich vom Beginn des Monats an gezahlt, in dem die
Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind, bis zum Ende des
Monats, in dem die Anspruchsvoraussetzungen wegfallen (sog.
Monatsprinzip). Der Kindergeldanspruch richtet sich daher danach,
ob die Voraussetzungen für die Gewährung von Kindergeld
im jeweiligen Monat vorliegen. Beim Wechsel von der
beschränkten zur unbeschränkten Steuerpflicht und
umgekehrt kann Kindergeld daher nur vom Beginn des Monats, in dem
ein inländischer Wohnsitz oder gewöhnlicher Aufenthalt
begründet wird, bis zum Ablauf des Monats, in dem dieser
aufgegeben wird, gewährt werden (vgl. Urteil des
Bundesfinanzhofs - BFH - vom 20.11.2008 III R 53/05, BFH/NV 2009,
564 = SIS 09 08 96). Vor Begründung und nach Aufgabe des
inländischen Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts
besteht daher kein Anspruch auf Kindergeld.
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2. Dem Kläger steht für die
streitigen Monate Januar bis März 2009 und Oktober bis
Dezember 2009 - vorbehaltlich der Frage der zeitlichen Zuordnung
der Einkünfte - auch kein Anspruch nach § 62 Abs. 1 Nr. 2
Buchst. b EStG zu, wenn er im Zeitraum April bis September 2009
keinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland
besaß.
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a) Für Kinder i.S. des § 63 EStG hat
nach § 62 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG Anspruch auf Kindergeld,
wer ohne Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland nach
§ 1 Abs. 3 EStG „als unbeschränkt
einkommensteuerpflichtig behandelt“ wird.
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Nach § 1 Abs. 3 EStG werden auf Antrag
auch natürliche Personen als unbeschränkt
einkommensteuerpflichtig behandelt, die im Inland weder einen
Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, soweit sie
inländische Einkünfte i.S. des § 49 EStG haben. Dies
gilt nur, wenn ihre Einkünfte im Kalenderjahr zu mindestens 90
% der deutschen Einkommensteuer unterliegen oder die nicht der
deutschen Einkommensteuer unterliegenden Einkünfte den
Grundfreibetrag nach § 32a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 EStG nicht
übersteigen. Voraussetzung ist weiter u.a., dass die Höhe
der nicht der deutschen Einkommensteuer unterliegenden
Einkünfte durch eine Bescheinigung der zuständigen
ausländischen Steuerbehörde nachgewiesen wird.
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b) Bei Anwendung von § 62 Abs. 1 Nr. 2
Buchst. b EStG liegt eine Behandlung „nach § 1 Abs. 3
als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig“ nur
für die Kalendermonate vor, in denen der Kindergeldberechtigte
Einkünfte i.S. des § 49 EStG erzielt, die nach § 1
Abs. 3 EStG der Einkommensteuer unterliegen.
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aa) Mit dem Tatbestandsmerkmal in § 62
Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG „als unbeschränkt
einkommensteuerpflichtig behandelt“ i.S. von § 1
Abs. 3 EStG stellt die Vorschrift steuersystematisch auf die
„Behandlung“ bei der Einkommensteuerfestsetzung
ab. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Einkommensteuer
nach § 2 Abs. 7 Satz 1 EStG eine Jahressteuer ist und ihre
Grundlagen bei der Steuerfestsetzung gemäß § 2 Abs.
7 Satz 2 EStG jeweils für das Kalenderjahr zu ermitteln
sind.
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bb) Aus § 2 Abs. 7 EStG folgt jedoch
nicht, dass sich die Behandlung als unbeschränkt
einkommensteuerpflichtig jeweils auf ein Kalenderjahr bezieht.
Endet z.B. die am Jahresanfang bestehende unbeschränkte
Steuerpflicht nach § 1 Abs. 1 EStG während eines
Kalenderjahres - nach Wegzug aus dem Inland und damit nach der
Aufgabe des Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthaltes im
Inland -, erfolgt eine „Behandlung“ als
unbeschränkt einkommensteuerpflichtig für den
nachfolgenden Zeitraum bis zum Ende des Kalenderjahres nur nach
§ 1 Abs. 3 EStG. Die Behandlung als unbeschränkt
einkommensteuerpflichtig gemäß § 1 Abs. 3 EStG
beschränkt sich dann auf den Zeitraum, für den die
Steuerpflicht nach dieser Vorschrift besteht (Lehner/Waldhoff, in:
Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, a.a.O., § 1 Rz D 212).
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cc) Dass sich die Behandlung als
unbeschränkt einkommensteuerpflichtig i.S. von § 1 Abs. 3
EStG wie im Fall des Wegzugs auf einen Teil eines Kalenderjahres
beschränkt, zeigt, dass eine Behandlung als unbeschränkt
einkommensteuerpflichtig nach § 1 Abs. 3 EStG i.S. des §
62 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG nur für die Zeiträume
eines Kalenderjahres vorliegt, in denen der Steuerpflichtige die
nach § 1 Abs. 3 EStG steuerpflichtigen Einkünfte bezieht.
Dies steht auch im Einklang mit dem Wortlaut des § 1 Abs. 3
EStG, wonach die Behandlung von Personen als unbeschränkt
einkommensteuerpflichtig nur erfolgt, „soweit sie
inländische Einkünfte i.S. des § 49 EStG
haben“. Dabei handelt es sich somit nicht nur um eine
gegenständliche Definition im Hinblick auf die Bestimmung des
sachlichen Umfangs der Einkünfte, sondern auch um eine
zeitliche Einschränkung auf den Zeitraum der Behandlung als
unbeschränkt einkommensteuerpflichtig.
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dd) Für diese Auslegung sprechen zudem
Sinn und Zweck des § 62 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG. Danach
sollen natürliche Personen, die im Inland weder einen Wohnsitz
noch einen gewöhnlichen Aufenthalt haben und auf Antrag nach
§ 1 Abs. 3 EStG als unbeschränkt steuerpflichtig
behandelt werden, kindergeldrechtlich den natürlichen Personen
mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland
gleichgestellt werden. Wer ohne inländischen Wohnsitz oder
gewöhnlichen Aufenthalt als nach § 1 Abs. 3 EStG
unbeschränkt Steuerpflichtiger keine Einkünfte im Inland
(als anspruchsbegründendes Merkmal nach § 62 Abs. 1 Nr. 2
Buchst. b i.V.m. § 1 Abs. 3 EStG) erzielt, kann
kindergeldrechtlich nicht besser gestellt werden als der
Steuerpflichtige, der durch einen Wegzug ins Ausland seinen
inländischen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt
im Inland (als anspruchsbegründendes Merkmal nach § 62
Abs. 1 Nr. 1 EStG) aufgibt und mit Beendigung des Monats des
Wegzugs seinen Anspruch auf Kindergeld verliert. Gleiches gilt
für den Zeitraum vor Begründung eines inländischen
Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts.
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3. Die hiergegen gerichteten Einwendungen des
Klägers greifen nicht durch.
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a) Gegen die einschränkende Auslegung
nach dem Monatsprinzip spricht nicht, dass der unbeschränkt
Steuerpflichtige nach § 1 Abs. 3 EStG einer Jahresveranlagung
nach § 2 Abs. 7 EStG unterliegt, wonach für die
Berechnung der Einkommensteuer „die während der
beschränkten Einkommensteuerpflicht erzielten
inländischen Einkünfte in eine Veranlagung zur
unbeschränkten Einkommensteuerpflicht einzubeziehen“
sind. Durch § 2 Abs. 7 EStG wurde mit dem Jahressteuergesetz
1996 vom 11.10.1995 die bis dahin geltende Regelung aufgehoben,
nach der für die jeweiligen Zeiträume der
beschränkten und unbeschränkten Einkommensteuerpflicht
getrennte Veranlagungen durchzuführen waren. Sinn und Zweck
der Gesetzesänderung war, eine Ungleichbehandlung zu Gunsten
von Steuerpflichtigen beim Wechsel von der unbeschränkten zur
beschränkten Steuerpflicht (z.B. in Wegzugsfällen)
abzubauen, die darin bestand, dass diese Personengruppe nicht
für das gesamte Veranlagungsjahr nach einem einheitlichen
Steuertarif besteuert wurde (vgl. BTDrucks 13/1558, S. 152), und
insbesondere der Grundfreibetrag nicht - wie bis
einschließlich des Veranlagungszeitraums 1995 - doppelt in
Ansatz gebracht werden sollte (Musil in Herrmann/ Heuer/Raupach,
§ 2 EStG Rz 922). Nicht bezweckt war den Bezug von Kindergeld
für das gesamte Veranlagungsjahr zu bewirken, wenn die
Voraussetzungen des Bezugs von Einkünften i.S. des § 49
EStG z.B. nur für wenige Tage im Jahr gegeben waren. Denn auch
für die Kindergeldberechtigung nach § 62 Abs. 1 Nr. 2
Buchst. b EStG i.V.m. § 1 Abs. 3 EStG wird das
einkommensteuerrechtliche Jahresprinzip des § 2 Abs. 7 EStG
durch das Monatsprinzip des § 66 Abs. 2 EStG
überlagert.
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b) Der Kläger kann sich für seine
Auffassung auch nicht auf § 32 Abs. 4 Satz 3 EStG in der im
Streitjahr geltenden Fassung stützen, wonach ein Kind nur
berücksichtigt werden darf, wenn es Einkünfte und
Bezüge, die zur Bestreitung des Unterhalts oder der
Berufsausbildung bestimmt oder geeignet sind, von nicht mehr als
7.680 EUR „im Kalenderjahr“ hat (sog.
Jahresgrenzbetrag). Auch hier ist eine Monatsbetrachtung
erforderlich, wenn die kindbezogenen Voraussetzungen für den
Anspruch auf Kindergeld nicht ganzjährig vorliegen (§ 32
Abs. 4 Sätze 7 und 8 EStG). Denn nach Satz 7 dieser Regelung
ermäßigt sich der Betrag nach Satz 2 oder 3 (der
Jahresgrenzbetrag von 7.680 EUR) für jeden Kalendermonat, in
dem die Voraussetzungen nach Satz 1 Nr. 1 oder 2 an keinem Tag
vorliegen. Nach Satz 8 bleiben Einkünfte und Bezüge des
Kindes, die auf diese Kalendermonate entfallen, außer
Ansatz.
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Zudem berührt die Regelung in § 32
Abs. 4 Satz 1 EStG (Jahresgrenzbetrag) zur Begrenzung des
Kindergeldanspruchs nicht die Frage, ob in der Person desjenigen,
der Kindergeld beansprucht, die Voraussetzungen für die
Gewährung von Kindergeld vorliegen.
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c) Der Kläger macht zu Unrecht geltend,
andernfalls bestehe ein Widerspruch zu den Urteilen des BFH vom
24.5.2012 III R 14/10 (BFHE 237, 239, BStBl II 2012, 897 = SIS 12 17 02) und vom 27.7.1994 I R 25/94 (BFHE 175, 528, BStBl II 1995,
127 = SIS 95 04 53). Im Urteil in BFHE 237, 239, BStBl II 2012, 897
= SIS 12 17 02 ging es um die (fehlende) Bindungswirkung einer
Veranlagung eines Finanzamts, das zu Unrecht von einem
inländischen Wohnsitz eines Kindergeldberechtigten ausgegangen
war, nicht aber um die im Streitfall entscheidungserhebliche Frage
einer Monatsbetrachtung bei der Einkünfteerzielung eines
Wohnsitzausländers. Das Urteil in BFHE 175, 528, BStBl II
1995, 127 = SIS 95 04 53 betrifft nicht Kindergeld, sondern die
Berechtigung eines Klägers zum Lohnsteuerjahresausgleich
für den Zeitraum nach einem Wegzug in die Niederlande, wenn er
ganzjährig im Inland Einkünfte erzielt hat, woran es im
Streitfall fehlt.
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d) Auch aus der - den Senat ohnehin nicht
bindenden - DA-FamEStG ergibt sich entgegen der Auffassung des
Klägers nichts Gegenteiliges unter Rz 62.1 Abs. 3 Satz 10.
Dort heißt es: „Besteht Anspruch auf Kindergeld
wegen Behandlung als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig,
ist das Kindergeld nur für dasjenige Kalenderjahr
festzusetzen, für das ein Vorliegen der Voraussetzungen des
§ 1 Absatz 3 EStG nachgewiesen worden ist.“ Die
Regelung bezweckt den Ausschluss von Kindergeld für andere
Veranlagungszeiträume; sie betrifft nicht die Frage, ob
ganzjährig oder monatsweise ein Kindergeldanspruch bei
Einkünfteerzielung in einem Teil des Jahres besteht, zumal in
Rz 62.3.2 Abs. 4 Satz 1 für Botschaftsangehörige, die die
Hausgemeinschaft innerhalb des Jahres aufgegeben haben,
ausgeführt wird: „Der Kindergeldanspruch der in
§ 1 Abs. 2 EStG genannten Personen endet mit Ablauf des
Monats, in dem die Hausgemeinschaft auf Dauer beendet
wird.“ Soweit sich der Kläger durch die
Kommentarliteratur bestätigt sieht, in der ohne weitere
Begründung Gegenteiliges vertreten wird (Felix, a.a.O., §
66 Rz C 8; Pust, a.a.O., § 66 Rz 52; Weber-Grellet, a.a.O.,
§ 66 Rz 6), vermag der Senat dem aus den vorgenannten
Gründen nicht zu folgen.
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e) Die Entscheidungen des EuGH vom 12.6.2012
C-611/10 und C-612/10 (juris = SIS 12 24 94) zu Art. 14 Nr. 1
Buchst. a und Art. 14a Nr. 1 Buchst. a der Verordnung (EWG) Nr.
1408/71 des Rates vom 14.6.1971 zur Anwendung der Systeme der
sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie
deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu-
und abwandern - VO Nr. 1408/71 -, (in der durch die Verordnung (EG)
Nr. 118/97 des Rates vom 2.12.1996 geänderten und
aktualisierten Fassung, diese wiederum geändert durch die
Verordnung (EG) Nr. 647/2005 des Europäischen Parlaments und
des Rates vom 13.4.2005), berühren nicht die vorliegend
entscheidungserhebliche Frage der Begrenzung des
Kindergeldanspruchs nach dem Monatsprinzip für Zeiträume
vor oder nach Beendigung der anspruchsbegründenden
Tätigkeit.
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f) Entgegen der Auffassung des Klägers
besteht kein Anlass, dem EuGH die im Klageantrag hilfsweise
gestellte Rechtsfrage nach der unterschiedlichen Behandlung von
Grenzgängern und Saisonarbeitern vorzulegen. Nach Art. 3 Abs.
1 der VO Nr. 1408/71 gilt der Grundsatz der Gleichbehandlung:
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„Die Personen, die im Gebiet eines
Mitgliedstaats wohnen und für die diese Verordnung gilt, haben
die gleichen Rechte und Pflichten auf Grund der Rechtsvorschriften
eines Mitgliedstaats wie die Staatsangehörigen dieses Staates,
soweit besondere Bestimmungen dieser Verordnung nichts anderes
vorsehen.“
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Nach der Auslegung des Senats haben alle
Personen, die im Inland einen Wohnsitz oder gewöhnlichen
Aufenthalt haben, dieselbe Rechtsposition hinsichtlich ihres
Kindergeldanspruchs nach dem Monatsprinzip. Personen, die im Inland
keinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben (z.B.
Wanderarbeiter oder Saisonarbeiter), werden den
Wohnsitzinländern gleichgestellt; es wird lediglich - wie
unter II.2.b dd ausgeführt - eine Privilegierung nicht im
Inland ansässiger Personen, die nach § 1 Abs. 3 EStG als
unbeschränkt steuerpflichtig behandelt werden, gegenüber
Personen, die im gleichen Zeitraum im Inland ansässig sind,
verhindert.
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4. Die Sache ist gleichwohl nicht
spruchreif.
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Eine Kindergeldberechtigung nach § 62
Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG setzt voraus, dass der Anspruchsteller
aufgrund eines entsprechenden Antrags nach § 1 Abs. 3 EStG als
unbeschränkt einkommensteuerpflichtig behandelt wird
(BFH-Urteil in BFHE 273, 239, BStBl II 2012, 897 = SIS 12 17 02).
Ob der Kläger einen Antrag nach § 1 Abs. 3 EStG gestellt
hatte und entsprechend zur Einkommenssteuer veranlagt wurde,
lässt sich den Feststellungen des FG nicht zweifelsfrei
entnehmen. Ebenso fehlen Feststellungen zum Zeitpunkt, zu dem dem
Kläger die Einkünfte nach § 49 Abs. 1 Nr. 4 EStG
i.V.m. § 11 EStG zugeflossen sind.
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5. Auf die Verfahrensrüge kam es wegen
der Zurückverweisung an das FG nicht mehr an.
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