1
|
I. Die Kläger und Revisionsbeklagten
(Kläger) sind Eheleute, die zur Einkommensteuer zusammen
veranlagt werden.
|
|
|
2
|
Der Kläger erwarb im Jahr 2001 ein
unbebautes Grundstück, das er ab 2002 mit einem im Streitjahr
(2008) fertiggestellten Mehrfamilienhaus bebaute, das
veräußert werden sollte, das aber vermietet wurde, weil
ein Verkauf bis Ende Juni 2005 nicht möglich war. Der
Kläger finanzierte Grundstück und Herstellung mit
Darlehen. Die Finanzierungsaufwendungen für das
Mehrfamilienhaus wurden in den Jahren 2001 bis Juni 2005 nicht als
vorab entstandene Werbungskosten bei den Einkünften aus
Vermietung und Verpachtung berücksichtigt. Erst ab Juli 2005
wurden die Darlehenszinsen als Werbungskosten anerkannt.
|
|
|
3
|
Der Kläger machte in der
Einkommensteuererklärung für das Streitjahr Absetzungen
für Abnutzung (AfA) geltend, deren Bemessungsgrundlage auch
die nicht als Werbungskosten zu berücksichtigenden
Darlehenszinsen umfasste. Der Beklagte und Revisionskläger
(das Finanzamt - FA - ) minderte die Bemessungsgrundlage um die
Darlehenszinsen.
|
|
|
4
|
Die Klage hatte im hier bedeutsamen Umfang
Erfolg: Das Finanzgericht (FG) berücksichtigte im Zusammenhang
mit der Errichtung des Gebäudes angefallene Schuldzinsen bis
Ende Juni 2005 als Herstellungskosten und erhöhte die
Bemessungsgrundlage für die AfA um Bauzeitzinsen in Höhe
von 15.833,05 EUR.
|
|
|
5
|
Hiergegen richtet sich die Revision des FA:
Kosten der Geldbeschaffung (Bauzeitzinsen) könnten nur wegen
des Ausnahmecharakters des Einbeziehungswahlrechts gemäß
§ 255 Abs. 3 Satz 2 des Handelsgesetzbuchs (HGB) fiktive
Herstellungskosten sein. Die Vorschrift sei als Bewertungshilfe
nicht geeignet, Umfang und Reichweite der Herstellungskosten bei
den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung zu bestimmen.
Überdies seien Bauzeitzinsen nach den Grundsätzen des
Urteils des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 7.11.1989 IX R 190/85 (BFHE
159, 439, BStBl II 1990, 460 = SIS 90 10 09) sofort abziehbare
Werbungskosten; ein Wahlrecht bestehe nicht.
|
|
|
6
|
Das FA beantragt, das angefochtene Urteil
aufzuheben und die Klage abzuweisen.
|
|
|
7
|
Die Kläger beantragen, die Revision
zurückzuweisen.
|
|
|
8
|
II. Die Revision ist nach § 126 Abs. 2
der Finanzgerichtsordnung (FGO) zurückzuweisen; denn sie ist
unbegründet. Zutreffend hat das FG die Bauzeitzinsen im hier
maßgebenden Zeitraum in die Herstellungskosten des
Gebäudes und damit in die Bemessungsgrundlage für die AfA
nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 7 des Einkommensteuergesetzes
i.d.F. des Streitjahres (EStG) einbezogen.
|
|
|
9
|
1. Aufwendungen, die bei der Einkunftsart
Vermietung und Verpachtung (§ 21 Abs. 1 EStG) erwachsen,
mithin durch sie veranlasst sind (§ 9 Abs. 1 Satz 2 EStG),
können dann nicht als Werbungskosten (§ 9 Abs. 1 Satz 1
EStG) sofort abgezogen werden, wenn es sich um Herstellungskosten
handelt. Welche Aufwendungen zu den Herstellungskosten zählen,
bestimmt sich auch für die Einkünfte aus Vermietung und
Verpachtung nach § 255 Abs. 2 HGB (vgl. die ständige
Rechtsprechung des BFH, z.B. Urteil vom 25.9.2007 IX R 28/07, BFHE
219, 96, BStBl II 2008, 218 = SIS 08 07 24).
|
|
|
10
|
a) Danach sind Herstellungskosten die
Aufwendungen, die durch den Verbrauch von Gütern und die
Inanspruchnahme von Diensten für die Herstellung eines
Vermögensgegenstands (Wirtschaftsguts), seine Erweiterung oder
für eine über seinen ursprünglichen Zustand
hinausgehende wesentliche Verbesserung entstehen. Zinsen für
Fremdkapital gehören nicht zu den Herstellungskosten (§
255 Abs. 3 Satz 1 HGB). Wird das Fremdkapital indes zur
Finanzierung der Herstellung eines Vermögensgegenstands
verwendet, dürfen die Zinsen angesetzt werden, soweit sie auf
den Zeitraum der Herstellung entfallen (Bauzeitzinsen); in diesem
Falle gelten sie nach § 255 Abs. 3 Satz 2, 2. Halbsatz HGB als
Herstellungskosten des Vermögensgegenstands.
|
|
|
11
|
b) Dieses handelsrechtliche
Einbeziehungswahlrecht wird auch einkommensteuerlich gewährt
(s. R 6.3 Abs. 4 Satz 1 der Einkommensteuer-Richtlinien - EStR - ),
und zwar für solche bilanzierende Steuerpflichtige, die ihren
Gewinn nach § 4 Abs. 1, § 5 EStG ermitteln (vgl.
BFH-Urteile vom 30.4.2003 I R 19/02, BFHE 202, 357, BStBl II 2004,
192 = SIS 03 36 49 - zur Gewerbesteuer -, und vom 19.10.2006 III R
73/05, BFHE 215, 438, BStBl II 2007, 331 = SIS 07 04 34 - zur
Investitionszulage - ). Dasselbe muss nach dem Prinzip der
Gesamtgewinngleichheit (dazu eingehend BFH-Urteil vom 22.6.2010
VIII R 3/08, BFHE 230, 342, BStBl II 2010, 1035 = SIS 10 33 18,
m.w.N.) auch für nicht bilanzierende Steuerpflichtige gelten,
die ihren Gewinn durch Einnahme-Überschuss-Rechnung (§ 4
Abs. 3 EStG) ermitteln.
|
|
|
12
|
2. Bauzeitzinsen sind auch bei
Steuerpflichtigen, die ihre Einkünfte durch den
Überschuss der Einnahmen über die Werbungskosten
ermitteln (§ 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, §§ 8 bis 9a
EStG), in die Herstellungskosten einzubeziehen, und zwar jedenfalls
dann, wenn sie nicht schon im Zeitpunkt ihrer Leistung als
Werbungskosten abziehbar sind.
|
|
|
13
|
a) Nach dem Beschluss des Großen Senats
des BFH vom 4.7.1990 GrS 1/89 (BFHE 160, 466, BStBl II 1990, 830 =
SIS 90 18 09) sind die AfA für den Bereich der
Überschusseinkünfte nach den gleichen Grundsätzen zu
bestimmen, die für die Gewinneinkünfte gelten. Dies
bedeutet gleichzeitig, dass die Herstellungskosten als Grundlage
für die Bemessung der AfA bei den
Überschusseinkünften nicht in anderer Weise als bei den
Gewinneinkünften ermittelt werden dürfen (so der
Beschluss des Großen Senats des BFH in BFHE 160, 466, BStBl
II 1990, 830 = SIS 90 18 09, unter C. III. 1. c dd). Eine
unterschiedliche Auslegung der Begriffe für die Bereiche des
Betriebsvermögens einerseits und des Privatvermögens
andererseits ist danach zwar nicht ohne Weiteres ausgeschlossen;
sie bedarf jedoch der Rechtfertigung durch unabweisbare
Gründe, die sich aus der Systematik des Gesetzes und aus
besonderen Zwecken der in Betracht kommenden gesetzlichen
Vorschriften ergeben müssten (so der Beschluss des
Großen Senats des BFH in BFHE 160, 466, BStBl II 1990, 830 =
SIS 90 18 09, unter C. III. 1. c dd a.E.).
|
|
|
14
|
b) Solche Gründe liegen für die hier
zu entscheidende Frage der Bauzeitzinsen nicht vor.
|
|
|
15
|
aa) Es kann dahinstehen, ob es die im Zu- und
Abflussprinzip gründende Systematik des Gesetzes verhindert,
solche Zinsen in die Herstellungskosten einzubeziehen, die bereits
bei ihrer Leistung (§ 11 Abs. 2 EStG) als (vorab entstandene)
Werbungskosten nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 EStG absetzbar
sind (Fallkonstellation des BFH-Urteils in BFHE 159, 439, BStBl II
1990, 460 = SIS 90 10 09). Denn ein derartiger Fall liegt nicht
vor, wenn das hergestellte Gebäude - wie im Streitfall -
zunächst veräußert werden sollte und der
Steuerpflichtige es erst kurz vor Fertigstellung in einen
steuerrechtlich bedeutsamen Zusammenhang mit der Einkunftsart
Vermietung und Verpachtung bringt. Hier sind die Zinsen in dem
Moment, in dem sie geleistet werden (§ 11 Abs. 2 EStG) keine
Werbungskosten und mithin nicht nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1
EStG absetzbar.
|
|
|
16
|
bb) Die Bauzeitzinsen sind demgegenüber
nicht von vornherein steuerrechtlich unerheblich, weil der
Steuerpflichtige in der Herstellungsphase zunächst keine
steuerrechtlich bedeutsamen Zwecke verfolgte. Ist die AfA
gemäß § 7 EStG dazu bestimmt, Aufwendungen des
Steuerpflichtigen in Gestalt von Anschaffungs- oder
Herstellungskosten für das jeweilige Wirtschaftsgut
typisierend periodengerecht zu verteilen (zum Zweck der AfA
BFH-Urteil vom 19.12.2007 IX R 50/06, BFHE 220, 261, BStBl II 2008,
480 = SIS 08 14 86) und ist das Jahr der Herstellung nach § 9a
der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung das Jahr der
Fertigstellung, so kommt es maßgebend darauf an, dass der
Steuerpflichtige das hergestellte Gebäude - als Wirtschaftsgut
- zur Erzielung von Einkünften nutzt (so § 7 Abs. 1 Satz
1 EStG). Tut er dies, tritt ein während der Herstellungsphase
verfolgter - nicht steuerrechtlich erheblicher - Zweck in den
Hintergrund.
|
|
|
17
|
cc) Es sind auch keine weiteren Gründe
ersichtlich, die Herstellungskosten als Grundlage für die
Bemessung der AfA bei den Überschusseinkünften in Bezug
auf Bauzeitzinsen in anderer Weise zu ermitteln als bei den
Gewinneinkünften: Zutreffend stellt das FG darauf ab, dass
Bauzeitzinsen kontrollier- und nachprüfbar nicht nur in der
Handelsbilanz erfasst werden (zu diesem Erfordernis s. R 6.3 Abs. 4
Satz 1 EStR), sondern auch in der Aufstellung der
Herstellungskosten, die für die Berechnung der AfA eingereicht
werden muss.
|
|
|
18
|
c) Unter diesen Voraussetzungen
widerspräche es dem Grundsatz der Gleichbehandlung des
Gleichartigen (vgl. dazu BFH-Urteil vom 25.2.2009 IX R 24/08, BFHE
224, 390, BStBl II 2009, 587 = SIS 09 16 51), wenn man bei
Steuerpflichtigen mit Gewinneinkunftsarten die Bauzeitzinsen in die
Bemessungsgrundlage einbezieht, es den Steuerpflichtigen mit
Überschusseinkünften aber trotz in gleicher Weise
geminderter Leistungsfähigkeit verwehrte (vgl. in diesem
Zusammenhang BFH-Urteil vom 7.12.2010 IX R 46/09, BFH/NV 2011, 797
= SIS 12 11 07 Rz 22).
|
|
|
19
|
3. Sind nach den unter 1. und 2. dargestellten
Grundsätzen die Bauzeitzinsen mit dem FG in die Bemessung der
AfA einzubeziehen, so weicht der Senat nicht von seinem Urteil in
BFHE 159, 439, BStBl II 1990, 460 = SIS 90 10 09 ab. Wie auch schon
das FG hervorgehoben hat, betraf diese Entscheidung
Zinsaufwendungen, die - anders als im Streitfall - als
Werbungskosten nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 EStG abziehbar
waren. Es mag deshalb dahinstehen, ob und inwieweit der Senat an
dieser noch vor Ergehen des Beschlusses des Großen Senats des
BFH in BFHE 160, 466, BStBl II 1990, 830 = SIS 90 18 09
gefällten Entscheidung festhalten kann (vgl. zur Problematik
auch Wichmann, BB 1991, 1835).
|