Insolvenzverwalter, Haftung für LSt: Jedenfalls nach der Rechtslage bis zum Inkrafttreten des Gesetzes zur Vereinfachung des Insolvenzverfahrens vom 13.4.2007 konnte das FA den Insolvenzverwalter über das Vermögen des Geschäftsführers einer GmbH, der nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens die von der GmbH geschuldeten Lohnsteuern nicht abgeführt hat, nicht mit Haftungsbescheid in Anspruch nehmen. Die Haftungsschuld war keine Masseverbindlichkeit. Die bloße Duldung der Geschäftsführertätigkeit durch den Insolvenzverwalter erfüllte nicht das Tatbestandsmerkmal des Verwaltens der Insolvenzmasse i.S. des § 55 Abs. 1 Nr. 1 2. Halbsatz InsO. - Urt.; BFH 21.7.2009, VII R 49/08; SIS 09 33 10
I. Mit Beschluss des Amtsgerichts (AG) vom
8.12.2005 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen
des K eröffnet. Zum Insolvenzverwalter bestellte das AG den
Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger). K war zu diesem
Zeitpunkt und darüber hinaus Geschäftsführer einer
GmbH.
Für die
Lohnsteueranmeldungszeiträume Januar 2006 bis September 2006
führte die GmbH die geschuldeten Lohnsteuern nicht an den
Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt - FA - ) ab.
Beitreibungsversuche blieben erfolglos.
Mit Haftungsbescheid vom August 2007 nahm
das FA den Kläger in seiner Eigenschaft als Insolvenzverwalter
über das Vermögen des Geschäftsführers nach
§ 191 i.V.m. §§ 34, 69 der Abgabenordnung (AO) in
Haftung. Bei der Haftungsschuld handele es sich um eine sonstige
Masseverbindlichkeit nach § 55 der Insolvenzordnung (InsO).
Die Haftungsschuld sei zwar nicht durch Handlungen des
Insolvenzverwalters, jedoch „in anderer Weise“ durch
die Verwaltung der Insolvenzmasse begründet worden, denn sie
stehe in direktem Zusammenhang mit dem laufenden Arbeitseinkommen
des Geschäftsführers, das der Masse als Neumasseerwerb
zugeflossen sei. Das FA sei insoweit
Neumassegläubiger.
Das Finanzgericht (FG) hat der nach
erfolglosem Einspruchsverfahren erhobenen Klage stattgegeben, da
die Haftungsschuld des Geschäftsführers keine
Masseverbindlichkeit im Insolvenzverfahren über sein
persönliches Vermögen darstelle = SIS 09 04 57. Sie
könne nicht als „in anderer Weise“ vom
Insolvenzverwalter, dem Kläger, begründete
Masseverbindlichkeit gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO
qualifiziert werden. Denn die steuerlichen Rückstände
seien nicht durch eine Verwaltung des Klägers „in
anderer Weise“ dadurch begründet worden, dass er es
vermeintlich versäumt habe, auf die Geschäftsführung
der GmbH Einfluss zu nehmen und dadurch die Verletzung der
Pflichten des Geschäftsführers als gesetzlicher Vertreter
i.S. der §§ 34, 69 AO zu verhindern. Zum Schadenersatz
verpflichtende oder den Haftungstatbestand der §§ 34, 69
AO begründende Handlungen des Insolvenzschuldners könnten
nicht über das in § 55 Abs. 1 Nr. 1 2. Halbsatz InsO
geregelte Tatbestandsmerkmal „in anderer Weise“ als
Verwertung oder Verwaltung der Insolvenzmasse verstanden werden. Da
die Arbeitskraft des Insolvenzschuldners, anders als die daraus
erzielten Einkünfte, nicht zur Insolvenzmasse gehöre, sei
es nicht Aufgabe des Insolvenzverwalters, die Arbeit des
Insolvenzschuldners zu kontrollieren oder zu beaufsichtigen, da
seine Rechtsmacht gegenständlich auf die Insolvenzmasse
beschränkt sei. Im Übrigen könne ein
Insolvenzverwalter über das Vermögen einer
natürlichen Person, die zugleich Organ einer juristischen
Person ist, nicht für die steuerlichen Pflichten der
juristischen Person verantwortlich sein.
Mit seiner Revision macht das FA geltend,
entgegen der Auffassung des FG könne der Haftungsanspruch
insolvenzrechtlich nicht anders behandelt werden als das
Arbeitseinkommen des Insolvenzschuldners. Denn eine Haftung, die
sich aus der Geschäftsführerstellung ergebe, könne
nicht behandelt werden wie eine andere Schuld, die der
Insolvenzschuldner während des Insolvenzverfahrens ohne
Zustimmung des Insolvenzverwalters begründe. Sofern eine den
Haftungstatbestand der §§ 34, 69 AO begründende
Handlung unmittelbar aus dem Arbeitseinsatz des Insolvenzschuldners
resultiere, müsse sich der Insolvenzverwalter dies zurechnen
lassen. Es sei widersprüchlich, wenn der Insolvenzschuldner -
möglicherweise auf rechtswidrige Art und Weise - ein hohes
Arbeitsentgelt erziele, die damit zusammenhängenden Folgen aus
Sicht des Insolvenzverwalters hingegen völlig ausgeblendet
würden. Das FA verweist insoweit auf die Einfügung der
Abs. 2 und 3 in § 35 InsO durch das Gesetz zur Vereinfachung
des Insolvenzverfahrens (InsVereinfG) vom 13.4.2007 (BGBl I 2007,
509), wonach dem Insolvenzverwalter die Entscheidung obliegt, ob
das Vermögen aus einer während des Insolvenzverfahrens
ausgeübten selbstständigen Tätigkeit zur
Insolvenzmasse gehören soll und ob Ansprüche aus dieser
Tätigkeit im Insolvenzverfahren geltend gemacht werden
können. Die Freigabe einer nichtselbstständigen
Tätigkeit sehe die Insolvenzordnung allerdings - auch nach der
Einführung des § 35 Abs. 2 Inso - nicht vor, der
pfändbare Arbeitslohn sei regelmäßig in die
Insolvenzmasse abzuführen. Verbindlichkeiten, die im
Zusammenhang mit dieser Tätigkeit begründet würden,
seien dementsprechend aus der Insolvenzmasse zu zahlen.
Der Kläger schließt sich im
Wesentlichen den Ausführungen des FG an.
II. Die Revision ist unbegründet. Das
Urteil des FG entspricht dem Bundesrecht (§ 118 Abs. 1 Satz 1
der Finanzgerichtsordnung - FGO - ). Das FG hat zu Recht erkannt,
dass der Haftungsanspruch im Streitfall keine Masseverbindlichkeit
ist.
1. Nach § 34 Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 AO hat
ein Vermögensverwalter, soweit seine Verwaltung reicht, die
steuerlichen Pflichten desjenigen zu erfüllen, über
dessen Vermögen ihm die Verwaltung übertragen ist.
a) Im Streitfall war der Kläger als
Insolvenzverwalter über das Vermögen des
Geschäftsführers bestellt, als der - unstreitige -
Haftungsanspruch des FA gegen den Geschäftsführer
gemäß §§ 34, 69 AO wegen Nichtabführung
der von der GmbH geschuldeten Lohnsteuern materiell-rechtlich
entstanden ist. Das Recht des Geschäftsführers, sein nun
zur Insolvenzmasse gehörendes Vermögen zu verwalten, war
bereits auf den Kläger als Insolvenzverwalter
übergegangen (§ 80 Abs. 1 InsO). Nach § 35 InsO
erfasst das Insolvenzverfahren das gesamte Vermögen, das dem
Schuldner zur Zeit der Eröffnung des Verfahrens gehört
und das er während des Verfahrens erlangt.
b) Als Adressat des Haftungsbescheids kommt
der Kläger aber deshalb nicht in Betracht, weil der
Haftungsanspruch sich nicht gegen die seiner Verwaltung
unterliegende Insolvenzmasse richtet.
Nach § 38 InsO dient die Insolvenzmasse
zur Befriedigung der Gläubiger, die einen zur Zeit der
Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründeten
Vermögensanspruch gegen den Schuldner haben. Der
Haftungsanspruch durch Pflichtverletzungen des
Geschäftsführers ist jedoch nach Eröffnung des
Insolvenzverfahrens über sein Vermögen begründet
worden. Eine sonstige Masseverbindlichkeit i.S. des § 55 Abs.
1 Nr. 1 InsO wäre die Haftungsschuld nur dann, wenn sie durch
Handlungen des Insolvenzverwalters oder in anderer Weise durch die
Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse
begründet worden wäre, ohne zu den Kosten des
Insolvenzverfahrens zu gehören. Die Voraussetzungen des hier
allein in Betracht kommenden Tatbestands „in anderer Weise
durch die Verwaltung ... der Insolvenzmasse“
begründete Verbindlichkeit erfüllt der Haftungsanspruch
des FA indes nicht.
aa) Nach dem Wortlaut der Vorschrift
müsste der Anspruch auf eine - wie auch immer geartete -
Verwaltungsmaßnahme des Insolvenzverwalters in Bezug auf die
Insolvenzmasse zurückzuführen sein (vgl.
Braun/Bäuerle, Insolvenzordnung, 3. Aufl. 2007, § 55 Rz
15). Der Haftungsanspruch des FA nach §§ 34, 69 AO ist
durch die Verletzung der dem Geschäftsführer als
gesetzlichen Vertreter der GmbH gemäß § 34 AO
übertragenen steuerlichen Pflichten begründet. Die
Arbeitskraft des Schuldners gehört aber nicht zur
Insolvenzmasse (Beschluss des Bundesgerichtshofs - BGH - vom
18.12.2008 IX ZB 249/07, Deutsche Zeitschrift für Wirtschafts-
und Insolvenzrecht 2009, 204, unter II.2.b aa(3)). Die
Überwachung der beruflichen Pflichterfüllung des
Insolvenzschuldners ist nicht Aufgabe des Insolvenzverwalters.
bb) Der Senat teilt nicht die Auffassung des
FA, der Haftungsanspruch müsse im Wege der Auslegung des in
§ 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO geregelten Tatbestands als „in
anderer Weise durch die Verwaltung, Verwertung oder Verteilung der
Insolvenzmasse begründet“ angesehen werden, sofern
eine Haftung wie im Fall der Geschäftsführerhaftung nach
§§ 34, 69 AO unmittelbar auf den Arbeitseinsatz des
Insolvenzschuldners zurückzuführen sei.
Mit der Einbeziehung dessen in die
Insolvenzmasse, was der Insolvenzschuldner während des
Verfahrens erlangt (§ 35 Abs. 1 2. Halbsatz InsO), fallen zwar
auch die Einkünfte aus einer Erwerbstätigkeit, soweit sie
der Zwangsvollstreckung unterliegen (§ 36 Abs. 1 Satz 1 InsO),
nunmehr - anders als unter der Geltung der Konkursordnung - KO -
(§ 1 KO) - auch dann in die Insolvenzmasse, wenn sie erst nach
Insolvenzeröffnung erzielt worden sind. Das allein
rechtfertigt aber nicht die in der Revisionsbegründung zum
Ausdruck kommende Gesamtbetrachtung der aus „dem
Arbeitseinsatz“ des Insolvenzschuldners resultierenden
Ansprüche und Verbindlichkeiten.
(1) War der Geschäftsführer
nichtselbstständig tätig, so hatte der Kläger von
vornherein keine Möglichkeit, diese Tätigkeit zu
unterbinden oder sonst zu beeinflussen. Die nach
Insolvenzeröffnung neu erworbenen Lohn- und
Gehaltsansprüche sind nicht anders zu berücksichtigen als
jene, auf die bereits bei Eröffnung des Verfahrens ein
Anspruch bestand (zum Neuerwerb von Vermögenswerten vgl.
BGH-Urteil vom 1.2.2007 IX ZR 178/05, HFR 2008, 77, m.w.N.). Sie
fallen mit dem Betrag in die Insolvenzmasse, mit dem sie auch der
Einzelzwangsvollstreckung unterliegen, d.h. mit dem Nettobetrag
unter Berücksichtigung der Pfändungsfreigrenzen (§
36 Abs. 1 Satz 2 InsO i.V.m. §§ 850c, 850e der
Zivilprozessordnung). Schadenersatz- oder Haftungsansprüche
aus der Tätigkeit beeinflussen den Lohn- und Gehaltsanspruch
nicht unmittelbar. Sie sind keine Masseverbindlichkeiten.
(2) Auch wenn der Geschäftsführer
seine Funktion im Rahmen des Gesellschaftsverhältnisses
ausgeübt haben und diese nach den Umständen des
Einzelfalls nicht als nichtselbstständige Tätigkeit zu
qualifizieren sein sollte (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs vom
23.4.2009 VI R 81/06, BFH/NV 2009, 1311 = SIS 09 20 87),
könnten nachinsolvenzlich daraus herrührende
Haftungsschulden nicht Masseverbindlichkeiten sein. Für
Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit hat der BGH in
ständiger Rechtsprechung erkannt, dass es in vollem Umfang und
nicht lediglich in Höhe des nach Abzug der Ausgaben
verbleibenden Gewinns zur Insolvenzmasse gehört (BGH-Beschluss
vom 18.5.2004 IX ZB 189/03, Zeitschrift für das gesamte
Insolvenzrecht - ZInsO - 2004, 739, m.w.N.). Könnten danach -
jedenfalls nach der im Streitfall maßgeblichen Rechtslage -
Verbindlichkeiten, die aus der selbstständigen Tätigkeit
erwachsen sind - also auch Haftungsschulden, sofern sie bei der
Gewinnermittlung überhaupt berücksichtigt werden
könnten -, die Insolvenzmasse nicht mindern, so gilt dies umso
mehr, falls die Haftungsschuld aus der Tätigkeit eines
Gesellschafter-Geschäftsführers herrührte, der
insoweit (nur) über Einkünfte aus Kapitalvermögen
verfügt.
(3) Die bloße Duldung der
Geschäftsführertätigkeit erfüllte nach der hier
maßgeblichen Rechtslage nicht das Tatbestandsmerkmal des
Verwaltens der Insolvenzmasse i.S. des § 55 Abs. 1 Nr. 1 2.
Halbsatz InsO. Zwar konnte der Insolvenzverwalter schon vor
Inkrafttreten des InsVereinfG aufgrund seiner Verwaltungs- und
Verfügungsbefugnis nach pflichtgemäßem Ermessen
(§§ 80, 60 InsO) mit dem Schuldner vereinbaren, dass er
ihm die für die Fortführung dieser Tätigkeit
erforderlichen Mittel aus der bereits vorhandenen Insolvenzmasse
oder aus den zukünftigen, gleichfalls zur Masse gehörigen
Einkünften zur Verfügung stellt (vgl. BGH-Beschluss vom
20.3.2003 IX ZB 388/02, ZInsO 2003, 413, NJW 2003, 2167). Da aber
insoweit keine Erklärungspflicht des Insolvenzverwalters
gesetzlich geregelt war, konnte in dem bloßen Unterlassen
solcher Vereinbarungen keine Verwaltungsmaßnahme liegen, die
eine Masseverbindlichkeit entstehen ließ.
2. Mit der Normierung des § 35 Abs. 2
InsO durch das InsVereinfG zum 1.7.2007 hat der Gesetzgeber nun
zwar dem Insolvenzverwalter im Fall der Fortführung oder
Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit durch den
Schuldner die Pflicht auferlegt, zu erklären, ob Vermögen
aus der Tätigkeit zur Insolvenzmasse gehört und ob
Ansprüche aus der Tätigkeit im Insolvenzverfahren geltend
gemacht werden können (vgl. dazu Gesetzentwurf der
Bundesregierung vom 2.11.2006, BTDrucks 16/3227, insbesondere
Begründung zu Nr. 12, S. 17).
Da im Zeitraum der Verwirklichung des
Haftungsanspruchs (im Jahre 2006) die zum 1.7.2007 in Kraft
getretene Norm (Art. 103c des Einführungsgesetzes zur
Insolvenzordnung) noch nicht anzuwenden war, erübrigen sich im
Streitfall Erwägungen darüber, ob diese
Erklärungspflicht dazu führt, dass eine schlichte Duldung
einer selbstständigen Tätigkeit als Verwalten der
Insolvenzmasse angesehen werden kann, ob zu den
„Ansprüchen aus einer solchen
Tätigkeit“, die im Fall des Insolvenzbeschlags des
Neuerwerbs „im Insolvenzverfahren geltend gemacht werden
können“, auch Haftungsansprüche des FA wegen
Nichterfüllung steuerlicher Pflichten gehören können
und ob die Regelung auch auf die Haftung eines
Gesellschafter-Geschäftsführers angewendet werden
könnte.