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I. Die aus der Ukraine stammende
Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) reiste im
Jahr 2004 im Wege des Kindernachzugs in die Bundesrepublik
Deutschland (Bundesrepublik) ein. Ihr war nach der am 25.5.2004
erteilten Aufenthaltserlaubnis eine selbständige oder
vergleichbare unselbständige Erwerbstätigkeit nicht
gestattet, eine arbeitsgenehmigungspflichtige Erwerbstätigkeit
nur gemäß gültiger Arbeitsgenehmigung. Seit dem
8.9.2006 war die Klägerin im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis
nach § 34 Abs. 3 des Aufenthaltsgesetzes i.d.F. vom 30.7.2004
- AufenthG - (BGBl I 2004, 1950); eine selbständige
Erwerbstätigkeit war ihr nicht gestattet, eine
Beschäftigung nur mit Erlaubnis der
Ausländerbehörde. Am 7.8.2007 wurde die
Beschäftigung uneingeschränkt erlaubt.
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Mit Bescheid vom 2.3.2007 lehnte die
Beklagte und Revisionsbeklagte (Familienkasse) den Antrag der
Klägerin auf Kindergeld für ihren im Oktober 2006
geborenen Sohn ab. Den Einspruch wies sie mit der Begründung
zurück, dass ein Anspruch auf Kindergeld nach § 62 Abs. 2
Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) nur bestehe, wenn die
Aufenthaltserlaubnis zu einer Erwerbstätigkeit berechtige. Bei
einer Aufenthaltserlaubnis nach § 34 Abs. 3 AufenthG, also in
Fällen des Familiennachzugs, müsse eine
Beschäftigung durch die Ausländerbehörde aber
ausdrücklich genehmigt werden.
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Mit der Klage berief sich die Klägerin
auf die Materialien im Gesetzgebungsverfahren zur Neuregelung der
Kindergeldberechtigung von Ausländern. Danach habe der
Bundesrat vorgeschlagen, den Kreis der Berechtigten um die Inhaber
eines Aufenthaltstitels nach §§ 32 bis 34 AufenthG zu
erweitern, weil diese Aufenthaltstitel von jungen Migranten
regelmäßig nicht mit einem Erwerbstätigkeitsvermerk
versehen würden, ihnen aber - dem Zweck des Gesetzesentwurfs
entsprechend - ein voraussichtlich dauerhafter Aufenthalt nicht
abgesprochen werden könne (BTDrucks 16/1368, S. 12).
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Das Finanzgericht (FG) wies die Klage mit
Urteil vom 8.6.2009 5 K 1541/07 (Kg) ab. Es entschied, eine
Aufenthaltserlaubnis nach § 34 Abs. 3 AufenthG berechtige nur
dann zum Bezug von Kindergeld, wenn die Ausübung der
Erwerbstätigkeit ausdrücklich erlaubt sei. Die der
Klägerin im Streitzeitraum Oktober 2006 bis März 2007
erteilte Aufenthaltserlaubnis habe eine selbständige
Tätigkeit aber ausdrücklich nicht und die Aufnahme einer
Beschäftigung nur mit Erlaubnis der Ausländerbehörde
gestattet. Dem Vorschlag des Bundesrates, den Kreis der
Berechtigten um die Inhaber einer Aufenthaltserlaubnis nach
§§ 32, 33, 34 AufenthG zu erweitern, sei der Gesetzgeber
bei der Neufassung des § 62 Abs. 2 EStG ausweislich des
Wortlauts der Norm nicht gefolgt.
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Zur Begründung der Revision trägt
die Klägerin vor, aus dem Aufenthaltstitel ergebe sich nicht
eindeutig, ob ihr die Erwerbstätigkeit gestattet sei. Die
eingeschränkte Erlaubnis - „Beschäftigung nur mit
Erlaubnis der Ausländerbehörde gestattet“ - sei
verfassungskonform als Erlaubnis der Erwerbstätigkeit
auszulegen. Im Gesetzgebungsverfahren sei der Gesetzgeber dem
Vorschlag des Bundesrates auf Erweiterung der einen
Kindergeldanspruch begründenden Aufenthaltstitel nicht
gefolgt, weil er mit Verweis auf §§ 8, 9 der
Beschäftigungsverfahrensverordnung i.d.F. vom 22.11.2004 -
BeschVerfV - (BGBl I 2004, 2934) angenommen habe, es seien kaum
Konstellationen denkbar, in denen jugendliche Eltern mit einer
Bleibeperspektive vom Bezug der Familienleistungen ausgeschlossen
würden (BTDrucks 16/1368, S. 14). Dabei habe er jedoch
übersehen, dass jugendliche Migranten, die sich noch in einer
schulischen Ausbildung befänden oder nach Beendigung der
schulischen Ausbildung noch keine Arbeitsstelle oder
Berufsausbildung gefunden hätten, nicht von § 8
BeschVerfV erfasst würden. Die Ausgrenzung dieser
Personengruppe widerspreche dem in Art. 6 Abs. 1 des Grundgesetzes
(GG) verankerten besonderen Schutz der Familie und der in Art. 6
Abs. 4 GG normierten besonderen Fürsorge des Staates
gegenüber jungen Müttern. Sollte auch eine analoge
Anwendung des § 62 Abs. 2 Nr. 2 EStG nicht in Betracht kommen,
stelle der Ausschluss der Klägerin aus dem Bezug von
Kindergeld eine Ungleichbehandlung i.S. des Art. 3 Abs. 1 GG
dar.
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Die Klägerin beantragt, das
angefochtene Urteil, den Ablehnungsbescheid vom 2.3.2007 sowie die
Einspruchsentscheidung vom 9.7.2007 aufzuheben und die
Familienkasse zu verpflichten, von Oktober 2006 bis März 2007
Kindergeld in Höhe von 154 EUR monatlich zu
gewähren.
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Die Familienkasse beantragt, die Revision
der Klägerin zurückzuweisen.
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II. Die Revision ist unbegründet und wird
zurückgewiesen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung -
FGO - ). Die Klägerin hat für den streitigen Zeitraum
keinen Anspruch auf Kindergeld.
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1. Die Neuregelung der Kindergeldberechtigung
von Ausländern in § 62 Abs. 2 EStG ist mit Wirkung vom
1.1.2006 in Kraft getreten und erfasst gemäß § 52
Abs. 61a Satz 2 EStG alle Sachverhalte, bei denen das Kindergeld
noch nicht bestandskräftig festgesetzt worden ist.
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Die Neuregelung ist
verfassungsgemäß. Die verfassungsrechtlichen Zweifel des
Bundessozialgerichts an der wortgleichen Regelung der Berechtigung
von Ausländern zur Inanspruchnahme von Erziehungsgeld nach
§ 1 Abs. 6 des Gesetzes zum Erziehungsgeld und zur Elternzeit
(BErzGG) kommen im steuerrechtlichen Kindergeld nicht zum Tragen,
da das Kindergeld, anders als das Erziehungsgeld (s. § 8 Abs.
1 Satz 1 BErzGG), als Einkommen auf Sozialleistungen angerechnet
wird (Senatsurteil vom 28.4.2010 III R 1/08, BFHE 229, 262, BFH/NV
2010, 1540 = SIS 10 18 84, m.w.N.).
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2. Ein nicht freizügigkeitsberechtigter
Ausländer mit einer Aufenthaltserlaubnis erhält nach
§ 62 Abs. 2 Nr. 2 EStG Kindergeld nur, wenn die
Aufenthaltserlaubnis zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit
berechtigt oder berechtigt hat, es sei denn, es handelt sich um
eine - im Streitfall nicht vorliegende - Aufenthaltserlaubnis i.S.
des § 62 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a bis c EStG.
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3. Die Klägerin war weder im streitigen
Zeitraum noch davor im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis, die zur
Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtigte (§ 62
Abs. 2 Nr. 2 EStG).
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a) Ein Aufenthaltstitel berechtigt zur
Ausübung einer Erwerbstätigkeit, sofern es nach dem
AufenthG bestimmt ist oder der Aufenthaltstitel die Ausübung
der Erwerbstätigkeit ausdrücklich erlaubt (§ 4 Abs.
2 Satz 1 AufenthG).
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b) Eine Aufenthaltserlaubnis nach § 34
Abs. 3 AufenthG, wie sie die Klägerin besaß, berechtigt
nicht kraft Gesetzes zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit.
Auch erlaubten ihr weder die am 25.5.2004 erteilte
Aufenthaltserlaubnis noch diejenige vom 8.9.2006 die Ausübung
einer Erwerbstätigkeit ausdrücklich. Im Gegenteil war
eine selbständige Erwerbstätigkeit gerade nicht
gestattet, eine Beschäftigung nur mit Erlaubnis der
Ausländerbehörde.
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c) Unerheblich ist, ob die Klägerin
Anspruch auf einen Aufenthaltstitel hatte, der zur Ausübung
einer Erwerbstätigkeit berechtigt hätte. Für den
Bezug von Kindergeld kommt es allein auf den tatsächlichen
„Besitz“ aufenthaltsrechtlicher Titel an und
nicht darauf, ob ein Ausländer einen Anspruch auf einen Titel
hat, der zum Bezug von Kindergeld berechtigt (Senatsurteil in BFHE
229, 262, BFH/NV 2010, 1540 = SIS 10 18 84).
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4. Auch die Voraussetzungen für eine
entsprechende Anwendung des § 62 Abs. 2 Nr. 2 EStG liegen
entgegen der Auffassung der Klägerin nicht vor.
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a) Eine Analogie setzt eine planwidrige
Regelungslücke voraus. Eine solche Regelungslücke liegt
vor, wenn eine Regelung gemessen an ihrem Zweck unvollständig,
d.h. ergänzungsbedürftig ist und wenn ihre Ergänzung
nicht einer vom Gesetzgeber beabsichtigten Beschränkung auf
bestimmte Tatbestände widerspricht (ständige
Rechtsprechung, z.B. Senatsurteil vom 2.6.2005 III R 86/03, BFHE
210, 137, BStBl II 2005, 756 = SIS 05 39 63).
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b) § 62 Abs. 2 Nr. 2 EStG enthält
keine zu einer Analogie berechtigende ungewollte
Regelungslücke hinsichtlich der Voraussetzungen für den
Kindergeldanspruch von jungen Migranten, die im Wege des
Kindernachzugs in die Bundesrepublik eingereist sind. Der Vorschlag
des Bundesrates, bei Aufenthaltserlaubnissen nach den §§
32, 33, 34 AufenthG (Fälle des Kindernachzugs oder der Geburt
im Bundesgebiet) den Anspruch auf Kindergeld nicht an die
Berechtigung zu einer Erwerbstätigkeit zu knüpfen
(BTDrucks 16/1368, S. 12), ist nicht Gesetz geworden.
Ausländer, die nicht über eine in § 62 Abs. 2 Nr. 2
Buchst. a bis c EStG aufgeführte Aufenthaltserlaubnis
verfügen, sollen nur dann Anspruch auf Kindergeld haben, wenn
die Aufenthaltserlaubnis ausdrücklich zur Ausübung einer
Erwerbstätigkeit berechtigt oder berechtigt hat.
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Eine Gesetzeslücke ist auch nicht deshalb
anzunehmen, weil in der Gegenäußerung der
Bundesregierung zu dem Vorschlag des Bundesrates unter Hinweis auf
§§ 8, 9 BeschVerfV ausgeführt wurde, es seien kaum
Konstellationen denkbar, bei denen Kinder mit
Aufenthaltserlaubnissen i.S. der §§ 32 bis 34 AufenthG
vom Bezug von Familienleistungen ausgeschlossen würden (vgl.
BTDrucks 16/1368, S. 14), dabei aber - wie die Klägerin meint
- übersehen worden sei, dass jugendliche Migranten, die sich
noch in einer schulischen Ausbildung befänden oder nach
Beendigung der schulischen Ausbildung noch keine Arbeitsstelle oder
Berufsausbildung gefunden hätten, nicht von § 8
BeschVerfV erfasst würden.
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§ 8 BeschVerfV bestimmt nur, dass bei
Ausländern, die vor Vollendung des 18. Lebensjahres eingereist
sind und eine Aufenthaltserlaubnis besitzen, unter - hier
offensichtlich nicht vorliegenden - Voraussetzungen die Zustimmung
zur Ausübung einer Beschäftigung ohne Prüfung nach
§ 39 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG (keine nachteiligen
Wirkungen auf den Arbeitsmarkt, keine bevorrechtigten Arbeitnehmer)
erteilt werden kann. Auch wenn die Klägerin nicht die
Voraussetzungen des § 8 BeschVerfV erfüllt, ist die
Zustimmung zur Ausübung einer Beschäftigung daher nicht
ausgeschlossen. Die Klägerin hat eine Erlaubnis zur
Ausübung einer Erwerbstätigkeit nach den Feststellungen
des FG auch gar nicht beantragt.
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5. Der Antrag, die Zuziehung des
Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig
zu erklären (§ 139 Abs. 3 Satz 3 FGO), ist im
Revisionsverfahren unzulässig. Die Entscheidung nach §
139 Abs. 3 Satz 3 FGO gehört sachlich zum
Kostenfestsetzungsverfahren; zuständig ist deshalb das Gericht
des ersten Rechtszuges, im Streitfall das FG (Urteil des
Bundesfinanzhofs vom 14.5.2009 IV R 47/07, BFHE 225, 116, BStBl II
2009, 900 = SIS 09 22 53).
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