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I. Die im Juni 1986 geborene, aus dem Jemen
stammende Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin)
reiste als Asylbewerberin in die Bundesrepublik Deutschland
(Bundesrepublik) ein. Ab Dezember 2002 war ihr Aufenthalt geduldet,
im März 2003 erhielt sie eine Aufenthaltsbefugnis für
Familienangehörige nach § 31 Abs. 1 des
Ausländergesetzes (AuslG 1990), die bis zum 17.6.2004
verlängert wurde. Im April 2004 wurde der Klägerin
außerdem eine Bescheinigung erteilt, wonach ihr Aufenthalt
gemäß § 69 Abs. 3 AuslG 1990 als erlaubt galt. Eine
Arbeitsaufnahme war ihr nur mit gültiger Arbeitserlaubnis
gestattet, ab dem Jahr 2005 hätte eine Beschäftigung mit
Zustimmung der Arbeitsverwaltung erlaubt werden können.
Tatsächlich war die Klägerin bis Oktober 2008 nicht im
Besitz einer derartigen Erlaubnis.
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Die Klägerin beantragte im Oktober
2004 Kindergeld für ihre im März 2004 geborene Tochter.
Die Beklagte und Revisionsbeklagte (Familienkasse) lehnte den
Antrag mit Bescheid vom 9.11.2004 ab, der hiergegen gerichtete
Einspruch hatte keinen Erfolg. Im August 2005 stellte die
Klägerin nicht nur für ihre Tochter, sondern auch
für ihren im Juni 2005 geborenen Sohn einen weiteren
Kindergeldantrag, über den die Familienkasse nach Aktenlage
nicht entschieden hat.
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Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab,
mit der die Klägerin Kindergeld für ihre beiden Kinder
begehrte. Es war der Ansicht, die Aufenthaltsbefugnis der
Klägerin nach § 31 Abs. 1 AuslG 1990 entspreche einer
Aufenthaltserlaubnis nach § 32 des Aufenthaltsgesetzes
(AufenthG), die nur in Verbindung mit der Erlaubnis einer
Erwerbstätigkeit zum Anspruch auf Kindergeld führe. Eine
solche Erlaubnis habe jedoch nicht vorgelegen.
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Zur Begründung der Revision trägt
die Klägerin vor, es sei bislang noch nicht
höchstrichterlich entschieden, ob die Tatbestandsvoraussetzung
nach § 62 Abs. 2 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG),
wonach sich die Berechtigung zur Aufnahme einer
Erwerbstätigkeit aus der Aufenthaltserlaubnis ergeben
müsse, auch in den Fällen zum Tragen komme, in denen die
Ausländerbehörde in den Aufenthaltstitel einen
Genehmigungsvorbehalt bzw. eine Auflage oder eine Nebenbestimmung
aufgenommen habe. Im Streitfall sei eine Erwerbstätigkeit
grundsätzlich gestattet gewesen, nur die individuelle
Arbeitsaufnahme sei aufgrund der Nebenbestimmung eingeschränkt
gewesen. Es sei nicht beabsichtigt gewesen, dass die Familienkassen
jede beschränkende Nebenbestimmung in Aufenthaltstiteln
überprüfen und als Ausschlussgrund berücksichtigen
sollten. Unstreitig habe sie, die Klägerin, nie die
Genehmigung zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit
beantragt.
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Die Klägerin beantragt
sinngemäß, das angefochtene Urteil, den
Ablehnungsbescheid vom 9.11.2004 sowie die dazu ergangene
Einspruchsentscheidung vom 11.8.2005 aufzuheben und die
Familienkasse zu verpflichten, Kindergeld für ihre Tochter ab
März 2004 bis August 2005 und für ihren Sohn ab Juni 2005
zu gewähren.
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Die Familienkasse beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
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II. Die Revision ist unbegründet und wird
zurückgewiesen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung -
FGO - ). Hinsichtlich des Kindergeldanspruchs für den Sohn
gilt dies gemäß § 126 Abs. 4 FGO mit der
Maßgabe, dass die Klage insoweit nicht unbegründet,
sondern unzulässig ist.
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1. Zu Unrecht hat das FG die Klage insoweit
als unbegründet abgewiesen, als die Klägerin die
Festsetzung von Kindergeld für ihren Sohn begehrt. Die Klage
ist vielmehr mangels Durchführung eines Vorverfahrens
gemäß § 44 Abs. 1 FGO als unzulässig
abzuweisen.
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Nach § 44 Abs. 1 FGO ist die Klage in den
Fällen, in denen ein außergerichtlicher Rechtsbehelf
gegeben ist, vorbehaltlich der §§ 45 und 46 FGO nur
zulässig, wenn ein Vorverfahren über den
außergerichtlichen Rechtsbehelf ganz oder zum Teil erfolglos
geblieben ist. Daran fehlt es im Streitfall. Die Familienkasse hat
nach Aktenlage über den Kindergeldantrag für den Sohn
nicht entschieden.
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2. Zu Recht hat das FG einen
Kindergeldanspruch der Klägerin für ihre Tochter
verneint.
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a) Die Neuregelung der Kindergeldberechtigung
von Ausländern in § 62 Abs. 2 EStG ist mit Wirkung vom
1.1.2006 in Kraft getreten und erfasst gemäß § 52
Abs. 61a Satz 2 EStG alle Sachverhalte, bei denen - wie im
Streitfall - das Kindergeld noch nicht bestandskräftig
festgesetzt worden ist.
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Die Neuregelung ist
verfassungsgemäß. Die verfassungsrechtlichen Zweifel des
Bundessozialgerichts (BSG) an der wortgleichen Regelung der
Berechtigung von Ausländern zur Inanspruchnahme von
Erziehungsgeld nach § 1 Abs. 6 des Gesetzes zum Erziehungsgeld
und zur Elternzeit (BErzGG) - s. Vorlagebeschlüsse des BSG
nach Art. 100 Abs. 1 des Grundgesetzes vom 3.12.2009 B 10 EG 5/08
R, B 10 EG 6/08 R sowie B 10 EG 7/08 R (juris) - kommen beim
steuerrechtlichen Kindergeld nicht zum Tragen, da das Kindergeld,
anders als das Erziehungsgeld (s. § 8 Abs. 1 Satz 1 BErzGG),
als Einkommen auf Sozialleistungen angerechnet wird (Senatsurteil
vom 28.4.2010 III R 1/08, BFHE 229, 262, BStBl II 2010, 980 = SIS 10 18 84, m.w.N.).
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b) Ein nicht freizügigkeitsberechtigter
Ausländer mit einer Aufenthaltserlaubnis erhält nach
§ 62 Abs. 2 Nr. 2 EStG Kindergeld nur, wenn die
Aufenthaltserlaubnis zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit
berechtigt oder berechtigt hat, es sei denn, es handelt sich um
eine Aufenthaltserlaubnis i.S. des § 62 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a
bis c EStG.
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c) Im Streitfall hatte die Klägerin keine
ausländerrechtliche Aufenthaltsgenehmigung, die ohne
Hinzukommen weiterer zu erfüllender Voraussetzungen einen
Anspruch auf Kindergeld einräumt.
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aa) Betrifft der Sachverhalt - wie hier -
einen Zeitraum vor 2005, in dem noch das AuslG 1990 galt, sind
Aufenthaltsgenehmigungen i.S. des § 5 AuslG 1990 entsprechend
den Fortgeltungsregelungen in § 101 AufenthG in
Aufenthaltstitel im Sinne des AufenthG umzuqualifizieren
(Senatsurteile vom 15.3.2007 III R 93/03, BFHE 217, 443, BStBl II
2009, 905 = SIS 07 15 05, sowie vom 22.11.2007 III R 54/02, BFHE
220, 45, BStBl II 2009, 913 = SIS 08 08 53).
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bb) Die Klägerin war bis Juni 2004 im
Besitz einer Aufenthaltsbefugnis nach § 31 AuslG 1990, die
u.a. minderjährigen, ledigen Kindern erteilt wurde, die im
Wege des Familiennachzugs in die Bundesrepublik eingereist waren.
Diese Aufenthaltsbefugnis entspricht, wie das FG zutreffend
entschieden hat, einer Aufenthaltserlaubnis nach § 32 AufenthG
(vgl. Funke-Kaiser in Gemeinschaftskommentar zum Aufenthaltsgesetz,
§ 101 Rz 24; Albrecht in Storr/Wenger/Eberle/Albrecht/Harms/
Kreuzer, ZuwG, § 101 AufenthG Rz 31; BRDrucks 224/07, 365).
Ein solcher Aufenthaltstitel berechtigt nicht kraft Gesetzes zur
Ausübung einer Erwerbstätigkeit. Die Aufnahme einer
Erwerbstätigkeit ist Ausländern mit einer
Aufenthaltserlaubnis nach § 32 i.V.m. § 4 Abs. 2 Satz 1
AufenthG nur mit ausdrücklicher Erlaubnis der
Ausländerbehörde gestattet (s. Senatsurteil vom 26.8.2010
III R 47/09, BFHE 230, 563, BFH/NV 2010, 2342 = SIS 10 35 40, zur
Aufenthaltserlaubnis nach § 34 Abs. 3 AufenthG). Unter Geltung
des AuslG 1990 benötigten Ausländer mit einer
Aufenthaltserlaubnis nach § 31 AuslG 1990 eine
Arbeitserlaubnis der Bundesanstalt für Arbeit.
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cc) Eine solche Erlaubnis lag im Streitfall
nicht vor. Unerheblich ist, ob die Klägerin einen Anspruch
darauf gehabt hätte. Ebenso, wie es für den Bezug von
Kindergeld allein auf den tatsächlichen Besitz eines
Aufenthaltstitels ankommt und nicht darauf, ob ein Anspruch auf
einen solchen Titel bestand (s. Senatsurteil in BFHE 229, 262,
BStBl II 2010, 980 = SIS 10 18 84, m.w.N.), ist für die
Arbeitserlaubnis oder die Erlaubnis zur Aufnahme einer
Erwerbstätigkeit allein deren tatsächliches Vorliegen
entscheidend. Die Klägerin erfüllte somit nicht die
Anspruchsvoraussetzungen des § 62 Abs. 2 EStG. Eine analoge
Anwendung der Vorschrift zu ihren Gunsten ist nicht geboten (s.
Senatsurteil in BFHE 230, 563, BFH/NV 2010, 2342 = SIS 10 35 40).
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dd) Die Fiktionsbescheinigung nach § 69
Abs. 3 AuslG 1990, die der Klägerin ab April 2004 erteilt
worden war, führte ebenfalls nicht zu einem Anspruch auf
Kindergeld (s. Senatsurteil vom 17.4.2008 III R 16/05, BFHE 221,
43, BStBl II 2009, 918 = SIS 08 28 82).
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