Behinderung, Kindergeld: 1. Eine Mitursächlichkeit der Behinderung des Kindes für seine mangelnde Fähigkeit zum Selbstunterhalt genügt für den Kindergeldanspruch nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG. Aus dem Wortlaut der Vorschrift ergibt sich aber, dass die Mitursächlichkeit erheblich sein muss. - 2. Die Entscheidung, ob eine erhebliche Mitursächlichkeit vorliegt, hat das FG im Rahmen einer Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalles zu treffen, die vom BFH nur eingeschränkt überprüfbar ist. (zur Anwendung vgl. BMF-Schreiben vom 22.11.2010, IV C 4 - S 2282/07/0006-01, BStBl 2010 I S. 1346 = SIS 10 38 62) - Urt.; BFH 19.11.2008, III R 105/07; SIS 09 06 82
I. Die 1982 geborene behinderte
Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) begehrt die
Festsetzung von Kindergeld zugunsten ihrer Mutter, die der Senat im
Revisionsverfahren gemäß § 60 Abs. 3 der
Finanzgerichtsordnung (FGO) zum Verfahren beigeladen hat.
Die Klägerin ist behindert (Grad der
Behinderung - GdB - 60, Merkmal RF). Nach Beendigung der
Sonderschule besuchte sie 1999/2000 die Vorklasse
(Textil/Hauswirtschaft) und 2000/2001 einen Qualifikationslehrgang
(Praktikum Floristin) am Kolleg für Hörgeschädigte,
um arbeitsmarktorientierte Grundfertigkeiten zu erlangen. Ab
März 2002 war die Klägerin mit dem Berufswunsch
Floristenhelferin/Verkäuferin im Lagerbereich arbeitslos
gemeldet. Im Jahr 2004 nahm sie an einer
Berufsvorbereitungsmaßnahme für Behinderte,
zunächst in der Grundstufe und ab 2005 in der Förderstufe
teil. Nach Beendigung des Lehrganges meldete sich die Klägerin
erneut arbeitslos und erhielt Arbeitslosengeld II. Seit August 2005
wird die Klägerin bei der Berufsberatung nicht mehr als
Bewerberin für eine berufliche Ausbildungsstelle
geführt.
Das Kindergeld für die Klägerin
wurde zugunsten der Beigeladenen festgesetzt und im Wege der
Abzweigung bis einschließlich August 2005 unmittelbar an die
Klägerin gezahlt, weil die Beigeladene keinen Unterhalt an die
Klägerin leistete.
Am 19. Juli/14.8.2005 beantragte die
Beigeladene erneut Kindergeld unter gleichzeitiger Abtretung an die
Klägerin. Die Klägerin stellte am 18.8.2005 einen Antrag
auf Auszahlung des Kindergeldes und teilte mit, sie sei Hartz
IV-Empfängerin. Sie bitte um einen begründeten
Ablehnungsbescheid und werde in jedem Falle mit Hilfe des
Sozialamtes Einspruch einlegen.
Die Beklagte und Revisionsklägerin
(die Familienkasse) lehnte den Antrag der Beigeladenen auf
Kindergeld mit Bescheid vom 2.2.2006 ab. Die Familienkasse
führte zur Begründung aus, die Klägerin sei weder
als ausbildungsplatzsuchend gemeldet noch könne sie als
behindertes Kind berücksichtigt werden, weil die Behinderung
nicht ursächlich dafür sei, dass die Klägerin ihren
Lebensunterhalt nicht selbst bestreiten könne. Einen Abdruck
der Entscheidung übersandte die Familienkasse mit Schreiben
vom 2.2.2006 an die Klägerin.
Die Klägerin legte am 13.2.2006
Einspruch ein und machte geltend: Nach einem psychologischen Test
des Arbeitsamtes sei ihr mitgeteilt worden, ihr schulisches
Grundwissen reiche nicht aus, um eine Ausbildung absolvieren zu
können. Nach dem Test sei sie aufgrund einer Maßnahme
des Arbeitsamtes in einer Werkstätte untergebracht worden und
habe von Hartz IV gelebt.
Die Familienkasse wies mit
Einspruchsentscheidung vom 27.2.2006 den Einspruch der
Klägerin als unbegründet zurück: Es lasse sich nicht
feststellen, dass die Klägerin aufgrund ihrer Behinderung
nicht in der Lage sei, selbst für ihren Lebensunterhalt zu
sorgen. Sie habe sich mit einem mindestens dreistündigen
täglichen Leistungsvermögen dem allgemeinen Arbeitsmarkt
bei der Arbeitsagentur zur Verfügung gestellt und beziehe
laufend Geldleistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB
II). Es lägen eher „arbeitsmarktliche“ Gründe
vor, die aufgrund der Schwerhörigkeit die Ausübung einer
Beschäftigung verhinderten. Die Aufnahme eines
Ausbildungsverhältnisses scheitere an mangelndem schulischem
Grundwissen.
Das Finanzgericht (FG) sah die Klage als
zulässig an. Es verpflichtete die Familienkasse unter
Änderung des Bescheides vom 2.2.2006 in der Fassung der
Einspruchsentscheidung vom 27.2.2006, zugunsten der Beigeladenen ab
September 2005 Kindergeld für die Klägerin festzusetzen
(vgl. SIS 08 19 64).
Es führte aus: Die Behinderung der
Klägerin sei ursächlich für ihre Unfähigkeit,
sich selbst zu unterhalten. Nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 des
für den streitigen Zeitraum geltenden Einkommensteuergesetzes
(EStG) 2002 müsse die Behinderung nicht alleinige Ursache
dafür sein, dass das Kind nicht selbst für seinen
Unterhalt sorgen könne. Eine Mitursächlichkeit reiche
aus. Im Streitfall sei nach den Gesamtumständen die
Behinderung der Klägerin in erheblichem Umfang
mitursächlich für die fehlende Möglichkeit zum
Selbstunterhalt. Zwar sei die Klägerin arbeitslos gemeldet
gewesen und habe Arbeitslosengeld II bezogen. Bis heute habe ihr
jedoch keine Arbeitsstelle auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt
vermittelt werden können. Auch nach dem Gutachten der vom
Gericht beauftragten Sachverständigen vom 4.5.2007 und den
Feststellungen des Gutachters des Arbeitsamtes vom 8.1.2004
könne nicht angenommen werden, dass die Erwerbslosigkeit nur
auf den Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes beruhe. Zwar
habe die Sachverständige ebenso wie der Gutachter des
Arbeitsamtes festgestellt, dass die Klägerin trotz einer
Einschränkung ihrer beruflichen Leistungsfähigkeit in der
Lage sei, eine geistig einfache angelernte Tätigkeit
„vollschichtig“ auszuüben. Die
Leistungseinschränkungen aufgrund ihrer Lernbehinderung wegen
einer frühkindlichen Hirnschädigung und ihrer
Schwerhörigkeit führten aber zu einer erheblichen
Einschränkung ihrer Vermittlungschancen auf dem allgemeinen
Arbeitsmarkt.
Mit ihrer Revision rügt die
Familienkasse die Verletzung des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG
2002. Entgegen der Rechtsauffassung des FG reiche für die
Feststellung, dass sich das Kind nicht selbst unterhalten
könne, eine Mitursächlichkeit nicht aus. Andernfalls
wäre eine Behinderung praktisch immer als (mit-)kausal
für die Unfähigkeit zum Selbstunterhalt anzusehen. Nach
dem Gesetzeswortlaut müsse das Kind „wegen“ der
Behinderung außerstande sein, sich selbst zu unterhalten.
Hieraus folge, dass die Behinderung die alleinige Ursache sein
müsse. Da dies in der Praxis selten feststellbar sein
dürfte, müsse die Behinderung zumindest ganz
überwiegend für die Unfähigkeit zum Selbstunterhalt
verantwortlich sein. Auf keinen Fall dürfe jedoch, wie das FG
annehme, jede irgendwie geartete Mitursächlichkeit, also auch
ein beliebig kleiner Ursachenbeitrag, als ausreichend für die
Feststellung der Kausalität angesehen werden.
Die Familienkasse beantragt, das Urteil der
Vorinstanz aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung
und Entscheidung zurückzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
II. Die Revision ist unbegründet und
daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO).
1. Das FG hat zutreffend entschieden, dass
gegenüber der Beigeladenen Kindergeld für die
Klägerin ab September 2005 festzusetzen ist.
Gemäß den §§ 62 Abs. 1,
63 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG 2002
besteht für ein Kind, das das 18. Lebensjahr vollendet hat,
Anspruch auf Kindergeld, wenn es wegen körperlicher, geistiger
oder seelischer Behinderung außerstande ist, sich selbst zu
unterhalten und die Behinderung vor dem 27. Lebensjahr eingetreten
ist.
a) Das Tatbestandsmerkmal
„außerstande ist, sich selbst zu
unterhalten“ ist im Gesetz nicht näher umschrieben.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) ist
ein behindertes Kind dann außerstande, sich selbst zu
unterhalten, wenn es seinen Lebensunterhalt nicht selbst bestreiten
kann. Ein Kind ist dann imstande, sich selbst zu unterhalten, wenn
es über eine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit
verfügt, die zur Bestreitung seines gesamten notwendigen
Lebensunterhalts ausreicht (BFH-Urteile vom 15.10.1999 VI R 183/97,
BFHE 189, 442, BStBl II 2000, 72 = SIS 00 01 13, und VI R 40/98,
BFHE 189, 449, BStBl II 2000, 75 = SIS 00 01 14). Der gesamte
existenzielle Lebensbedarf des behinderten Kindes setzt sich dabei
typischerweise aus dem allgemeinen Lebensbedarf (Grundbedarf) und
dem individuellen behinderungsbedingten Mehrbedarf zusammen.
Für den Streitzeitraum beginnend ab September 2005 ist der
Grundbedarf mit 7.680 EUR zu bemessen (vgl. BFH-Urteil in BFHE 189,
442, BStBl II 2000, 72 = SIS 00 01 13). Hinzu kommt ein
individueller behinderungsbedingter Mehraufwand, den gesunde Kinder
nicht haben. Erbringt der Steuerpflichtige keinen Einzelnachweis,
kann der jeweils maßgebliche Behinderten-Pauschbetrag (§
33b Abs. 1 bis 3 EStG 2002) als Anhalt für den betreffenden
Mehrbedarf dienen (z.B. BFH-Urteile vom 19.8.2002 VIII R 17/02,
BFHE 200, 219, BStBl II 2003, 88 = SIS 03 01 79, und VIII R 51/01,
BFHE 200, 212, BStBl II 2003, 91 = SIS 03 01 80).
b) Ein behindertes Kind kann sowohl wegen der
Behinderung als auch wegen der allgemeinen ungünstigen
Situation auf dem Arbeitsmarkt oder wegen anderer Umstände
(z.B. mangelnder Mitwirkung bei der Arbeitsvermittlung, Ablehnung
von Stellenangeboten) arbeitslos und damit außerstande sein,
sich selbst zu unterhalten. Entsprechend dem eindeutigen Wortlaut
des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG 2002 führt eine
Behinderung aber nur dann zu einer Berücksichtigung beim
Kindergeld, wenn das Kind nach den Gesamtumständen des
Einzelfalles wegen der Behinderung außerstande ist, sich
selbst zu unterhalten (Ursächlichkeit); dem Kind muss es daher
objektiv unmöglich sein, seinen (gesamten) Lebensunterhalt
durch eigene Erwerbstätigkeit zu bestreiten (vgl. BFH-Urteil
in BFHE 189, 449, BStBl II 2000, 75 = SIS 00 01 14). Ist folglich
ein Kind trotz seiner (ggf. erheblichen) Behinderung etwa aufgrund
hoher Einkünfte oder Bezüge in der Lage, selbst für
seinen Lebensunterhalt zu sorgen, kommt der Behinderung keine
Bedeutung zu.
Entgegen der Auffassung der Familienkasse ist
insoweit keine abstrakte Betrachtungsweise zulässig; vielmehr
fordert der Gesetzgeber eine konkrete Bewertung der jeweiligen
Situation des behinderten Kindes nach den Gesamtumständen des
Einzelfalles (BFH-Beschluss vom 14.12.2001 VI B 178/01, BFHE 197,
472, BStBl II 2002, 486 = SIS 02 05 90; R 32.9 Abs. 2 Satz 1 der
Einkommensteuer-Richtlinien - EStR - 2005).
Nach ständiger Rechtsprechung des BFH
kann die Ursächlichkeit der Behinderung entsprechend den
Verwaltungsanweisungen grundsätzlich angenommen werden, wenn
im Schwerbehindertenausweis das Merkmal „H“
(hilflos) eingetragen ist oder der GdB 50 oder mehr beträgt
und besondere Umstände hinzutreten, aufgrund derer eine
Erwerbstätigkeit unter den üblichen Bedingungen des
Arbeitsmarktes ausgeschlossen erscheint (BFH-Urteil vom 26.7.2001
VI R 56/98, BFHE 196, 161, BStBl II 2001, 832 = SIS 01 13 69;
BFH-Beschluss in BFHE 197, 472, BStBl II 2002, 486 = SIS 02 05 90;
H 32.9 erster Anstrich EStR 2005, Dienstanweisung zur
Durchführung des Familienleistungsausgleichs nach dem X.
Abschnitt des Einkommensteuergesetzes - DA-FamEStG - 63.3.6.3.1
Abs. 2 Satz 1, BStBl I 2004, 743, 771). Es handelt sich bei diesen
Regelungen um eine im Interesse der Rechtsanwendungsgleichheit
vorgenommene Konkretisierung des Grundsatzes, dass die Frage, ob
die Behinderung ursächlich für das Außerstandesein
des Kindes zum Selbstunterhalt ist, nach den Gesamtumständen
des Einzelfalles zu beurteilen ist (BFH-Urteil vom 26.8.2003 VIII R
58/99, BFH/NV 2004, 326 = SIS 04 09 50).
Der Senat folgt den Verwaltungsanweisungen
auch insoweit, als die Behinderung für die Unfähigkeit
des Kindes zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit
grundsätzlich nicht ursächlich ist, wenn der GdB weniger
als 50 beträgt und keine besonderen Umstände dafür
ersichtlich sind, dass auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt keine
Erwerbstätigkeit ausgeübt werden kann (s. DA-FamEStG
63.3.6.3.1 Abs. 1 Satz 1). Die in den Verwaltungsanweisungen
enthaltenen (pauschalen) Vermutungen des Kausalzusammenhangs sind
in beiden Fallgruppen im Einzelfall widerlegbar.
c) Das FG hat zutreffend entschieden, dass
nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG 2002 die Behinderung nicht
die alleinige Ursache dafür sein muss, dass das Kind
außerstande ist, sich selbst zu unterhalten (ebenso
Sächsisches FG, Urteile vom 26.6.2006 1 K 1565/04 (Kg), EFG
2007, 50 = SIS 06 33 14, und vom 17.8.2004 3 K 2367/03 (Kg), EFG
2005, 391 = SIS 05 02 99; FG Düsseldorf, Urteil vom 8.2.2007
14 K 5102/05 Kg, EFG 2007, 1339 = SIS 07 21 78 - nur Leitsatz - ).
Würde man eine ausschließliche Ursächlichkeit der
Behinderung für die fehlende eigene Fähigkeit des Kindes
zur Unterhaltssicherung verlangen, so würde man die
Kindergeldberechtigung arbeitsloser behinderter Kinder insbesondere
in Zeiten erhöhter Arbeitslosigkeit leerlaufen lassen; denn in
der Regel ist die Arbeitsmarktsituation zumindest
mitursächlich für den unzureichenden beruflichen Erfolg
des behinderten Kindes (Sächsisches FG, Urteil in EFG 2005,
391 = SIS 05 02 99). Andererseits ergibt sich aus dem Wortlaut des
§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG 2002, dass nicht jede einfache
Mitursächlichkeit ausreicht; vielmehr folgt aus dem
Tatbestandsmerkmal „ ... wegen ... Behinderung
außerstande ist“, dass die Mitursächlichkeit
der Behinderung erheblich sein muss.
Der fehlende Nachweis der Behinderung und der
Unfähigkeit zum Selbstunterhalt geht im Übrigen nach den
Regeln der objektiven Beweislast (Feststellungslast) zu Lasten des
Kindergeldberechtigten.
2. Die Entscheidung, ob eine Behinderung
für die mangelnde Fähigkeit des behinderten Kindes zum
Selbstunterhalt in erheblichem Umfang mitursächlich ist, hat
das FG unter Berücksichtigung aller Umstände des
Einzelfalles zu entscheiden. Vom BFH ist die Entscheidung des FG
nur eingeschränkt überprüfbar. Ist die
tatsächliche Würdigung des FG verfahrensrechtlich
einwandfrei zustande gekommen und verstößt sie auch
nicht gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze, ist
sie für den BFH als Revisionsgericht nach § 118 Abs. 2
FGO bindend, selbst wenn die Wertung des FG nicht zwingend, sondern
lediglich möglich ist (z.B. BFH-Beschluss vom 10.2.2005 VI B
113/04, BFHE 209, 211, BStBl II 2005, 488 = SIS 05 17 03).
a) Ein Indiz für die Fähigkeit des
behinderten Kindes zum Selbstunterhalt kann zwar die Feststellung
in ärztlichen Gutachten - z.B. von der Reha-SB-Stelle der
Agentur für Arbeit oder eines vom Gericht beauftragten
ärztlichen Sachverständigen - sein, das Kind sei nach Art
und Umfang seiner Behinderung in der Lage, eine
arbeitslosenversicherungspflichtige, mindestens 15 Stunden
wöchentlich umfassende Beschäftigung unter den
üblichen Bedingungen des für ihn in Betracht kommenden
Arbeitsmarktes auszuüben (s. DA-FamEStG 63.3.6.3.1 Abs. 4).
Selbst wenn nach den Gutachten eine „vollschichtige
Tätigkeit“ für möglich gehalten wird, ist
die theoretische Möglichkeit, das behinderte Kind am
allgemeinen Arbeitsmarkt zu vermitteln, aber allein nicht geeignet,
die (Mit-)Ursächlichkeit der Behinderung auszuschließen.
Entscheidend kann nur die konkrete Bewertung der jeweiligen
Situation des behinderten Kindes sein.
b) Auch der Bezug von Arbeitslosengeld II kann
allenfalls ein Indiz für die Fähigkeit des Kindes zum
Selbstunterhalt sein. Der Bezug von Arbeitslosengeld II setzt u.a.
voraus, dass der Arbeitslose nach § 7 Abs. 1 Nr. 2 SGB II
erwerbsfähig ist, d.h. unter den üblichen Bedingungen des
allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich
erwerbstätig sein kann (vgl. § 8 Abs. 1 SGB II). Jedoch
muss sich aus dem Gesamtbild durch Hinzutreten weiterer
Umstände eine konkrete Erwerbsfähigkeit des behinderten
Kindes ergeben.
c) Dagegen kommt dem GdB eine wichtige
indizielle Bedeutung für die Prüfung der
Ursächlichkeit der Behinderung für die mangelnde
Fähigkeit zum Selbstunterhalt zu (vgl. Sächsisches FG,
Urteil in EFG 2007, 50 = SIS 06 33 14). Je höher der GdB ist,
desto stärker wird die Vermutung, dass die Behinderung der
erhebliche Grund für die fehlende Erwerbstätigkeit ist.
Dieser Erkenntnis liegt die zutreffende Annahme zugrunde, dass eine
Beschäftigung schwerbehinderter Kinder unter den normalen
Bedingungen des Arbeitsmarktes regelmäßig nur unter
erschwerten Bedingungen möglich ist (BFH-Beschluss in BFHE
197, 472, BStBl II 2002, 486 = SIS 02 05 90). Die Rechtsprechung
hat demgemäß bei einem GdB von 100 und dem Merkmal H in
der Regel eine Kausalität angenommen, auch wenn eine
(Teil-)Erwerbstätigkeit theoretisch möglich gewesen sein
sollte (vgl. BFH-Urteile vom 28.1.2004 VIII R 10/03, BFH/NV 2004,
784 = SIS 04 29 42, und in BFH/NV 2004, 326 = SIS 04 09 50).
Dagegen spricht ein GdB unter 50 eher gegen eine Kausalität
der Behinderung.
d) Eine - nicht behinderungsspezifische -
Berufsausbildung kann als Indiz für eine Vermittelbarkeit des
behinderten Kindes auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sprechen (vgl.
auch FG Baden-Württemberg, Urteil vom 14.10.2004 3 K 87/00,
EFG 2005, 285 = SIS 05 10 18). Andererseits gilt auch hier, dass
noch weitere Umstände hinzukommen müssen, bis eine
Teilnahme am Erwerbsleben als möglich angesehen werden kann.
Behinderungsspezifische Ausbildungen und Praktika - wie im
Streitfall - sprechen eher gegen eine Vermittelbarkeit am
allgemeinen Arbeitsmarkt, da sie möglicherweise den Schluss
auf nur bedingte Einsatzmöglichkeiten am Arbeitsmarkt
zulassen.
e) Steht das behinderte Kind der
Arbeitsvermittlung der Agentur für Arbeit zur Verfügung
und kann die Agentur für Arbeit in einem mittelfristigen
Zeitraum keine Stellenangebote benennen, wird dies in der Regel
gegen die Vermittelbarkeit des behinderten Kindes und damit
für eine Ursächlichkeit der Behinderung für die
mangelnde Fähigkeit zum Selbstunterhalt sprechen (vgl.
Sächsisches FG, Urteil in EFG 2007, 50 = SIS 06 33 14; FG
Düsseldorf, Urteil in EFG 2007, 1339 = SIS 07 21 78). Gleiches
gilt, wenn das behinderte Kind sich mittelfristig mehrfach
erfolglos beworben hat (a.A. FG Baden-Württemberg, Urteil vom
12.7.2007 1 K 316/04, StE 2008, 646 = SIS 08 39 37 - nur Leitsatz -
). Insbesondere erschwert ein ungünstiger Arbeitsmarkt die
Vermittelbarkeit des behinderten Kindes, da
Einsparungsmaßnahmen der Arbeitgeber am ehesten bei
„einfachen“ Tätigkeiten vorgenommen werden
und durch automatisierte Handlungsabläufe ersetzt werden.
3. Das FG ist im Ergebnis von diesen
Grundsätzen ausgegangen. Es hat eine erhebliche
Mitursächlichkeit der Behinderung im Streitfall als gegeben
angesehen und nicht wie die Familienkasse meint, jede irgendwie
geartete Mitursächlichkeit ausreichen lassen. Die
Gesamtwürdigung des FG, die Behinderung der Klägerin sei
erheblich mitursächlich für ihre mangelnde Fähigkeit
zum Selbstunterhalt, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
Die Klägerin ist seit ihrer Geburt behindert und hat ab 2001
einen GdB von 60. Die Klägerin bezieht lediglich
Arbeitslosengeld II und hatte nur zeitweise einen 1-Euro-Job. Ihr
konnte mittelfristig keine Arbeitsstelle von der Arbeitsvermittlung
der Agentur für Arbeit vermittelt werden. Die von der
Klägerin absolvierten berufsbildenden Maßnahmen für
Hörgeschädigte belegen, dass sie sich ständig
intensiv um Fortbildung bemüht hat, um eine Ausbildungsstelle
oder zumindest eine Arbeitsstelle zu erhalten. Nach den
Ausführungen des FG führten die
Leistungseinschränkungen der Klägerin aufgrund ihrer
Lernbehinderung wegen der frühkindlichen Hirnschädigung
und ihrer Schwerhörigkeit trotz ihrer abstrakten
Arbeitsfähigkeit zu einer erheblichen Einschränkung der
Vermittlungschancen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Diese
Würdigung ist jedenfalls vertretbar und daher nicht zu
beanstanden.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf §
143 Abs. 1 i.V.m. § 135 Abs. 2 FGO.
Für eine Entscheidung über die
außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen i.S. von §
139 Abs. 4 FGO besteht kein Anlass. Die Beigeladene ist im
Revisionsverfahren nicht vertreten und es ist auch nicht erkennbar,
dass ihr besondere außergerichtliche Kosten entstanden sind
(vgl. BFH-Urteil vom 1.8.2001 II R 47/00, BFH/NV 2002, 788 = SIS 02 67 40, m.w.N.).