Insolvenzreife, Geschäftsführerhaftung: 1. Allein der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens befreit den GmbH-Geschäftsführer nicht von der Haftung wegen Nichtabführung der einbehaltenen Lohnsteuer. - 2. Sind im Zeitpunkt der Lohnsteuer-Fälligkeit noch liquide Mittel zur Zahlung der Lohnsteuer vorhanden, besteht die Verpflichtung des Geschäftsführers zu deren Abführung so lange, bis ihm durch Bestellung eines (starken) Insolvenzverwalters oder Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Verfügungsbefugnis entzogen wird. - 3. Die Haftung ist auch nicht ausgeschlossen, wenn die Nichtzahlung der fälligen Steuern in die dreiwöchige Schonfrist fällt, die dem Geschäftsführer zur Massesicherung ab Feststellung der Zahlungsunfähigkeit gemäß § 64 Abs. 1 Satz 1 GmbHG eingeräumt ist (Fortentwicklung der Senatsrechtsprechung im Hinblick auf die geänderte Rechtsprechung des BGH im Urteil vom 14.5.2007 II ZR 48/06, DStR 2007, 1174, HFR 2007, 1242 = SIS 07 28 78). - Urt.; BFH 23.9.2008, VII R 27/07; SIS 08 44 58
I. Der Kläger und Revisionskläger
(Kläger) war zusammen mit einem weiteren Gesellschafter
Geschäftsführer einer GmbH. Neben ihm und dem anderen
Geschäftsführer hielt ein dritter Gesellschafter die
übrigen 75 % der Gesellschaftsanteile
(Mehrheitsgesellschafter).
Die Lohnsteueranmeldung der GmbH für
Juli 2001 über insgesamt umgerechnet ca. 79.250 EUR ging am
6.8.2001 beim Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt - FA - )
ein. Am 10.8.2001 stellten die Geschäftsführer Antrag auf
Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen
der GmbH, einen Monat später wurde ein vorläufiger
Insolvenzverwalter bestellt und am 31.10.2001 das
Insolvenzverfahren eröffnet.
Wegen der am Tag des Eröffnungsantrags
fälligen, nicht abgeführten Lohnsteuer für Juli 2001
nahm das FA die Geschäftsführer gemäß
§§ 69, 34, 35 der Abgabenordnung (AO) in Haftung. Nach
erfolglosem Einspruch legte der Kläger im Klageverfahren dar,
dass ihm keine grob fahrlässige Pflichtverletzung vorzuwerfen
sei, weil der Mehrheitsgesellschafter die rund 8 Mio. EUR Schulden
der GmbH durch Darlehen mit Rangrücktritt gesichert und die
Liquidität noch durch Zahlung eines Teilbetrags von 350.000 DM
auf ein am 29.6.2001 vereinbartes Darlehen über 950.000 DM
aufrechterhalten habe, bevor er eine Woche später, am
3.8.2001, überraschend bekannt gegeben habe, die weitere
Finanzierung nicht länger abdecken zu können. Am
31.7.2001 seien liquide Mittel in Höhe von (umgerechnet) ca.
69.000 EUR und am 31.8.2001 in Höhe von ca. 147.000 EUR
vorhanden gewesen, außerdem habe bei der Hausbank kurzfristig
ein Darlehen aufgenommen werden können. Im Zeitpunkt des
Insolvenzantrags habe die GmbH somit über genügend Mittel
verfügt, die Lohnsteuer 7/2001 zu zahlen. Lediglich aufgrund
der bei der Insolvenzrichterin und dem späteren
Insolvenzverwalter (Insolvenzverwalter) am Tage der Antragstellung
eingeholten - unter Beweis gestellten - Auskünfte hätten
er und der Mitgeschäftsführer sich nicht länger
berechtigt gefühlt, Zahlungen für die GmbH
anzuweisen.
Das Finanzgericht (FG) hob den Bescheid
auf, soweit der Kläger für Säumniszuschläge in
Haftung genommen worden war, wegen der Hauptforderungen blieb die
Klage erfolglos. Das FG urteilte, der Kläger habe
pflichtwidrig und grob fahrlässig unterlassen, die für
den Monat Juli 2001 einbehaltene und angemeldete Lohnsteuer bis zum
10. des Folgemonats an das FA abzuführen. Daran ändere
die Stellung des Insolvenzantrags am 10.8.2001 nichts, da die
bloße Antragstellung auf die Verfügungsbefugnis des
Geschäftsführers keinen Einfluss habe. Rechtfertigungs-
oder Entschuldigungsgründe habe der Kläger nicht
glaubhaft gemacht. So habe die Vernehmung der Insolvenzrichterin
zwar bestätigt, dass am 10.8.2001 ein Gespräch
stattgefunden habe, der Inhalt sei jedoch unklar geblieben, da sie
sich an den Vorfall nicht mehr habe erinnern können. Auch habe
die Beweisaufnahme nicht ergeben, dass der Insolvenzverwalter dem
Kläger anlässlich des Gesprächs am 13.8.2001
untersagt habe, die Lohnsteuer 7/2001 zu zahlen. Abgesehen davon,
dass Geschehnisse nach dem Fälligkeitstag und damit nach
Vollendung der grob fahrlässigen Pflichtverletzung die Haftung
nicht nachträglich entfallen lassen könnten, habe sich
der Insolvenzverwalter nicht konkret an dieses Gespräch
erinnert. Die von ihm für möglich gehaltene Aussage, er
selbst würde - wenn er in der Position des
Geschäftsführers wäre - im Hinblick auf eine
mögliche Insolvenzanfechtung oder eine etwaige
Schadenersatzpflicht nach § 64 Abs. 2 des Gesetzes über
die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHG) nicht mehr
zahlen, habe beim Kläger allenfalls den Eindruck erwecken
können, es sei besser, die Lohnsteuer nicht zu zahlen. Wenn
dem so gewesen sei, beruhe die Nichtzahlung der Lohnsteuer jedoch
auf der freien Entscheidung des Klägers und nicht auf einem
Irrtum über seine Verfügungsberechtigung. Zudem lege die
Aussage des für die Bezahlung der Verbindlichkeiten der GmbH
seinerzeit zuständigen Mitarbeiters ein mögliches Motiv
für die Nichtzahlung der Lohnsteuer und damit eine bewusste
Entscheidung, nicht aber einen Rechtsirrtum des Klägers offen,
nämlich in Absprache mit dem Insolvenzverwalter jegliche
Schmälerung der Insolvenzmasse durch irgendwelche Zahlungen zu
unterlassen und dafür mehr Zeit für die Suche nach neuen
Investoren zu bekommen.
Entschuldigungsgründe für den
Kläger ergäben sich auch nicht daraus, dass die
öffentlich-rechtliche Verpflichtung zur Steuerzahlung
möglicherweise mit privatrechtlichen
Schadenersatzverpflichtungen gemäß § 64 Abs. 2
GmbHG konkurriere (Hinweis auf Beschluss des Bundesfinanzhofs - BFH
- vom 21.12.1998 VII B 175/98, BFH/NV 1999, 745 = SIS 98 57 11).
Die Kausalität der Nichtzahlung der
Lohnsteuer für den Steuerausfall entfalle schließlich
nicht schon wegen hypothetischer Anfechtung der Lohnsteuerzahlung
durch den Insolvenzverwalter nach § 130 Abs. 1 der
Insolvenzordnung (InsO), zumal Zahlungsunfähigkeit i.S. des
§ 17 Abs. 2 InsO am 10.8.2001 noch nicht vorgelegen
habe.
Mit der Revision beruft sich der
Kläger zunächst auf die fehlende Kausalität der
Nichtabführung der Lohnsteuer für den Steuerausfall.
Diese Zahlung hätte vom Insolvenzverwalter später
gemäß § 130 InsO angefochten werden können,
weil im Zeitpunkt der Fälligkeit der Lohnsteuer wegen der
gekündigten weiteren Kreditierung durch den
Mehrheitsgesellschafter am 3.8.2001 und Ausbleiben der für
diese Woche avisierten Zahlung der - u.a. - durch die
Fälligkeit der Lohnsteuer gegebene Liquiditätsbedarf
nicht mehr habe gedeckt werden können. Weiter legt der
Kläger unter Berufung auf das Senatsurteil vom 27.2.2007 VII R
67/05 (BFHE 216, 491 = SIS 07 24 96) dar, dass vom Zeitpunkt der
Fälligkeit der Lohnsteuer und zugleich der
Zahlungsunfähigkeit der GmbH an in der Nichtabführung
für einen Zeitraum von drei Wochen kein grob fahrlässiges
Verhalten des Klägers gelegen habe, da er sich in diesem
Zeitraum noch innerhalb der Schonfrist des § 64 Abs. 1 GmbHG
(zur Massesanierung) befunden habe. Zwar seien am 10.8.2001 noch
liquide Mittel vorhanden gewesen, um die Lohnsteuer für den
Monat Juli 2001 zu zahlen, aber bezogen auf die
Gesamtverbindlichkeiten habe Zahlungsunfähigkeit im Sinne der
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) bestanden, weil die
innerhalb von drei Wochen nicht zu beseitigende
Liquiditätslücke mehr als 10 % der fälligen
Gesamtverbindlichkeiten betragen habe (Hinweis auf das BGH-Urteil
vom 24.5.2005 IX ZR 123/04, BGHZ 163, 134 = SIS 05 44 22).
Schließlich macht der Kläger
geltend, dass das FG bei gehöriger Würdigung der
Zeugenaussagen zu dem Ergebnis habe kommen müssen, dass er
sich aufgrund seiner Rückfragen bei der Richterin und dem
Insolvenzverwalter in einem entschuldbaren Rechtsirrtum
darüber befunden habe, dass ihm Zahlungen an Gläubiger
untersagt seien. Nach seinem Verständnis sei er nach den von
ihm eingeholten Informationen seitens zweier kompetenter Personen
nicht mehr in der Situation gewesen, eine freie Entscheidung
über die Zahlung oder Nichtzahlung der Lohnsteuer zu
treffen.
Das FA weist darauf hin, dass seit dem
BFH-Urteil vom 5.6.2007 VII R 65/05 (BFHE 217, 233, BStBl II 2008,
273 = SIS 07 31 56) geklärt sei, dass hypothetische
Kausalverläufe die Haftungsinanspruchnahme nach §§
69, 34 AO nicht in Frage stellen könnten und der BGH
zwischenzeitlich unter Aufgabe seiner bisherigen Rechtsprechung
entschieden habe, dass ein Geschäftsführer, der bei
Insolvenzreife der Gesellschaft Lohnsteuer abführe,
„erlaubte“ Zahlungen leiste und damit der Gesellschaft
gegenüber nicht nach § 64 Abs. 2 GmbHG
erstattungspflichtig sei. Demnach habe sich der Kläger in
keiner die Nichtabführung der Lohnsteuer entschuldigenden
Pflichtenkollision befunden. Die Pflichtverletzung beruhe
demzufolge auch nicht auf einem aus den bei der Richterin und dem
Insolvenzverwalter eingeholten Informationen herrührenden,
entschuldbaren Rechtsirrtum, zumal diese Personen nach Aktenlage
und dem Ergebnis der Beweisaufnahme keine Anweisungen erteilt,
sondern lediglich Ratschläge bzw. Empfehlungen abgegeben
hätten.
II. Die Revision ist begründet. Das
Urteil des FG verletzt Bundesrecht (§ 118 Abs. 1 der
Finanzgerichtsordnung - FGO - ).
Das FG hat zutreffend erkannt, dass der
Kläger als Geschäftsführer der GmbH zur
Abführung der einbehaltenen und angemeldeten Lohnsteuer 7/2001
am 10.8.2001 verpflichtet war. Unter Berücksichtigung der
Besonderheiten des Streitfalles kann die Nichterfüllung dieser
Pflicht aber nicht als grob fahrlässig gewertet werden.
1. Gemäß § 69 Satz 1 i.V.m.
§ 34 Abs. 1 AO haften die gesetzlichen Vertreter einer GmbH,
soweit Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis infolge
vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der ihnen
auferlegten Pflichten nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder
erfüllt worden sind. Den Geschäftsführer einer GmbH
trifft - u.a. - die Pflicht, für eine fristgerechte Anmeldung
und Abführung der von der GmbH geschuldeten Lohnsteuer zu
sorgen (§ 41a Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes).
a) Durch den Antrag auf Eröffnung des
Insolvenzverfahrens am Tag der Fälligkeit der Lohnsteuer war
der Kläger rechtlich nicht gehindert, die Lohnsteuer
abzuführen. Allein der Antrag schränkt den
Geschäftsführer in seiner Verfügungsbefugnis nicht
ein. Der vorläufige Insolvenzverwalter ist erst einen Monat
später bestellt worden.
b) Nach ständiger Rechtsprechung des
Senats stellt die Nichtabführung einzubehaltender und
anzumeldender Lohnsteuer zu den gesetzlichen
Fälligkeitszeitpunkten im Regelfall eine zumindest grob
fahrlässige Verletzung der Geschäftsführerpflichten
dar (vgl. Senatsentscheidung in BFHE 216, 491 = SIS 07 24 96,
m.w.N.). Zahlungsschwierigkeiten der GmbH ändern weder etwas
an dieser Pflicht des GmbH-Geschäftsführers, noch
schließen sie sein Verschulden bei Nichterfüllung der
steuerlichen Pflichten der GmbH aus.
c) Die Pflichtverletzung des
Geschäftsführers begründet allerdings dann keine
Haftung nach §§ 69, 34 AO, wenn der Steuerausfall mangels
ausreichender Zahlungsmittel der GmbH unabhängig davon
eintritt, ob Steueranmeldungen fristgerecht eingereicht und die
geschuldeten Steuerbeträge innerhalb der gesetzlich
hierfür bestimmten Fristen entrichtet worden sind
(ständige Senatsrechtsprechung, vgl. Urteil in BFHE 216, 491 =
SIS 07 24 96; vom 6.3.2001 VII R 17/00,
BFH/NV 2001, 1100 = SIS 01 72 03, m.w.N.).
aa) Es ist indes nicht festgestellt, dass
ausreichende Zahlungsmittel für die Begleichung der Lohnsteuer
nicht vorhanden waren. Der Kläger hat vielmehr selbst
eingeräumt, dass bei Fälligkeit der Lohnsteuer 7/2001 der
GmbH noch die erforderlichen Mittel zur Zahlung der angemeldeten
Lohnsteuer zur Verfügung standen.
bb) Es ist auch nicht erheblich, dass nach der
Rechtsprechung des BGH regelmäßig von
Zahlungsunfähigkeit auszugehen ist, wenn die
Liquiditätslücke des Schuldners 10 % oder mehr seiner
fälligen Gesamtverbindlichkeiten beträgt, sofern nicht
ausnahmsweise mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu
erwarten ist, dass die Liquiditätslücke demnächst
vollständig oder fast vollständig beseitigt wird
(BGH-Urteil in BGHZ 163, 134 = SIS 05 44 22), denn für die
Frage, ob die Pflichtverletzung des Geschäftsführers
für den Steuerausfall kausal ist, weil der Fiskus mangels
ausreichender Zahlungsmittel und vollstreckbaren Vermögens der
GmbH ohnehin leer ausgegangen wäre, kommt es allein darauf an,
ob bei Fälligkeit der Steuerforderung der geschuldete Betrag
zur Auszahlung verfügbar ist. Das aber war auch nach dem
Vorbringen der Revision am 10.8.2001 trotz der behaupteten
Liquiditätslücke der Fall.
cc) Die Haftung des Geschäftsführers
entfällt auch nicht infolge einer im Falle der Entrichtung der
Lohnsteuer zum Fälligkeitstermin möglichen Anfechtung der
Zahlung durch den Insolvenzverwalter nach §§ 129 ff.
InsO. Die bloße Möglichkeit der Insolvenzanfechtung
hindert nicht, den durch die pflichtwidrige Nichtabführung
eingetretenen Steuerausfall dem Geschäftsführer
zuzurechnen (keine Berücksichtigung von hypothetischen
Kausalverläufen vgl. BFH-Urteil vom 19.9.2007 VII R 39/05,
BFH/NV 2008, 18 = SIS 08 04 46, m.w.N).
d) Der Senat hat erwogen, ob die
Lohnsteuerabführungspflicht des Geschäftsführers mit
der Stellung des Insolvenzantrags suspendiert sein könnte.
In seinem Urteil in BFHE 216, 491 = SIS 07 24 96 hat der Senat entschieden, dass das zivilrechtliche
Zahlungsverbot des § 64 Abs. 2 Satz 1 GmbHG eine Haftung wegen
Nichtzahlung fälliger Steuern allenfalls innerhalb der
dreiwöchigen Schonfrist, die dem Geschäftsführer zur
Massesicherung ab Feststellung der Zahlungsunfähigkeit
gemäß § 64 Abs. 1 Satz 1 GmbHG eingeräumt ist,
ausschließt. Das könnte es jedenfalls in Fällen wie
dem vorliegenden, in dem der Geschäftsführer nach den
Feststellungen des FG den Insolvenzantrag wegen drohender
Zahlungsunfähigkeit „freiwillig“ gestellt
hat (Eröffnungsgrund nach § 18 InsO), im Sinne eines
„Erst-recht-Schlusses“ nahelegen, auch hier eine
dreiwöchige Suspendierung der Lohnsteuerabführungspflicht
anzunehmen.
Allerdings hat der BGH inzwischen entschieden
(Urteil vom 14.5.2007 II ZR 48/06, DStR 2007, 1174, HFR 2007, 1242
= SIS 07 28 78), dass selbst für diesen Zeitraum die
zivilrechtliche Haftung des Geschäftsführers wegen
Steuerabführung entfalle, weil dem organschaftlichen Vertreter
nicht angesonnen werden könne, die Massesicherungspflicht nach
§ 92 Abs. 3 des Aktiengesetzes
(AktG), § 64 Abs. 2 GmbHG zu erfüllen und fällige
Leistungen an die Sozialkassen oder die Steuerbehörden nicht
zu erbringen, wenn er sich dadurch einer persönlichen
deliktischen Haftung aus § 823 Abs. 2 des Bürgerlichen
Gesetzbuchs i.V.m. § 266a des Strafgesetzbuchs (StGB), aus
§§ 34, 69 AO oder der Bestrafung nach § 266a StGB
aussetze; sein die entsprechenden sozial- und
steuerrechtlichen Vorschriften befolgendes Verhalten muss deswegen
im Rahmen der bei § 92 Abs. 3
AktG, § 64 Abs. 2 GmbHG anzustellenden Prüfung als
mit den Pflichten eines ordentlichen und gewissenhaften
Geschäftsleiters vereinbar angesehen werden.
2. Die Auffassung des FG, dass die
Pflichtverletzung des Klägers auch im Streitfall die grobe
Fahrlässigkeit indiziert, weil er keine Rechtfertigungs- oder
Entschuldigungsgründe glaubhaft machen konnte, hält
jedoch der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht
stand.
Die subjektive Voraussetzung der Haftung nach
§ 69 AO, die zumindest grobe Fahrlässigkeit bei der die
Haftung begründenden Pflichtverletzung, ist zwar
regelmäßig zu bejahen, wenn die auf die ausgezahlten
Löhne entfallenden Lohnsteuern nicht abgeführt werden.
Die objektive Pflichtwidrigkeit des Verhaltens eines gesetzlichen
Vertreters indiziert im Allgemeinen den Schuldvorwurf
(ständige Rechtsprechung, Senatsbeschluss vom 25.7.2003 VII B
240/02, BFH/NV 2003, 1540 = SIS 03 49 35, m.w.N.). Das
schließt allerdings nicht aus, dass besondere, vom
Kläger glaubhaft zu machende Gründe im Einzelfall die
Pflichtverletzung entschuldigen oder nur den Vorwurf leichter
Fahrlässigkeit rechtfertigen.
Die Feststellung der Voraussetzungen der
groben Fahrlässigkeit ist Sache des Tatsachengerichts und mit
der Revision nur bedingt angreifbar. Der Nachprüfung durch das
Revisionsgericht unterliegt nur die Frage, ob das FG den
Rechtsbegriff der groben Fahrlässigkeit verkannt oder bei der
Beurteilung des Grades der Fahrlässigkeit wesentliche
Umstände außer Betracht gelassen hat. Grobe
Fahrlässigkeit liegt allgemein vor, wenn der Schuldner bei
seinem Handeln ganz naheliegende Überlegungen nicht anstellt
oder beiseite schiebt und dasjenige unbeachtet lässt, was sich
im gegebenen Fall jedermann aufgedrängt hätte, so dass
von einer subjektiv schlechthin unentschuldbaren Pflichtverletzung
auszugehen ist (vgl. BGH-Beschluss vom
27.9.2007 IX ZB 243/06, Zeitschrift für das gesamte
Insolvenzrecht 2007, 1150, m.w.N.). Nach der
BFH-Rechtsprechung zu § 69 AO ist dementsprechend grobe
Fahrlässigkeit anzunehmen, wenn der Geschäftsführer
die ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten und
Verhältnissen zumutbare Sorgfalt in ungewöhnlichem
Maße und in nicht entschuldbarer Weise verletzt hat (vgl.
Beschluss vom 18.1.2008 VII B 63/07, BFH/NV 2008, 754 = SIS 08 17 27, m.w.N.).
Diese Grundsätze hat das FG bei der
Beurteilung des klägerischen Verhaltens als grob
fahrlässige Verletzung der Lohnsteuerabführungspflicht
nicht hinreichend beachtet. Es hat unter den im Streitfall
gegebenen besonderen Umständen zu hohe Anforderungen an die
Sorgfalt gestellt, die von einem Geschäftsführer zur
ordnungsgemäßen Erfüllung seiner steuerlichen
Pflichten erwartet werden konnte (vgl. BFH-Beschluss in BFH/NV 2008, 754 = SIS 08 17 27; Urteil vom 23.2.2000 VIII R
80/98, BFH/NV 2000, 978 = SIS 00 57 63).
Der Würdigung der Beweisaufnahme durch
das FG ist zu entnehmen, dass es als Rechtfertigungs- bzw.
Entschuldigungsgrund nur einen Rechtsirrtum des Klägers
über seine Verfügungsberechtigung nach Stellung des
Insolvenzantrags in Betracht gezogen hat. Es hat nur dazu Beweis
erhoben, ob die Insolvenzrichterin und/oder der Insolvenzverwalter
dem Kläger auf Nachfrage geraten haben, er solle nunmehr alle
Zahlungen unterlassen. Nachdem die Beweisaufnahme diese Auskunft
nicht zur Überzeugung des FG ergeben hat, hat es nicht
hinreichend in Betracht gezogen, ob angesichts der seinerzeit noch
nicht aufgelösten Pflichtenkollision zwischen Massesicherung
und Steuerzahlung, der sich ein Geschäftsführer in
insolvenzreifer Zeit ausgesetzt sah, die nachgewiesenen
Aktivitäten des Klägers in der finanziellen Krise seiner
GmbH geeignet und ausreichend waren, um die grobe
Fahrlässigkeit der Nichtabführung der Lohnsteuer
auszuschließen. Aus Rechtsgründen bestand dazu
Veranlassung, da das FG selbst dem Kläger attestiert hat, sich
mit der frühen Antragstellung sehr umsichtig verhalten zu
haben. Dabei ist zu berücksichtigen, dass im Streitjahr 2001
in der zivilrechtlichen Rechtsprechung (vgl. BGH-Urteil vom
8.1.2001 II ZR 88/99, BGHZ 146, 262) die Auffassung bestand, dass
sich der Geschäftsführer, der in insolvenzreifer Zeit
Steuern an das FA abführt, der GmbH gegenüber in voller
Höhe gemäß § 64 Abs. 2 GmbHG
schadenersatzpflichtig macht. Andererseits war gefestigte
Rechtsprechung des erkennenden Senats, dass die
öffentlich-rechtliche Verpflichtung zur Steuerzahlung nicht
dadurch entfällt, dass sie möglicherweise mit einer
privatrechtlichen Schadenersatzverpflichtung gemäß
§ 64 GmbHG konkurriert
(Urteil vom 20.4.1993 VII R 67/92, BFH/NV
1994, 142; Beschluss in BFH/NV 1999, 745 = SIS 98 57 11).
Dem Kläger, der sich angesichts dieser unterschiedlichen
Normbefehle einer vermeintlich unabwendbaren Haftungsdrohung
ausgesetzt sah, kann jedenfalls nicht der Vorwurf grober
Fahrlässigkeit gemacht werden, wenn er die Pflicht zur
Lohnsteuerabführung angesichts dieser Unklarheit über
seine Pflichten entsprechend den von dem erkennenden Senat in BFHE
216, 491 = SIS 07 24 96 angestellten Überlegungen nicht
unverzüglich erfüllte, sondern - ohne überhaupt die
ihm dort eingeräumte Drei-Wochen-Frist in Anspruch zu nehmen -
die Maßnahmen des Insolvenzgerichts abwartete.
Auch ein
diesbezüglich eingeholter seriöser Rechtsrat hätte
nur ergeben können, dass bei noch vorhandener Liquidität
der GmbH die abgabenrechtliche Haftung des
Geschäftsführers jedenfalls bis zur Stellung des
Insolvenzantrags von der bisherigen BFH-Rechtsprechung
grundsätzlich bejaht worden war, während die
Möglichkeit einer Haftungsfreistellung im Falle eines am Tag
der Fälligkeit der Steuerschuld gestellten Insolvenzantrags in
der Rechtsprechung noch nicht behandelt, folglich auch noch nicht
abgelehnt worden war. Dass der Kläger diesen Weg eingeschlagen
hat in der Annahme, durch die Stellung des Insolvenzantrags von
seinen Zahlungspflichten - auch gegenüber dem Fiskus - frei zu
kommen, muss in dieser besonderen Situation bei der Beurteilung des
Verschuldens des Klägers zu seinen Gunsten berücksichtigt
werden und schließt im Streitfall ausnahmsweise die
haftungsbegründende grobe Fahrlässigkeit i.S. der
§§ 69, 34 AO aus.