Insolvenzreife, Abführung der Lohnsteuer, Haftung: 1. Die steuerrechtlich und die insolvenzrechtlich unterschiedliche Bewertung der Lohnsteuer-Abführungspflicht des Arbeitgebers in insolvenzreifer Zeit kann zu einer Pflichtenkollision führen. Eine solche steht der Haftung des Geschäftsführers wegen Nichtabführung der Lohnsteuer aber jedenfalls dann nicht entgegen, wenn der Insolvenzverwalter die Beträge im gedachten Falle der pflichtgemäßen Zahlung der Lohnsteuer vom FA deshalb nicht herausverlangen kann, weil die Anfechtungsvoraussetzungen nach §§ 129 ff. InsO nicht vorliegen. - 2. Die gesellschaftsrechtliche Pflicht des Geschäftsführers zur Sicherung der Masse i.S. des § 64 Abs. 2 GmbHG kann die Verpflichtung zur Vollabführung der Lohnsteuer allenfalls in den drei Wochen suspendieren, die dem Geschäftsführer ab Kenntnis der Überschuldung bzw. Zahlungsunfähigkeit der GmbH nach § 64 Abs. 1 GmbHG eingeräumt sind, um die Sanierungsfähigkeit der GmbH zu prüfen und Sanierungsversuche durchzuführen. Nur in diesem Zeitraum kann das die Haftung nach § 69 AO begründende Verschulden ausgeschlossen sein. - Urt.; BFH 27.2.2007, VII R 67/05; SIS 07 24 96
I. Der Kläger und Revisionskläger
(Kläger) war zunächst alleiniger
Geschäftsführer einer GmbH und von 1984 bis 1994 deren
Alleingesellschafter. 1992 wurde er als Geschäftsführer
der GmbH abberufen und S zum alleinvertretungsberechtigten
Geschäftsführer bestellt. Der Kläger wurde als
kaufmännischer Betriebsleiter mit den Obliegenheiten
Kundenbetreuung und kaufmännische Auftragsabwicklung
eingestellt.
Am 2.2.1999 stellte der
Geschäftsführer S Antrag auf Eröffnung des
Insolvenzverfahrens über das Vermögen der GmbH. Ab
3.2.1999 war wieder der Kläger als Geschäftsführer
bestellt. Das Insolvenzverfahren wurde am 1.4.1999 eröffnet.
Die am 17.2.1999 bestellte vorläufige Insolvenzverwalterin sah
die GmbH in ihrem Gutachten vom März 1999 als
zahlungsunfähig und überschuldet an. Als entscheidend
wertete sie, dass über das Vermögen der
Großauftraggeberin, gegen die Forderungen in Höhe von
rd. 700.000 DM bestünden, mit Beschluss vom 21.1.1999 am
8.2.1999 das Insolvenzverfahren eröffnet worden war.
Mit Haftungsvoranfrage vom Juli 1999 teilte
der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA - ) dem
Kläger mit, er hafte als faktischer Geschäftsführer
der GmbH nach § 35 der Abgabenordnung (AO) für nicht
abgeführte Lohnsteuer. Der nominell eingetragene
Geschäftsführer werde gleichfalls in Haftung genommen.
Den am 20.10.1999 erlassenen Lohnsteuerhaftungsbescheid über
ca. 70.000 DM änderte das FA mit Bescheid vom 5.1.2000. Danach
haftete der Kläger für offene Lohnsteuer aus dem Zeitraum
11 und 12/1998 und 1/1999 in Höhe von ca. 43.000 DM. Die in
der Haftungssumme enthaltenen Lohnsteuerbeträge 11/1998 (ca.
18.500 DM) und 12/1998 (ca. 13.000 DM) waren im
Lastschriftverfahren am 20.12.1998 bzw. am 22.1.1999 zunächst
eingezogen worden, auf Veranlassung des Klägers aber am
5.2.1999 wieder zurückgebucht worden. Die Zahlung des der
Lohnsteueranmeldung 1/1999 entsprechenden, in dem Haftungsbescheid
vom 20.10.1999 enthaltenen Lohnsteuerbetrages 1/1999 in Höhe
von ca. 13.500 DM im Lastschriftverfahren wurde von der Bank Ende
Februar 1999 wegen fehlender Deckung des Kontos der GmbH abgelehnt.
Auch der in dem geänderten Haftungsbescheid vom 5.1.2000
reduzierte Lohnsteuerbetrag für 1/1999 in Höhe von ca.
7.500 DM, der nach der - mit der Revision nicht angefochtenen -
Feststellung des Finanzgerichts (FG) darauf beruht, dass die
Löhne eines Teiles der Arbeitnehmer wegen des
Liquiditätsengpasses der GmbH nur gekürzt ausgezahlt
worden seien, wurde nicht entrichtet. Allerdings tilgte die GmbH
noch am 14.1.1999 offene Lohnsteuer 1993 in Höhe von 70.000
DM. Nach Auskunft der Bank war die Kontokorrentkreditlinie in
Höhe von 300.000 DM wegen des Insolvenzantrags am 8.2.1999 mit
Wirkung zum 28.2.1999 gekündigt worden. Eine ihr am 10.2.1999
zugestellte Pfändung wies die Bank wegen eigener
Ansprüche gegen die GmbH am 25.2.1999 zurück.
Einspruch und Klage gegen den
geänderten Bescheid vom 5.1.2000, mit denen sich der
Kläger gegen seine Inanspruchnahme als faktischer
Geschäftsführer und im Hinblick auf die bestehende
Kreditlinie bei der Bank und eines möglichen Anfechtungsrechts
der Insolvenzverwalterin im Falle der Abführung der Lohnsteuer
gegen die Annahme einer schuldhaften Pflichtverletzung wehrte,
blieben erfolglos.
Das Urteil des FG ist in EFG 2006, 86 = SIS 06 06 21 veröffentlicht.
Mit der Revision macht der Kläger
geltend, seine Inanspruchnahme als Verfügungsberechtigter i.S.
des § 35 AO bzw. für die Zeit ab dem 3.2.1999
gemäß § 34 AO als gesetzlicher Vertreter sei nicht
gerechtfertigt, weil er die bestehenden
Lohnsteuerzahlungsverpflichtungen nicht in geringerem Maß
getilgt habe als die Zahlungsforderungen anderer Gläubiger, so
dass von einem grob fahrlässig pflichtwidrigen Handeln i.S.
des § 69 Satz 1 AO keine Rede sein könne. Zwar sei nach
der bisherigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) die
quotengleiche Tilgung fälliger Lohnsteuerbeträge nicht
für ausreichend erachtet worden den betroffenen
Geschäftsführer zu exkulpieren. An dieser Rechtsprechung
könne aber nach der Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH)
vom 22.1.2004 IX ZR 39/03 (BGHZ 157, 350 = SIS 04 18 59) nicht mehr
festgehalten werden. Denn die die Rechtsauffassung des BFH tragende
Erwägung, dass es sich bei den abzuführenden Lohnsteuern
um für den Arbeitgeber fremdes Geld handele, welches vom
Arbeitgeber bis zum Zeitpunkt der Abführung nur
treuhänderisch gehalten werde, habe der BGH verworfen. Gehe
man mit dem BGH davon aus, dass die Leistung des Lohnsteueranteils
vom Gesamtlohn durch den Arbeitgeber an das FA aus dem eigenen
Vermögen des Arbeitgebers erfolge, da der Arbeitnehmer
lediglich einen schuldrechtlichen Anspruch auf den ihm rechtlich
zustehenden Arbeitslohn sowie auf Abführung des gesetzlich
vorgeschriebenen Lohnanteils an das FA habe, so könne der
Lohnsteuerschuld und den Anforderungen, welche an ein grob
fahrlässiges Handeln bei unterlassener Abführung
einbehaltener Lohnsteuerbeträge an das FA gestellt
würden, keine andere Qualität beigemessen werden, als
dies in Bezug auf die Abführungsverpflichtung entsprechender
Umsatzsteuerbeträge der Fall sei. Der
Geschäftsführer hafte mithin bei Lohnsteuerausfällen
- ebenso wie bei Umsatzsteuerausfällen - nur anteilig
entsprechend der Tilgungsquote bei allen übrigen
Verbindlichkeiten der GmbH für den Rückstand. Eine
Pflicht zur überquotalen Bedienung von
Lohnsteuer-Verbindlichkeiten sei nicht zu rechtfertigen, eine
rechtliche Grundlage für die Differenzierung gebe es nicht.
Ein Gläubigervorrang des Fiskus sei nicht gerechtfertigt.
Unter diesen Voraussetzungen sei eine Haftung des Klägers
wegen Lohnsteuer zu verneinen, da sich bei zutreffender Berechnung
- unter Berücksichtigung der im Haftungszeitraum gezahlten
Lohnsteuerbeträge - eine Haftungsquote von Null
ergebe.
Zudem könne dem
Geschäftsführer kein grob pflichtwidriges Verschulden
angelastet werden, wenn er in insolvenzreifer Zeit keine Zahlungen
an das FA leiste. Denn er befinde sich - auch nach Auffassung des
BGH (Urteil vom 18.4.2005 II ZR 61/03, DStR 2005, 978, ZIP 2005,
1026) - in einer Pflichtenkollision: im Falle einer Zahlung drohe
ihm die Ersatzpflicht gegenüber der Gesamtheit der
Gläubiger nach § 64 Abs. 2 des Gesetzes betreffend die
Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHG).
II. Die Revision ist begründet, soweit
das FG die Klage betreffend die Haftung wegen Nichtabführung
der Lohnsteuer für Januar 1999 abgewiesen hat. Insoweit wird
das Verfahren zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG
zurückverwiesen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der
Finanzgerichtsordnung - FGO - ). Im Übrigen ist die Revision
unbegründet und wird zurückgewiesen (§ 126 Abs. 2
FGO).
Gemäß § 69 Satz 1 i.V.m.
§ 34 Abs. 1 und § 35 AO haften die gesetzlichen Vertreter
und die Verfügungsberechtigten - unter anderem faktische
Geschäftsführer - einer GmbH, soweit Ansprüche aus
dem Steuerschuldverhältnis infolge vorsätzlicher oder
grob fahrlässiger Verletzung der ihnen auferlegten Pflichten
nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt worden
sind. Danach trifft den Geschäftsführer einer GmbH die
Pflicht, für eine fristgerechte Anmeldung und Abführung
der von der GmbH geschuldeten Lohnsteuer zu sorgen (§ 41a Abs.
1 des Einkommensteuergesetzes - EStG - ).
1. Nach den mit der Revision nicht
angegriffenen und damit den Senat bindenden tatsächlichen
Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 FGO) war der Kläger
im Haftungszeitraum vom 10.12.1998 bis 2.2.1999 faktischer
Geschäftsführer und danach bis 10.2.1999 bestellter
Geschäftsführer der GmbH. Die für die Zeiträume
November und Dezember 1998 sowie Januar 1999 geschuldete Lohnsteuer
ist von der GmbH nicht entrichtet worden.
2. Entgegen der Auffassung des Klägers
beruht die Nichtabführung der Lohnsteuer für November und
Dezember 1998 auf einer grob fahrlässigen Verletzung seiner
Pflichten als Geschäftsführer.
a) Nach ständiger Rechtsprechung des
Senats stellt die Nichtabführung einzubehaltender und
anzumeldender Lohnsteuer zu den gesetzlichen
Fälligkeitszeitpunkten regelmäßig eine zumindest
grob fahrlässige Verletzung der
Geschäftsführerpflichten dar (vgl. Senatsentscheidungen
vom 20.4.1982 VII R 96/79, BFHE 135, 416, BStBl II 1982, 521 = SIS 82 14 20, und vom 9.12.2005 VII B 124-125/05, BFH/NV 2006, 897 =
SIS 06 17 01, m.w.N.).
Zahlungsschwierigkeiten der GmbH ändern
nach dieser Rechtsprechung weder etwas an jener Pflicht des
GmbH-Geschäftsführers, noch schließen sie sein
Verschulden bei Nichterfüllung der steuerlichen Pflichten der
GmbH aus. Reichen die ihm zur Verfügung stehenden Mittel zur
Befriedigung der arbeitsrechtlich geschuldeten Löhne
(einschließlich des in ihnen enthaltenen Steueranteils) nicht
aus, so darf der Geschäftsführer die Löhne nur
entsprechend gekürzt auszahlen und muss aus den dadurch
übrig bleibenden Mitteln die auf die gekürzten
(Netto-)Löhne entfallende Lohnsteuer an das FA abführen
(Senatsbeschluss vom 21.12.1998 VII B 175/98, BFH/NV 1999, 745 =
SIS 98 57 11, m.w.N.). An diesen Grundsätzen ist -
vorbehaltlich der nachstehenden Ausführungen -
festzuhalten.
b) Im Streitfall entfällt die Haftung des
Klägers auch nicht infolge eines möglichen
Anfechtungsrechts des Insolvenzverwalters nach §§ 129 ff.
der Insolvenzordnung (InsO). Mit dem Hinweis auf ein mögliches
Anfechtungsrecht der Insolvenzverwalterin will der Kläger
geltend machen, dass der Schaden beim Fiskus auch in dem Fall
eingetreten wäre, dass er die Lohnsteuer zwar termingerecht an
das FA abgeführt hätte, die Lohnsteuerschuld aber
gleichwohl nicht getilgt worden wäre, weil das FA die
Beträge aufgrund einer Anfechtung der Zahlung durch die
Insolvenzverwalterin wieder hätte herausgeben müssen.
Damit wäre der Schaden auch bei pflichtgemäßer
Abführung der Lohnsteuer eingetreten, so dass von einer
Kausalität der Unterlassung nicht mehr ausgegangen werden
könne.
Ob hypothetische Geschehensabläufe - wie
vom Kläger begehrt - bei der Haftung nach § 69 AO
überhaupt Berücksichtigung finden können, kann im
Streitfall - wie bereits in den Vorentscheidungen (vgl. Beschluss
in BFH/NV 2006, 897 = SIS 06 17 01, m.w.N.) - offenbleiben. Denn
der unterstellte hypothetische Kausalverlauf könnte sich
rechtlich nur dann auswirken, wenn die Anfechtungsvoraussetzungen
auch im Übrigen vorlägen, d.h., wenn die gedachte
Insolvenzanfechtung hätte Erfolg haben können. Nach den
Feststellungen des FG (unter A. III. 3. b) lagen die
Voraussetzungen für eine erfolgreiche Anfechtung nach
§§ 129 ff. InsO aber nicht vor, weil das FA die
Zahlungsunfähigkeit der GmbH weder kannte noch bei
Fälligkeit der Lohnsteuer vom Antrag auf
Insolvenzeröffnung wusste. Der Kläger hat gegen die vom
FG im Einzelnen erörterten Umstände, aus denen es die
Unkenntnis des FA ableitet, keine Einwendungen erhoben. Die daraus
gezogene Schlussfolgerung ist revisionsrechtlich nicht zu
beanstanden; sie ist nicht nur denkgesetzlich möglich, sondern
auch schlüssig und nachvollziehbar.
c) Dem Haftungsanspruch aus § 69 AO kann
der Geschäftsführer einer GmbH auch nicht
uneingeschränkt entgegenhalten, dass er gemäß
§ 64 Abs. 2 GmbHG der Gesellschaft zum Ersatz von Zahlungen
verpflichtet ist, die nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit
der Gesellschaft oder nach Feststellung ihrer Überschuldung
geleistet werden. Die in sich nicht einheitliche Rechtsprechung des
BGH zu § 64 Abs. 2 GmbHG steht dieser Auffassung nicht
entgegen.
aa) Selbst wenn der Abführung der
Lohnsteuer - trotz des besonderen gesetzlichen
Pflichtengefüges beim Lohnsteuerabzugsverfahren (vgl.
BFH-Urteil vom 1.8.2000 VII R 110/99, BFHE 192, 249, BStBl II 2001,
271 = SIS 00 14 29) - kein Vorrang vor dem Gebot der Massesicherung
zukommen sollte (so aber die - nicht tragende - Auffassung des 2.
Zivilsenats des BGH in DStR 2005, 978, ZIP 2005, 1026), ist
umgekehrt jedenfalls der Vorrang der Massesicherung nicht zu
begründen. Insbesondere folgt er nicht aus dem Wegfall der
Privilegierung des Fiskus im Insolvenzverfahren. Wie der 5.
Strafsenat des BGH - unter Zurückweisung der Auffassung des 2.
Zivilsenats - zutreffend ausgeführt hat, können die
Wertungsmaßstäbe des Insolvenzrechts nur für das
Insolvenzfahren Geltung beanspruchen, nicht aber ein
Rangverhältnis außerhalb der dort geregelten Materie
begründen (BGH-Beschluss vom 9.8.2005 5 StR 67/05, DStR 2005,
1867, ZIP 2005, 1678).
bb) Die gesellschaftsrechtliche Pflicht des
Geschäftsführers zur Sicherung der Masse i.S. des §
64 Abs. 2 GmbHG bewirkt auch nicht zeitlich unbegrenzt eine
Kollision mit der Verpflichtung zur Vollabführung der
Lohnsteuer, die das - die Haftung nach § 69 AO
begründende - Verschulden ausschließen könnte.
Zwar ist der Geschäftsführer nach
§ 64 Abs. 2 Satz 1 GmbHG der Gesellschaft zum Ersatz von
Zahlungen verpflichtet, die nach Eintritt der Insolvenzreife der
Gesellschaft geleistet werden. Die Schutzvorschrift des § 64
Abs. 2 GmbHG soll die verteilungsfähige Vermögensmasse
einer insolvenzreifen GmbH im Interesse der Gesamtheit der
Gläubiger erhalten und eine zu ihrem Nachteil gehende
bevorzugte Befriedigung einzelner Gläubiger verhindern
(BGH-Urteil vom 29.11.1999 II ZR 273/98, BGHZ 143, 184). So soll
nach Auffassung des 2. Zivilsenats des BGH (Urteil vom 8.1.2001 II
ZR 88/99, BGHZ 146, 264) bei einem dieser Norm entsprechenden
Verhalten, das zur Verletzung der gemäß § 266a des
Strafgesetzbuchs (StGB) strafbewehrten Pflicht zur Abführung
der Sozialabgaben führt, die persönliche deliktische
Haftung des Geschäftsführers aus dem Gesichtspunkt des
§ 823 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs i.V.m. §
266a StGB gegenüber der Sozialkasse entfallen, weil in einem
solchen Fall einer Pflichtenkollision das deliktische Verschulden
verneint werden müsse.
Das Gebot der Massesicherung gemäß
§ 64 Abs. 1 GmbHG kann aber eine verschuldensrelevante
Pflichtenkollision nicht zeitlich unbegrenzt, sondern nur in dem
von § 64 Abs. 1 Satz 1 GmbHG vorgesehenen Zeitraum
begründen, der dem Geschäftsführer ab Kenntnis der
Überschuldung bzw. Zahlungsunfähigkeit eingeräumt
wird, um die Sanierungsfähigkeit der GmbH zu prüfen und
Sanierungsversuche durchzuführen, also höchstens für
einen Zeitraum von drei Wochen. Der erkennende Senat schließt
sich insoweit der Rechtsauffassung des 5. Strafsenats des BGH an,
dass nur innerhalb dieses Zeitraums die Pflicht zur Abführung
der Arbeitnehmerbeiträge suspendiert ist. Jedenfalls in
strafrechtlicher Hinsicht, so der BGH, könne sich derjenige
Verantwortliche, der bei gegebener Insolvenzreife erkenne, dass
für das Unternehmen keine Sanierungsmöglichkeit mehr
bestehe, und trotzdem keinen Insolvenzantrag stelle, nicht auf den
Grundsatz der Massesicherung berufen, wenn er das Unternehmen
dennoch weiter führe. Ihm sei nämlich ohne weiteres
möglich, sich aus dieser (nur scheinbaren) Konfliktlage
dadurch zu befreien, dass er seiner Pflicht aus § 64 Abs. 1
GmbHG nachkomme und den gebotenen Insolvenzantrag stelle. Selbst
die Annahme einer Ersatzpflicht nach § 64 Abs. 2 GmbHG
stünde einer Strafbarkeit nach § 266a Abs. 1 StGB - nach
Ablauf der dreiwöchigen Frist - nicht entgegen. Eine
unabwendbare Pflichtenkollision sei hier nämlich schon deshalb
nicht gegeben, weil sich der Geschäftsführer diesen
widerstreitenden Pflichten jederzeit entziehen könne, indem er
einen Insolvenzantrag stelle. Habe aber der Täter selbst
vorwerfbar die Pflichtenkollision herbeigeführt, könne er
hieraus keinen Rechtfertigungsgrund ableiten (BGH-Beschluss vom
30.7.2003 5 StR 221/03, BGHSt 48, 307; in DStR 2005, 1867, ZIP
2005, 1678).
Diese Erwägungen gelten für die
haftungsrechtliche Verantwortung des Geschäftsführers
nach § 69 AO in ähnlicher Weise. Zwar handelt es sich bei
dieser Vorschrift nicht um eine Sanktionsnorm. Gleichwohl sind die
Rechtsgedanken übertragbar. Denn ebenso wie bei § 266a
StGB ist das schuldhafte Fehlverhalten, durch welches die in §
69 AO benannten Personen Steuerausfälle verursacht haben, der
Anknüpfungspunkt für die Haftung nach § 69 AO
(Senatsurteil vom 30.8.2005 VII R 61/04, BFH/NV 2006, 232 = SIS 06 07 27, m.w.N.). Das staatliche Interesse am Ausgleich des durch die
schuldhafte Pflichtverletzung verursachten Schadens beim Fiskus
muss - ebenso wie der Strafanspruch, der der Durchsetzung des
Anspruchs der Sozialkasse Nachdruck verleiht - nur
zurücktreten, solange der Haftungsschuldner trotz
Überschuldung bzw. Zahlungsunfähigkeit der GmbH den
Insolvenzantrag noch nicht zu stellen braucht.
3. Ein die Nichtabführung bzw. nur
anteilige Abführung der Lohnsteuer entschuldigender
Widerstreit der in § 41a EStG und § 64 Abs. 2 GmbHG
normierten Pflichten des Klägers kann somit allenfalls
für den Zeitraum dieser drei Wochen bestehen, der ihm ab
Kenntnis der Überschuldung bzw. Zahlungsunfähigkeit der
Gesellschaft für die Stellung des Antrags auf Eröffnung
des Insolvenzverfahrens eingeräumt ist. Daher ist im
Streitfall festzustellen, ob die jeweilige Nichtzahlung - bzw. der
dementsprechende Lastschrift-Rückruf - der angemeldeten
Lohnsteuer für November und Dezember 1998 und Januar 1999
diesem Zeitraum zuzuordnen ist.
a) Der am 5.2.1999 erfolgte
Lastschrift-Rückruf der auf die Fälligkeiten 10.12.1998
und 10.1.1999 bereits abgebuchten Lohnsteuern November und Dezember
1998 war nicht dem Gebot der Massesicherung i.S. des § 64 Abs.
2 Satz 1 GmbHG geschuldet. Zwar hat der Kläger den
Lastschrifteinzug am 5.2.1999, also bereits nach der Stellung des
Insolvenzantrags, widerrufen. Die Fälligkeiten lagen aber
nicht innerhalb des die Ersatzpflicht nach § 64 Abs. 2 Satz 1
GmbHG begründenden Sicherungszeitraums: Sollte die
Überschuldung bzw. Zahlungsunfähigkeit der GmbH erst nach
dem 10.12.1998 bzw. dem 10.1.1999 eingetreten sein, hätte der
Kläger wegen der Zahlung der Lohnsteuer zu diesen
Fälligkeitszeitpunkten nicht nach § 64 Abs. 2 Satz 1
GmbHG ersatzpflichtig werden können. Hätte er dagegen die
Überschuldung bzw. Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft
bereits am 10.12.1998 bzw. am 10.1.1999 erkannt, wäre die dem
Geschäftsführer nach § 64 Abs. 1 GmbHG
eingeräumte Drei-Wochen-Frist für die Stellung des
Insolvenzantrags bei der Antragstellung am 2.2.1999 in beiden
Fällen überschritten gewesen. Folglich hätte er sich
durch rechtzeitige Stellung des Insolvenzantrags der Haftung nach
§ 69 AO entziehen können, so dass er sich nicht auf den
Entschuldigungsgrund einer Pflichtenkollision berufen kann. Mithin
ist der Rückruf der Lastschriften nach Stellung des
Insolvenzantrags nicht entschuldigt. Deshalb ist der Kläger zu
Recht für die offenen Lohnsteuerbeträge November und
Dezember 1998 in Haftung genommen worden. Die Feststellung, wann
Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung tatsächlich
eingetreten ist und für den Kläger erkennbar war, ist
insoweit nicht erforderlich.
b) Dagegen war der Insolvenzantrag bei
Fälligkeit der Lohnsteuer für Januar 1999 - am 10.2.1999
- bereits gestellt, so dass eine Haftung des Klägers, obwohl
er jedenfalls bis zur Bestellung der vorläufigen
Insolvenzverwalterin am 17.2.1999 verfügungsberechtigt und zur
ordnungsgemäßen Vertretung der GmbH verpflichtet war,
wegen Nichtabführung der Lohnsteuer bei Fälligkeit
ausscheidet. Denn mit dem Insolvenzantrag zeigt der
Geschäftsführer an, dass er von der
Zahlungsunfähigkeit bzw. Überschuldung der GmbH ausgeht,
so dass ihm die Nichtabführung der Lohnsteuer nicht mehr als
schuldhafte Pflichtverletzung vorgeworfen werden kann.
Allerdings haben sowohl der Senat als auch der
BGH wiederholt entschieden, dass bereits das Unterlassen, die auf
die ausgezahlten Löhne entfallende Lohnsteuer durch
entsprechende Kürzung der Löhne einzubehalten und den
gekürzten Betrag für die Entrichtung zum
Fälligkeitszeitpunkt bereitzuhalten, eine eigenständige
Pflichtverletzung darstellen kann, die geeignet ist, die in §
69 AO angeordneten Haftungsfolgen auszulösen (vgl.
Senatsurteil vom 20.4.1993 VII R 67/92, BFH/NV 1994, 142;
Senatsbeschlüsse in BFH/NV 2006, 897 = SIS 06 17 01, und in
BFH/NV 1999, 745 = SIS 98 57 11; BGH-Urteil vom 25.9.2006 II ZR
108/05, DStR 2006, 2185, ZIP 2006, 2127 = SIS 07 02 92,
m.w.N.).
An dieser Rechtsansicht ist grundsätzlich
festzuhalten. Vor dem Hintergrund der Wertung des § 64 Abs. 2
Satz 2 GmbHG bedarf sie jedoch einer Modifizierung: Wenn die die
Lohnsteuer auslösenden Löhne innerhalb des
dreiwöchigen Sicherungszeitraums vor Insolvenzantrag (§
64 Abs. 1 GmbHG) ohne Einbehalt der Lohnsteuer gezahlt werden, so
folgt daraus nicht ohne weiteres eine schuldhafte Pflichtverletzung
i.S. von § 69 AO. Die Auszahlung der Löhne kann
nämlich in diesem Zeitraum zu den mit der Sorgfalt eines
ordentlichen Geschäftsmanns zu vereinbarenden Zahlungen i.S.
des § 64 Abs. 2 Satz 2 GmbH gehören, für die keine
Ersatzpflicht nach § 64 Abs. 2 Satz 1 GmbHG entsteht. Denn die
Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns bestimmt sich aus
dem besonderen Zweck des § 64 Abs. 2 GmbHG, die
verteilungsfähige Vermögensmasse einer insolvenzreifen
GmbH im Interesse der Gesamtheit ihrer Gläubiger zu erhalten.
Soweit Leistungen des Geschäftsführers in der
Insolvenzsituation eine Masseverkürzung nicht zur Folge haben
oder soweit durch sie im Einzelfall größere Nachteil
für die Masse abgewendet werden, kann deswegen das Verschulden
nach § 64 Abs. 2 Satz 2 GmbHG ausnahmsweise zu verneinen sein
(BGH-Urteil in BGHZ 146, 264, m.w.N.). Nach der
gesellschaftsrechtlichen Literatur und Rechtsprechung gilt Gleiches
aber nicht für die Steuerzahlung (vgl. Oberlandesgericht
Düsseldorf, Urteil vom 24.11.1994 6 U 2/94, juris;
Schulze-Osterloh in Baumbach/Hueck, GmbHG, 18. Aufl., § 64 Rz
81), weil sie nicht unmittelbar notwendig ist, den Betrieb
während der dreiwöchigen Prüfungsfrist am Leben zu
erhalten. Kann danach von einem Geschäftsführer, der aus
den verbliebenen Mitteln die Löhne auszahlt, um den Betrieb
während der Prüfung der Sanierungsfähigkeit im
Interesse der Massesicherung aufrecht zu erhalten, nicht
gleichzeitig verlangt werden, diese Löhne noch weiter zu
kürzen, um später die Lohnsteuerzahlung zu
ermöglichen, so stellt das Unterlassen, die Lohnsteuer
einzubehalten, keine haftungsbegründende schuldhafte
Pflichtverletzung i.S. des § 69 AO dar.
c) Im Streitfall reichen die Feststellungen
des FG nicht aus, um entscheiden zu können, ob das
Unterlassen, die auf die im Januar 1999 ausgezahlten Löhne
entfallende Lohnsteuer einzubehalten und für die Entrichtung
zum Fälligkeitszeitpunkt bereitzuhalten, als schuldhaftes
Verhalten des Klägers zu werten ist.
Das FG hat den Zeitpunkt der
Januar-Lohnzahlung nicht festgestellt. Es hat vielmehr - weil es
nach seiner Rechtsauffassung darauf nicht ankam - ungeprüft
die Angabe des Klägers zugrunde gelegt, dass die
Lohnauszahlung zwischen dem 22. und 25.1.1999 gelegen habe. Wenn
dies zuträfe, so hätte der Kläger die Löhne
innerhalb der Drei-Wochen-Frist vor Stellung des Insolvenzantrags
auszahlen lassen. Die Haftung für die darauf nicht entrichtete
Lohnsteuer könnte dann entfallen, es sei denn, zu diesem
Zeitpunkt wäre die GmbH weder zahlungsunfähig noch
überschuldet gewesen oder die Lohnzahlung selbst wäre im
konkreten Fall mit der Sorgfalt eines ordentlichen
Geschäftsmanns i.S. des § 64 Abs. 2 Satz 2 GmbHG nicht
vereinbar gewesen. Auch zu diesen beiden letztgenannten
Voraussetzungen einer Haftungsinanspruchnahme wird das FG
entsprechende Feststellungen nachzuholen haben. Der Senat weist
darauf hin, dass die Feststellungslast für die
tatsächlichen Voraussetzungen des Entschuldigungsgrundes, also
für den Zeitpunkt der Lohnzahlung für Januar 1999, sowie
dafür, dass die GmbH in diesem Zeitpunkt zahlungsunfähig
bzw. überschuldet war und dafür, dass die Zahlung mit der
Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns vereinbar war, beim
Kläger liegt.