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I. Streitig ist, ob der Beklagte und
Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA - ) den
Einkommensteuerbescheid der Klägerin und
Revisionsklägerin (Klägerin) und ihres verstorbenen
Ehemannes für 1998 gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1
Nr. 2 der Abgabenordnung (AO) mit der Begründung ändern
durfte, die GbR, in die der Ehemann seine Arztpraxis eingebracht
hatte, habe in ihrer Eröffnungsbilanz das eingebrachte
Betriebsvermögen mit einem höheren als dem von der
Klägerin und ihrem verstorbenen Ehemann erklärten
Einbringungswert angesetzt.
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Der Ehemann der Klägerin war Arzt. Er
wurde bis zu seinem Tod zusammen mit seiner Ehefrau zur
Einkommensteuer veranlagt. Die Klägerin ist
Gesamtrechtsnachfolgerin ihres verstorbenen Mannes.
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Mit Vertrag vom 22.10.1998 vereinbarte der
Ehemann der Klägerin mit den Gesellschaftern der GbR, dass er
unter Einbringung seiner bisherigen ärztlichen Einzelpraxis
mit Wirkung zum 15.12.1998 in die GbR eintrete. Die Vertragspartner
bewerteten die Einzelpraxis des Ehemannes der Klägerin mit
25.000 DM für ihren immateriellen Wert und 100.000 DM für
ihren materiellen Wert, insgesamt 125.000 DM. Dem Ehemann der
Klägerin wurde als Gegenleistung eine Beteiligung in Höhe
von 50/10.000 eingeräumt. Der Ehemann der Klägerin
„verzichtete zu Gunsten“ der GbR auf die ab dem
15.12.1998 eingehenden und vor dem Einbringungszeitpunkt
erwirtschafteten Honorare aus seiner privat- und
vertragsärztlichen Tätigkeit in Höhe von 93.809,81
DM.
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Für die Zeit vom 1.1.1998 bis
15.12.1998 ermittelte der Ehemann seinen Gewinn aus der Arztpraxis
gemäß § 4 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG)
und für die Folgezeit im Zusammenhang mit der Einbringung der
Praxis für den Zeitraum bis zum 31.12.1998 durch
Bestandsvergleich (§ 4 Abs. 1 EStG). In ihrer
Steuererklärung für 1998 erklärten die Klägerin
und ihr Ehemann Einkünfte aus selbständiger Arbeit des
Ehemannes als Arzt in Höhe von 132.330 DM
(einschließlich der Honorarforderungen in Höhe von
93.809,81 DM) und einen Veräußerungsverlust in Höhe
von 17.682 DM. Die Honorarforderungen in Höhe von 93.809,81 DM
erfassten sie bei ihrer Veräußerungsgewinnermittlung
nicht.
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Das FA setzte die Einkommensteuer der
Klägerin und ihres Ehemannes unter Berücksichtigung von
Einkünften des Ehemannes aus freiberuflicher Tätigkeit
unter Abzug des erklärten Veräußerungsverlustes
(17.682 DM) von dem erklärten Gewinn (132.330 DM) fest und
änderte diese Festsetzung in der Folgezeit mehrmals nach
§ 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO aus Gründen, die mit dem
Klageverfahren in keinem Zusammenhang stehen.
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Mit gemäß § 175 Abs. 1 Satz
1 Nr. 2 AO geändertem Einkommensteuerbescheid für 1998
vom 13.5.2005 berücksichtigte das FA neben dem laufenden
Gewinn aus freiberuflicher Tätigkeit nunmehr einen
Veräußerungsgewinn in Höhe von 76.127 DM. Die
Änderung des Einkommensteuerbescheides beruhte auf der
Mitteilung des Finanzamtes für Groß- und
Konzernbetriebsprüfung A-Stadt an das FA, der
Veräußerungsgewinn des verstorbenen Ehemannes der
Klägerin erhöhe sich um Forderungen in Höhe von
93.809,81 DM, weil diese bei der GbR im Rahmen der Einbringung der
Einzelpraxis aktiviert worden seien. Infolgedessen sei der
Einkommensteuerbescheid nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO zu
ändern, da im Rahmen der Prüfung der GbR im November 2004
erstmals Bilanzen vorgelegt worden seien.
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Die dagegen nach erfolglosem
Einspruchsverfahren erhobene Klage wies das Finanzgericht (FG) mit
seinem in EFG 2008, 910 = SIS 08 23 90 veröffentlichten Urteil
als unbegründet ab.
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Mit der Revision rügt die
Klägerin Verletzung des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO.
Entgegen der Auffassung des FA stelle die erstmalige Erstellung der
Bilanz durch die GbR im Zeitpunkt der Außenprüfung kein
Ereignis mit steuerlicher Rückwirkung i.S. des § 175 Abs.
1 Satz 1 Nr. 2 AO dar. Vielmehr könne lediglich eine
Bilanzberichtigung oder Bilanzänderung ein solches
rückwirkendes Ereignis sein. Die erstmalige Bilanzaufstellung
berühre den bereits kraft Gesetzes - unabhängig von der
Bilanz - entstandenen Steueranspruch nicht.
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Darüber hinaus sei der angefochtene
Bescheid auch materiell-rechtlich fehlerhaft. Der
Einbringungsvertrag vom 22.10.1998 sehe ausdrücklich einen
Einbringungswert von 125.000 DM vor; die
streitgegenständlichen Forderungen seien bei Auslegung dieses
Vertrages in dem Einbringungswert enthalten, weil der verstorbene
Ehemann der Klägerin auf die Forderungen ausdrücklich im
Vertrag verzichtet habe.
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Die Klägerin beantragt, das
angefochtene Urteil sowie den angefochtenen Änderungsbescheid
vom 13.5.2005 in Gestalt der Einspruchsentscheidung
aufzuheben.
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Das FA beantragt, die Revision als
unbegründet zurückzuweisen.
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II. Die Revision ist unbegründet und nach
§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO)
zurückzuweisen.
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Zu Recht ist das FG davon ausgegangen, dass
die erstmalige Erfassung der Honorarforderungen in der Bilanz der
GbR im Jahre 2004 ein rückwirkendes Ereignis i.S. des §
175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO mit der Folge war, dass der
Einkommensteuerbescheid entsprechend - unter Ansatz eines
Veräußerungsgewinns statt eines vorher angesetzten
Veräußerungsverlustes - geändert werden konnte.
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1. Nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO ist
ein Steuerbescheid zu ändern, soweit ein Ereignis eintritt,
das steuerliche Wirkung für die Vergangenheit hat. Die
Vorschrift setzt voraus, dass das Ereignis nachträglich
eintritt, weil nur in diesem Fall die Notwendigkeit besteht, die
Bestandskraft zu durchbrechen. Konnte das Ereignis bei Erlass des
betreffenden Bescheides bereits berücksichtigt werden, greift
die Vorschrift nicht ein (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH -
vom 22.7.2008 IX R 79/06, BFHE 222, 464, BStBl II 2009, 227 = SIS 08 35 57; vom 10.7.2002 I R 69/00, BFH/NV 2002, 1545 = SIS 03 02 18; vom 25.2.2009 IX R 95/07, BFH/NV 2009, 1393 = SIS 09 26 41).
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a) Der Begriff „Ereignis“
im Sinne dieser Vorschrift erfasst alle rechtlich bedeutsamen
Vorgänge einschließlich tatsächlicher
Lebensvorgänge in der Zeit nach Ergehen des zu ändernden
Steuerbescheides, die sich auf die Vergangenheit auswirken, so dass
der nunmehr veränderte Lebenssachverhalt nach Maßgabe
des materiellen Rechts der Besteuerung zu Grunde zu legen ist (vgl.
BFH-Urteil vom 6.3.2003 XI R 13/02, BFHE 201, 421, BStBl II 2003,
554 = SIS 03 23 69; Beschluss des Großen Senats des BFH vom
19.7.1993 GrS 2/92, BFHE 172, 66, BStBl II 1993, 897 = SIS 93 23 33).
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Die Erstellung und Einreichung der die
Einbringung der Praxis des Ehemannes der Klägerin in die GbR
erfassenden Eröffnungsbilanz zum 16.12.1998 bei dem für
die GbR zuständigen FA im November 2004 stellt ein solches
Ereignis (mit steuerlicher Wirkung für die Vergangenheit i.S.
des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO) dar.
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aa) Die vertragliche Verpflichtung des
Ehemannes, die wesentlichen Grundlagen seiner Praxis in die GbR
einzubringen, war als tauschähnlicher Vorgang
(Übertragung seiner Praxis gegen Einräumung einer
Beteiligung an der GbR) eine Betriebsveräußerung
gemäß § 16 EStG (vgl. BFH-Urteil vom 26.1.1994 III
R 39/91, BFHE 173, 338, BStBl II 1994, 458 = SIS 94 09 18, m.w.N.).
Der Wert, mit dem das eingebrachte Betriebsvermögen in der
Bilanz der Personengesellschaft einschließlich der
Ergänzungsbilanzen angesetzt wird, gilt gemäß
§ 24 Abs. 3 Satz 1 des Umwandlungssteuergesetzes (UmwStG) -
zwingend - als Veräußerungspreis des Einbringenden. Das
Wahlrecht i.S. des § 24 Abs. 3 Satz 1 UmwStG wird
ausschließlich durch die aufnehmende Personengesellschaft
ausgeübt. Nach der Gesetzeslage besteht weder ein Veto- noch
ein Mitspracherecht des Einbringenden, obwohl der Wertansatz durch
die Personengesellschaft unmittelbar seinen steuerlichen Gewinn
beeinflussen kann (vgl. BFH-Urteil vom 25.4.2006 VIII R 52/04, BFHE
214, 40, BStBl II 2006, 847 = SIS 06 31 73, m.w.N.). Eventuelle
Abweichungen von einer vorherigen einvernehmlichen Festlegung der
Bilanzansätze zwischen dem Einbringenden und der aufnehmenden
Gesellschaft sind damit steuerrechtlich ohne Bedeutung (vgl.
BFH-Urteil in BFHE 173, 338, BStBl II 1994, 458 = SIS 94 09 18).
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bb) Auf dieser Grundlage hat der Ansatz des
Wertes für die übernommene Praxis (einschließlich
der abgetretenen Honorarforderungen) in der Bilanz der aufnehmenden
GbR im November 2004 rückwirkend auf den Streitzeitraum den
für die Einbringung der Praxis anzusetzenden
Veräußerungspreis geändert. Denn anders als der
Ehemann der Klägerin, der als Veräußerungspreis
lediglich 125.000 DM angesetzt und damit die überlassenen
Honorarforderungen in Höhe von 93.809,81 DM außer Ansatz
gelassen hatte, hat die GbR sowohl den Wert der eingebrachten
Praxis mit 125.000 DM wie auch die Honorarforderungen mit 93.809 DM
aktiviert. Diese Wertansätze für das eingebrachte
Betriebsvermögen in der Bilanz der aufnehmenden GbR gelten
gemäß § 24 Abs. 3 Satz 1 UmwStG zwingend als
Veräußerungspreis. Dieser Wertansatz in der
Eröffnungsbilanz der aufnehmenden GbR ist - soweit er von dem
bei der Veräußerungsgewinnermittlung des Einbringenden
abweicht - ein rückwirkendes Ereignis i.S. des § 175 Abs.
1 Satz 1 Nr. 2 AO (vgl. Patt in Dötsch/Patt/
Pung/Möhlenbrock, Umwandlungssteuerrecht, 6. Aufl., § 24
UmwStG Rz 116; Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom
25.3.1998 IV B 7 - S 1978 - 21/98, BStBl I 1998, 268 = SIS 98 09 38, Tz. 24.04 i.V.m. Tz. 20.32; Frotscher in Schwarz, AO, §
175 Rz 67 zu § 20 UmwStG).
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b) Der Berücksichtigung dieses
Wertansatzes in der Eröffnungsbilanz der GbR als
nachträgliches Ereignis i.S. des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr.
2 AO stehen die zuvor im Anschluss an den Einkommensteuerbescheid
vom 3.7.2000 aus anderen Gründen ergangenen
Änderungsbescheide nicht entgegen. Diese
Änderungsbescheide setzten nämlich mit Blick auf die
Verpflichtung des FA, Feststellungen von Grundlagenbescheiden ohne
eigene Sachprüfung im Wege der Änderungsfestsetzung zu
übernehmen, nicht eine weitergehende Prüfung voraus, ob
darüber hinaus eine Anpassung aufgrund anderer
zwischenzeitlich eingetretener nachträglicher Ereignisse
erforderlich waren (so bereits BFH-Urteile vom 12.1.1989 IV R 8/88,
BFHE 156, 4, BStBl II 1989, 438 = SIS 89 13 53; vom 4.7.1989 VIII R
217/84, BFHE 157, 427, BStBl II 1989, 792 = SIS 89 20 39;
BFH-Beschlüsse vom 23.3.1994 VIII B 50/93, BFH/NV 1994, 786;
vom 9.12.2009 X R 4/09, BFH/NV 2010, 596 = SIS 10 08 34).
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2. Die Höhe des
Veräußerungsgewinns (76.127 DM) ist ebenfalls aus
Rechtsgründen nicht zu beanstanden.
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Gemäß § 16 Abs. 2 EStG ist
Veräußerungsgewinn der Betrag, um den der
Veräußerungspreis nach Abzug der
Veräußerungskosten den Buchwert des
Betriebsvermögens übersteigt. Wird ein Betrieb in eine
Personengesellschaft eingebracht und wird der Einbringende
Mitunternehmer der Gesellschaft, so gilt gemäß § 24
Abs. 3 Satz 1 UmwStG der Wert, mit dem das eingebrachte
Betriebsvermögen in der Bilanz der Personengesellschaft
einschließlich der Ergänzungsbilanzen für ihre
Gesellschafter angesetzt wird, für den Einbringenden als
Veräußerungspreis. Die Höhe des angesetzten Wertes
des eingebrachten Betriebsvermögens bei der übernehmenden
Gesellschaft wird somit als Veräußerungspreis und
zugleich als Anschaffungskosten der neuen Anteile fingiert. Da der
Gesetzgeber eine Fiktion gewählt hat, liegt darin die
Anordnung, einen bestimmten Sachverhalt ohne weitere Prüfung
zu unterstellen, auch wenn tatsächlich der Sachverhalt unklar
ist oder möglicherweise entgegen der gesetzlichen Fiktion
nicht vorliegt. Der Wertansatz des übernehmenden Unternehmens
ist daher im Besteuerungsverfahren des Einbringenden zu
übernehmen und kann grundsätzlich nicht auf seine
Richtigkeit hin überprüft werden (vgl. BFH-Beschluss vom
19.12.2007 I R 111/05, BFHE 220, 152, BStBl II 2008, 536 = SIS 08 12 25, m.w.N.).
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