Aktionär, Bürgschaft: Die Gewährung eines Darlehens oder die Übernahme einer Bürgschaft für eine Aktiengesellschaft durch einen Aktionär, der an der Gesellschaft nicht unternehmerisch beteiligt ist, führt nicht zu nachträglichen Anschaffungskosten der wesentlichen Beteiligung. - Urt.; BFH 2.4.2008, IX R 76/06; SIS 08 28 65
I. Die Kläger und Revisionsbeklagten
(Kläger) wurden als Eheleute im Streitjahr 2001 zusammen zur
Einkommensteuer veranlagt.
Am 23.8.1999 übernahm der Kläger
für die X-GmbH - an welcher er beteiligt war - eine
Höchstbetragsbürgschaft in Höhe von 400.000 DM.
Außerdem gewährte er der X-GmbH seinen Anteil am
Jahresüberschuss 1998 und am Gewinnvortrag als - mit 4,5 % zu
verzinsendes - Darlehen. Mit Wirkung zum 1.7.1999 wurde die X-GmbH
durch Formwechsel in die Y-AG umgewandelt, an welcher der
Kläger zunächst 15 %, später 13,51 % des
Grundkapitals hielt. Am 1.9.2001 wurde über das Vermögen
der Y-AG das Insolvenzverfahren eröffnet. Anfang des Jahres
2002 wurde der Kläger aus der
Höchstbetragsbürgschaft in Anspruch genommen.
In ihrer Steuerklärung für das
Streitjahr machten die Kläger u.a. den Verlust des Darlehens
des Klägers und die Aufwendungen für seine
Inanspruchnahme aus der Bürgschaft als Auflösungsverlust
gemäß § 17 Abs. 1, 2 und 4 des
Einkommensteuergesetzes i.d.F. des Steuerentlastungsgesetzes
1999/2000/2002 vom 24.3.1999, BGBl I 1999, 402 (EStG) geltend. Der
Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA - )
berücksichtigte den Auflösungsverlust nicht. Der
hiergegen gerichtete Einspruch hatte nur insoweit Erfolg, als das
FA die Anschaffungskosten der Aktien und Rechtsberatungskosten des
Klägers als Auflösungsverlust anerkannte. Das
Finanzgericht (FG) gab der Klage aus den in EFG 2006, 1898 = SIS 07 02 27 veröffentlichten Gründen statt.
Mit seiner Revision rügt das FA die
Verletzung materiellen Rechts.
Das FA beantragt, das angefochtene Urteil
aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kläger beantragen, die Revision
zurückzuweisen.
II. Die Revision ist begründet. Sie
führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur
Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der
Finanzgerichtsordnung - FGO - ).
Das FG hat zu Unrecht den Ausfall des
Darlehens und die Aufwendungen für die Inanspruchnahme aus der
Bürgschaft als nachträgliche Anschaffungskosten bei der
Ermittlung des Auflösungsverlusts des Klägers i.S. des
§ 17 Abs. 1, 2 und 4 EStG berücksichtigt.
1. Nach § 17 Abs. 1 und 4 EStG
gehört zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb auch der
Gewinn aus der Auflösung einer Kapitalgesellschaft, wenn der
Gesellschafter innerhalb der letzten fünf Jahre am Kapital der
Gesellschaft wesentlich beteiligt war und er die Beteiligung in
seinem Privatvermögen hielt. Entsprechendes gilt für die
aus der Auflösung einer Kapitalgesellschaft entstehenden
Verluste (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 12.12.2000 VIII R
22/92, BFHE 194, 108, BStBl II 2001, 385 = SIS 01 05 18,
m.w.N.).
Auflösungsverlust i.S. des § 17 Abs.
1, 2 und 4 EStG ist der Betrag, um den die im Zusammenhang mit der
Auflösung der Gesellschaft vom Steuerpflichtigen
persönlich getragenen Kosten (entsprechend den
Veräußerungskosten nach § 17 Abs. 2 Satz 1 EStG)
sowie seine Anschaffungskosten den gemeinen Wert des dem
Steuerpflichtigen zugeteilten oder zurückgezahlten
Vermögens der Kapitalgesellschaft übersteigen (BFH-Urteil
in BFHE 194, 108, BStBl II 2001, 385 = SIS 01 05 18).
Anschaffungskosten sind nach § 255 Abs. 1
Satz 1 des Handelsgesetzbuches (HGB) Aufwendungen, die geleistet
werden, um einen Vermögensgegenstand zu erwerben; dazu
gehören nach § 255 Abs. 1 Satz 2 HGB auch die
nachträglichen Anschaffungskosten. Zu den nachträglichen
Anschaffungskosten einer Beteiligung zählen neben (verdeckten)
Einlagen auch nachträgliche Aufwendungen auf die Beteiligung,
wenn sie durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst sind und
weder Werbungskosten bei den Einkünften aus
Kapitalvermögen noch Veräußerungskosten sind
(ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Urteil vom 16.4.1991 VIII R
100/87, BFHE 165, 31, BStBl II 1992, 234 = SIS 91 20 21; zu
Einlagen und Nachschüssen vgl. BFH-Urteil vom 12.12.2000 VIII
R 62/93, BFHE 194, 130, BStBl II 2001, 234 = SIS 01 05 19; siehe
zum Begriff der nachträglichen Anschaffungskosten auch
Döllerer, FR 1992, 233, 234). Dazu rechnen
Finanzierungshilfen, z.B. durch Übernahme einer
Bürgschaft oder durch andere Rechtshandlungen i.S. des §
32a Abs. 3 Satz 1 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit
beschränkter Haftung (GmbHG), wenn sie eigenkapitalersetzenden
Charakter haben (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 6.7.1999 VIII R 9/98,
BFHE 189, 383, BStBl II 1999, 817 = SIS 99 23 26; zu § 32a
Abs. 3 Satz 1 GmbHG; BFH-Urteil vom 12.12.2000 VIII R 52/93, BFHE
194, 120, BStBl II 2001, 286 = SIS 01 05 20). Maßgebend
dafür ist, ob ein Gesellschafter der Gesellschaft in einem
Zeitpunkt, in dem ihr die Gesellschafter als ordentliche Kaufleute
Eigenkapital zugeführt hätten (Krise der Gesellschaft),
stattdessen ein Darlehen gewährt oder eine dem Darlehen
wirtschaftlich entsprechend andere Rechtshandlung ausführt
(§ 32a Abs. 1 und 3 GmbHG; BFH-Urteil in BFHE 189, 383, BStBl
II 1999, 817 = SIS 99 23 26).
2. Nach diesen Grundsätzen waren der
Darlehensverlust des Klägers und seine Aufwendungen für
seine Inanspruchnahme aus der Bürgschaft nicht durch das
Gesellschaftsverhältnis veranlasst; denn das Darlehen und die
Bürgschaft hatten keinen eigenkapitalersetzenden
Charakter.
a) Nach Zivilrecht sind die Grundsätze
über die Behandlung eigenkapitalersetzender
Gesellschafterdarlehen oder ihnen gleichstehender
Finanzierungshilfen auf eine Aktiengesellschaft - wie im Streitfall
die Y-AG - sinngemäß anzuwenden, wenn der Darlehensgeber
an ihr unternehmerisch beteiligt ist (Urteil des Bundesgerichtshofs
- BGH - vom 26.3.1984 II ZR 171/83, BGHZ 90, 381). Das setzt - auch
nach Inkrafttreten der Neuregelung des § 32a Abs. 3 Satz 2
GmbHG - in der Regel einen Aktienbesitz von mehr als 25 % voraus.
Nur ausnahmsweise kann auch ein unterhalb der
Sperrminoritätsgrenze liegender, aber nicht
unbeträchtlicher Aktienbesitz die Annahme einer
unternehmerischen Beteiligung als Grundlage für eine
Finanzierungsfolgenverantwortung des betreffenden Aktionärs
dann rechtfertigen, wenn der Aktienbesitz ihm in Verbindung mit
weiteren Umständen Einfluss auf die Unternehmensleitung
sichert und er ein entsprechendes unternehmerisches Interesse
erkennen lässt. Eine Mitgliedschaft im Aufsichtsrat oder eine
Vorstandsfunktion genügen dafür nicht (BGH-Urteil vom
9.5.2005 II ZR 66/03, DStR 2005, 1416, m.w.N.).
b) Der Auffassung des FG,
Finanzierungsmaßnahmen eines Aktionärs könnten auch
dann als Anschaffungskosten beurteilt werden, wenn der
Aktionär nicht unternehmerisch beteiligt sei (ebenso
Schneider, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 17 Rz C
305; Blümich/Ebling, § 17 EStG Rz 212; Eilers/R. Schmidt
in Herrmann/Heuer/Raupach, § 17 EStG Rz 201), vermag der
erkennende Senat nicht beizupflichten (gl.A. Gschwendtner in: DStR
1999, Beihefter zu Heft 32, 1, 20; Pung/Dötsch in Dötsch/
Jost/Pung/Witt, Kommentar zum KStG und EStG, § 17 EStG, Rz
151a).
Finanzierungsmaßnahmen eines
Gesellschafters sind durch das Gesellschaftsverhältnis
veranlasst und damit nachträgliche Anschaffungskosten, wenn
der Gesellschafter der Gesellschaft durch seine
Finanzierungsmaßnahme funktionales Eigenkapital zugewandt
hat. Dies setzt grundsätzlich voraus, dass die
Finanzierungsmaßnahme zivilrechtlich eigenkapitalersetzend
ist. Eigenkapitalersetzende Finanzierungsmaßnahmen
führen - wie Einlagen - zu nachträglichen
Anschaffungskosten, da sie als Ersatz für Eigenkapital zu
betrachten und deshalb ebenso wie dieses gesetzlich gebunden sind
(funktionales Eigenkapital; vgl. BFH-Urteil vom 2.10.1984 VIII R
36/83, BFHE 143, 228, BStBl II 1985, 320 = SIS 85 10 12, m.w.N.).
Liegen diese Voraussetzungen nicht vor, ist der Gesellschafter wie
jeder Drittgläubiger zu behandeln. Das Einkommensteuerrecht
respektiert die Entscheidung der Gesellschafter, der Gesellschaft
nicht Eigenkapital, sondern Fremdkapital zur Verfügung zu
stellen (vgl. BFH-Urteil vom 24.4.1997 VIII R 23/93, BFHE 183, 397,
BStBl II 1999, 342 = SIS 97 23 43, m.w.N.). Das (objektive)
Nettoprinzip wird hier durch den Grundsatz eingeschränkt, dass
Verluste in der Privatsphäre des Steuerpflichtigen
einkommensteuerrechtlich nicht berücksichtigt werden
(BFH-Urteil vom 10.11.1998 VIII R 6/96, BFHE 187, 480, BStBl II
1999, 348 = SIS 99 07 23).
Entgegen der Auffassung des FG führt das
Erfordernis einer unternehmerischen Beteiligung des Aktionärs
(BGH-Urteil in BGHZ 90, 381) zu keiner zivilrechtlichen
Privilegierung, sondern bildet die Grundlage für die Geltung
des Kapitalersatzrechts auch bei einer Aktiengesellschaft.
c) Im Streitfall hatte der Kläger weder
einen Aktienbesitz von mehr als 25 % noch liegen nach den
tatsächlichen Feststellungen des FG besondere Umstände
vor, welche dem Kläger in Verbindung mit seinem Aktienbesitz
Einfluss auf die Unternehmensleitung der Y-AG sicherten. Entgegen
der Ansicht des FG sind solche besonderen Umstände auch nicht
darin zu sehen, dass der Kläger bereits für die
Vorgängergesellschaft der X-GmbH - an welcher er
ursprünglich 38 % der Geschäftsanteile hielt -
Bürgschaften übernommen hatte. Denn für den
persönlichen Geltungsbereich der Eigenkapitalersatzregeln
kommt es auf die Verhältnisse nach Kriseneintritt an (vgl.
BGH-Urteil in DStR 2005, 1416, m.w.N., unter III.2.b).
3. Die Sache ist spruchreif. Der
Darlehensverlust und die Aufwendungen aus der Inanspruchnahme aus
der Bürgschaft sind nicht als Anschaffungskosten der
Beteiligung des Klägers an der Y-AG zu berücksichtigen.
Die Klage ist daher abzuweisen.