Mindestbemessungsgrundlage, Vereinbarkeit mit EU-Recht: Der Anwendung des § 10 Abs. 5 Nr. 1 i.V.m. Abs. 4 Nr. 2 UStG 1993 (Mindestbemessungsgrundlage) steht nicht entgegen, dass über eine ordnungsgemäß durchgeführte Lieferung an einen vorsteuerabzugsberechtigten Unternehmer abgerechnet wird. - Urt.; BFH 24.1.2008, V R 39/06; SIS 08 14 82
I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte
(Klägerin), eine KG, veräußerte im Jahr 1995
(Streitjahr) ein ihr gehörendes Grundstück, auf dem sie
zuvor ein Geschäftsgebäude errichtet hatte, an eine GbR,
deren Gesellschafter zugleich die Gesellschafter der alleinigen
Kommanditistin der Klägerin waren. Die Vertragsparteien
setzten in dem Kaufvertrag als Kaufpreisanteil für das
Gebäude die um einen der Klägerin gewährten
Investitionszuschuss verminderten Herstellungskosten zuzüglich
Umsatzsteuer an.
Der Beklagte und Revisionskläger (das
Finanzamt - FA - ) war der Auffassung, in die Bemessungsgrundlage
der Umsatzsteuer seien nach § 10 Abs. 5 Nr. 1 des
Umsatzsteuergesetzes 1993 (UStG 1993) die nicht um den
Investitionszuschuss gekürzten Herstellungskosten des
Gebäudes einzubeziehen, und erhöhte die Umsatzsteuer
für 1995 entsprechend. Die Klägerin erteilte daraufhin
der GbR am 21.4.2000 eine berichtigte Rechnung, in der sie als auf
das Gebäude entfallenden Kaufpreisanteil die ungekürzten
Herstellungskosten ansetzte und Umsatzsteuer in entsprechender
Höhe gesondert auswies.
Der Einspruchgegen die durch Bescheid vom
20.2.2001 geänderte Umsatzsteuerfestsetzung für 1995
bliebe erfolglos. Das Finanzgericht (FG), das der Klage stattgab,
vertrat die Auffassung, der Anwendbarkeit der Regelung zur
Mindestbemessungsgrundlage gemäß § 10 Abs. 5 Nr. 1
i.V.m. Abs. 4 Nr. 2 UStG 1993 stehe Gemeinschaftsrecht entgegen, da
es sich um eine ordnungsgemäß durchgeführte
Lieferung zwischen vorsteuerabzugsberechtigten Unternehmern handle
und deshalb keine Gefahr einer Steuerhinterziehung oder -umgehung
bestehe. Das Urteil ist in EFG 2006, 379 = SIS 06 06 50
abgedruckt.
Das FA macht mit der Revision geltend, die
angefochtene Umsatzsteuerfestsetzung sei bereits aufgrund der
berichtigten Rechnung vom 21.4.2000 zutreffend. Zudem sei die
Mindestbemessungsgrundlage des § 10 Abs. 5 Nr. 1 i.V.m. Abs. 4
Nr. 2 UStG 1993 anwendbar.
Das FA beantragt, die Vorentscheidung
aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin ist der Revision
entgegengetreten.
II. Die Revision ist begründet. Sie
führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der
Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung -
FGO - ). Das FG hat verkannt, dass der angefochtene
Änderungsbescheid bereits aufgrund der berichtigten Rechnung
vom 21.4.2000 rechtmäßig ist.
1. Hat der Unternehmer in einer Rechnung
für eine Lieferung oder sonstige Leistung einen höheren
Steuerbetrag, als er nach dem UStG 1993 für den Umsatz
schuldet, gesondert ausgewiesen, so schuldet er gemäß
§ 14 Abs. 2 Satz 1 UStG 1993 auch den Mehrbetrag. Die Steuer
entsteht nach § 13 Abs. 1 Nr. 3 UStG 1993 in diesem Fall in
dem Zeitpunkt, in dem die Steuer für die Lieferung oder
sonstige Leistung nach § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a oder
Buchst. b Satz 1 UStG 1993 entsteht. Die Ausstellung der Rechnung
ist danach ein rückwirkendes Ereignis i.S. des § 175 Abs.
1 Satz 1 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO). Diese Regelungen sind mit
Gemeinschaftsrecht vereinbar (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH -
vom 13.11.2003 V R 79/01, BFHE 204, 332, BStBl II 2004, 375 = SIS 04 13 69).
Soweit die Umsatzsteuer nicht ohnehin aufgrund
der Grundstückslieferung in der dem angefochtenen
Änderungsbescheid entsprechenden Höhe festzusetzen war,
ist sie danach aufgrund der Erteilung der Rechnung vom 21.4.2000
rückwirkend für 1995 in dieser Höhe entstanden. Die
bloße Möglichkeit, den gesondert ausgewiesenen
Steuerbetrag gegenüber der GbR als Leistungsempfängerin
zu berichtigen, steht dem nicht entgegen. Lediglich bei einer
tatsächlich erfolgten Berichtigung ist § 14 Abs. 2 Satz 2
i.V.m. § 17 Abs. 1 UStG 1993 anwendbar. Die Berichtigung wirkt
sich dabei gemäß § 17 Abs. 1 Satz 3 UStG 1993 erst
in dem Besteuerungszeitraum aus, in dem sie vorgenommen wird
(BFH-Urteil vom 4.2.2005 VII R 20/04, BFHE 209, 13 = SIS 05 21 68).
2. Das FG hat darüber hinaus zu Unrecht
angenommen, dass die Vorschriften über die
Mindestbemessungsgrundlage (§ 10 Abs. 5 Nr. 1 i.V.m. Abs. 4
Nr. 2 UStG 1993) ohne Rücksicht auf die Marktüblichkeit
des für das Gebäude vereinbarten Kaufpreisanteils bei
Leistungen an vorsteuerabzugsberechtigte Unternehmer nicht
anwendbar seien, wenn die Leistungen ordnungsgemäß
durchgeführt worden seien.
a) Nach § 10 Abs. 5 Nr. 1 UStG 1993
unterliegen entgeltliche Leistungen, die Körperschaften,
Personenvereinigungen sowie Gemeinschaften im Rahmen ihres
Unternehmens an ihre Anteilseigner, Gesellschafter, Mitglieder,
Teilhaber oder diesen nahestehende Personen ausführen, der
sog. Mindestbemessungsgrundlage. Die Besteuerung erfolgt nicht auf
der Grundlage des vereinbarten Entgelts, sondern nach Maßgabe
der Bemessungsgrundlagen des § 10 Abs. 4 UStG 1993.
§ 10 Abs. 5
UStG 1993 ist eine zulässige Sondermaßnahme i.S. des
Art. 27 der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17.5.1977 zur
Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über
die Umsatzsteuern 77/388/EWG - Richtlinie 77/388/EWG - (Urteil des
Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften - EuGH - vom
29.5.1997 C-63/96, Skripalle, Slg. 1997, I-2847, UR 1997, 301, HFR
1997, 617 = SIS 97 15 23; BFH-Beschluss vom 13.12.1995 XI R 8/86,
BFHE 179, 457 = SIS 96 08 20). Die Vorschrift darf nach diesem
EuGH-Urteil nur angewandt werden, soweit es zur Verhütung von
Steuerhinterziehungen und -umgehungen unbedingt erforderlich ist;
als bloße Vereinfachungsregelung für die Steuererhebung
darf die Vorschrift nicht herangezogen werden (ebenso BFH-Urteil
vom 8.10.1997 XI R 8/86, BFHE 183, 314, BStBl II 1997, 840 = SIS 98 01 24).
b) Die Gefahr von
Steuerhinterziehungen und -umgehungen besteht grundsätzlich
bei Rechtsgeschäften zwischen nahestehenden Personen, und
zwar nicht nur bei Leistungen an Personen, die nicht oder
nur eingeschränkt zum Vorsteuerabzug berechtigt sind, sondern
auch bei Leistungen an Personen, die den Vorsteuerabzug nach §
15 UStG 1993 vollumfänglich in Anspruch nehmen können.
Die Gefahr einer Steuerhinterziehung oder -umgehung ergibt sich
dann aus einer nach Art. 20 der Richtlinie 77/388/EWG und §
15a UStG 1993 ggf. vorzunehmenden Berichtigung des Vorsteuerabzugs
bei einer späteren Änderung der für den
Vorsteuerabzug maßgeblichen Verhältnisse.
Die Berichtigung nach § 15a UStG 1993
bezieht sich auf den Vorsteuerabzug des Leistungsempfängers
und erfolgt somit auf der Grundlage des Entgelts für die an
diesen erbrachte Leistung. Wäre § 10 Abs. 5 Nr. 1 UStG
1993 aufgrund der Berechtigung des Leistungsempfängers zum
Vorsteuerabzug nach § 15 UStG 1993 nicht anwendbar,
würden Berichtigungen nach § 15a UStG 1993 auf der
Grundlage eines Vorsteuerbetrages vorgenommen, der auf einem
verbilligten Entgelt beruht. Hieraus ergibt sich die Gefahr von
Steuerumgehungen.
c) Die Gefahr einer
Steuerumgehung besteht aber nicht, wenn nahestehende Personen
für die zwischen ihnen erbrachte Leistung ein
marktübliches Entgelt vereinbaren. Eine Sondermaßnahme,
die auch für diesen Fall eine Besteuerung auf der Grundlage
der für die Leistung angefallenen Kosten vorschreibt, ist
nicht erforderlich und kann daher nicht auf Art. 27 der Richtlinie
77/388/EWG gestützt werden (EuGH-Urteil Skripalle in Slg.
1997, I-2847, UR 1997, 301, HFR 1997, 617 = SIS 97 15 23 Randnrn.
24 ff.; BFH-Urteil in BFHE 183, 314, BStBl II 1997, 840 = SIS 98 01 24). Dies gilt sowohl für Lieferungen als auch für
sonstige Leistungen. Die Finanzverwaltung hat sich dem
angeschlossen (Abschn. 158 Abs. 1 Satz 4 der
Umsatzsteuer-Richtlinien - UStR - ).
d) Wenn sich die Rechtmäßigkeit des
angefochtenen Änderungsbescheids nicht - wie im Streitfall -
bereits aus § 14 Abs. 2 Satz 1 UStG 1993 ergäbe,
käme es demnach darauf an, ob das für das Gebäude
vereinbarte Entgelt marktüblich war. War dies der Fall,
wäre die Mindestbemessungsgrundlage unanwendbar. War das
vereinbarte Entgelt niedriger als das marktübliche, wären
nach Auffassung der Verwaltung als Bemessungsgrundlage die Kosten
nach § 10 Abs. 4 UStG 1993 anzusetzen (Abschn. 158 Abs. 1 Satz 5 UStR). Ob der Ansatz der
Kosten, wenn diese höher sind als das marktübliche
Entgelt, mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar ist, bedarf im
vorliegenden Fall keiner Entscheidung (vgl. dazu Wagner in
Sölch/Ringleb, Umsatzsteuer, § 10 Rz 443).