Masselose GmbH, Haftung: Kommt es mangels Masse nicht zur Eröffnung des beantragten Insolvenzverfahrens über das Vermögen einer GmbH, können bei der haftungsrechtlichen Inanspruchnahme des GmbH-Geschäftsführers nach § 69 AO hypothetische Betrachtungen über eine mögliche Anfechtung etwaiger Steuerzahlungen durch den Insolvenzverwalter keine Berücksichtigung finden. - Urt.; BFH 23.4.2007, VII B 92/06; SIS 07 27 21
I. Der Antragsteller und
Beschwerdeführer (Antragsteller) war zu 50 v.H. an einer GmbH
beteiligt. Ihm war Einzelprokura erteilt worden, die ihm im Mai
2003 entzogen wurde. Am 30.5.2003 wurde ein Antrag auf
Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen
der GmbH gestellt, den das Insolvenzgericht nach § 26 Abs. 1
der Insolvenzordnung (InsO) abgewiesen hat. Inzwischen ist die GmbH
wegen Vermögenslosigkeit von Amts wegen im Handelsregister
gelöscht. Aufgrund rückständiger
Umsatzsteuerschulden der GmbH für die
Voranmeldungszeiträume August bis November 2002 sowie Januar
bis März 2003 nahm der Antragsgegner und Beschwerdegegner (das
Finanzamt - FA - ) den Antragsteller gemäß § 69
i.V.m. § 35 der Abgabenordnung (AO) als Haftungsschuldner in
Anspruch. Nachdem das FA die zunächst gewährte Aussetzung
der Vollziehung (AdV) des Haftungsbescheides widerrufen und den
Einspruch zurückgewiesen hatte, stellte der Antragsteller nach
§ 69 Abs. 4 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) beim
Finanzgericht (FG) den Antrag, die Vollziehung des angefochtenen
Haftungsbescheides auszusetzen.
Den Antrag wies das FG mit der
Begründung zurück, dass der Antragsteller
tatsächlich die steuerlichen Angelegenheiten der GmbH erledigt
habe und infolgedessen als Verfügungsberechtigter aufgetreten
sei. Die ihm obliegenden steuerlichen Pflichten habe er zumindest
grob fahrlässig verletzt, denn es hätte ihm ohne weiteres
einleuchten müssen, dass er als Verfügungsberechtigter
für eine vollständige und rechtzeitige Abgabe der
Steuererklärungen sowie für eine rechtzeitige Zahlung der
geschuldeten Steuern hätte sorgen müssen. Im Zeitpunkt
der gesetzlichen Fälligkeit der Steuerschulden hätten
diese noch aus Mitteln der GmbH beglichen werden können.
Unbeachtlich sei im Streitfall, ob eine hypothetische
Anfechtbarkeit tatsächlich an das FA geleisteter Zahlungen
gemäß §§ 130 ff. InsO zu einer
Einschränkung der Haftung führen könnte, wie dies in
der finanzgerichtlichen Rechtsprechung vertreten werde. Denn eine
Berücksichtigung eines solchen hypothetischen Kausalverlaufs
könnte nur dann in Betracht kommen, wenn das
Insolvenzverfahren überhaupt eröffnet werde. Komme es
dagegen nicht zur Eröffnung eines solchen Verfahrens, stelle
sich die Frage einer Anfechtbarkeit nicht.
Mit seiner vom FG zugelassenen Beschwerde
begehrt der Antragsteller die Aufhebung der erstinstanzlichen
Entscheidung sowie die AdV des angefochtenen Haftungsbescheides.
Zur Begründung führt er aus, dass er vom FG zu Unrecht
als faktischer Geschäftsführer angesehen worden sei. Das
FG habe sich lediglich auf Bekundungen des
GmbH-Geschäftsführers sowie auf den Inhalt eines gegen
ihn wegen Untreue ergangenen Strafbefehls gestützt. Aus dem
Strafbefehl ergebe sich, dass er kein faktischer
Geschäftsführer gewesen sei, der ohne weiteres über
Firmengelder hätte verfügen dürfen. Darüber
hinaus spiele es entgegen der Rechtsauffassung des FG für eine
Berücksichtigung einer möglichen Anfechtbarkeit
geleisteter Lohnsteuerzahlungen keine Rolle, ob der Antrag auf
Insolvenzeröffnung mangels Masse abgewiesen worden sei.
Erforderlich sei eine Prognose, ob im Zeitpunkt der
Pflichtverletzung ein Insolvenzantrag erforderlich gewesen
sei.
Das FA ist der Beschwerde entgegengetreten
und schließt sich der Auffassung des FG an. Dem Antragsteller
sei der gesamte kaufmännische Bereich der GmbH übertragen
worden, er habe umfassende Bankvollmacht besessen und zusammen mit
dem Steuerberater der GmbH deren steuerliche Angelegenheiten
erledigt.
II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
Nach der im Aussetzungsverfahren gebotenen
summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage gelangt der
erkennende Senat zu der Auffassung, dass an der
Rechtmäßigkeit des Haftungsbescheides keine ernstlichen
Zweifel bestehen, so dass das FG die AdV zu Recht abgelehnt
hat.
1. Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache
die Vollziehung ganz oder teilweise aussetzen, wenn ernstliche
Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen
Verwaltungsaktes bestehen (§ 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2
Satz 2 FGO). Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH)
bestehen solche Zweifel, wenn bei summarischer Prüfung des
Bescheides neben den für die Rechtmäßigkeit
sprechenden Umständen gewichtige, gegen die
Rechtmäßigkeit sprechende Gründe zutage treten, die
Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung einer
Rechtsfrage bewirken (BFH-Entscheidungen vom 15.7.1998 I B 134/97,
BFH/NV 1999, 372 = SIS 98 56 13, und vom 10.11.1994 IV R 44/94,
BFHE 176, 303, BStBl II 1995, 814 = SIS 95 09 68, m.w.N.).
a) Im Streitfall begegnet es nach Auffassung
des beschließenden Senats keinen rechtlichen Bedenken, dass
das FG von einer schuldhaften Pflichtverletzung des Antragstellers
ausgegangen ist. Grundsätzlich kommt als
Verfügungsberechtigter i.S. von § 35 AO und damit als
Haftungsschuldner i.S. von § 69 AO auch der für eine GmbH
tätige Prokurist in Betracht. Wie das FG zu Recht
ausgeführt hat, ergibt sich die Haftung als
Verfügungsberechtigter jedoch nicht allein aus der Stellung
als Prokurist. Die Pflichtenstellung, die eine haftungsrechtlich
relevante Verfügungsberechtigung vermittelt, wird wesentlich
durch den im Innenverhältnis zugeteilten Aufgabenbereich
bestimmt, zu dem die Erfüllung steuerlicher Pflichten
gehören kann, aber nicht muss (vgl. Jatzke in Beermann/Gosch,
AO § 35 Rz 8). Sind dem Prokuristen tatsächlich
steuerliche Befugnisse, wie die Abgabe von Steueranmeldungen und
die fristgerechte Entrichtung der geschuldeten Steuern
übertragen worden, haftet er für eine zumindest grob
fahrlässige Verletzung dieser Obliegenheiten nach § 69
AO. Im Streitfall gelangt der beschließende Senat nach
summarischer Prüfung zu der Auffassung, dass dem Antragsteller
solche Pflichten übertragen worden sind.
b) Ausweislich der Akten, auf die das FG in
der Begründung seiner Entscheidung Bezug genommen hat, hat der
Antragsteller einen Antrag auf Erteilung einer
Freistellungsbescheinigung nach § 48b des
Einkommensteuergesetzes gestellt. In der Beschwerdebegründung
hat der Antragsteller dies nicht in Abrede gestellt. Darüber
hinaus hatte er umfassende Bankvollmacht und wickelte den gesamten
Zahlungsverkehr der GmbH ab. Es liegt nahe, dass hierzu auch die
Überweisung von Steuerbeträgen an das FA gehörte,
denn es kann nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass die
Leistung solcher Zahlungen dem Steuerberater oder anderen Personen
vorbehalten war. Entgegen den Ausführungen des Antragstellers
hat das FG dessen Verfügungsbefugnis nach § 35 AO nicht
aufgrund einer faktischen Geschäftsführung angenommen,
sondern aufgrund seiner steuerlichen Befugnisse als Prokurist.
Schließlich räumt der Antragsteller selbst ein, dass die
Aussagen des Geschäftsführers der GmbH die
Verfügungsbefugnis bestätigen. Bei diesem Befund und der
im Aussetzungsverfahren allein gebotenen summarischen Prüfung
sprechen hinreichende Gründe für die vom FG angenommene
Pflichtenstellung des Antragstellers.
c) Diese Pflichten, nämlich die Pflicht
zur fristgerechten Entrichtung der Umsatzsteuer für die
Voranmeldungszeiträume August bis November 2002 sowie Januar
bis März 2003, hat der Antragsteller grob fahrlässig
nicht erfüllt. Dass die GmbH zu den
Fälligkeitszeitpunkten zahlungsunfähig gewesen ist, hat
der Antragsteller nicht vorgetragen. Die Stellung des
Insolvenzantrages Ende Mai 2003 liefert keinen Beweis für die
Einstellung sämtlicher Zahlungen zu diesen
Fälligkeitszeitpunkten. Eine Benachteiligung des FA kann daher
nicht ausgeschlossen werden. Den Unsicherheiten hat das FA dadurch
Rechnung getragen, dass es die Haftungsquote auf 60 v.H.
geschätzt hat. Im summarischen Verfahren ist diese
Schätzung nicht zu beanstanden, zumal der Antragsteller auch
im Beschwerdeverfahren hierzu nichts vorgetragen hat.
2. Entgegen der Auffassung des Antragstellers
entfällt seine Haftung nicht deshalb, weil unter
hypothetischer Annahme einer Eröffnung des Insolvenzverfahrens
und einer möglichen Anfechtung etwaiger Steuerzahlungen durch
den Insolvenzverwalter gemäß den insolvenzrechtlichen
Anfechtungsvorschriften der §§ 130 ff. InsO die an das FA
geleisteten Zahlungen zur Masse hätten zurückgewährt
werden müssen. Denn im Streitfall ist es nicht zur
Eröffnung des Insolvenzverfahrens gekommen, so dass etwaige
Anfechtungsmöglichkeiten überhaupt nicht eröffnet
wurden. Wie der Senat bereits entschieden hat, könnte sich die
Frage nach der Berücksichtigung hypothetischer
Kausalverläufe - die der Senat bisher offen gelassen hat (vgl.
Senatsbeschluss vom 9.12.2005 VII B 124-125/05, BFH/NV 2006, 897 =
SIS 06 17 01) - nur dann stellen, wenn eine gedachte
Insolvenzanfechtung hätte Erfolg haben können, d.h. wenn
die Erfüllung der insolvenzrechtlichen Voraussetzungen
für eine Anfechtung nach §§ 130 ff. InsO angenommen
werden könnte (vgl. Senatsurteil vom 28.2.2007 VII R 67/05,
zur Veröffentlichung vorgesehen). Weist das Insolvenzgericht
nach § 26 Abs. 1 InsO den Antrag auf Eröffnung des
Insolvenzverfahrens mangels Masse ab, steht damit fest, dass es zur
Ausübung etwaiger Anfechtungsrechte überhaupt nicht
kommen kann. Zu Recht hat das FG ausgeführt, dass unter
Berücksichtigung dieses Umstandes hypothetische Betrachtungen
über eine mögliche Rückgewähr etwaiger
Steuerzahlungen durch das FA nicht anzustellen sind.