Ärztliches Rentengutachten, USt-Pflicht: Die Erstellung ärztlicher Gutachten, die der Vorbereitung der Entscheidung eines Versicherungsträgers über die Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit dienen sollen, ist auch dann nicht nach § 4 Nr. 14 UStG steuerfrei, wenn in den Gutachten Möglichkeiten zur Rehabilitation geprüft werden. - Urt.; BFH 31.7.2007, V B 98/06; SIS 07 31 19
I. Der Kläger und
Beschwerdeführer (Kläger), ein Arzt, erstellte im
September 2004 von einem Träger der gesetzlichen
Rentenversicherung erbetene Gutachten über das Vorliegen, den
Umfang und die Behandlungsmöglichkeiten von
Erwerbsminderungen. Soweit diese Gutachten Grundlage für die
Entscheidung des Versicherungsträgers über die
Gewährung von Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit
sein sollten (Rentengutachten), beurteilte sie der Beklagte und
Beschwerdegegner (das Finanzamt - FA - ) als umsatzsteuerpflichtig,
während er Gutachten, die lediglich die medizinische oder
berufliche Rehabilitation der Versicherten betrafen, als
umsatzsteuerfrei ansah.
Das Finanzgericht (FG) wies die nach
erfolglosem Einspruch erhobene Klage gegen die
Umsatzsteuerfestsetzung mit der Begründung ab, die
Steuerbefreiung des richtlinienkonform auszulegenden § 4 Nr.
14 Satz 1 des Umsatzsteuergesetzes 1999 (UStG) greife nicht ein.
Der Hauptzweck der vom Kläger erstatteten Rentengutachten sei
es gewesen, dem Rentenversicherungsträger eine Entscheidung
darüber zu ermöglichen, ob die Versicherten Anspruch auf
eine medizinische oder berufliche Rehabilitation oder auf eine
Rente wegen teilweiser oder voller Erwerbsminderung hätten.
Der Kläger habe weder durch eigene Verordnung von Heil- oder
Vorsorgemaßnahmen noch durch Empfehlung bestimmter derartiger
Maßnahmen in die Heilbehandlung der Versicherten
eingegriffen. Die Feststellungen zum positiven und negativen
Leistungsbild hätten sich auf den allgemeinen Arbeitsmarkt
bezogen; sie hätten nicht dem durch gesundheitliche
Gründe veranlassten Schutz der Versicherten vor bestimmten
Tätigkeiten, sondern nur der Entscheidungsfindung des
Rentenversicherungsträgers gedient.
Ein Bezug zu einer steuerfreien
Heilbehandlung ergebe sich auch nicht aus dem vom Kläger
betonten rentenversicherungsrechtlichen Grundsatz Rehabilitation
vor Rente. Bei diesem Grundsatz gehe es darum, einer Minderung der
Erwerbsfähigkeit durch Rehabilitationsmaßnahmen
entgegenzuwirken und so (vorläufig) Rentenleistungen zu
vermeiden. An dem Hauptzweck der Rentengutachten, die Entscheidung
des Versicherungsträgers über die Bewilligung von Renten
vorzubereiten, ändere sich dadurch nichts. Soweit das
Gutachten einem Versicherten auf Verlangen ausgehändigt worden
sei und dieser es einem behandelnden Arzt vorgelegt habe,
hätten die darin enthaltenen Feststellungen zwar einer
konkreten Heilbehandlung zugrunde gelegt werden können. Der
Hauptzweck der Rentengutachten sei dadurch aber nicht berührt
worden. Gleiches gelte auch, wenn einzelne Versicherte vor der
Untersuchung durch den Kläger sich nicht bereits in
einschlägiger ärztlicher Behandlung befunden haben
sollten. Die ärztliche Behandlung der Versicherten durch den
Kläger hätte auch in diesem Fall nicht im Vordergrund
gestanden.
Der Kläger stützt seine
Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision auf
Verfahrensmängel und grundsätzliche Bedeutung der
Rechtssache.
II. Die Beschwerde ist unbegründet.
Soweit der Kläger Gründe für eine Zulassung der
Revision den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 der
Finanzgerichtsordnung (FGO) entsprechend dargelegt hat, liegen sie
nicht vor.
1. Verfahrensmängel (§ 115 Abs. 2
Nr. 3 FGO)
a) Es liegt kein Verstoß gegen den
Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 des
Grundgesetzes i.V.m. § 96 Abs. 2 FGO) vor. Wie sich aus dem
Tatbestand und aus den Entscheidungsgründen der
Vorentscheidung ergibt, hat das FG das Vorbringen des Klägers
zur Kenntnis genommen und gewürdigt. Der Anspruch des
Klägers auf rechtliches Gehör wurde dadurch gewahrt.
Dieser Anspruch verpflichtet das Gericht nur dazu, die
Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in
Erwägung zu ziehen, nicht aber auch dazu, der Beurteilung der
Sach- und Rechtslage durch einen Beteiligten, wie der Kläger
mit seiner Rüge, das FG hätte den
„unmittelbaren“ Krankheitsbezug würdigen
sollen, meint, zu folgen (Beschluss des Bundesfinanzhofs - BFH -
vom 11.11.2005 II B 11/05, BFH/NV 2006, 254 = SIS 06 07 45).
b) Dass das FG seine richterliche
Hinweispflicht (§ 76 Abs. 2 FGO) verletzt habe, hat der
Kläger nicht den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3
FGO entsprechend dargelegt. Das Unterlassen richterlicher Hinweise
stellt bei Beteiligten, die wie der Kläger im
finanzgerichtlichen Verfahren durch einen fach- und sachkundigen
Prozessbevollmächtigten, wie etwa einen Rechtsanwalt,
vertreten werden, regelmäßig keine Verletzung der
Pflichten aus § 76 Abs. 2 FGO dar, es sei denn, es würden
besondere Umstände, die eine Ausnahme von dieser Regel
erforderten, dargelegt (BFH-Beschluss vom 22.5.2006 X B 187/05,
BFH/NV 2006, 1507 = SIS 06 30 91, m.w.N.). Solche besonderen
Umstände hat der Kläger nicht vorgebracht. Das FG ist
nicht verpflichtet, die Verfahrensbeteiligten über seine
vorläufige Würdigung des Streitfalls zu unterrichten.
Eine allgemeine Hinweispflicht besteht nämlich nicht
(BFH-Beschluss vom 27.4.2005 X B 130/04, BFH/NV 2005, 1596 = SIS 05 37 45, m.w.N.).
2. Grundsätzliche Bedeutung der
Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO)
Der Kläger sieht folgende Rechtsfrage als
in einem Revisionsverfahren klärungsbedürftig an:
Sind § 4 Nr. 14 UStG und Art. 13 Teil A
Abs. 1 Buchst. c der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17.5.1977
zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten
über die Umsatzsteuern 77/388/EWG - Richtlinie 77/388/EWG -
(Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Nr. L 145, 1) so
auszulegen, dass nur solche ärztliche Maßnahmen unter
die Steuerbefreiung fallen, für die positiv feststeht, dass
ihr Hauptziel der Schutz einschließlich der Aufrechterhaltung
oder Wiederherstellung der Gesundheit ist, oder ist auch die
Erstellung ärztlicher Gutachten in einem Rentenverfahren von
der Umsatzsteuer befreit, wenn diese Gutachten auch die
Prüfung etwaiger Rehabilitationsmöglichkeiten zum
Gegenstand haben?
Diese Frage verleiht der Rechtssache keine
grundsätzliche Bedeutung. Die für die Beurteilung
maßgebenden Grundsätze sind in der Rechtsprechung
bereits geklärt. Das FG hat diese Grundsätze auf den von
ihm festgestellten Sachverhalt zutreffend angewendet.
a) Nach § 4 Nr. 14 Satz 1 UStG sind u.a.
die Umsätze aus der Tätigkeit als Arzt von der
Umsatzsteuer befreit. Diese Vorschrift ist richtlinienkonform unter
Berücksichtigung des Befreiungszwecks auszulegen (BFH-Urteile
vom 30.6.2005 V R 1/02, BFHE 210, 188, BStBl II 2005, 675 = SIS 05 36 35, und vom 13.7.2006 V R 7/05, BFH/NV 2006, 2387 = SIS 06 42 39). Steuerbefreit sind nur Tätigkeiten, die zum Zweck der
Diagnose, der Behandlung und, soweit möglich, der Heilung von
Krankheiten oder Gesundheitsstörungen bei Menschen vorgenommen
werden. Nicht befreit sind Leistungen, die sich nicht als
„heilberufliche Tätigkeiten“ qualifizieren
lassen, auch wenn sie eine bestimmte heil- oder heilhilfsberufliche
Ausbildung voraussetzen. Maßgebend ist daher das Ziel einer
ärztlichen oder arztähnlichen Leistung. Wird eine solche
Leistung in einem Zusammenhang erbracht, der die Feststellung
zulässt, dass ihr Hauptziel nicht der Schutz
einschließlich der Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung
der Gesundheit ist, findet die Befreiung keine Anwendung. Dass die
betreffende Leistung von einer Person erbracht wird, die die
für Heilbehandlungen erforderlichen beruflichen
Voraussetzungen erfüllt, und dass die Person sich derselben
Methoden wie bei Heilbehandlungen bedient, reicht ebenso wenig aus
wie der Umstand, dass die mit einem anderen Hauptzweck vorgenommene
Tätigkeit zugleich auch zum Schutz der Gesundheit des
Betroffenen beitragen kann (BFH-Urteil in BFHE 210, 188, BStBl II
2005, 675 = SIS 05 36 35).
b) Diese Rechtsprechung des BFH beruht auf der
Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen
Gemeinschaften (EuGH) zu Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c der
Richtlinie 77/388/EWG. Die in dieser Richtlinienbestimmung
vorgesehene Steuerbefreiung ist eng auszulegen. Nicht
sämtliche Leistungen, die im Rahmen der Ausübung
ärztlicher oder arztähnlicher Berufe erbracht werden
können, werden von der Steuer befreit, sondern nur die
Heilbehandlung im Bereich der Humanmedizin. Vom Begriff der
Heilbehandlungen nicht erfasst werden solche ärztliche
Maßnahmen, die zu einem anderen Zweck als dem der Diagnose,
der Behandlung und, soweit möglich, der Heilung von
Krankheiten oder Gesundheitsstörungen vorgenommen werden.
Wird eine ärztliche Leistung in einem
Zusammenhang erbracht, der die Feststellung zulässt, dass ihr
Hauptziel nicht der Schutz einschließlich der
Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung der Gesundheit ist,
sondern die Erstattung eines Gutachtens, das Voraussetzung einer
Entscheidung ist, die Rechtswirkungen erzeugt, so findet die
Steuerbefreiung auf diese Leistung keine Anwendung.
Die Vorentscheidung beruht auf diesen
Grundsätzen. Die fraglichen Leistungen dienten der Erstellung
von Gutachten für die gesetzliche Rentenversicherung. Der
Rentenversicherungsträger entschied mit Hilfe dieser Gutachten
darüber, ob die Versicherten Anspruch auf
Rehabilitationsmaßnahmen oder auf Rente hatten.
Besteht die Leistung in der Erstellung eines
ärztlichen Gutachtens dieser Art, ist das Hauptziel, auch wenn
die Erbringung der Leistung Anforderungen an die medizinische
Kompetenz des Erbringers stellt und für den Arztberuf typische
Tätigkeiten wie die körperliche Untersuchung des
Patienten oder die Prüfung seiner Krankheitsgeschichte
umfassen kann, nicht der Schutz einschließlich der
Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung der Gesundheit der Person,
über die das Gutachten erstellt wird. Das Gutachten soll
vielmehr einem Dritten den Erlass einer Entscheidung
ermöglichen, die gegenüber dem Betroffenen oder anderen
Personen Rechtswirkungen erzeugt. Ein mittelbarer Beitrag zum
Schutz der Gesundheit des Betroffenen, etwa indem ein neues
gesundheitliches Problem entdeckt oder eine frühere Diagnose
berichtigt wird, führt hierbei nicht zur Steuerbefreiung. Es
bleibt nämlich auch in diesem Fall der Hauptzweck der
Leistung, eine gesetzlich oder vertraglich vorgesehene Bedingung
für die Entscheidungsfindung eines anderen zu erfüllen.
Für eine solche Leistung gilt die Steuerbefreiung nicht.
Die Belastung mit Umsatzsteuer steht im
Hinblick auf das Ziel dieser Leistungen nicht in Widerspruch zu dem
Zweck, die Kosten ärztlicher Heilbehandlungen zu senken und
den Einzelnen den Zugang zu diesen Leistungen zu erleichtern
(EuGH-Urteile vom 20.11.2003 C-212/01 - Margarete Unterpertinger -,
Slg. 2003, I-13859, BFH/NV Beilage 2004, 111 = SIS 04 01 34 Rz 34
ff., und vom 20.11.2003 C-307/01 - Peter d’ Ambrumenil -,
Slg. 2003, I-13989, BFH/NV Beilage 2004, 115 = SIS 04 01 35 Rz 52
ff.).