BgA, erstmalige Anwendung der Ausschüttungsfiktion des § 20 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. b EStG i.d.F. des StSenkG: Gewinne eines Betriebes gewerblicher Art ohne eigene Rechtspersönlichkeit, die im ersten Wirtschaftsjahr der Anwendung des neuen Körperschaftsteuerrechts erzielt werden, führen nicht zu Einkünften aus Kapitalvermögen i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. b EStG 1997 i.d.F. des StSenkG vom 23.10.2000. - Urt.; BFH 11.7.2007, I R 105/05; SIS 07 29 00
A. Die Beteiligten streiten darüber,
ob § 20 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. b des Einkommensteuergesetzes
1997 i.d.F. des Gesetzes zur Senkung der Steuersätze und
Reform der Unternehmensbesteuerung (Steuersenkungsgesetz) vom
23.10.2000 (BGBl I 2000, 1433, BStBl I 2000, 1428) - EStG 1997 -
bereits für im Wirtschaftsjahr 2001 erzielte Gewinne eines
Betriebes gewerblicher Art (BgA) anzuwenden ist und ob die
Voraussetzungen dieser Vorschrift vorliegen.
Die Klägerin und
Revisionsklägerin (Klägerin), eine Stadt, führte in
2001 einen BgA „Bäder“ ohne eigene
Rechtspersönlichkeit i.S. des § 4 Abs. 4 des
Körperschaftsteuergesetzes (KStG). Die Bilanz des BgA wies zum
31.12.2001 einen Jahresüberschuss von 20.152.966,05 DM
(10.304.047 EUR) aus.
Die Klägerin reichte im Dezember 2002
zunächst eine Kapitalertragsteueranmeldung ausgehend von
Kapitalerträgen in Höhe von 10.304.047 EUR ein.
Dementsprechend meldete sie Kapitalertragsteuer von 1.030.404 EUR
und einen Solidaritätszuschlag von 56.672,24 EUR an. Im
November 2004 reichte sie eine geänderte
Kapitalertragsteueranmeldung über 927.389 EUR
Kapitalertragsteuer und Solidaritätszuschlag von 51.006,42 EUR
ein, welcher der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA
- ) zustimmte.
Die dagegen gerichtete Klage wies das
Finanzgericht (FG) Münster mit Urteil vom 19.10.2005 10 K
6838/03 Kap ab. Das Urteil ist mit seinem Leitsatz in EFG 2006, 192
= SIS 06 06 39 und mit seinen Gründen in Versorgungswirtschaft
2006, 256 veröffentlicht.
Mit ihrer Revision rügt die
Klägerin eine Verletzung materiellen Rechts. Sie beantragt,
das Urteil des FG und die durch die Anmeldung vom 4.11.2004
bewirkte Kapitalertragsteuerfestsetzung aufzuheben.
Das FA beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
Das Bundesministerium der Finanzen (BMF)
ist dem Revisionsverfahren beigetreten. Es hat keinen Antrag
gestellt.
B. Die Revision ist begründet. Sie
führt gemäß § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der
Finanzgerichtsordnung (FGO) zur Aufhebung des erstinstanzlichen
Urteils und zur Stattgabe der Klage.
I. Das FG hat die Klage zutreffend für
zulässig erachtet. Der Einspruch der Klägerin enthielt
zwar die Formulierung, dass er sich gegen die
Kapitalertragsteueranmeldung 2001 richtet. Da eine derartige
Kapitalertragsteueranmeldung aber nicht existiert und sich die
Begründung inhaltlich auf die Kapitalertragsteueranmeldung
Dezember 2002 bezog, kann der Einspruch nur so verstanden werden,
dass er auch die letztere betraf: Angefochten werden sollte die
Anmeldung Dezember 2002, diese allerdings bezogen auf den Gewinn
des BgA aus 2001. So wurde er von den Beteiligten auch aufgefasst,
unbeschadet dessen, dass sowohl die Einspruchsentscheidung als auch
das Urteil des FG im Rubrum ebenfalls die Kapitalertragsteuer 2001
ausweisen; materiell betreffen sie jedoch die Kapitalertragsteuer
für Dezember 2002. Es handelt sich insoweit lediglich um
offensichtlich falsche Bezeichnungen, die im Revisionsverfahren
durch den Senat richtiggestellt werden können.
II. Das FG hat aber zu Unrecht angenommen,
dass § 20 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. b EStG 1997 bereits auf den
Gewinn des BgA „Bäder“ des Jahres 2001
anzuwenden ist.
1. Nach § 20 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. b EStG
1997 gehört zu den Einkünften aus Kapitalvermögen
der durch Betriebsvermögensvergleich ermittelte Gewinn eines
nicht von der Körperschaftsteuer befreiten BgA i.S. des §
4 KStG ohne eigene Rechtspersönlichkeit, soweit er nicht den
Rücklagen zugeführt wird (Satz 1). Die Auflösung der
Rücklagen zu Zwecken außerhalb des BgA führt nach
§ 20 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. b Satz 2 EStG 1997 zu einem Gewinn
i.S. des Satzes 1. Die juristische Person des öffentlichen
Rechts unterliegt mit diesen Kapitaleinkünften einer
Kapitalertragsteuer in Höhe von 10 v.H. (§ 43 Abs. 1 Nr.
7c i.V.m. § 43a Abs. 1 Nr. 6 EStG 1997).
Nach dem Gesetzeswortlaut kommt es - anders
als nach § 20 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. a EStG 1997 - nicht auf
den tatsächlichen Zufluss oder die Verwendung des Gewinns an.
Vielmehr führt der Gewinn des Wirtschaftsjahres, sofern er
nicht den Rücklagen zugeführt wird, zu Einkünften
der Trägerkörperschaft aus Kapitalvermögen. Die
Vorschrift enthält eine Ausschüttungsfiktion
(Kessler/Fritz/Gastl, BB 2002, 1512; Reich/Helios, BB 2001, 1442;
Engelsing/Muth, DStR 2003, 917), da aufgrund der fehlenden
rechtlichen Selbständigkeit des BgA eine tatsächliche
Gewinnausschüttung an die Trägerkörperschaft nicht
erfolgen kann (BTDrucks 14/2683, S. 114, 115). Zweck der Vorschrift
ist es, u.a. juristische Personen des öffentlichen Rechts mit
ihren wirtschaftlichen Betätigungen aus rechtlich
unselbständigen BgA im Ergebnis derselben Steuerbelastung zu
unterziehen wie andere Steuersubjekte (BTDrucks 14/2683, S.
114).
2. Die Voraussetzungen des § 20 Abs. 1
Nr. 10 Buchst. b EStG 1997 sind danach zwar im Streitfall
erfüllt, denn die Klägerin hat den durch
Betriebsvermögensvergleich ermittelten Gewinn des BgA
„Bäder“ des Wirtschaftsjahres 2001 nicht
den Rücklagen zugeführt. Die Vorschrift ist jedoch im
Streitfall noch nicht anwendbar. Nach § 52 Abs. 37a Satz 2
EStG 1997 ist § 20 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. b EStG 1997
nämlich erstmals auf Gewinne anzuwenden, die nach Ablauf des
ersten Wirtschaftsjahres des BgA ohne eigene
Rechtspersönlichkeit erzielt werden, für das das
Körperschaftsteuergesetz i.d.F. des Art. 3 des
Steuersenkungsgesetzes erstmals anzuwenden ist. Hieraus folgt, dass
Gewinne eines BgA ohne eigene Rechtspersönlichkeit, die im
ersten Wirtschaftsjahr der Anwendung des neuen
Körperschaftsteuerrechts erzielt werden, nicht zu
Einkünften nach § 20 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. b EStG 1997
führen.
a) Das neue Körperschaftsteuerrecht gilt
in Fällen, in denen - wie hier - das Wirtschaftsjahr mit dem
Kalenderjahr übereinstimmt, erstmals für den
Veranlagungszeitraum 2001. § 20 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. b EStG
1997 ist demnach noch nicht auf Gewinne anzuwenden, die im Jahr
2001 erzielt wurden.
b) Der Gewinn der Trägerkörperschaft
i.S. des 20 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. b EStG 1997 und der Gewinn des
BgA werden, da BgA und Trägerkörperschaft rechtlich
identisch sind, zeitgleich bezogen (gl.A. Wassermeyer in
Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 20 Rz JB 5; a.A.
Bayerisches Landesamt für Steuern, Verfügung vom
8.9.2005, DB 2005, 2217 = SIS 05 39 75; Steffen, DStR 2000, 2025;
Schiffers, BB 2003, 398, 403 f.; Engelsing/Muth, DStR 2003, 917,
920 f.; Seemann in Frotscher, EStG, 6. Aufl., § 20 Rz 148c;
Bott in Ernst & Young, KStG, § 4 Rz 461; Krämer in
Dötsch/Jost/Pung/Witt, Die Körperschaftsteuer, § 4
KStG Rz 335; Feyerabend in Erle/Sauter, KStG, 2. Aufl., § 20
EStG Rz 117). Ob der Gesetzgeber den Begriff
„Gewinn“ in § 52 Abs. 37a Satz 2 EStG 1997
aus Sicht des BgA oder der Trägerkörperschaft definiert,
kann daher dahingestellt bleiben. Eine abweichende Beurteilung
wäre nur dann möglich, wenn entweder § 20 Abs. 1 Nr.
10 Buchst. b EStG 1997 oder eine andere Vorschrift eine hiervon
abweichende Zuflussfiktion enthielten. Dies ist jedoch nicht der
Fall.
aa) Nach § 20 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. b
EStG 1997 gehört zu den Einkünften aus
Kapitalvermögen der Gewinn des BgA, soweit er nicht den
Rücklagen zugeführt wird. Die Vorschrift enthält
eine Ausschüttungsfiktion, jedoch keine Aussage über den
Zeitpunkt, in dem die Einkünfte erzielt werden. Zwar steht die
Höhe des Gewinns des BgA erst mit Ablauf des Wirtschaftsjahres
fest und kann erst danach entschieden werden, in welcher Höhe
der Gewinn in eine Rücklage gestellt wird. Dies geschieht
regelmäßig zum Zeitpunkt der Bilanzerstellung
(Bilanzfeststellung). Daraus folgt jedoch nicht, dass die
Einkünfte aus Kapitalvermögen erst zu diesem Zeitpunkt
als bezogen gelten. Insofern besteht kein Unterschied zu
Bilanzwahlrechten, die erst mit Bilanzerstellung ausgeübt
werden. Auch diese verändern rückwirkend die Höhe
des Gewinns des abgelaufenen Wirtschaftsjahres, ändern an der
zeitlichen Zuordnung des Gewinns jedoch nichts.
Das BMF weist zutreffend darauf hin, dass nach
ständiger Senatsrechtsprechung die Vermögenssphären
der Trägerkörperschaft und ihrer BgA entsprechend den
Grundsätzen gegeneinander abzugrenzen sind, die im
Verhältnis einer Kapitalgesellschaft zu ihrem
Alleingesellschafter gelten (vgl. z.B. Senatsbeschluss vom
25.1.2005 I R 8/04, BFHE 209, 199, BStBl II 2006, 190 = SIS 05 21 64, m.w.N.), und dass der Anspruch des Mehrheitsgesellschafters
einer Kapitalgesellschaft auf den Gewinn der Gesellschaft nicht mit
Ablauf des Wirtschaftsjahres der Gesellschaft, sondern erst mit dem
Ausschüttungsbeschluss entsteht (BFH-Beschluss vom 7.8.2000
GrS 2/99, BFHE 192, 339, BStBl II 2000, 632 = SIS 00 12 43). Diese
parallele Betrachtung von Kapitalgesellschaften und ihren
Mehrheitsgesellschaftern einerseits und
Trägerkörperschaften und ihren BgA andererseits, die der
Abgrenzung der steuerfreien Vermögenssphäre der
Trägerkörperschaft von dem steuerlich relevanten Bereich
des BgA dient, gilt jedoch nicht ausnahmslos. Vielmehr können
aus dem Umstand, dass es sich in dem einen Fall um ein
Rechtssubjekt, im anderen Fall dagegen um mehrere Rechtssubjekte
handelt, abweichende Folgerungen hinsichtlich des Zeitpunkts der
Erzielung von Einkünften gezogen werden. So gesehen bedarf es
einer entsprechenden gesetzlichen Anordnung, an der es aber in
§ 20 EStG 1997 fehlt.
bb) Auch § 44 Abs. 6 Satz 2 EStG 1997
enthält keine solche Fiktion über den Zeitpunkt des
Zuflusses. Danach entsteht die Kapitalertragsteuer im Zeitpunkt der
Bilanzerstellung, spätestens jedoch acht Monate nach Ablauf
des Wirtschaftsjahres. Geregelt wird damit ausschließlich die
Entstehung der Steuer, nicht jedoch der Zeitpunkt des fiktiven
Zuflusses der Kapitaleinkünfte. Im Übrigen erfordert
§ 44 Abs. 6 EStG 1997 einen Fall des § 43 Abs. 1 Satz 1
Nr. 7c EStG 1997, was wiederum Kapitalerträge nach § 20
Abs. 1 Nr. 10 Buchst. b EStG 1997 voraussetzt, die es - wie
vorstehend dargelegt - aber erst für Leistungen aus dem Gewinn
eines BgA für 2002 gibt.
cc) Da weder § 20 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. b
EStG 1997 noch anderweitig der Zuflusszeitpunkt der Einkünfte
bestimmt wird und sich weder aus dem Gang des
Gesetzgebungsverfahrens zu § 20 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. b EStG
1997 noch zu dessen erstmaliger Anwendung ein hiervon abweichendes
Verständnis des Gesetzgebers ableiten lässt, bezieht die
Trägerkörperschaft die Einkünfte aus
Kapitalvermögen zeitgleich mit den Einkünften aus
Gewerbebetrieb ihres BgA.
c) Nach § 52 Abs. 37a Satz 2 EStG 1997
ist demnach bei kalenderjahrgleichem Wirtschaftsjahr erstmals der
vom BgA erzielte Gewinn des Jahres 2002 als Einkünfte aus
Kapitalvermögen zu versteuern. Dies führt zwar im
Ergebnis zu einer zeitlich unterschiedlichen Erfassung der Gewinne
eines BgA ohne eigene Rechtspersönlichkeit und derjenigen
eines BgA mit eigener Rechtspersönlichkeit. Denn nach §
52 Abs. 37a Satz 1 EStG 1997 ist § 20 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. a
EStG 1997 erstmals auf Leistungen anzuwenden, die nach Ablauf des
ersten Wirtschaftsjahres des BgA mit eigener
Rechtspersönlichkeit erzielt werden, für das das neue
Körperschaftsteuerrecht gilt. Dies bedeutet, dass die
Vorschrift bei kalenderjahrgleichem Wirtschaftsjahr erstmals
Leistungen erfasst, die der Trägerkörperschaft 2002
zufließen. Da - von Vorabausschüttungen abgesehen - der
Gewinn eines BgA mit eigener Rechtspersönlichkeit der
Trägerkörperschaft frühestens im Folgejahr
zufließt, ist demnach bereits der im Jahr 2001 erzielte
Gewinn eines BgA mit eigener Rechtspersönlichkeit, sobald er
der Trägerkörperschaft zufließt, von der
Trägerkörperschaft als Kapitaleinkünfte zu
versteuern. Diese unterschiedliche Behandlung gründet aber
darin, dass es sich in dem einen Fall um zwei Steuersubjekte und in
dem anderen um das nämliche Steuersubjekt handelt. Eine
völlige Gleichbehandlung der Gewinne von BgA mit und ohne
eigene Rechtspersönlichkeit ist schon deshalb nicht
möglich, weil das Ausschüttungsverhalten eines BgA mit
eigener Rechtspersönlichkeit und damit das Entstehen von
Einkünften aus Kapitalvermögen gesteuert werden kann, der
Gewinn eines BgA ohne eigene Rechtspersönlichkeit dagegen der
Trägerkörperschaft unmittelbar zufließt.
3. Das FG ist von anderen rechtlichen
Grundsätzen ausgegangen. Sein Urteil ist daher aufzuheben und
der Klage stattzugeben.