Freiberufler, außerordentliche Einkünfte, Zusammenballung: Die Annahme außerordentlicher Einkünfte i.S. des § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG setzt voraus, dass die Vergütung für mehrjährige Tätigkeiten eine Progressionswirkung typischerweise erwarten lässt. Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn eine Vergütung für eine mehrjährige Tätigkeit - hier eines Freiberuflers - aufgrund einer vorausgegangenen rechtlichen Auseinandersetzung zusammengeballt zufließt. - Urt.; BFH 14.12.2006, IV R 57/05; SIS 07 03 16
I. Die Kläger und Revisionsbeklagten
(Kläger) sind Eheleute, die im Streitjahr (2001) zusammen zur
Einkommensteuer veranlagt wurden.
Der Kläger ist Diplom-Psychologe. Im
Jahre 1993 sowie in den folgenden Jahren und auch im Streitjahr
erzielte er als Psychotherapeut Einkünfte aus
selbständiger Arbeit.
Durchschnittlich erzielte er 90 v.H. seiner
Einnahmen in den Jahren 1993 bis 2001 aus Kassenabrechnungen mit
der Kassenärztlichen Vereinigung.
Im Streitjahr ermittelte der Kläger in
seiner Einnahmenüberschussrechnung einen Gewinn von 350.344,05
DM. Dabei erfasste er u.a. aus den laufenden Abrechnungen mit der
Kassenärztlichen Vereinigung für 2001 Betriebseinnahmen
in Höhe von 149.278 DM sowie eine Nachzahlung der
Kassenärztlichen Vereinigung für die Jahre 1993 bis 1998
in Höhe von 228.258,70 DM.
Der Nachzahlung ging eine rechtliche
Auseinandersetzung mit der Kassenärztlichen Vereinigung
voraus. Aufgrund einer vom Landessozialgericht als zu niedrig
erkannten Punktbewertung der vom Kläger erbrachten Leistungen
in den Jahren 1993 bis 1998 durch die Kassenärztliche
Vereinigung kam es im Jahr 2001 zu der Nachzahlung.
Im Rahmen der Einkommensteuererklärung
begehrten die Kläger, die erhaltene Nachzahlung in Höhe
von 228.259 DM als Vergütung für mehrjährige
Tätigkeiten ermäßigt zu besteuern.
Dem folgte der Beklagte und
Revisionskläger (das Finanzamt - FA - ) nicht und behandelte
die Nachzahlung der Kassenärztlichen Vereinigung als laufenden
Gewinn.
Nach erfolglosem Einspruch gab das
Finanzgericht (FG) der Klage mit den in EFG 2005, 1871 = SIS 05 46 37 veröffentlichten Gründen statt.
Das FA rügt mit seiner Revision die
Verletzung materiellen Rechts.
Es beantragt, das Urteil des
Niedersächsischen FG vom 31.8.2005 2 K 306/03 aufzuheben und
die Klage abzuweisen.
Die Kläger beantragen, die Revision
zurückzuweisen.
II. Die Revision des FA ist unbegründet
und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der
Finanzgerichtsordnung - FGO - ).
Entgegen der vom FA vertretenen Rechtsansicht
handelt es sich bei der dem Kläger im Streitjahr zugeflossenen
Nachzahlung der Kassenärztlichen Vereinigung in Höhe von
228.258,70 DM um eine Vergütung für eine mehrjährige
Tätigkeit i.S. des § 34 Abs. 2 Nr. 4 des
Einkommensteuergesetzes (EStG) in der für das Streitjahr
gültigen Fassung.
1. Nach § 34 Abs. 1 EStG sind
außerordentliche Einkünfte ermäßigt zu
besteuern. Außerordentliche Einkünfte sind u.a. aufgrund
der Regelung des § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG Vergütungen
für mehrjährige Tätigkeiten.
a) Nach ständiger Rechtsprechung des
Reichsfinanzhofs - RFH - (vgl. RFH-Urteile vom 1.2.1940 IV 341/39,
RStBl 1940, 601, 602, und vom 19.11.1941 VI 264/41, RStBl 1942, 19,
20) und des Bundesfinanzhofs (BFH) sind Einkünfte aus
selbständiger Arbeit nur dann den außerordentlichen
Einkünften zuzuordnen, wenn der Steuerpflichtige sich
während mehrerer Jahre ausschließlich einer bestimmten
Sache gewidmet und die Vergütung dafür in einem einzigen
Veranlagungszeitraum erhalten hat oder wenn eine sich über
mehrere Jahre erstreckende Sondertätigkeit, die von der
übrigen Tätigkeit des Steuerpflichtigen ausreichend
abgrenzbar ist und nicht zum regelmäßigen Gewinnbetrieb
gehört, in einem einzigen Veranlagungszeitraum entlohnt wird
(ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Urteile vom 10.5.1961 IV
170/58 U, BFHE 73, 236, BStBl III 1961, 354 = SIS 61 02 39; vom
10.5.1961 IV 275/59 U, BFHE 73, 730, BStBl III 1961, 532 = SIS 61 03 50; vom 15.2.1990 IV R 13/89, BFHE 160, 229, BStBl II 1990, 621
= SIS 90 14 39, m.w.N.; vom 17.2.1993 I R 119/91, BFH/NV 1993, 593,
und vom 6.10.1993 I R 98/92, BFH/NV 1994, 775, sowie BFH-Beschluss
vom 28.5.2001 XI B 37/00, BFH/NV 2001, 1546 = SIS 01 81 21).
Außer in diesen Fällen liegen außerordentliche
Einkünfte aus Vergütungen für eine mehrjährige
Tätigkeit i.S. des § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG auch dann vor,
wenn eine einmalige Sonderzahlung für langjährige Dienste
aufgrund einer arbeitnehmerähnlichen Stellung geleistet wird
(BFH-Urteil vom 7.7.2004 XI R 44/03, BFHE 208, 110, BStBl II 2005,
276 = SIS 05 13 16; aus jüngerer Zeit Senatsbeschluss vom
27.5.2005 IV B 76/03, BFH/NV 2005, 1788 = SIS 05 40 43).
b) An dieser an Sinn und Zweck der Vorschrift
des § 34 EStG orientierten Auslegung hat sich insbesondere
durch die grundlegende Neufassung des § 34 EStG durch das
Steuerentlastungsgesetz (StEntlG) 1999/2000/2002 (BGBl I 1999, 402,
BStBl I 1999, 304) nichts geändert. An die Stelle der bis zum
Veranlagungszeitraum 1998 einschließlich gültigen
Regelung des § 34 Abs. 3 EStG a.F. für eine
„Vergütung für eine mehrjährige
Tätigkeit“ trat die Regelung des § 34 Abs. 2
Nr. 4 EStG n.F. Mit der Neuregelung des § 34 EStG verfolgte
der Gesetzgeber aus Gründen der Steuer- und
Verwaltungsvereinfachung das Ziel, die bis einschließlich
1998 geltenden Differenzierungen zwischen den einzelnen Arten der
außerordentlichen Einkünfte mit unterschiedlichen
Entlastungsregelungen zu beseitigen (BTDrucks 14/23, S. 183 zu
Nummer 33 - § 34 - ). Dabei wollte der Gesetzgeber aber nicht
von der bislang höchstrichterlichen Rechtsprechung zur
Auslegung der Tatbestandsmerkmale der außerordentlichen
Einkünfte und der Vergütung für eine
mehrjährige Tätigkeit abweichen. Dies zeigt die
Übernahme der Tatbestandsmerkmale „Vergütungen
für mehrjährige Tätigkeiten“ und die
ausdrückliche Zuordnung zu den außerordentlichen
Einkünften durch die Regelung des § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG
(Senatsbeschluss in BFH/NV 2005, 1788 = SIS 05 40 43; s. weiter
Horn in Herrmann/Heuer/Raupach, § 34 EStG Anm. 60 und 65;
Schmidt/Seeger, EStG, 25. Aufl., § 34 Rz. 38 und 47; Sieker in
Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 34 Rdnr. A 87 ff. und
B 129 ff.; Offerhaus in Festschrift für Kruse, S. 405, S. 409;
im Ergebnis auch Blümich/Lindberg, § 34 EStG Rz. 67 f.
und 59 f.).
2. a) Zutreffend führt das FG aus, dass
der Kläger die Nachzahlung weder dafür erhalten hat, dass
er sich während mehrerer Jahre ausschließlich einer
bestimmten Sache gewidmet hat, noch für eine sich über
mehrere Jahre erstreckende Sondertätigkeit, die von der
übrigen Tätigkeit des Klägers ausreichend abgrenzbar
wäre und nicht zum regelmäßigen Gewinnbetrieb
gehörte.
b) Bei der Zahlung der Kassenärztlichen
Vereinigung an den Kläger handelt es sich aber auch nicht um
eine einmalige Sonderzahlung für langjährige Dienste
aufgrund einer arbeitnehmerähnlichen Stellung (vgl. dazu
BFH-Urteil in BFHE 208, 110, BStBl II 2005, 276 = SIS 05 13 16, und
Senatsbeschluss in BFH/NV 2005, 1788 = SIS 05 40 43). Anders als in
dem vom XI. Senat des BFH im Urteil in BFHE 208, 110, BStBl II
2005, 276 = SIS 05 13 16 entschiedenen Ausnahmefall hatte der
Kläger keine arbeitnehmerähnliche Stellung inne. Er
erhielt auch keine Sonderzahlung für langjährige treue
Dienste, ähnlich einer Jubiläumszuwendung.
3. a) Gleichwohl ist im Streitfall die
Regelung des § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG einschlägig. Sie soll
bewirken, dass die steuerliche Belastung bei Einkünften, die
dem Steuerpflichtigen für eine mehrjährige Tätigkeit
zufließen, möglichst nicht höher ist, als wenn ihm
in jedem der mehreren Jahre ein Anteil zugeflossen wäre (vgl.
BFH-Urteil in BFH/NV 1993, 593, unter B. 3. der Gründe).
Gerade deshalb setzt die Annahme außerordentlicher
Einkünfte i.S. des § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG voraus, dass
die Vergütung für mehrjährige Tätigkeiten eine
entsprechende Progressionswirkung typischerweise erwarten
lässt. Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn - wie im
Streitfall - eine Vergütung für eine mehrjährige
Tätigkeit aufgrund einer vorausgegangenen rechtlichen
Auseinandersetzung zusammengeballt zufließt.
b) Eine Vergütung für eine
mehrjährige Tätigkeit i.S. des § 34 Abs. 2 Nr. 4
EStG liegt zwar nicht schon bei einer bloßen Nachzahlung von
im Vorjahr verdienten Vergütungen vor (vgl. BFH-Urteile vom
6.12.1991 VI R 135/88, BFH/NV 1992, 381, und aus jüngerer Zeit
vom 14.10.2004 VI R 46/99, BFHE 206, 573, BStBl II 2005, 289 = SIS 04 41 14, m.w.N.; ebenso Blümich/Lindberg, § 34 EStG Rz.
64). Die Nachzahlung der Kassenärztlichen Vereinigung aufgrund
der nicht ausreichenden Stützung der Punktwerte (dazu Urteil
des Bundessozialgerichts - BSG - vom 25.8.1999 B 6 KA 14/98 R, BSGE
84, 235) für die Jahre 1993 bis 1998 im Jahr 2001 ist jedoch
bereits deshalb „mehrjährig“, weil der
Zufluss im Jahr 2001 insgesamt mehrere Jahre betrifft. Der Umstand,
dass sich die zugeflossene Vergütung aus mehreren
Beträgen zusammensetzt, die jeweils einem bestimmten
Einzeljahr zugerechnet werden können, steht der Annahme einer
Vergütung für eine mehrjährige Tätigkeit nicht
entgegen (vgl. aus jüngerer Zeit BFH-Urteil in BFHE 206, 573,
BStBl II 2005, 289 = SIS 04 41 14, m.w.N.).