Arbeitslohn, Nachzahlung an Arbeitsverwaltung, Zufluss, Tarifermäßigung und negativer Progressionsvorbehalt: 1. Leistet der Arbeitgeber aufgrund des gesetzlichen Forderungsübergangs nach § 115 SGB X eine Lohnnachzahlung unmittelbar an die Arbeitsverwaltung, führt dies beim Arbeitnehmer zum Zufluss von Arbeitslohn. - 2. Unterliegt der Nachzahlungsbetrag sowohl der Tarifermäßigung des § 34 Abs. 1 EStG als auch dem negativen Progressionsvorbehalt des § 32 b EStG, so ist eine integrierte Steuerberechnung nach dem Günstigkeitsprinzip vorzunehmen. Danach sind die Ermäßigungsvorschriften in der Reihenfolge anzuwenden, die zu einer geringeren Steuerbelastung führt, als dies bei ausschließlicher Anwendung des negativen Progressionsvorbehalts der Fall wäre. - Urt.; BFH 15.11.2007, VI R 66/03; SIS 08 08 36
I. Der Kläger und Revisionsbeklagte
(Kläger) war seit 1996 als Wachmann bei der A-GmbH
beschäftigt. Zwischen dem Kläger und der A-GmbH kam es
nach einer im Jahre 1997 ausgesprochenen
Änderungskündigung der A-GmbH zu einem Rechtsstreit vor
dem Arbeitsgericht, in dessen Verlauf der Kläger in den Jahren
1997 und 1998 vom Arbeitsamt Arbeitslosengeld in Höhe von
21.149 DM erhielt. Nach ihrer Verurteilung zur Nachzahlung von Lohn
in Höhe von 56.061 DM für die Jahre 1997 und 1998
leistete die A-GmbH im Streitjahr (1999) die Lohnnachzahlung, wobei
sie einen Teilbetrag von 21.149 DM unmittelbar an das Arbeitsamt
zahlte (Rückzahlungsbetrag).
Im Anschluss an eine
Lohnsteuer-Außenprüfung bei der A-GmbH änderte der
Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA - ) den
Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr nach § 173
Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO) und erhöhte den
Bruttoarbeitslohn um die Lohnnachzahlung der A-GmbH. Der hiergegen
gerichtete Einspruch des Klägers hatte nur insoweit Erfolg,
als das FA in der Einspruchsentscheidung vom 29.10.2002 in
Höhe des Rückzahlungsbetrags einen negativen
Progressionsvorbehalt nach § 32b des Einkommensteuergesetzes
(EStG) berücksichtigte und die festgesetzte Einkommensteuer
auf 23.315 DM verminderte. Zu dem Hilfsantrag des Klägers,
eine Besteuerung der Lohnnachzahlung gemäß § 34
EStG in der im Streitjahr geltenden Fassung (a.F.) vorzunehmen,
führte das FA in der Begründung der
Einspruchsentscheidung aus, dass eine Anwendung dieser Vorschrift
unterblieben sei, da eine Prüfberechnung für diesen Fall
eine höhere Steuerfestsetzung ergeben habe.
Mit seiner Klage vor dem Finanzgericht (FG)
begehrte der Kläger die Minderung der steuerlichen
Bemessungsgrundlage um den Rückzahlungsbetrag unter Wegfall
des negativen Progressionsvorbehalts. Im Klageverfahren legte das
FA eine Steuerberechnung vor, aus der sich bei Anwendung des §
34 Abs. 1 EStG a.F. für das Streitjahr eine festzusetzende
Einkommensteuer von 27.724 DM ergab.
Das FG gab der Klage mit den in EFG 2004,
185 = SIS 04 06 32 veröffentlichten Gründen statt. Zur
Begründung führte das FG im Wesentlichen aus, dass der
Rückzahlungsbetrag dem Kläger im Streitjahr nicht
zugeflossen sei, da der Kläger auf diesen in keiner Weise
Zugriff erlangt habe. Der Kläger sei im Streitjahr weder
Inhaber der Lohnforderung gewesen noch durch die Zahlung an das
Arbeitsamt von einer Schuld befreit worden.
Mit der Revision rügt das FA die
Verletzung materiellen Rechts.
Das FA beantragt, das Urteil des FG
aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
II. Die Revision ist begründet. Sie
führt zur Aufhebung des vorinstanzlichen Urteils und zur
überwiegenden Abweisung der Klage. Der Senat kann in der Sache
selbst entscheiden (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der
Finanzgerichtsordnung - FGO - ). Entgegen der Ansicht der
Vorinstanz ist dem Kläger im Streitjahr Arbeitslohn auch in
Höhe des Rückzahlungsbetrags zugeflossen. Die
Einkommensteuer auf die Lohnnachzahlung der A-GmbH in Höhe von
56.061 DM ist nach § 34 Abs. 1 Satz 2 EStG zu berechnen.
1. Der unmittelbar an das Arbeitsamt gezahlte
Betrag ist dem Kläger als Arbeitslohn zuzurechnen. Zum
Arbeitslohn gehören nach § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG
Gehälter, Löhne, Gratifikationen, Tantiemen und andere
Bezüge und Vorteile, die für eine Beschäftigung im
öffentlichen oder privaten Dienst gewährt werden. Nach
den mit Revisionsrügen nicht angegriffenen und den Senat daher
gemäß § 118 Abs. 2 FGO bindenden Feststellungen des
FG erfolgte die Zahlung der A-GmbH an das Arbeitsamt aufgrund des
Urteils des Arbeitsgerichts, durch das die A-GmbH zugunsten des
Klägers zur Nachzahlung von Lohn für die Jahre 1997 und
1998 verurteilt wurde. Der infolge der Zahlung des
Arbeitslosengeldes nach § 115 Abs. 1 des Zehnten Buchs des
Sozialgesetzbuchs (SGB X) eingetretene gesetzliche Übergang
des Lohnanspruchs auf das Arbeitsamt hat die Rechtsnatur der an das
Arbeitsamt geleisteten Zahlung als Arbeitslohn nicht geändert
(vgl. Urteil des Bundesarbeitsgerichts - BAG - vom 12.7.1989 AZR
501/88, DB 1990, 278; Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom
16.3.1993 XI R 52/88, BFHE 171, 70, BStBl II 1993, 507 = SIS 93 12 33; vom 22.7.1993 VI R 116/90, BFHE 171, 547, BStBl II 1993, 775 =
SIS 93 19 46, unter 1. a).
2. Der Arbeitslohn ist dem Kläger auch im
Streitjahr zugeflossen. Arbeitslohn, der - wie im Streitfall -
nicht als laufender Arbeitslohn gezahlt wird, wird in dem
Kalenderjahr bezogen, in dem er dem Arbeitnehmer zufließt
(§ 11 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 38a Abs. 1 Satz 3 EStG).
a) Nach ständiger Rechtsprechung des BFH
sind Einnahmen dem Steuerpflichtigen zugeflossen, sobald er
über sie wirtschaftlich verfügen kann und infolgedessen
bei ihm eine Vermögensmehrung eingetreten ist (zuletzt Urteil
vom 12.4.2007 VI R 6/02, BStBl II 2007, 581 = SIS 07 16 58,
m.w.N.). Die Form des Übergangs der wirtschaftlichen
Verfügungsmacht ist unerheblich. Der Steuerpflichtige erlangt
diese auch dann, wenn der Geld- oder Sachwert im abgekürzten
Zahlungsweg an einen Dritten für Rechnung des
Steuerpflichtigen geleistet wird (vgl. BFH-Urteile vom 24.3.1992
VIII R 51/89, BFHE 168, 234, BStBl II 1992, 941 = SIS 92 20 53; vom
1.10.1993 III R 32/92, BFHE 172, 445, BStBl II 1994, 179 = SIS 94 07 18).
b) Nach diesen Grundsätzen hält die
Entscheidung des FG, dass der Kläger im Streitjahr keine
wirtschaftliche Verfügungsmacht an dem Rückzahlungsbetrag
erlangt habe, einer revisionsrechtlichen Überprüfung
nicht stand.
aa) Die Auszahlung des
Rückzahlungsbetrags an das Arbeitsamt wurde von der A-GmbH im
Hinblick auf den gesetzlichen Forderungsübergang nach §
115 Abs. 1 SGB X vorgenommen. Das FG ist zutreffend davon
ausgegangen, dass der gesetzliche Forderungsübergang nach
§ 115 Abs. 1 SGB X bereits im Zeitpunkt der Zahlung des
Arbeitslosengeldes durch das Arbeitsamt bewirkt worden ist. Bei
einem gesetzlichen Forderungsübergang fließt - ebenso
wie bei einer Abtretung oder Pfändung einer Forderung - der
Betrag der übergegangenen Forderung dem Steuerpflichtigen in
dem Zeitpunkt zu, in dem die Zahlung beim Zessionar eingeht
(BAG-Urteil in DB 1990, 278; BFH-Urteil in BFHE 171, 70, BStBl II
1993, 507 = SIS 93 12 33, m.w.N.; vgl. auch BFH-Beschluss vom
2.5.2007 VI B 139/06, BFH/NV 2007, 1315 = SIS 07 20 16).
bb) Dem Zufluss des Rückzahlungsbetrags
beim Kläger steht - im Gegensatz zur Auffassung des FG - nicht
entgegen, dass der Kläger im Streitjahr keinen
wirtschaftlichen Vorteil in Form einer Schuldbefreiung erlangt
hat.
(1) Bei Lohnansprüchen des Arbeitnehmers
gegen den Arbeitgeber wird der Zufluss des Arbeitslohns nicht
bereits mit der Einräumung der Ansprüche, sondern erst
mit deren Erfüllung gegenüber dem Arbeitnehmer bewirkt
(BFH-Urteil in BStBl II 2007, 581 = SIS 07 16 58, m.w.N.). Bei
einem gesetzlichen Forderungsübergang nach § 115 Abs. 1
SGB X fehlt es an einer Erfüllung des übergegangenen
Lohnanspruchs durch den Arbeitgeber. Sinn und Zweck der Vorschrift
ist die Verkürzung und Sicherung der Zahlungswege. Der
gesetzliche Forderungsübergang sichert durch die
Einräumung eines unmittelbaren Anspruchs gegen den Arbeitgeber
die - sozialrechtlichen - Interessen des Leistungsträgers. Er
löst jedoch nicht den Zusammenhang der vom Arbeitgeber im
Hinblick auf den Forderungsübergang geleisteten Zahlungen mit
dem Arbeitsverhältnis (BFH-Urteil in BFHE 171, 70, BStBl II
1993, 507 = SIS 93 12 33, m.w.N.; Niedersächsisches FG, Urteil
vom 13.9.1994 VIII 695/87). Die Zahlung der A-GmbH an das
Arbeitsamt erfolgte daher - steuerrechtlich - im abgekürzten
Zahlungsweg, da sie wirtschaftlich sowohl zu einem Zufluss von
Arbeitslohn beim Kläger als auch zu einer Rückzahlung des
in den Jahren 1997 und 1998 vom Arbeitsamt gezahlten
Arbeitslosengeldes führte (vgl. FG des Landes Brandenburg,
Urteil vom 23.2.2005 4 K 401/02, EFG 2005, 1056 = SIS 05 21 41).
Die Rückzahlung des Arbeitslosengeldes und die daraus folgende
geringere steuerliche Leistungsfähigkeit des Klägers
werden im Streitjahr - wie in der Einspruchsentscheidung des FA -
über den negativen Progressionsvorbehalt nach § 32b EStG
berücksichtigt (vgl. FG des Landes Brandenburg in EFG 2005,
1056 = SIS 05 21 41, m.w.N.).
(2) Das Vorliegen eines abgekürzten
Zahlungswegs beim gesetzlichen Forderungsübergang nach §
115 Abs. 1 SGB X ergibt sich auch daraus, dass eine Auszahlung des
dem Rechtsübergang unterliegenden Arbeitslohns an den
Arbeitnehmer, der nach §§ 407 Abs. 1, 412 des
Bürgerlichen Gesetzbuchs trotz des Rechtsübergangs
befreiende Wirkung zukommt, beim Arbeitnehmer gleichzeitig zum
Zufluss von Arbeitslohn sowie zu einer Erstattungspflicht nach
§ 143 Abs. 3 Satz 2 des Dritten Buchs des Sozialgesetzbuchs
gegenüber dem Arbeitsamt führt. Mit der Erstattung durch
den Arbeitnehmer wird wirtschaftlich das mit dem gesetzlichen
Forderungsübergang verbundene Ziel der Rückzahlung der
gewährten Sozialleistungen erreicht. Die steuerliche
Behandlung des gesetzlichen Forderungsübergangs kann daher
nicht davon abhängen, ob der dem Rechtsübergang
unterliegende Arbeitslohn über eine vorherige Auszahlung an
den Arbeitnehmer oder unmittelbar vom Arbeitgeber an das Arbeitsamt
gelangt (vgl. FG des Landes Brandenburg in EFG 2005, 1056 = SIS 05 21 41; Urban, DB 1989, 1438, 1440).
(3) Für den Zufluss des
Rückzahlungsbetrags im Streitjahr spricht schließlich
auch ein Vergleich mit der Entstehungsgeschichte des § 3 Nr. 2
EStG. Durch das Steueränderungsgesetz 1992 vom 25.2.1992 (BGBl
I 1992, 297, BStBl I 1992, 146) wurde in § 3 Nr. 2 EStG die
Steuerfreiheit für Leistungen aufgrund der in § 141m Abs.
1 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) genannten Ansprüche
eingefügt. Gemäß § 141m Abs. 1 AFG gingen
Lohnansprüche der Arbeitnehmer, die den Anspruch auf
Konkursausfallgeld begründeten, abweichend von § 115 Abs.
1 SGB X bereits mit der Stellung des Antrags auf Konkursausfallgeld
auf die Bundesanstalt über. Die Steuerfreiheit wurde durch das
Jahressteuergesetz 1996 vom 11.10.1995 (BGBl I 1995, 1250, BStBl I
1995, 438) auf Leistungen erweitert, die nach Eröffnung des
Konkurs- oder Gesamtvollstreckungsverfahrens über das
Vermögen des ehemaligen Arbeitgebers aufgrund des durch die
Zahlung von Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe ausgelösten
gesetzlichen Forderungsübergangs nach § 115 Abs. 1 SGB X
vom ehemaligen Arbeitgeber an die Arbeitsverwaltung erbracht
wurden. Die Ausdehnung der Steuerfreiheit auf die genannten
Leistungen wurde damit begründet, dass aufgrund der
regelmäßig geringen Höhe der Tilgungsbeträge
eine Zuordnung der Zahlungen des ehemaligen Arbeitgebers zum
Lohnanspruch bestimmter Arbeitnehmer entweder nicht oder nur mit
unverhältnismäßig großem Aufwand möglich
sei (BTDrucks 12/1108, S. 51; BTDrucks 13/901, S. 127). Die
Neuregelungen gingen hierbei davon aus, dass die genannten
Leistungen bei den Arbeitnehmern zu steuerbarem Arbeitslohn
führten (vgl. BTDrucks 12/1108, a.a.O.). Für die
Steuerbarkeit des Arbeitslohns bei Leistungen des Arbeitgebers
aufgrund eines gesetzlichen Forderungsübergangs der
Lohnansprüche ist es unerheblich, ob ein Insolvenz-, Konkurs-
oder Gesamtvollstreckungsverfahren über das Vermögen des
Arbeitgebers eröffnet worden ist. Aus § 3 Nr. 2 EStG
lässt sich daher ableiten, dass auch diejenigen Zahlungen des
Arbeitgebers an das Arbeitsamt, die - wie im Streitfall - aufgrund
des gesetzlichen Forderungsübergangs außerhalb der in
§ 3 Nr. 2 EStG geregelten Fälle erbracht werden, beim
Arbeitnehmer als steuerbarer Arbeitslohn anzusehen sind.
3. Der dem Kläger zugeflossene
Rückzahlungsbetrag ist nicht gemäß § 3 Nr. 2
EStG steuerfrei. Die Steuerfreiheit nach § 3 Nr. 2 EStG
erstreckt sich - wie ausgeführt - nur auf Zahlungen, die im
Konkurs-, Gesamtvollstreckungs- oder Insolvenzverfahren vom
ehemaligen Arbeitgeber aufgrund des gesetzlichen
Forderungsübergangs gemäß § 115 Abs. 1 SGB X
an das Arbeitsamt geleistet werden. Im Streitfall erfolgte die
Zahlung der A-GmbH an das Arbeitsamt außerhalb eines der in
§ 3 Nr. 2 EStG genannten Verfahren, so dass der nachgezahlte
Arbeitslohn beim Kläger steuerpflichtig ist (vgl. R 4 Abs. 1
Satz 3 der Lohnsteuer-Richtlinien 1999).
4. Die Lohnnachzahlung der A-GmbH unterliegt
aber der Tarifermäßigung nach § 34 Abs. 1 EStG a.F.
(Fünftelregelung).
a) Die Fünftelregelung ist
gemäß § 34 Abs. 1 Satz 1 EStG a.F. für die
Berechnung der Einkommensteuer heranzuziehen, die auf die im zu
versteuernden Einkommen enthaltenen außerordentlichen
Einkünfte entfällt. Sie ist neben dem negativen
Progressionsvorbehalt nach § 32b EStG anwendbar (vgl. FG des
Landes Brandenburg, Urteil vom 11.12.2002 2 K 3118/00, EFG 2003,
395 = SIS 03 16 14).
Nach den tatsächlichen Feststellungen des
FG hat der Kläger im Einspruchsverfahren - hilfsweise - den
für die Anwendung des § 34 Abs. 1 EStG a.F.
erforderlichen Antrag gestellt, ihm für die Lohnnachzahlung
die Tarifermäßigung nach dieser Vorschrift zu
gewähren.
Die Lohnnachzahlung gehört als
Vergütung für mehrjährige Tätigkeiten zu den
außerordentlichen Einkünften i.S. des § 34 Abs. 2
Nr. 4 EStG a.F., da sie für die Jahre 1997 und 1998 erfolgte
(vgl. BFH-Urteile vom 14.12.2006 IV R 57/05, BFHE 216, 247, BStBl
II 2007, 180 = SIS 07 03 16, unter II. 3. b; vom 14.10.2004 VI R
46/99, BFHE 206, 573, BStBl II 2005, 289 = SIS 04 41 14, m.w.N.;
Schmidt/Seeger, EStG, 26. Aufl., § 34 Rz 40).
b) Entgegen der vom FA vorgenommenen
Steuerberechnung führt die Anwendung des § 34 Abs. 1 EStG
a.F. im Streitfall nicht dazu, dass die festzusetzende
Einkommensteuer höher ist als die im angefochtenen
Steuerbescheid - unter Anwendung des negativen
Progressionsvorbehalts nach § 32b EStG - festgesetzte
Einkommensteuer.
aa) Für die Fälle, in denen die
Tarifermäßigung des § 34 Abs. 1 EStG a.F. mit dem
negativen Progressionsvorbehalt nach § 32b EStG
zusammentrifft, ergibt sich aus dem Gesetz keine eindeutige Methode
zur Berechung der Einkommensteuer (Siegel/ Korezkij, DStR 2005,
577; Graf in Littmann/Bitz/Pust, Das Einkommensteuerrecht,
Kommentar, § 34 Rz 134). Dies gilt insbesondere für die
Reihenfolge, in der beide Vorschriften anzuwenden sind
(Eggesiecker/Ellerbeck, DStR 2007, 1281, 1285). Ausgehend von der
jeweiligen Vorschrift ergeben sich unterschiedliche Methoden zur
Steuerberechnung:
(1) Nach § 34 Abs. 1 Satz 2 EStG
beträgt die für die außerordentlichen
Einkünfte anzusetzende Einkommensteuer das Fünffache des
Unterschiedsbetrags zwischen der Einkommensteuer für das um
diese Einkünfte verminderte zu versteuernde Einkommen
(verbleibendes zu versteuerndes Einkommen) und der Einkommensteuer
für das verbleibende zu versteuernde Einkommen zuzüglich
eines Fünftels dieser Einkünfte. Aus dem Wortlaut der
Vorschrift ergibt sich, dass die für die Ermittlung des
Unterschiedsbetrags maßgeblichen Einkommensteuerbeträge
nach den Tarifvorschriften des EStG zu berechnen sind, zu denen
auch § 32b EStG gehört (Naujok in Lademann, EStG, §
32b EStG Rz 18; vgl. zur Drittelregelung des § 34 Abs. 3 EStG
i.d.F. des Steuerreformgesetzes 1990 vom 25.7.1988 - BGBl I 1988,
1093, BStBl I 1988, 224 - BFH-Urteil vom 18.5.1994 I R 99/93, BFHE
174, 433, BStBl II 1994, 845 = SIS 94 21 05, unter II. 1.). Der
negative Progressionsvorbehalt nach § 32b EStG ist danach -
wie in der vom FA vorgenommenen Steuerberechnung - im Rahmen der
Ermittlung des Steuerbetrags für die außerordentlichen
Einkünfte nach § 34 Abs. 1 Satz 2 EStG steuersatzmindernd
zu berücksichtigen (vgl. Berechnungsbeispiel von Horn in
Herrmann/Heuer/ Raupach, § 34 EStG Rz 28; H 198 Beispiel 3 des
Amtlichen Einkommensteuer-Handbuchs 1999).
(2) § 32b Abs. 1 EStG sieht für den
negativen Progressionsvorbehalt die Anwendung eines besonderen
Steuersatzes auf das nach § 32a Abs. 1 EStG zu versteuernde
Einkommen vor. Als besonderer Steuersatz ist gemäß
§ 32b Abs. 2 EStG der Steuersatz anzusetzen, der sich ergibt,
wenn bei der Berechnung der Einkommensteuer das nach § 32a
Abs. 1 EStG zu versteuernde Einkommen um die
Progressionseinkünfte - im Streitfall das an das Arbeitsamt
zurückgezahlte Arbeitslosengeld - vermindert wird. Die
Bezugnahme auf die Berechnung der Einkommensteuer führt dazu,
dass bei der Ermittlung des besonderen Steuersatzes auch die in
§ 32a Abs. 1 EStG ausdrücklich genannte
Tarifermäßigung des § 34 Abs. 1 EStG a.F. zu
berücksichtigen ist. Die Fünftelregelung ist danach im
Rahmen des negativen Progressionsvorbehalts anzuwenden (vgl.
Berechnungsbeispiel von Eggesiecker/ Ellerbeck, DStR 2007, 1281,
1286, Tz. 4.2).
(3) Die für das Zusammentreffen von
Fünftelregelung und negativem Progressionsvorbehalt im
Schrifttum vertretene sog. additive Lösung (Siegel,
Betriebsberater - BB - 2004, 914, 916; Siegel/Korezkij, DStR 2005,
577, 580; Schmidt/Seeger, a.a.O., § 34 Rz 57; Sieker, in:
Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 34 Rz D 37), bei der
die steuerlichen Auswirkungen des § 34 Abs. 1 EStG a.F. und
des § 32b EStG zunächst gesondert berechnet und
anschließend kombiniert werden, findet demgegenüber im
Gesetz keine Grundlage (FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 6.3.2007
6 K 1128/01, EFG 2007, 1083 = SIS 07 17 80; Eggesiecker/ Ellerbeck,
DStR 2007, 1281, 1285). Denn beide Vorschriften sehen nach ihrem
eindeutigen Wortlaut - wie dargestellt - eine integrierte
Steuerberechnung vor (vgl. BFH-Urteil in BFHE 174, 433, BStBl II
1994, 845 = SIS 94 21 05; anderer Ansicht FG
Baden-Württemberg, Urteil vom 29.3.2007 8 K 172/03, EFG 2007,
1947 = SIS 07 37 51, unter 2. c dd der Gründe; Siegel, BB
2004, 914, 918).
bb) Zweck der Fünftelregelung ist es, die
Progressionswirkung durch Besteuerung der außerordentlichen
Einkünfte mit einem ermäßigten Steuersatz
abzumildern (Schmidt/Seeger, a.a.O., § 34 Rz 2;
Blümich/Lindberg, § 34 EStG Rz 21, jeweils m.w.N.). Bei
Anwendung des § 34 Abs. 1 EStG a.F. muss sich daher nach dem
Zweck der Vorschrift eine geringere Einkommensteuer ergeben als bei
einer Besteuerung der außerordentlichen Einkünfte nach
§ 32a Abs. 1 EStG. Dies gilt in gleicher Weise, wenn die
Tarifermäßigung des § 34 Abs. 1 EStG a.F. mit dem
negativen Progressionsvorbehalt nach § 32b EStG
zusammentrifft. Die Berechnung der Einkommensteuer darf daher bei
Anwendung beider Vorschriften nicht zu einer höheren
Steuerbelastung führen als bei ausschließlicher
Anwendung des negativen Progressionsvorbehalts (vgl. Siegel, BB
2004, 914, 915).
Die - im Streitfall vom FA vorgenommene -
Steuerberechnung durch Anwendung des negativen
Progressionsvorbehalts im Rahmen der Tarifermäßigung des
§ 34 Abs. 1 EStG a.F. ist mit diesen Grundsätzen nicht
vereinbar, da sich nach dieser Methode eine höhere
Steuerbelastung ergibt als im angefochtenen Steuerbescheid, in dem
die Einkommensteuer nur unter Anwendung des negativen
Progressionsvorbehalts berechnet worden ist. Die umgekehrte
Reihenfolge der Anwendung der Tarifermäßigung des §
34 Abs. 1 EStG a.F. im Rahmen des negativen Progressionsvorbehalts
führt im Streitfall dagegen zu einer geringeren
Steuerbelastung als im angefochtenen Steuerbescheid. Dies folgt
daraus, dass die Ermittlung des besonderen Steuersatzes i.S. des
§ 32b Abs. 2 EStG infolge der Einbeziehung der
Tarifermäßigung für Teile des zu versteuernden
Einkommens auf der Grundlage einer geringeren Einkommensteuer
erfolgt als bei Ansatz des zu versteuernden Einkommens ohne
Berücksichtigung der Tarifermäßigung. Die Anwendung
der Tarifermäßigung des § 34 Abs. 1 EStG a.F. hat
daher im Streitfall dergestalt zu erfolgen, dass die
ermäßigt besteuerten außerordentlichen
Einkünfte - entsprechend der unter II. 4. b aa (2)
dargestellten Methode - bei der Ermittlung des besonderen
Steuersatzes i.S. des § 32b Abs. 2 EStG einbezogen werden.
cc) Der Senat kann offenlassen, ob der
negative Progressionsvorbehalt und die Fünftelregelung in
gleicher Weise anzuwenden sind, wenn sich die Steuerberechnung
für die außerordentlichen Einkünfte - anders als im
Streitfall - aufgrund eines negativen verbleibenden zu
versteuernden Einkommens nach § 34 Abs. 1 Satz 3 EStG richtet
(vgl. hierzu FG des Landes Brandenburg in EFG 2003, 395 = SIS 03 16 14). Er braucht auch nicht zu entscheiden, in welcher Weise die
Einkommensteuer bei einem Zusammentreffen von positivem
Progressionsvorbehalt und Fünftelregelung zu berechnen ist.
Dies gilt unabhängig davon, ob das verbleibende zu
versteuernde Einkommen positiv (vgl. hierzu BFH-Urteil in BFHE 174,
433, BStBl II 1994, 845 = SIS 94 21 05) oder negativ ist (vgl.
hierzu zuletzt FG Baden-Württemberg in EFG 2007, 1947 = SIS 07 37 51; von Eichborn, Anm. in HFR 2007, 28, jeweils m.w.N. zur -
bislang nicht höchstrichterlich entschiedenen - Divergenz der
FG bei der Steuerberechnung). Denn die genannten Fälle
unterscheiden sich jedenfalls dadurch vom Streitfall, dass der -
steuererhöhende - Progressionsvorbehalt und die -
steuermindernde - Fünftelregelung bei der Berechnung der
Einkommensteuer gegenläufige Wirkung entfalten.
5. Das FA hat die Änderung des
Einkommensteuerbescheids des Klägers für das Streitjahr
zu Recht auf § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO gestützt, da die
Lohnnachzahlung der A-GmbH dem FA nachträglich bekannt
geworden ist.
6. Da das FG von anderen
Rechtsgrundsätzen ausgegangen ist, ist das vorinstanzliche
Urteil aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. Der
Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr in Gestalt der
Einspruchsentscheidung des FA ist dahingehend abzuändern, dass
die Einkommensteuer auf die Lohnnachzahlung nach der
Fünftelregelung des § 34 Abs. 1 EStG a.F. berechnet wird.
Die Neuberechnung der Einkommensteuer nach Maßgabe der
für die Anwendung der Fünftelregelung vorgegebenen
Berechnungsmethode wird dem FA übertragen (§ 100 Abs. 2
Satz 2, § 121 FGO).