Erstattung bei USt- und Vorsteuerberichtigung: Es ist ernstlich zweifelhaft, ob die auf der Änderung der Bemessungsgrundlage beruhende Berichtigung des Umsatzsteuerbetrages und korrespondierend des Vorsteuerabzugs nach § 17 Abs. 1 UStG 1999 zu einer Änderung der ursprünglichen Steuerfestsetzung in dem Sinne führt, dass ein abgetretener Erstattungsanspruch nach § 37 Abs. 2 AO 1977 zurückgefordert werden kann (vgl. BFH-Urteil vom 9.4.2002 VII R 108/00, BFHE 198 S. 294, BStBl 2002 II S. 562 = SIS 02 84 95). - Urt.; BFH 13.7.2006, V B 70/06; SIS 06 37 85
I. Die Beteiligten streiten über die
Rechtmäßigkeit eines Rückforderungsbescheides, mit
dem die Antragstellerin und Beschwerdeführerin
(Antragstellerin) vom Antragsgegner und Beschwerdegegner (Finanzamt
- FA - ) nach § 218 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) i.V.m.
§ 37 Abs. 2 Satz 2 AO 1977 auf Rückzahlung der von der T
GmbH & Co. KG (T) an sie abgetretenen
Vorsteuerüberschüsse in Höhe von 983.899,21 DM in
Anspruch genommen wird. Die Antragstellerin hat wegen ernstlicher
Zweifel an der Rechtmäßigkeit die Aussetzung der
Vollziehung (AdV) des Rückforderungsbescheides beantragt. Das
Hauptsacheverfahren ist unter dem Az. 2 K 5154/04 beim
Finanzgericht (FG) Berlin anhängig.
Die Antragstellerin schloss mit der T am
30.9.1998 einen Mietkaufvertrag über Baukräne. Sie machte
die Vorsteuerbeträge in Höhe von 1.891.297,56 DM aus den
Anschaffungskosten in der Umsatzsteuervoranmeldung für
September 1998 geltend; der Vorsteuerüberschuss wurde an die
Antragstellerin abgetreten und - dazu fehlen Feststellungen des FG
- wohl auch an sie ausgezahlt oder verrechnet. Am 21.5.1999
kündigte die Antragstellerin den Mietkaufvertrag vom
30.9.1998; die Abrechnung der Antragstellerin vom 31.7.1999 weist
„rückgängig zu machende
Vorsteuerbeträge“ von 983.899,21 DM aus. Am 13.9.1999
wurde über das Vermögen der T das Insolvenzverfahren
eröffnet, ohne dass das FA bis dahin die Vorsteuerberichtigung
gegenüber der T festgesetzt hatte. Das FA meldete im Juli 2000
u.a. eine Umsatzsteuerforderung für September 1999 in
Höhe von 1.171.297 DM nach § 174 Abs. 1 der
Insolvenzordnung (InsO) beim Insolvenzverwalter an. Diese Forderung
wurde im Prüfungstermin vom 30.7.2003 zur Tabelle
festgestellt. Mit Bescheid vom 14.10.2003 forderte das FA
Umsatzsteuer für September 1998 in Höhe von 503.058,68
EUR (983.899,21 DM) zurück; Rechtsgrundlage sei § 218
Abs. 2 AO 1977 i.V.m. § 37 Abs. 2 Satz 2 AO 1977. Der
Rechtsgrund für die Auszahlung des abgetretenen
Vorsteuerüberschusses September 1998 an die Antragstellerin
sei durch die Berichtigung nach § 17 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 3 des
Umsatzsteuergesetzes (UStG) 1999 entfallen. Der Einspruch der
Antragstellerin blieb erfolglos.
Hiergegen erhob die Antragstellerin Klage
(über die noch nicht entschieden ist) und stellte beim FG
Antrag auf AdV nach § 69 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung
(FGO). Zur Begründung führte sie aus: Zunächst sei
durch die Berichtigung des Vorsteuerabzugs, die nach § 17 Abs.
1 Satz 3 UStG 1999 den Besteuerungszeitraum 1999 betreffe, nicht
die Rechtsgrundlage für die Auszahlung des abgetretenen
Vorsteuerüberschusses September 1998 entfallen; dies verkenne
der BFH in seinem Urteil vom 9.4.2002 VII R 108/00 (BFHE 198, 294,
BStBl II 2002, 562 = SIS 02 84 95). Abgesehen davon habe das FA
über die zu berichtigende Umsatzsteuer für 1999 zu keiner
Zeit eine wirksame Festsetzung vorgenommen - die dann auf der
Grundlage des o.g. Urteils des Bundesfinanzhofs (BFH) allein den
Wegfall des Rechtsgrundes für die Auszahlung des
Vorsteuerüberschusses September 1998 begründen
könnte -, weil vor Insolvenzeröffnung kein entsprechender
Steuerbescheid ergangen sei und nach Insolvenzeröffnung auch
nicht mehr habe ergehen dürfen; die Feststellung der im
Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens, September
1999, offenen Umsatzsteuer für September 1999 zur Tabelle und
ihre Eintragung in diese nach § 178 Abs. 2 InsO entfalte nur
Wirkung gegenüber dem Insolvenzverwalter und den
Insolvenzgläubigern, nicht aber ihr gegenüber als
Zessionarin und könne nicht die Wirkung einer
Steuerfestsetzung erlangen. Die Eintragung der
Umsatzsteuerforderung September 1999 - in der die berichtigte
Vorsteuer enthalten sei - in die Tabelle führe nicht insoweit
zu einer „Erledigung“ der Umsatzsteuerfestsetzung
für September 1998.
Das FG wies den Antrag auf AdV zurück
und verneinte ernstliche Zweifel i.S. des § 69 Abs. 3, Abs. 2
Satz 2 FGO an der Rechtmäßigkeit des
Rückforderungsbescheides vom 14.10.2003. Rechtsgrundlage
für die Rückforderung sei § 37 Abs. 2 Satz 2 AO
1977: Nach der Rechtsprechung des BFH in BFHE 198, 294, BStBl II
2002, 562 = SIS 02 84 95 wirke die Vorsteuerberichtigung nach
§ 17 UStG 1999 materiell-rechtlich auf den ursprünglichen
Vorsteuerabzug zurück und nehme - ähnlich wie der
Jahressteuerbescheid den Umsatzsteuervorauszahlungsbescheid - die
ursprüngliche Steuerfestsetzung in ihren Regelungsgehalt auf;
damit entfalle der Rechtsgrund für die Auszahlung des
Vorsteuerüberschusses und es entstehe der Anspruch des FA auf
Rückzahlung gegenüber dem Zahlungsempfänger - also
dem Zessionar -, unbeschadet der Möglichkeit, nach § 37
Abs. 2 Satz 3 AO 1977 auch den Zedenten in Anspruch nehmen zu
können. Das FA habe die berichtigte Umsatzsteuer auch wirksam
gegenüber der Antragstellerin festgesetzt, indem dieser
Anspruch in der Tabelle eingetragen worden sei und diese Eintragung
damit nach § 178 Abs. 3 InsO die Wirkung eines
rechtskräftigen Urteils erlange, das auch gegenüber dem
FA als Insolvenzgläubiger wirke (BFH-Beschluss vom 30.6.1997 V
R 59/95, BFH/NV 1998, 42); die Eintragung ersetze damit die
Steuerfestsetzung. Damit habe sich die Umsatzsteuerfestsetzung
September 1998 „auf andere Weise“ i.S. des § 124
Abs. 2 AO 1977 erledigt, weshalb sich die Antragstellerin auf diese
nicht mehr berufen könne. Da die Eintragung in die Tabelle die
Steuerfestsetzung ersetze, nehme sie wie diese im Sinne der
Rechtsprechung des BFH in BFHE 198, 294, BStBl II 2002, 562 = SIS 02 84 95 den Regelungsgehalt der Umsatzsteuerfestsetzung September
1998 in sich auf. Letztlich trete die Antragstellerin in die
Rechtsstellung ein, wie sie die Steuerpflichtige innehabe und
könne nicht besser gestellt werden als der Steuerpflichtige
selbst.
Das FG hat die Beschwerde nach § 128
Abs. 3 FGO wegen grundsätzlicher Bedeutung nach § 115
Abs. 2 Nr. 1 FGO zugelassen.
Die Antragstellerin beantragt, den
Beschluss des FG vom 17.3.2006 aufzuheben und die Vollziehung des
angefochtenen Rückforderungsbescheides vom 14.10.2003 ab
Fälligkeit bis zum Ablauf eines Monats nach Bekanntgabe einer
Entscheidung im ebenfalls beim FG Berlin anhängigen Verfahren
2 K 5154/04 auszusetzen.
Das FA hält die Beschwerde für
unzulässig und beantragt, diese zu verwerfen, hilfsweise, sie
als unbegründet zurückzuweisen.
Das FG habe die Beschwerde nur
beschränkt auf die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 Nr. 1
FGO zugelassen; dessen Voraussetzungen habe die Antragstellerin
aber nicht dargelegt. Im Übrigen teilt das FA die
Rechtsauffassung des FG.
II. Die Beschwerde ist zulässig und
begründet. Es bestehen ernstliche Zweifel an der
Rechtmäßigkeit des Rückzahlungsbescheides vom
14.10.2003 (§ 69 Abs. 3 Satz 1, Abs. 2 Satz 2 FGO).
1. Entgegen der Auffassung des FA ist die
Beschwerde zulässig, weil sie das FG nach § 128 Abs. 3
FGO zugelassen hat; die Bezugnahme auf § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO
stellt keine Einschränkung der Zulassung dar, sondern den vom
FG angenommenen Rechtsgrund der Zulassung.
2. Die Beschwerde ist auch begründet. Es
bestehen ernstliche Zweifel i.S. des § 69 Abs. 3 Satz 1, Abs.
2 Satz 2 FGO an der Rechtmäßigkeit des
Rückzahlungsbescheides vom 14.10.2003, weil bei der gebotenen
summarischen Prüfung neben den für die
Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige
gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Gründe zutage
treten, die Unsicherheit oder Unentschiedenheit in der Beurteilung
der zugrunde liegenden Rechtsfragen bewirken (vgl. die
ständige Rechtsprechung des BFH seit dem Beschluss vom
10.2.1967 III B 9/66, BFHE 87, 447, BStBl III 1967, 182 = SIS 67 01 06) und deshalb die beim FG anhängige Klage Aussicht auf
Erfolg hat. Entgegen der Auffassung des FG bestehen ernstliche
Zweifel daran, ob der Rechtsgrund für die Auszahlung des
Vorsteuerüberschusses für September 1998 an die
Antragstellerin als Zessionarin i.S. des § 37 Abs. 2 Satz 2 AO
1977 weggefallen ist.
a) Die Zweifel gründen sich zunächst
darauf, ob das FA die Voraussetzungen und Wirkungen des § 17
UStG 1999 zutreffend beurteilt hat. Wird eine Lieferung
rückgängig gemacht, haben der Unternehmer, der diesen
Umsatz ausgeführt hat, den dafür geschuldeten
Steuerbetrag und der Unternehmer, an den dieser Umsatz
ausgeführt worden ist, den dafür in Anspruch genommenen
Vorsteuerabzug zu berichtigen; die Berichtigungen sind für den
Besteuerungszeitraum vorzunehmen, in dem die Änderung der
Bemessungsgrundlage eingetreten ist (§ 17 Abs. 2 Nr. 3, Abs. 1
Sätze 1 und 3 UStG 1999). § 17 UStG 1999 regelt einen
eigenständigen materiell-rechtlichen Berichtigungstatbestand
gegenüber den Änderungsvorschriften der AO 1977. Liegen
die Voraussetzungen für eine Berichtigung i.S. von § 17
UStG 1999 vor (z.B. durch Uneinbringlichkeit des Entgeltes), so
führt dies nicht zu einer rückwirkenden Änderung der
ursprünglichen Steuerfestsetzung für den entsprechenden
Umsatz. dieser Sachverhalt ist vielmehr (als unselbständige
Besteuerungsgrundlage nach § 157 Abs. 2 AO 1977) in der
Umsatzsteuerfestsetzung für den maßgeblichen
Besteuerungszeitraum (§ 17 Abs. 1 UStG 1999) zu
berücksichtigen. Der erkennende Senat hat deshalb Zweifel, ob
er sich der Auffassung des VII. Senats in BFHE 198, 294, BStBl II
2002, 562 = SIS 02 84 95 anschließen könnte, nach der
mit der Berichtigung der Bemessungsgrundlage zugleich der
Rechtsgrund für die Erstattung der entsprechenden Vorsteuer im
Zeitpunkt der „ursprünglichen“
Umsatzsteuerfestsetzung entfalle. Aus demselben Grund ist auch die
im vorgenannten Urteil vertretene Auffassung zweifelhaft, dass bei
einer Berichtigung nach § 17 UStG 1999 der
„ursprüngliche“ Bescheid und der
Umsatzsteuerbescheid, in dem die Berichtigung erfolgt, in einem
vergleichbaren Zusammenhang stünden wie das Verhältnis
von Vorauszahlungsbescheid und Jahressteuerbescheid (vgl. bereits
Klenk in Sölch/Ringleb, Kommentar zum Umsatzsteuergesetz,
§ 17 Rz. 165). Diese Überlegungen sind auf das
Verhältnis des „ursprünglichen“
Umsatzsteuerbescheides zum Umsatzsteuerbescheid, in dem die
Berichtigung nach § 17 UStG erfolgt, nicht ohne weiteres
übertragbar.
b) Soweit entscheidungserheblich, bestehen
ernstliche Zweifel auch darüber, ob die Eintragung in die
Tabelle nach § 178 Abs. 3 InsO eine (rückwirkende)
Änderung einer Steuerfestsetzung bewirken könnte und
gegenüber Dritten - wie hier der Antragstellerin als
Zessionarin - Wirkung erlangt; dazu hat der BFH bislang keine
Entscheidung getroffen, der vom FG zitierte BFH-Beschluss in BFH/NV
1998, 42 trifft dazu keine Aussage. Nach § 178 Abs. 3 InsO
wirkt die festgestellte Forderung „ihrem Betrag und ihrem
Rang nach wie ein rechtskräftiges Urteil gegenüber dem
Insolvenzverwalter und allen Insolvenzgläubigern“;
zwar ist auch das FA ein Insolvenzgläubiger, dem
gegenüber die Eintragung diese Wirkung entfaltet. § 178
Abs. 3 InsO beschränkt die Wirkung aber auf den Betrag und den
Rang und trifft keine Aussage darüber, ob die Eintragung - wie
eine Steuerfestsetzung - auch Wirkung gegenüber am
Insolvenzverfahren nicht Beteiligten haben kann. Dabei ist zu
beachten, dass der Zessionar (hier die Antragstellerin) und der
Zedent (hier: der Insolvenzschuldner) hinsichtlich des
Rückzahlungsanspruchs des FA nach § 37 Abs. 2 Satz 3 AO
1977 i.V.m. § 44 Abs. 1 AO 1977 Gesamtschuldner sind, der
Zessionar aber am Insolvenzverfahren nicht beteiligt ist, so dass
zweifelhaft ist, ob ihm gegenüber Rechtswirkungen aus der
Eintragung in die Tabelle abgeleitet werden können.