Änderung der USt-Bemessungsgrundlage nach Beendigung der Organschaft, Vorsteuerberichtigung: Wird das Entgelt für eine während des Bestehens einer Organschaft bezogene Leistung nach Beendigung der Organschaft uneinbringlich, ist der Vorsteuerabzug nicht gegenüber dem bisherigen Organträger, sondern gegenüber dem im Zeitpunkt des Uneinbringlichwerdens bestehenden Unternehmen - dem früheren Organ - zu berichtigen. - Urt.; BFH 7.12.2006, V R 2/05; SIS 07 07 85
I. Der Kläger und Revisionskläger
(Kläger) ist als Bauingenieur selbständig tätig. Er
war Begründer des sogenannten ... Systems (Kybernetische
Organisation, Planung, Führung). Der Kläger hielt die
Mehrheitsbeteiligung an der K-GmbH (Holding-GmbH). Die Holding-GmbH
hielt zu 100 v.H. die Anteile an der I-GmbH (nachfolgend: I).
Demgemäß war der Kläger im Verhältnis zur I
Organträger nach § 2 Abs. 2 des Umsatzsteuergesetzes
(UStG) 1993. Die I war ihrerseits Komplementärgesellschaft der
... GmbH & Co. KG (KG). Ziel der KG war die Errichtung und der
Betrieb einer Akademie und eines Hotels nebst Freizeitanlage. Durch
Vertrag vom 1.9.1992 übertrug die KG die Leistungen im
Zusammenhang mit Planung, Finanzierung und Errichtung des
Hotel-Komplexes an die I. Diese vergab die Konzeptions- und
Vorbereitungsarbeiten im Zusammenhang mit dem geplanten Hotelneubau
mit Vertrag vom 15.9.1992 an die Z-GbR. Mit Abrechnungspapier vom
22.12.1992 stellte die GbR der I erbrachte Konzeptions- und
Architektenleistungen im Umfang von 4.745.000 DM zzgl. 14 v.H.
Umsatzsteuer (664.300 DM) in Rechnung. Am 28.12.1992 berechnete die
I der KG Leistungen im Gesamtumfang von 5.800.000 DM zzgl. 812.000
DM Umsatzsteuer weiter.
Der Kläger versteuerte für das
Jahr 1992 als Organträger den o.a. Umsatz der I und machte
gleichzeitig den Vorsteuerabzug geltend. Der Beklagte und
Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA - ) folgte dem nicht.
Hierüber kam es zu einem Rechtsstreit wegen Umsatzsteuer 1992
(Az. 5 K 143/97). Dieser Rechtsstreit endete nach mündlicher
Verhandlung am 22.8.2002, indem das FA durch Änderung der
Steuerfestsetzung 1992 dem Begehren des Klägers
nachkam.
Die Organschaft zwischen dem Kläger
und der I endete zum 1.7.1993 dadurch, dass der Kläger seine
Beteiligung an der Holding-GmbH an Herrn Z übertrug.
Das für die Besteuerung der
Holding-GmbH örtlich zuständige Finanzamt W führte
in der Zeit vom September 2000 bis April 2001 eine
Fahndungsprüfung wegen Umsatzsteuer 1996 durch. Es fasste die
Feststellungen in einem Prüfungsbericht vom 12.6.2001
zusammen. Dieser Bericht wurde dem Kläger noch im Jahr 2001 im
Rahmen des o.g. Klageverfahrens 5 K 143/97 bekannt. Nach dem
Fahndungsbericht ist ein Antrag auf Eröffnung des
Konkursverfahrens gegen die I vom Amtsgericht am 9.12.1996 mangels
Masse abgewiesen worden.
Der Fahndungsprüfer schloss daraus,
dass bei der Umsatzsteuerfestsetzung des Klägers Konsequenzen
gemäß § 17 UStG 1993 zu ziehen seien. So sei
hinsichtlich der Vorsteuer aus der Rechnung der GbR vom 22.12.1992
eine Vorsteuerberichtigung von 601.668 DM zu Lasten des
Klägers vorzunehmen. Unter Berücksichtigung weiterer
Änderungen zu Gunsten des Klägers in Höhe von
365.380 DM errechnete sich eine Umsatzsteuernachzahlung von
120.811,68 EUR.
Die Korrektur des Vorsteuerbetrages ergebe
sich jedoch nur unter der Voraussetzung, dass dem Kläger der
Vorsteuerabzug ursprünglich in vollem Umfang zustünde. Da
hierüber noch der Rechtsstreit 5 K 143/97 anhängig war,
wertete das FA den Fahndungsbericht erst nach Abschluss dieses
Klageverfahren im Jahre 2002 aus und erteilte am 26.9.2002 einen
entsprechenden Änderungsbescheid.
Der Einspruch gegen diesen Bescheid blieb
erfolglos.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab
(vgl. SIS 05 22 82). Zur Begründung führte es im
Wesentlichen aus, schon aus dem Wortlaut des § 17 Abs. 1 UStG
1993 ergebe sich, dass die Vorsteuerberichtigung denjenigen
Unternehmer treffe, der den Vorsteuerabzug in Anspruch genommen
habe, und das sei der Kläger; dies gelte unabhängig
davon, ob der Kläger im maßgeblichen Zeitpunkt noch
Unternehmer gewesen sei oder die Organschaft noch bestanden habe.
Das FA habe den geänderten Umsatzsteuerbescheid 1996 am
26.9.2002 noch erlassen dürfen, weil infolge Ablaufhemmung
nach § 171 Abs. 5 der Abgabenordnung (AO 1977) noch keine
Festsetzungsverjährung eingetreten sei; der Fahndungsbericht
vom 12.6.2001 sei dem Kläger noch im Jahr 2001 bekannt
geworden.
Mit der vom FG zugelassenen Revision
trägt der Kläger im Wesentlichen Folgendes vor: Der
geänderte Umsatzsteuerbescheid habe am 26.9.2002 nicht mehr
ergehen dürfen, weil mit Ablauf des 31.12.2001
Festsetzungsverjährung eingetreten sei; die Ablaufhemmung nach
§ 171 Abs. 5 AO 1977 könne nicht eingreifen, weil ihm -
dem Kläger - die Ermittlungsmaßnahmen der Steuerfahndung
nicht bekannt waren und diese deshalb im Rechtssinne nicht
„beim Steuerpflichtigen“ durchgeführt wurden. Das
FA habe die Änderung auch nicht - wie in der
Revisionserwiderung vorgetragen - auf § 174 Abs. 4 AO 1977
stützen können, weil der Vorsteuerabzug im Jahr 1992 und
die Vorsteuerberichtigung im Jahr 1996 nicht „derselbe
Sachverhalt“ im Sinne der genannten Vorschrift sei.
Darüber hinaus habe das FA die Berichtigung nach § 17
UStG 1993 nicht bei ihm vornehmen dürfen, weil die Organschaft
längst vor der Uneinbringlichkeit des Entgelts der zugrunde
liegenden Leistungen beendet worden sei.
Der Kläger beantragt, das Urteil des
FG sowie den geänderten Umsatzsteuerbescheid 1996 vom
26.9.2002 aufzuheben und die Steuer um 120.811,68 EUR
herabzusetzen.
Das FA ist der Revision entgegengetreten
und stützt die Änderung des Umsatzsteuerbescheides 1996
hilfsweise auf § 174 Abs. 4 AO 1977.
II. Die Revision ist begründet; sie
führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils des FG sowie der
Einspruchsentscheidung des FA vom 12.1.2004 und zur Herabsetzung
der Umsatzsteuer für 1996 um 120.811,68 EUR (§ 126 Abs. 3
Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO - ). Der Kläger
konnte nach Beendigung der Organschaft zum 1.7.1993 für
später nach § 17 UStG 1993 entstehende
Umsatzsteueransprüche gegen die I nicht mehr in Anspruch
genommen werden.
1. Ist das vereinbarte Entgelt für eine
steuerpflichtige Leistung uneinbringlich geworden, hat nach §
17 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UStG 1993 der Unternehmer, an
den dieser Umsatz ausgeführt worden ist, den dafür in
Anspruch genommenen Vorsteuerabzug zu berichtigen. Diese
Berichtigung ist nach Satz 3 der Vorschrift für den
Besteuerungszeitraum vorzunehmen, in dem die Änderung der
Bemessungsgrundlage - hier die Uneinbringlichkeit des Entgelts -
eingetreten ist. Im Streitfall ist das Entgelt aus den am
22.12.1992 in Rechnung gestellten Leistungen der Z-GbR wegen
Zahlungsunfähigkeit der I uneinbringlich geworden; die
Beteiligten gehen übereinstimmend davon aus, dass die
Uneinbringlichkeit im Jahr 1996 eingetreten ist, nachdem ein Antrag
auf Eröffnung des Konkursverfahrens gegen die I vom
Amtsgericht am 9.12.1996 mangels Masse abgewiesen wurde. Zu diesem
Zeitpunkt war der Kläger aber nicht mehr Organträger der
I und daher nicht mehr der zur Berichtigung des Vorsteuerabzugs
verpflichtete Unternehmer i.S. des § 17 Abs. 1 UStG 1993.
a) § 17 UStG 1993 regelt einen
eigenständigen materiell-rechtlichen Berichtigungstatbestand
gegenüber den Änderungsvorschriften der AO 1977. Liegen
die Voraussetzungen für eine Berichtigung i.S. von § 17
UStG 1999 vor (z.B. durch Uneinbringlichkeit des Entgeltes), so
führt dies nicht zu einer rückwirkenden Änderung der
ursprünglichen Steuerfestsetzung; dieser Sachverhalt ist
vielmehr (als unselbständige Besteuerungsgrundlage nach §
157 Abs. 2 AO 1977) in der Umsatzsteuerfestsetzung für den
maßgeblichen Besteuerungszeitraum (§ 17 Abs. 1 UStG
1999) zu berücksichtigen (vgl. Beschluss des Bundesfinanzhofs
- BFH - vom 13.7.2006 V B 70/06, BFH/NV 2006, 2008 = SIS 06 37 85;
Klenk in Sölch/Ringleb, Umsatzsteuer, § 17 Rz 17). Der
anfänglich nach
„Soll“-Besteuerungsgrundsätzen vorgenommene
Vorsteuerabzug ist (lediglich) tatbestandliche Voraussetzung der
materiellen Regelung nach § 17 UStG 1993.
b) Diesem Verständnis steht - abweichend
von der Auffassung des FG und des FA - der Wortlaut des § 17
Abs. 1 UStG 1993 nicht entgegen. Denn die Formulierungen
„der Unternehmer, der diesen Umsatz ausgeführt
hat“ bzw. „der Unternehmer, an den dieser Umsatz
ausgeführt wurde“, bezeichnen nur den Unternehmer
auf der jeweiligen Seite der Leistungsbeziehung (ausführender
- empfangender Unternehmer) und haben darüber hinaus keine
materielle Bedeutung. Andernfalls müsste in Fällen der
Geschäftsveräußerung im Ganzen oder der
Rechtsnachfolge (z.B. durch Einbringung eines Unternehmens in eine
Gesellschaft) immer auf den „damals“
ausführenden oder empfangenden Unternehmer
zurückgegriffen werden, wenn nach der
Geschäftsveräußerung oder der Einbringung vom neuen
Unternehmer Preisnachlässe gewährt werden oder in seiner
Person Entgelte uneinbringlich werden. Ein derartiges Ergebnis
lässt sich aus § 17 UStG 1993 nicht ableiten.
c) Im Jahr 1996 war der Kläger in Bezug
auf die steuerbegründenden tatsächlichen Vorgänge
nicht mehr der Unternehmer i.S. des § 17 Abs. 1 UStG 1993. Er
war zwar im Jahr 1992 der zum Vorsteuerabzug berechtigte
Unternehmer, da er gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG 1993
Organträger der I war, weil diese zwar rechtlich
selbständig, aber finanziell, wirtschaftlich und
organisatorisch in sein Unternehmen eingegliedert war. Es fehlte
der I im Jahr 1992 damit das zur Unternehmereigenschaft
erforderliche Merkmal der - umsatzsteuerrechtlichen -
Selbständigkeit, so dass die Umsätze und
Vorsteuerbeträge dem Kläger als Organträger
zugerechnet wurden und dieser Steuerschuldner war; dies ändert
aber nichts daran, dass die Tatbestandsmerkmale des UStG durch
Handlungen der I als Organgesellschaft verwirklicht wurden.
Mit Beendigung der Organschaft am 1.7.1993
wurden die Besteuerungstatbestände des UStG der I als
umsatzsteuerrechtlich selbständiger Unternehmerin zugerechnet.
Insbesondere beurteilt sich die Uneinbringlichkeit des Entgelts
nach den Verhältnissen der I und nicht nach denen des
Klägers.
d) § 17 UStG 1993 greift daher
gegenüber dem bisherigen Organträger nicht ein, wenn die
Uneinbringlichkeit des Entgelts erst nach Beendigung der
Organschaft eingetreten ist (vgl. Klenk in Sölch/Ringleb,
a.a.O., Rz 126 zu § 17 UStG; Fröschl, HFR 2002, 1118; in
diesem Sinne auch BFH-Beschluss vom 6.6.2002 V B 110/01, BFHE 199,
55, BFH/NV 2002, 1267 = SIS 02 84 99).
Verwaltungsvereinfachungszwecke, wie sie den Organschaftsregelungen
zugrunde liegen (Bericht des Finanzausschusses des Deutschen
Bundestages bei der Einführung des UStG 1967, BTDrucks V/1581,
Einzelbegründung zu § 2 UStG; s. auch Klezath, Deutsche
Steuerzeitung 1980, 1, 8 und 1986, 112, 113 zum UStG 1980),
können es nicht rechtfertigen, den früheren
Organträger für Steueransprüche als Steuerschuldner
in Anspruch zu nehmen, deren tatsächliche Voraussetzungen
durch ein selbständiges Unternehmen verwirklicht werden und
diesem umsatzsteuerrechtlich auch zuzurechnen sind. Dass
umsatzsteuerrechtlich aus
„Vereinfachungsgründen“ während des
Bestehens der Organschaft die Umsätze und
Vorsteuerbeträge zusammengefasst und nur gegenüber dem
Organträger festgesetzt werden, ändert nichts daran, dass
der betreffende Steueranspruch tatsächlich durch die
Tätigkeit der Organgesellschaft verwirklicht worden ist und
mit dem Ende der Organschaft die umsatzsteuerrechtliche
„Vereinfachungsregelung“ nicht mehr gilt.
2. § 17 UStG 1993 setzt Art. 11 Teil C
Abs. 1 und Art. 20 Abs. 1 der Sechsten Richtlinie des Rates vom
17.5.1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der
Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG in
nationales Recht um. Wie sich insbesondere aus Art. 11 Teil C Abs.
1 Unterabs. 2 und Art. 20 Abs. 1 Buchst. b Satz 1 Halbsatz 1 und
Satz 2 ergibt, haben die Mitgliedsstaaten dabei einen sehr weiten
Ermessensspielraum, so dass die nationale Ausgestaltung des
„actus contrarius“ zur
„Soll“-Versteuerung als materieller
Besteuerungstatbestand keinen europarechtlichen Bedenken
begegnet.
3. Da eine Inanspruchnahme des Klägers
als Steuerschuldner schon aus materiell-rechtlichen Gründen
ausscheidet, kommt es auf die verfahrensrechtlichen Fragen -
§§ 171 Abs. 5, 174 Abs. 4, insbesondere auf die Frage, ob
§ 175 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 nicht anwendbar ist - nicht an;
Ausführungen hierzu sind daher entbehrlich.