Jahresnetzkarte, Arbeitslohn, Zufluss: Überlässt der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer eine Jahresnetzkarte, so führt dies zum sofortigen Zufluss von Arbeitslohn, wenn dem Arbeitnehmer mit der Karte ein uneingeschränktes Nutzungsrecht eingeräumt wurde. - Urt.; BFH 12.4.2007, VI R 89/04; SIS 07 21 31
I. Der Kläger und Revisionsbeklagte
(Kläger) und seine Ehefrau wurden im Streitjahr (2001)
zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger erzielte
unter anderem als Beamter im Ruhestand Einkünfte aus
nichtselbständiger Arbeit. Als ehemaliges
Führungsmitglied der Deutschen Bahn AG (DB-AG) stellte die
DB-AG ihm im Streitjahr eine nicht übertragbare Fahrkarte
„C“ (Netzkarte) zur Verfügung, welche es ihm
gestattete, ein Jahr lang sämtliche Verbindungen der DB-AG
unentgeltlich zu nutzen.
Auf der Lohnsteuerkarte für das
Streitjahr bescheinigte die für die Bezügeabrechnung
zuständige Stelle des ehemaligen Dienstherrn des Klägers,
das Bundeseisenbahnvermögen (BEV), dass in dem
Bruttoarbeitslohn in Höhe von ... DM steuerbegünstigte
Versorgungsbezüge in Höhe von ... DM enthalten waren. Der
überschießende Betrag in Höhe von 7.344 DM war
für die Nutzung der Netzkarte für private Fahrten
angesetzt worden. Diesen Betrag hatte das BEV ausgehend vom
Tarifwert einer Jahresnetzkarte der 1. Klasse in Höhe von
10.150 DM abzüglich eines Bewertungsabschlags von vier vom
Hundert und des Rabattfreibetrags in Höhe von 2.400 DM
ermittelt.
Im Rahmen seiner
Einkommensteuererklärung für das Streitjahr begehrte der
Kläger, die Versteuerung des geldwerten Vorteils in Gestalt
der Nutzung der Netzkarte nicht durch Ansatz des Tarifwertes
für die Karte als solche, sondern auf der Grundlage der
tatsächlichen Nutzung durchzuführen. Dazu fügte er
eine Einzelaufstellung der Fahrten des Streitjahres bei und bot an,
deren Vollständigkeit eidesstattlich zu versichern.
Der Beklagte und Revisionskläger (das
Finanzamt - FA - ) berücksichtigte das Begehren des
Klägers nicht und setzte bei der Durchführung der
Veranlagung den auf der Lohnsteuerkarte bescheinigten
Bruttoarbeitslohn an.
Das Finanzgericht (FG) gab der nach
erfolglosem Vorverfahren erhobenen Klage mit den in EFG 2005, 524 =
SIS 05 14 46 veröffentlichten Gründen statt. Zur
Begründung führte es im Wesentlichen aus, dass dem
Kläger ein geldwerter Vorteil nicht bereits mit der
Zur-Verfügung-Stellung der Netzkarte, sondern erst bei
Inanspruchnahme der einzelnen kostenlosen Fahrten zugeflossen sei.
Die Verfügungsmacht über die Netzkarte habe dem
Kläger zunächst nur einen Anspruch gegenüber seinem
Arbeitgeber verschafft. Dieser Anspruch sei erst bei
Inanspruchnahme der kostenlosen Fahrten erfüllt
worden.
Mit der Revision rügt das FA die
Verletzung materiellen Rechts.
Das FA beantragt, das Urteil des FG
aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
II. Die Revision ist begründet. Sie
führt zur Aufhebung des vorinstanzlichen Urteils und zur
Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der
Finanzgerichtsordnung - FGO - ). Entgegen der Ansicht der
Vorinstanz ist dem Kläger bereits mit der Überlassung der
Netzkarte zusätzlicher Arbeitslohn in Höhe von 7.344 DM
zugeflossen.
1. Zum Arbeitslohn gehören nach § 19
Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 8 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes
(EStG) alle Güter, die in Geld oder Geldeswert bestehen und
die dem Arbeitnehmer aufgrund eines früheren
Dienstverhältnisses gewährt werden.
Nach den mit Revisionsrügen nicht
angegriffenen und den Senat daher gemäß § 118 Abs.
2 FGO bindenden Feststellungen des FG ermöglichte die an den
Kläger überlassene Netzkarte diesem im Streitjahr die
unentgeltliche Nutzung sämtlicher Verbindungen der DB-AG.
Zwischen den Beteiligten besteht daher zu Recht kein Streit
darüber, dass die mit der Netzkarte verbundene
Nutzungsmöglichkeit dem Grunde nach zu einem geldwerten
Vorteil des Klägers geführt hat. Der geldwerte Vorteil
wurde dem Kläger auch aufgrund seiner früheren
Beschäftigung bei der DB-AG gewährt.
2. Arbeitslohn, der - wie im Streitfall -
nicht als laufender Arbeitslohn gezahlt wird, wird in dem
Kalenderjahr bezogen, in dem er dem Arbeitnehmer zufließt
(§ 11 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 38a Abs. 1 Satz 3 EStG).
a) Zugeflossen ist eine Einnahme dann, wenn
der Empfänger die wirtschaftliche Verfügungsmacht
über die in Geld oder Geldeswert bestehenden Güter
erlangt hat (ständige Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs -
BFH -, zuletzt Urteile vom 4.5.2006 VI R 19/03, BFHE 213, 381,
BStBl II 2006, 832 = SIS 06 26 75; vom 14.6.2005 VIII R 47/03,
BFH/NV 2005, 2181 = SIS 05 48 21; vom 18.12.2001 IX R 74/98, BFH/NV
2002, 643 = SIS 02 62 23, jeweils m.w.N.). Der Übergang der
wirtschaftlichen Verfügungsmacht richtet sich nach den
Umständen des Einzelfalls (BFH-Urteile vom 9.3.1990 VI R
48/87, BFHE 160, 447, BStBl II 1990, 711 = SIS 90 17 33, unter 2. d
der Gründe; vom 14.5.1982 VI R 124/77, BFHE 135, 542, BStBl II
1982, 469 = SIS 82 14 28, unter III. 2. b).
b) Im Streitfall ist das FG zutreffend davon
ausgegangen, dass der Zufluss nicht schon durch Einräumung von
Ansprüchen durch den Arbeitgeber an den Arbeitnehmer, sondern
erst durch deren Erfüllung gegenüber dem Arbeitnehmer
bewirkt wird (BFH-Urteile vom 23.6.2005 VI R 124/99, BFHE 209, 549,
BStBl II 2005, 766 = SIS 05 33 29; VI R 10/03, BFHE 209, 559, BStBl
II 2005, 770 = SIS 05 35 98; vom 20.6.2001 VI R 105/99, BFHE 195,
395, BStBl II 2001, 689 = SIS 01 11 33).
Dem FG kann jedoch nicht darin gefolgt werden,
dass der Kläger durch die Überlassung der Netzkarte
lediglich einen Anspruch gegen die DB-AG erlangt habe, der erst bei
Inanspruchnahme der einzelnen Freifahrten erfüllt worden sei.
Mit der Überlassung der Netzkarte erhielt der Kläger
vielmehr ein Wertpapier, in dem der Beförderungsanspruch
gegenüber der DB-AG verbrieft war (Hessisches FG, Urteil vom
23.9.2003 9 K 2448/02, juris = SIS 04 34 92; Palandt/Sprau,
Bürgerliches Gesetzbuch, 66. Aufl., § 808 Rz 1, 3;
MünchKommBGB/Hüffer, 4. Aufl., § 808 Rz 2, 10;
Hueck/ Canaris, Recht der Wertpapiere, 12. Aufl., § 28 I 3 a).
Die Netzkarte gewährte dem Kläger nach den
tatsächlichen Feststellungen des FG die umfassende
Möglichkeit zur Nutzung der Verbindungen der DB-AG. Nach dem
unbestrittenen Vortrag des FA war für die Nutzung der
Netzkarte weder eine Anzeige der einzelnen Fahrten noch das
Lösen weiterer Fahrausweise der DB-AG erforderlich. Die
Netzkarte verschaffte dem Kläger damit das
uneingeschränkte Nutzungsrecht hinsichtlich der Verbindungen
der DB-AG.
3. Der dem Kläger zugeflossene geldwerte
Vorteil ist gemäß § 8 Abs. 3 EStG zu bewerten und -
wie bei der Veranlagung durch das FA - mit einem Betrag von 7.344
DM anzusetzen. Als Endpreis der Netzkarte ist hierbei - wovon auch
das FG ausgeht - der Tarifwert einer Jahresnetzkarte der DB-AG in
Höhe von 10.150 DM zugrunde zu legen. Dies gilt
unabhängig davon, dass die Netzkarte nicht übertragbar
war und nach Auffassung des Klägers daher keinen
„Marktwert“ hatte. Denn die fehlende
Übertragbarkeit findet im Tarifwert ihren Niederschlag.