Die Revision wird als unzulässig
verworfen, soweit der Kläger für das Jahr 2011 den
Betriebsausgaben- und Vorsteuerabzug aus einer Rechnung der Fa. X
über 9.748,48 EUR begehrt.
Auf die Revision des Klägers wird das
Urteil des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 13.04.2021 -
12 K 93/18 = SIS 23 03 92
aufgehoben.
Die Sache wird an das Niedersächsische
Finanzgericht zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung
zurückverwiesen.
Diesem wird die Entscheidung über die
Kosten des Verfahrens übertragen.
1
|
I. Der Kläger und Revisionskläger
(Kläger) erzielte in den Streitjahren 2011 bis 2014
Einkünfte aus Gewerbebetrieb aus einem von ihm im Jahr 1999
eröffneten Restaurant. Seit Mitte 2017 wird das Restaurant von
einem Dritten betrieben. Den kleineren Teil seiner Umsätze
erzielte der Kläger durch die Bewirtung von Gästen im
Restaurant, den größeren Teil hingegen durch
Außer-Haus-Essenslieferungen. Die Lieferbestellungen gingen
sowohl über verschiedene Internetportale als auch per Telefax
sowie telefonisch im Restaurant ein.
|
|
|
2
|
Seinen Gewinn ermittelte der Kläger
durch Einnahmen-Überschuss-Rechnung. Er nutzte seit 1999 eine
von ihm nach eigener Angabe bereits gebraucht erworbene
elektronische Registrierkasse des Modells SKS TS 400. Dieses Modell
war nach gutachtlicher Auskunft in der Bundesrepublik Deutschland
(Deutschland) von 1987 bis 2002 vertrieben, die Kassensoftware in
den Jahren 1987 und 1988 entwickelt worden. Der interne Speicher
umfasste 128 KB ROM (Read Only Memory = Nur-Lese-Speicher, nicht
veränderbar) für die Kassensoftware (Firmware) und
batteriegepufferte 128 KB RAM (Random Access Memory = wahlfreier
Zugriff, änderbarer Speicherinhalt) für die Einstellungen
und Daten. Diese Speicherkapazität reichte nicht aus, um die
Kasseneinzeldaten eines längeren Zeitraums zu speichern.
Über eine PC-Verbindung konnten die Einstellungen der Kasse
geändert (programmiert) und auch gesichert werden. Die
Programmierung wurde über 99
„flags“ vorgenommen, die jeweils acht
Stellen umfassten, die den Zustand „0“
oder „1“ annehmen können. Die Kasse
verfügte über ein Druckwerk für Bons und ein
weiteres Druckwerk für Journale.
|
|
|
3
|
Im Rahmen einer Umsatzsteuer-Nachschau
sowie einer nachfolgenden Außen- und schließlich
Fahndungsprüfung legte der Kläger für alle
Öffnungstage des Prüfungszeitraums fortlaufend
nummerierte Tagesendsummenbons (Z1-Bons) vor. Auf diesen waren
lediglich die täglichen Erlössummen - getrennt nach
Umsatzsteuersätzen sowie nach Restaurant- und
Außer-Haus-Umsätzen - ausgewiesen. Die Aufteilung nach
Zahlungswegen (Bar- oder Kartenzahlung) wurde nicht in der
Registrierkasse vorgenommen, sondern vom Kläger in dem
täglich erstellten Formular
„Kassenabrechnung“ handschriftlich
ergänzt. Weitere Ausdrucke der Registrierkasse (zum Beispiel
Journale, Kellnerberichte, Rechnungen) oder
Einnahmenursprungsaufzeichnungen legte der Kläger nicht vor.
Eine Bedienungsanleitung der Kasse war bei ihm vorhanden, nicht
jedoch Protokolle über Änderungen der Programmierung oder
Einstellungen.
|
|
|
4
|
Über einen Teil der im Restaurant
erzielten Erlöse rechneten die Gäste ganz oder teilweise
mit Gutscheinen ab, die im Einzelnen sehr unterschiedliche
Bedingungen und Zahlungsabläufe aufwiesen, zu denen das
Finanzgericht (FG) keine näheren Feststellungen getroffen hat.
Nach Darstellung des Klägers handelte es sich um zwei
unterschiedliche Verrechnungsmodelle. Die vom Kläger als
„Gutschein Typ 1“ bezeichneten
Rabattberechtigungen hat er - grob - dahingehend charakterisiert,
dass die Gäste eine Zahlung unmittelbar im Restaurant
leisteten, diese aber im Vergleich zu den in der Speisekarte
ausgewiesenen Preisen niedriger ausfiel (zum Beispiel Bestellung
von zwei Gerichten, wobei nur das teurere bezahlt werden musste).
Bei den Gutscheinen vom Typ 2 erwarb nach Angabe des Klägers
der Restaurantgast durch Zahlung an einen Dritten eine
Rabattberechtigung (zum Beispiel 25 EUR Zahlung an den Dritten, die
beim Kläger zum Konsum von Speisen mit einem ausgewiesenen
Preis von 50 EUR berechtigte). Der Gast leistete keine Zahlung an
den Kläger, sondern übergab den Gutschein, den der
Kläger anschließend bei dem Dritten einreichte, um den
Zahlbetrag abzüglich einer vereinbarten Vermittlungsprovision
zu erhalten. Ob der Kläger die Gutscheine beziehungsweise
Kopien der eingereichten Gutscheine aufbewahrt hat, ist zwischen
den Beteiligten streitig und vom FG nicht festgestellt
worden.
|
|
|
5
|
Die durch Außer-Haus-Lieferungen
erzielten Umsätze buchte der Kläger abends in einer Summe
in die Kasse ein; die beim Bestellvorgang angefallenen Unterlagen
(Ausdrucke der über das Internet beziehungsweise per Telefax
eingegangenen Bestellungen) bewahrte er nicht auf. Insoweit nahmen
die Prüfer eine Verprobung der erklärten Umsätze
anhand der Provisionsabrechnungen, die dem Kläger von den
großen Internet-Essenslieferdienst-Vermittlungsplattformen
erteilt worden waren, vor. Diese Verprobung ergab, dass die vom
Kläger erklärten Lieferdienstumsätze weitestgehend
plausibel waren.
|
|
|
6
|
Einen - vom FG nicht näher
quantifizierten - Teil seiner Wareneinkäufe tätigte der
Kläger bei Discountern und anderen Einzelhändlern. Die
für diese Einkäufe auf Thermopapier erstellten Bons waren
im Zeitpunkt der Prüfung teilweise nicht mehr lesbar; andere
Belege enthielten nicht die genaue Bezeichnung und Menge der
eingekauften Waren. Ferner legte der Beklagte und Revisionsbeklagte
(Finanzamt - FA - ) für die Streitjahre insgesamt elf Belege
über Getränkeeinkäufe bei der Fa. C vor, die den
Kläger als Leistungsempfänger auswiesen, bei ihm aber
nicht als Wareneingang erfasst worden waren. Der Kläger hat
hierzu - ohne Vorlage entsprechender Unterlagen - behauptet, C sei
dafür bekannt, Abdeckrechnungen für Schwarzeinkäufe
auszustellen; sie habe den Namen des Klägers missbraucht, um
einem Dritten Schwarzeinkäufe zu ermöglichen.
|
|
|
7
|
Bei einer Durchsuchung der Wohn- und
Geschäftsräume des Klägers am 03.12.2015 wurde
festgestellt, dass sowohl der jüngste in den
Kassenaufzeichnungen vorgefundene Z1-Bon vom 06.10.2015 als auch
die von den Prüfern am 03.12.2015 erstellten Ausdrucke von
Kellnerberichten für den 29.11., 01.12. und 02.12.2015
dieselbe Z1-Nummer (5 725) aufwiesen. Der Kläger hat hierzu
behauptet, am 06.10.2015 sei ein Defekt der Registrierkasse
eingetreten, mit der seitdem keine Z1-Bons mehr hätten
erstellt werden können.
|
|
|
8
|
Die Prüfer nahmen hinsichtlich der
Restaurantumsätze eine Vollschätzung der vom Kläger
erzielten Erlöse vor. Hierfür gingen sie von den zwei
höchsten Tagesumsätzen der drei Öffnungstage
unmittelbar vor der Durchsuchung am 03.12.2015 aus (etwa 500 EUR)
und setzten für die vier Streitjahre steigende
Tagesumsätze von 375 EUR (2011 und 2012), 437,50 EUR (2013)
und 500 EUR (2014) an. Hinsichtlich der
Außer-Haus-Umsätze erhöhten sie die vom Kläger
erklärten Erlöse um einen Sicherheitszuschlag von knapp
10 %. Die nicht erfassten Rechnungen der C sowie pauschal
geschätzte Beträge für unterstellte weitere
Schwarzeinkäufe von Waren behandelten die Prüfer als
zusätzliche Betriebsausgaben.
|
|
|
9
|
Das FA erließ am 29.06.2017
entsprechend geänderte Bescheide über Einkommensteuer,
Umsatzsteuer und den Gewerbesteuermessbetrag unter anderem für
die Streitjahre 2011 bis 2013 sowie erstmalige Bescheide für
das Streitjahr 2014. Der Einspruch blieb ohne Erfolg. Während
des anschließenden Klageverfahrens erließ das FA
für die Streitjahre 2011 und 2013 Änderungsbescheide
wegen der Erledigung eines anderweitigen Streitpunkts.
|
|
|
10
|
Das FG holte aufgrund eines
Beweisbeschlusses vom 04.06.2020 zu der Frage, ob das von dem
Kläger verwendete Kassensystem SKS TS 400
Manipulationsmöglichkeiten eröffnete oder ob
Manipulationsmöglichkeiten gerätebedingt ausgeschlossen
werden können, ein schriftliches
Sachverständigengutachten desjenigen Softwareentwicklers (S)
ein, der seinerzeit die Software für das Kassenmodell SKS TS
400 erstellt hatte; es wurde am 27.01.2021 erstellt. Zum Zeitpunkt
der Untersuchung der vom Kläger verwendeten Registrierkasse
durch S (2020) war diese bereits seit mehreren Jahren außer
Betrieb genommen und in dieser Zeit (wahrscheinlich seit 2017)
stromlos gewesen. Aufgespielt war die Firmware-Version V1.3J vom
20.09.2001; dabei handelte es sich um die letzte Aktualisierung
für die Umstellung auf den Euro. Der Z1-Zähler stand auf
4; die Tagessummen standen auf null; als aktuelles Datum wies die
Kasse den 14.02.2018 aus. Es waren sechs Bediener, 90 Tische und
2.541 Artikel angelegt. Die Vornahme von Storni war für alle
Bediener erlaubt. Eingestellt war die Ausgabe der Kurzversion des
Z1-Berichts (Gesamtsumme aller Warengruppen, Finanzweg,
Umsatzsteuer, Transaktionszähler). Im Kassenspeicher befanden
sich keine Programmierprotokolle.
|
|
|
11
|
S konnte einen - von ihm als
„Geheimbericht“ bezeichneten - Ausdruck
erzeugen, der unter anderem einen seit der letzten Werkseinstellung
(dem Laden des Demoprogramms) erzeugten Grandtotal-Speicher
(GT1-Speicher) über 3.100.835,79 auswies. Während in dem
schriftlichen Gutachten die Summe noch mit der Währungsangabe
„EUR“ versehen ist, hat S in der
späteren Anhörung in der mündlichen Verhandlung vor
dem FG ausgeführt, dass es sich um
„Währungseinheiten“ gehandelt habe.
Sollte die Kasse schon zu DM-Zeiten benutzt worden sein, seien DM-
und EUR-Beträge im GT1-Speicher unterschiedslos aufsummiert
worden. Ferner heißt es im Gutachten, der GT1-Speicher sei
nicht mit dem üblichen Löschbefehl löschbar. Alle
anderen im „Geheimbericht“ enthaltenen
Daten seien erst nach der letzten Gesamtlöschung entstanden,
deren Datum aber von der Kasse nicht korrekt dokumentiert werde und
daher von ihm nicht angegeben werden könne. In der
mündlichen Verhandlung vor dem FG führte S dazu aus,
(nur) bei einer Gesamtlöschung der Kasse (Rückversetzung
in den Werkszustand) werde auch der GT1-Speicher auf null gestellt.
Ob und wann dies bei der vorliegenden Kasse geschehen sei, sei
allerdings nicht feststellbar. Darüber hinaus halte er den
GT1-Speicher nicht für manipulierbar.
|
|
|
12
|
Weiter erklärte S, wenn ein Z1-Bericht
(Tagesendsummenbon) abgerufen werde, werde der Z1-Zähler um
eins erhöht; die Tages-, Warengruppen- und Finanzwegspeicher
würden auf null gestellt. Die Berichtsteile
„Warengruppen“,
„Bedienerumsätze“ und
„Kassensoll“ könnten separat
gelöscht werden, ohne dass der Z1-Zähler erhöht
werde. Andere Speicher, unter anderem der Finanzwegspeicher, der
die Zahlungen erfasse, könnten hingegen nur als Teil des
Z1-Berichts mit Erhöhung des Z1-Zählers gelöscht
werden. Bei einem normalen Betrieb der Kasse sei ausgeschlossen,
dass - wie hier vom FG für den 06.10.2015 und 03.12.2015
angeführt, wobei die entsprechenden Ausdrucke ihm nicht
vorgelegt worden seien - zwei verschiedene Z1-Berichte dieselbe
laufende Nummer aufwiesen. Zwar sei in der Elektronik nichts
unmöglich; ein Fehler, der ausschließlich den
Z1-Zähler beeinflusse, sei allerdings eher unwahrscheinlich.
Ohne Vorlage der bezeichneten Ausdrucke sowie derjenigen des
jeweiligen Vor- und Folgetages seien keine näheren Angaben zu
den identischen Z1-Nummern möglich.
|
|
|
13
|
Der Z1-Zähler könne auf zwei
Wegen verändert (manipuliert) werden, wobei beide
Möglichkeiten jedoch nur für den Kassenaufsteller - nicht
auch für den Endkunden - vorgesehen seien. Zum einen
könne ein Code an der Kasse eingegeben werden, der nicht im
Kassenhandbuch für den Endkunden enthalten sei und auch nicht
weitergegeben werden dürfe. Zum anderen sehe die
Händlerversion der Kassenprogrammier-Software
„Butler“ - anders als die
Endkundenversion - die Möglichkeit einer Änderung des
Z1-Zählers vor. Diese Händlerversion sei
ursprünglich durch einen eigenen
„Hardware-Dongle“ (ein physischer
Kopierschutzstecker, der während des Betriebs im Gerät
verbleiben muss) geschützt gewesen; ab circa 2008 sei die
Händlerversion für Rechner mit dem Betriebssystem Windows
XP allerdings auch ohne Dongle angeboten worden.
|
|
|
14
|
Die Kasse ermögliche die Einrichtung
von Trainingsbedienern, was hier aber, soweit den noch abrufbaren
Einstellungen zu entnehmen, nicht geschehen sei. Die hierüber
eingegebenen Umsätze würden nicht im
Tagesabschlussbericht erfasst. Auch manuelle Rechnungen
(Proforma-Rechnungen) würden nicht im Umsatz erfasst. Die
Ausgabe von Storni könne im Tagesabschlussbericht
unterdrückt werden; eine Unterdrückung im Bedienerbericht
sowie die separate Löschung von Storni vor dem Tagesabschluss
sei hingegen nicht möglich. Die in der Kasse gespeicherten
Werte für das Datum und die Uhrzeit seien auf einfache Weise
änderbar.
|
|
|
15
|
Mit dem Befehl
„Z2-89-X-9999-00/T5“ würden
sämtliche in der Kasse gespeicherten Umsätze
gelöscht, jedoch nicht der Inhalt des GT1-Speichers. Auch die
Einstellungen der Kasse blieben unverändert. Dieser Befehl sei
nicht in der Kassenanleitung für den Endkunden dokumentiert
worden. Er sei den Kassenaufstellern bekannt gewesen, die ihn
allerdings nicht hätten weitergeben dürfen.
|
|
|
16
|
Die Kasse könne sowohl über ein
PC-Programm als auch manuell durch Direkteingaben umprogrammiert
werden. In beiden Fällen sei es üblich, einen
„Dump“ (Sichtbarmachen eines
Speicherauszugs) der Kassendaten auszudrucken. Beim Programmieren
über den PC würden die Urprogrammierungen automatisch auf
dem PC gespeichert. Aus der Kasse selbst seien vorgenommene
Veränderungen der Einstellungen nicht erkennbar.
|
|
|
17
|
Im Anschluss an die Vorlage des Gutachtens
trug der Kläger vor, die im - ihm bisher nicht bekannten -
GT1-Speicher enthaltene Zahl von 3.100.835,79
Währungseinheiten entspreche genau den von ihm seit 1999
erklärten Erlösen zuzüglich der Erlöse des
Voreigentümers der Kasse. Auch entspreche die am 06.10.2015
erreichte Zahl von 5.725 Z1-Bons exakt der Zahl der
Öffnungstage seines Restaurants seit 1999 sowie der
Öffnungstage des Voreigentümers. Er habe die Kasse nicht
manipuliert; auch Löschbefehle habe er vor dem am 06.10.2015
aufgetretenen Defekt der Kasse niemals eingegeben.
|
|
|
18
|
In der mündlichen Verhandlung vor dem
FG erläuterte S sein Gutachten weiter: Der GT1-Speicher werde
normalerweise auf dem täglichen Z1-Bon ausgedruckt. Hier sei
die Kasse über die „flags“ aber so
eingestellt gewesen, dass dieser Ausdruck unterdrückt gewesen
sei. Dies sei für ihn nicht neu und er sehe es auch nicht als
Manipulation an. Der von ihm im schriftlichen Gutachten als
„Geheimbericht“ bezeichnete
Spezialbericht könne nur vom Kassenhersteller abgerufen
werden; der dafür erforderliche Code sei selbst den
Kassenaufstellern (Kassenhändlern) nicht bekannt. Die
Möglichkeit zur Erzeugung nicht in den Tagesumsatz eingehender
manueller beziehungsweise Proforma-Rechnungen diene der Ausstellung
von Bewirtungsbelegen. Die freie Beeinflussbarkeit der laufenden
Nummer des Z1-Zählers solle dem Kassenhandel die
Möglichkeit verschaffen, nach einer Reparatur der Kasse wieder
deren ursprünglichen Zählerstand einzustellen. Abweichend
von seinem schriftlichen Gutachten erklärte S nun, der
Löschbefehl „Z2-89-X-9999-00/T5“
sei bis etwa zum Jahr 1994 in der Kassenanleitung für den
Endverbraucher dokumentiert gewesen.
|
|
|
19
|
Das FG gab der Klage nur zu einem kleinen
Teil statt und wies sie im Übrigen ab. Zur Herleitung der
Schätzungsbefugnis dem Grunde nach führte es die
folgenden Punkte an:
|
|
|
-
|
Zwar gebe es keinen Nachweis dafür,
dass der Kläger die Kasse manipuliert habe. Es stehe aber
objektiv fest, dass an der Kasse Umprogrammierungen vorgenommen
worden seien. So seien der Ausdruck des GT-Speichers und des
Journals unterdrückt und die Erstellung von (manuellen)
Proforma-Rechnungen möglich gewesen. Damit sei die Kasse nicht
ordnungsgemäß. Insbesondere sei ohne ein Journal nicht
sichergestellt, dass sämtliche Betriebseinnahmen der
Besteuerung zugrunde gelegt worden seien.
|
|
|
-
|
Die vom Kläger verwendete Kasse sei
objektiv manipulierbar. Einzelne Berichtsteile seien ohne
Auswirkungen auf den Z1-Zähler separat löschbar. Der
Z1-Zähler sei durch Eingabe eines Codes beliebig
veränderbar, ohne dass dies dokumentiert werde. Deshalb
böten auch die lückenlos vorgelegten Z1-Bons keine
Gewähr für die Vollständigkeit der Erfassung der
Einnahmen.
|
|
|
-
|
Das Fehlen der Protokolle
nachträglicher Programmänderungen stelle einen
gravierenden formellen Mangel dar. Solche Programmänderungen
müsse es gegeben haben, da der Kläger die Kasse bereits
1999 erworben habe, die verwendete Firmware aber aus dem Jahr 2001
stamme.
|
|
|
-
|
Ein materieller Fehler der
Kassenführung liege zudem darin, dass nach dem eigenen Vortrag
des Klägers in den Jahren 2012 und 2013 bei Verwendung der
Gutscheine vom Typ 2 zwar die Auszahlungen an den Kläger als
Umsatz, aber keine weiteren Restaurantumsätze erfasst worden
seien.
|
|
|
-
|
Der Kläger habe den
Getränkeeinkauf bei C nicht in seiner Gewinnermittlung
erfasst. Die Einlassung des Klägers, C habe Abdeckrechnungen
für Schwarzeinkäufe Dritter erstellt, sei eine
Schutzbehauptung. Der gleichzeitige erhebliche Rückgang der
aufgezeichneten Getränkeumsätze sei als Anhaltspunkt
für eine Doppelverkürzung zu werten.
|
|
|
-
|
Hinsichtlich der Lieferdienstumsätze
hätten die Einzeldaten zu den Bestellungen dokumentiert werden
müssen. Eine Überprüfung der Vollständigkeit
der Einnahmenerfassung sei nicht mehr möglich.
|
|
|
20
|
Hinsichtlich der Höhe der
Schätzung folgte das FG nicht dem FA, sondern nahm - unter
Beibehaltung der vom FA gewählten Methodik, einen festen
durchschnittlichen Tagesumsatz als Schätzungsgrundlage
heranzuziehen - eine eigene Schätzung vor. Die
Restauranteinnahmen ermittelte es, indem es für die vom
Kläger angegebenen jährlichen Öffnungstage einen
durchschnittlichen Umsatz pro Gast (anhand der Speisekarte des
Klägers sowie vom Kläger für das Jahr 2017
angegebener Durchschnittsumsätze unter stärkerer
Berücksichtigung angenommenen Gutscheineinsatzes) und eine
durchschnittliche Gästezahl pro Öffnungstag (auf der
Grundlage von Angaben des Klägers für das Jahr 2017)
schätzte und so zu Tagesumsätzen von 312,50 EUR (2011),
315 EUR (2012), 330 EUR (2013) und 360 EUR (2014) kam. Andere
Schätzungsmethoden, namentlich der Zeitreihenvergleich, seien
aufgrund der Besonderheiten des Streitfalls nicht
anwendbar.
|
|
|
21
|
Den Sicherheitszuschlag für die
Außer-Haus-Umsätze reduzierte das FG auf 5 % der
erklärten Einnahmen. Die pauschal hinzugeschätzten
Betriebsausgaben für unterstellte Schwarzeinkäufe von
Waren ließ das FG unverändert.
|
|
|
22
|
Insgesamt ergibt sich das folgende
Zahlenwerk (auf volle Euro gerundet):
|
|
|
|
Jahr
|
2011
|
2012
|
2013
|
2014
|
|
erklärte Einnahmen Restaurant
brutto
|
23.589 EUR
|
29.122 EUR
|
36.206 EUR
|
65.259 EUR
|
|
Hinzuschätzung FA Restaurant
brutto
|
83.300 EUR
|
83.300 EUR
|
95.200 EUR
|
83.300 EUR
|
|
Hinzuschätzung FG Restaurant
brutto
|
68.500 EUR
|
66.900 EUR
|
66.000 EUR
|
46.300 EUR
|
|
erklärte Einnahmen Lieferdienst
netto
|
133.505 EUR
|
153.798 EUR
|
165.406 EUR
|
203.428 EUR
|
|
Hinzuschätzung FA Lieferdienst
netto
|
13.000 EUR
|
15.000 EUR
|
16.000 EUR
|
20.000 EUR
|
|
Hinzuschätzung FG Lieferdienst
netto
|
6.500 EUR
|
7.500 EUR
|
8.000 EUR
|
10.000 EUR
|
|
nicht aufgezeichneter Wareneinkauf bei
C
|
0
EUR
|
1.123 EUR
|
126
EUR
|
221
EUR
|
|
pauschale Erhöhungen des
Wareneinkaufs
|
3.000 EUR
|
5.000 EUR
|
1.000 EUR
|
8.000 EUR
|
|
|
23
|
Der Senat hat in seinem Beschluss über
die Zulassung der Revision eine offenbare Unrichtigkeit im Tenor
des finanzgerichtlichen Urteils berichtigt.
|
|
|
24
|
Mit seiner Revision wiederholt und vertieft
der Kläger sein Vorbringen aus den vorangegangenen
Verfahrensabschnitten und setzt sich nochmals mit den
Ausführungen des Sachverständigen auseinander.
Außerdem erhebt er Verfahrensrügen.
|
|
|
25
|
Der Kläger beantragt
sinngemäß,
|
|
das angefochtene Urteil und die
Einspruchsentscheidung vom 17.05.2018 - diese nur, soweit sie
für die Streitjahre 2012 und 2014 ergangen ist - aufzuheben
und die Bescheide über Einkommensteuer, Umsatzsteuer und den
Gewerbesteuermessbetrag für 2012 und 2014 vom 29.06.2017 sowie
für 2011 und 2013 vom 05.06.2020 dahingehend zu ändern,
dass die Hinzuschätzungen zu den Restaurant- und
Lieferdiensterlösen entfallen und im Jahr 2011 der
Betriebsausgaben- und Vorsteuerabzug aus einer Rechnung der Fa. X
über 9.748,48 EUR gewährt wird.
|
|
|
26
|
Das FA beantragt,
|
|
die Revision zurückzuweisen.
|
|
|
27
|
Es hält das vorinstanzliche Urteil
für zutreffend.
|
|
|
28
|
II. Die Revision ist mangels formeller
Beschwer unzulässig, soweit der vom Kläger gestellte
Revisionsantrag über seinen im Klageverfahren gestellten
Antrag hinausgeht. Dies ist hinsichtlich des für das Jahr 2011
geltend gemachten Betriebsausgaben- und Vorsteuerabzugs aus einer
Rechnung der Fa. X der Fall.
|
|
|
29
|
Wie auch vom FA in der Revisionserwiderung
dargelegt, hat das FG sowohl schriftlich im vorbereitenden
Verfahren (Schreiben vom 24.03.2021) als auch nochmals in der
mündlichen Verhandlung ausdrücklich darauf hingewiesen,
dass der Kläger diese Rechnung bereits im - hier nicht
streitbefangenen - Jahr 2010 bezahlt hatte, sie daher nach § 4
Abs. 3 i.V.m. § 11 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG)
keine Betriebsausgabe des Streitjahrs 2011 sein kann und im Jahr
2011 auch kein Vorsteuerabzug eröffnet ist. Daraufhin hat der
Kläger ausweislich des Protokolls der mündlichen
Verhandlung vor dem FG erklärt, er mache diesen Betrag nicht
mehr für das Jahr 2011 geltend, und seinen Klageantrag
entsprechend formuliert. Das FG hat demgemäß
hierüber nicht entschieden und aufgrund der Antragstellung
auch nicht entscheiden dürfen. Im Revisionsverfahren kann der
Antrag im Vergleich zum Klageantrag aber nicht mehr erweitert
werden (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 16.12.2009 - IV R
48/07, BFHE 228, 408, BStBl II 2010, 799 = SIS 10 02 53, Rz
27).
|
|
|
30
|
III. Soweit die Revision zulässig ist,
ist sie auch begründet. Sie führt zur Aufhebung des
angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache zur
anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz
1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO - ).
|
|
|
31
|
Nur im Ergebnis zu Recht hat das FG in Bezug
auf die Restaurantumsätze eine Schätzungsbefugnis dem
Grunde nach bejaht; ein Teil der von ihm angenommenen Mängel
der Aufzeichnungen des Klägers liegt allerdings nicht vor oder
ist vom FG zu stark gewichtet worden (dazu unten 1.). Auf einige
wesentliche Einwendungen des Klägers, denen das FG hätte
nachgehen müssen, ist es nicht eingegangen (unten 2.). Dies
alles bewirkt, dass die tatrichterlichen Feststellungen und
Würdigungen derzeit insgesamt keine Grundlage für die vom
FG angenommene Befugnis zu einer Vollschätzung bieten (unten
3.).
|
|
|
32
|
1. Das FG hat zwar im Ergebnis zu Recht
erkannt, dass es nach den hierfür geltenden Rechtsgrundlagen
(dazu unten a) dem Grunde nach zur Schätzung befugt war. Nicht
alle der von ihm angenommenen formellen (unten b) und materiellen
(unten c) Mängel der Aufzeichnungen des Klägers sind
allerdings tatsächlich gegeben; soweit die Mängel
tatsächlich vorliegen, ist ihnen vom FG teilweise ein zu
starkes Gewicht beigemessen worden.
|
|
|
33
|
a) Soweit die Finanzbehörde die
Besteuerungsgrundlagen nicht ermitteln oder berechnen kann, hat sie
sie zu schätzen (§ 162 Abs. 1 Satz 1 der Abgabenordnung -
AO - ); dies gilt gemäß § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO auch
für das Gericht.
|
|
|
34
|
aa) Zu schätzen ist insbesondere dann,
wenn der Steuerpflichtige Aufzeichnungen, die er nach den
Steuergesetzen zu führen hat, nicht vorlegen kann, wenn die
Aufzeichnungen nach § 158 Abs. 2 AO - in den Streitjahren:
§ 158 AO - nicht der Besteuerung zugrunde gelegt werden oder
wenn tatsächliche Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit der
vom Steuerpflichtigen gemachten Angaben zu steuerpflichtigen
Einnahmen bestehen (§ 162 Abs. 2 Satz 2 AO). Nach § 158
AO in der in den Streitjahren geltenden Fassung sind die
Aufzeichnungen des Steuerpflichtigen, die den Vorschriften der
§§ 140 bis 148 AO entsprechen, der Besteuerung zugrunde
zu legen, soweit nach den Umständen des Einzelfalls kein
Anlass ist, ihre sachliche Richtigkeit zu beanstanden.
|
|
|
35
|
Formelle Mängel berechtigen nach
ständiger Rechtsprechung nur insoweit zur Schätzung, als
sie Anlass geben, die sachliche Richtigkeit des Ergebnisses der
Gewinnermittlung anzuzweifeln (vgl. zuletzt BFH-Urteil vom
16.12.2021 - IV R 1/18, BFH/NV 2022, 305 = SIS 22 01 94, Rz 43,
m.w.N.).
|
|
|
36
|
bb) Da bei der Schätzung alle
Umstände zu berücksichtigen sind, die für die
Schätzung von Bedeutung sind (§ 162 Abs. 1 Satz 2 AO),
darf der Tatrichter sich zur Begründung einer
Schätzungsbefugnis dem Grunde und der Höhe nach nicht mit
der bloßen Benennung formeller oder materieller Mängel
begnügen, sondern muss sie auch nach dem Maß ihrer
Bedeutung für den konkreten Einzelfall gewichten. Nur durch
angemessene Gewichtung des Mangels kann beurteilt werden, inwieweit
nach den Umständen des Einzelfalls Anlass ist, die sachliche
Richtigkeit der Aufzeichnungen zu beanstanden. Die Schwere des
Mangels ist deshalb von entscheidender Bedeutung für Art und
Höhe der Schätzung.
|
|
|
37
|
b) Die Aufzeichnungen des Klägers
entsprechen nicht in allen Punkten den Vorschriften der
§§ 140 bis 148 AO und weisen daher formelle Mängel
auf. Diese Mängel liegen allerdings weder in dem vom FG
angenommenen Umfang vor noch kommt ihnen das vom FG angenommene
Gewicht zu.
|
|
|
38
|
aa) Dies gilt zunächst für die
Manipulierbarkeit der vom Kläger verwendeten elektronischen
Registrierkasse eines sehr einfachen Typs. Zwar hat das FG in
revisionsrechtlich bindender Weise festgestellt, dass diese Kasse
objektiv manipulierbar war (dazu unten (1)). Damit entsprach die
Kasse nicht den Anforderungen des § 145 Abs. 2 AO (unten (2)).
Darin ist grundsätzlich ein formeller Mangel von hohem Gewicht
zu sehen (unten (3)). Das Gewicht dieses Mangels kann jedoch im
Einzelfall reduziert sein, wozu im Streitfall das FG allerdings
weitere Feststellungen zu treffen hätte (unten (4)).
Darüber hinaus ist es sogar denkbar, dass der in der
Verwendung einer objektiv manipulierbaren Kasse liegende Mangel
unter bestimmten Voraussetzungen gar nicht zur Begründung
einer Schätzungsbefugnis herangezogen werden kann; diese
Voraussetzungen sind im Streitfall allerdings nicht erfüllt
(unten (5)).
|
|
|
39
|
(1) Zu Recht ist das FG zu der
Einschätzung gelangt, dass die vom Kläger verwendete
Registrierkasse objektiv manipulierbar war. Das FG hat dies in
revisionsrechtlich bindender Weise aus den Angaben des
Sachverständigen gefolgert. Danach konnte der Stand des
Z1-Zählers beliebig verändert werden, ohne dass eine
solche Änderung - in einer ihrerseits unveränderlichen
Weise - protokolliert wurde.
|
|
|
40
|
(2) Die Unzulässigkeit solcher
undokumentierter Änderungsmöglichkeiten folgt zwar nicht
schon aus der - vom FG hierfür herangezogenen - Regelung des
§ 146 Abs. 4 Satz 1 AO, wonach eine Buchung oder Aufzeichnung
nicht in einer Weise verändert werden darf, dass der
ursprüngliche Inhalt nicht mehr feststellbar ist. Denn
„Aufzeichnung“ in diesem Sinne ist nur
der bereits ausgedruckte Z1-Bon; dieser wird aber durch eine
spätere Änderung des Z1-Zählers der Kasse nicht
verändert. Der in der elektronischen Kasse gespeicherte
Z1-Zähler, dessen Inhalt sich bestimmungsgemäß
laufend verändert, ist hingegen noch keine
„Aufzeichnung“.
|
|
|
41
|
Allerdings lässt sich der in § 145
Abs. 2 AO getroffenen Regelung entnehmen, dass die im Streitfall
gegebene undokumentierte Änderungsmöglichkeit des Standes
des Z1-Zählers steuerrechtlich unzulässig ist. Nach
dieser Vorschrift sind Aufzeichnungen so vorzunehmen, dass der
Zweck, den sie für die Besteuerung erfüllen sollen,
erreicht wird. Die lückenlose Abfolge
öffnungstäglicher durchnummerierter Z1-Bons stellt eine
wesentliche Anforderung an den Inhalt der für die Besteuerung
zu fordernden Aufzeichnungen dar. Wenn zur Erstellung dieser
Z1-Bons jedoch ein Gerät genutzt wird, das beliebige
undokumentierte Änderungen des Z1-Zählers
ermöglicht, können die mit Hilfe dieses Geräts
erstellten Z1-Bons nicht ihren - wesentlichen - Zweck für die
Besteuerung erfüllen, weil trotz äußerlich
fortlaufender Durchnummerierung keine sichere Gewähr ihrer
tatsächlichen Lückenlosigkeit mehr besteht.
|
|
|
42
|
(3) Grundsätzlich stellt die Verwendung
eines objektiv manipulierbaren Kassensystems einen - zunächst
allerdings nur formellen - Mangel von hohem Gewicht dar, da in
diesen Fällen schon systembedingt keine Gewähr für
die Vollständigkeit der Einnahmenaufzeichnung gegeben ist.
|
|
|
43
|
(4) Das im Regelfall hohe Gewicht dieses
Mangels kann unter besonderen Umständen reduziert sein, wozu
im Streitfall das FG allerdings weitere Feststellungen zu treffen
hätte.
|
|
|
44
|
(a) Der Streitfall ist durch die Besonderheit
gekennzeichnet, dass die Software der vom Kläger verwendeten
Kasse bereits in den Jahren 1987 und 1988 geschrieben und die Kasse
nach 2002 nicht mehr in Deutschland vertrieben worden ist. Der
Einsatz derart einfacher Kassenmodelle wie im Streitfall ist
spätestens mit dem Inkrafttreten des § 146a AO am
01.01.2020 unzulässig geworden. Nach Auffassung der
Finanzverwaltung durften derartige Systeme sogar nur längstens
bis zum 31.12.2016 eingesetzt werden (vgl. Schreiben des
Bundesministeriums der Finanzen - BMF - vom 26.11.2010, BStBl I
2010, 1342 = SIS 10 38 65), so dass sie in der Praxis
spätestens seit diesem Datum nicht mehr in nennenswertem
Umfang genutzt worden sein dürften. Die Schlussfolgerung, dass
dieses in den Betrieben seit über 20 Jahren eingesetzte
Kassenmodell objektiv manipulierbar ist, ist ersichtlich erst im
Laufe der Zeit gewachsen. Wenn die Finanzverwaltung selbst die
Nutzung derartiger Kassen bis zum Jahr 2016 und damit über den
streitigen Zeitraum hinaus akzeptiert hat, mussten die
Steuerpflichtigen nicht unbedingt davon ausgehen, dass sie mit der
Nutzung gegen zwingende Vorschriften der Abgabenordnung
verstoßen und allein damit einen Anlass zur Schätzung
geben würden.
|
|
|
45
|
(b) Auch bei der Vornahme von Schätzungen
ist der - das gesamte öffentliche Recht durchziehende -
Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten (vgl.
ausführlich Senatsurteil vom 25.03.2015 - X R 20/13, BFHE 249,
390, BStBl II 2015, 743 = SIS 15 15 80, Rz 60). Auch die Gewichtung
der festgestellten Mängel und die daran anknüpfende Frage
nach dem zulässigen Schätzungsumfang, namentlich, ob die
festgestellten Mängel insbesondere den gravierenden Eingriff
einer Vollschätzung - unter vollständiger Verwerfung der
Gewinnermittlung des Steuerpflichtigen - rechtfertigen, ist ein
Ausfluss des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Hinzu
kommen im Streitfall Gesichtspunkte des Vertrauensschutzes.
|
|
|
46
|
Der Senat hat bereits entschieden, dass auch
in Fällen, in denen feststeht, dass es systembedingt keine
Vollständigkeitsgewähr in Bezug auf die
Einnahmenerfassung geben kann, nicht stets eine Befugnis zur
Vollschätzung besteht (Senatsbeschluss vom 12.07.2017 - X B
16/17, BFHE 257, 523 = SIS 17 12 77, Rz 86 ff., betreffend
Kombination aus der zulässigen Verwendung einer offenen
Ladenkasse und den geringeren gesetzlichen Anforderungen an die
Aufzeichnungen bei der - dort ebenfalls zulässigen - Wahl der
Gewinnermittlung durch Einnahmen-Überschuss-Rechnung). Mit dem
dortigen Fall ist der vorliegende zwar nicht direkt vergleichbar,
da die hier eingesetzte Kasse vom Kläger aufgrund ihrer
Manipulierbarkeit objektiv nicht hätte genutzt werden
dürfen. Das FG wird indes bei der Gewichtung dieses Mangels
den bereits aufgezeigten Gesichtspunkt zu berücksichtigen
haben, dass die Finanzverwaltung die Verwendung einer solchen Kasse
zunächst nicht beanstandet hatte und das Bewusstsein für
die Schwachstellen solcher Kassen erst im Laufe der Zeit und
über den Streitzeitraum hinweg entstanden sein
dürfte.
|
|
|
47
|
(c) Wenn eine Kasse zwar objektiv
manipulierbar ist, diese Manipulationsmöglichkeit aber
niemandem bekannt ist, wäre das Gewicht eines solchen
formellen Mangels als geringfügig anzusehen. Gleiches
würde gelten, wenn im konkreten Einzelfall nachgewiesen werden
könnte - was in der Praxis aber kaum einmal möglich sein
dürfte -, dass der Steuerpflichtige, der eine solche Kasse
eingesetzt hat, keine Kenntnis von der
Manipulationsmöglichkeit hatte.
|
|
|
48
|
Der Streitfall ist dadurch gekennzeichnet,
dass die Kasse objektiv manipulierbar war und dies auch einem
bestimmten Personenkreis - zumindest dem Kassenhersteller und den
Kassenhändlern und -reparateuren - bekannt gewesen ist, aber
weder festgestellt noch ausgeschlossen werden kann, dass auch der
Kläger von der Möglichkeit undokumentierter
Änderungen des Standes des Z1-Zählers Kenntnis hatte.
|
|
|
49
|
In einem solchen Fall hält es der Senat
in Anwendung des Verhältnismäßigkeits- und
Vertrauensschutzgrundsatzes für geboten, beim kumulativen
Vorliegen der folgenden Voraussetzungen (Hilfstatsachen) das - in
Bezug auf die Begründung einer Schätzungsbefugnis dem
Grunde nach sowie die Vornahme der Schätzung der Höhe
nach im Regelfall hohe - Gewicht des in einer objektiven
Manipulierbarkeit der eingesetzten Kasse liegenden formellen
Mangels angemessen zu reduzieren:
|
|
|
-
|
Der Kassenhersteller hat während des
Vertriebszeitraums der Kasse ein Kassenmodell in Verkehr bringen
wollen, das nach allgemeiner Vorstellung den damaligen
steuerrechtlichen Anforderungen genügte;
|
|
|
-
|
die Finanzverwaltung hat die Nutzung dieses
Kassenmodells bisher nicht beanstandet;
|
|
|
-
|
das Kassenmodell hat in der betrieblichen
Praxis eine nennenswerte Verbreitung erfahren;
|
|
|
-
|
eine tatsächliche Nutzung der objektiv
gegebenen Manipulationsmöglichkeit durch den Steuerpflichtigen
im konkreten Einzelfall ist nicht nachgewiesen, und nach den
Umständen spricht auch eine weit überwiegende
Wahrscheinlichkeit gegen eine solche Manipulation.
|
|
|
50
|
Auch wenn die Rechtsprechung einen in der
Vergangenheit verwirklichten Sachverhalt notwendigerweise
rückblickend beurteilt und daher auch tatsächliche und
rechtliche Erkenntnisse heranziehen kann und muss, die sich erst
nach der Verwirklichung des Sachverhalts ergeben haben, können
doch der anzuwendenden Rechtsnorm Einschränkungen für die
Ex-post-Betrachtung innewohnen. Zu den Umständen, die für
die Schätzung von Bedeutung sind (§ 162 Abs. 1 Satz 2
AO), gehören auch die allgemeine Aufzeichnungspraxis sowie der
Wissensstand des Steuerpflichtigen in dem Zeitpunkt, in dem es zu
der formellen Mangelhaftigkeit der Buchführung gekommen ist.
Insoweit gebieten es die Grundsätze der
Verhältnismäßigkeit und des Vertrauensschutzes,
jedenfalls bei der Gewichtung eines - rückblickend objektiv
feststehenden - formellen Mangels zu berücksichtigen, ob
dieser im Zeitpunkt der Verwirklichung des Sachverhalts vom
Steuerpflichtigen überhaupt erkannt worden war beziehungsweise
hätte erkannt werden können. Es wäre
unverhältnismäßig, wenn die Gewinnermittlung aller
Steuerpflichtigen, die ein solches - seinerzeit möglicherweise
weit verbreitetes - Kassenmodell eingesetzt haben, allein deshalb
verworfen würde, weil sich mehrere Jahrzehnte nach dem
Entwicklungs- und Vertriebszeitraum dieses Kassenmodells
herausstellt, dass es objektiv manipulierbar gewesen ist.
|
|
|
51
|
(d) Ob diese Voraussetzungen erfüllt
sind, wird das FG im zweiten Rechtsgang feststellen und die
dafür bestehenden Indizien prüfen müssen. Aus der -
vom FG ausführlich protokollierten - Vernehmung des
Programmierers der Kassensoftware als Sachverständigen haben
sich keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass er
beziehungsweise der Kassenhersteller eine Kasse hat in Verkehr
bringen wollen, die den damaligen steuerrechtlichen Anforderungen
nicht genügte. Vielmehr hat er die von ihm vorgesehene
Möglichkeit zur Neueinstellung des Z1-Zählers
nachvollziehbar damit erklärt, dass diese Funktion aus seiner
Sicht für die unveränderte Wiederaufnahme des
Kassenbetriebs nach der Durchführung von Reparaturarbeiten
erforderlich gewesen sei. Die Schlussfolgerung, dass dies den
Anforderungen des § 145 Abs. 2 AO objektiv nicht entspricht,
wurde möglicherweise zur damaligen Zeit noch nicht gezogen.
Soweit bisher ersichtlich, hat die Finanzverwaltung die Nutzung
dieses Kassenmodells noch für den Streitzeitraum weder
allgemein noch - trotz Durchführung früherer
Außenprüfungen - konkret beim Kläger beanstandet.
Auch hat das FG ausdrücklich festgestellt, dass kein Nachweis
für eine tatsächliche Manipulation der Kasse durch den
Kläger vorliegt.
|
|
|
52
|
(5) Darüber hinaus begründet selbst
die Verwendung einer objektiv manipulierbaren Kasse unter engen
Voraussetzungen gar keine Schätzungsbefugnis (vgl. zu dieser
Möglichkeit bei Registrierkassen einfacher Bauart bereits
Senatsbeschlüsse vom 11.01.2017 - X B 104/16, BFH/NV 2017, 561
= SIS 17 05 81, Rz 37 und vom 23.02.2018 - X B 65/17, BFH/NV 2018,
517 = SIS 18 02 51, Rz 35). Dies wäre vor allem dann der Fall,
wenn der Steuerpflichtige in überobligatorischer Weise
sonstige Aufzeichnungen führt, die eine hinreichende
Gewähr für die Vollständigkeit der
Einnahmenerfassung bieten. Diese Voraussetzungen sind im Streitfall
allerdings nicht erfüllt.
|
|
|
53
|
Im Streitfall wäre beispielsweise der
tägliche Ausdruck des Standes des GT1-Speichers auf den
Z1-Bons geeignet gewesen, trotz der objektiven Manipulierbarkeit
der Kasse auf andere Weise eine hinreichende Gewähr für
die Vollständigkeit der Einnahmenerfassung zu bieten. Denn
wenn in lückenlos vorliegenden Z1-Bons nicht nur der
Z1-Zähler und die Summe der Tageseinnahmen ausgedruckt ist -
dies allein bietet bei der hier eingesetzten Kasse keine absolute
Gewähr für die Vollständigkeit der
Einnahmenerfassung -, sondern zusätzlich auch der
GT1-Speicher, der nach den Ausführungen des
Sachverständigen nicht manipulierbar war, und die Differenz
des GT1-Speichers zum Stand des jeweiligen Vortages exakt der Summe
der im Z1-Bon angegebenen Tageseinnahmen entspricht, dann
bestünde kein vernünftiger Zweifel mehr an der
Vollständigkeit der Erklärung jedenfalls derjenigen
Einnahmen, die mit der Kasse erfasst wurden.
|
|
|
54
|
Zwar ist der unterbliebene Ausdruck des
GT1-Speichers in den Z1-Bons dem Kläger nach Auffassung des
Senats nicht als zusätzlicher formeller Mangel vorzuhalten, da
dies nicht zu den Mindestanforderungen an die
Ordnungsmäßigkeit eines Z1-Bons gehört (vgl.
Brenner in Hruschka/Peters/von Freeden, Steuerliche
Betriebsprüfung, 2022, Rz 5.104, wo dies nicht als Anforderung
an einen Tagesendsummenbon erwähnt wird). Der Kläger
hätte allerdings durch den überobligatorischen Ausdruck
des GT1-Speichers in seinen Z1-Bons die Möglichkeit gehabt,
den in der objektiven Manipulierbarkeit des Z1-Zählers
liegenden formellen Mangel seiner Aufzeichnungen
gewissermaßen auszugleichen. Hiervon hat er indes keinen
Gebrauch gemacht.
|
|
|
55
|
bb) Soweit das FG eine weitere
Manipulationsmöglichkeit darin gesehen hat, dass einzelne
Berichtsteile (der Sachverständige hat hier
Warengruppenberichte, Bedienerumsätze und Kassensollberichte
genannt) in Z-Stellung separat gelöscht werden können,
ohne dass dies Auswirkungen auf den Z1-Zähler hat, ist dies
für den Senat jedenfalls ohne nähere Erläuterungen
nicht nachvollziehbar.
|
|
|
56
|
Zwar ist das Revisionsgericht in
Schätzungsfällen auf die Überprüfung von
Rechtsfehlern beschränkt. Allerdings muss es die
Schätzung nachvollziehen können, um zu
überprüfen, ob das FG bei der Tatsachenfeststellung und
Beweiswürdigung von sachfremden Erwägungen ausgegangen
ist. Das Tatsachengericht hat darzulegen, wie und dass es seine
Überzeugung in rechtlich zulässiger und einwandfreier
Weise gewonnen hat (vgl. BFH-Urteil vom 16.12.2021 - IV R 1/18,
BFH/NV 2022, 305 = SIS 22 01 94, Rz 48, m.w.N.). Hieran fehlt es
derzeit in Bezug auf die in diesem Zusammenhang vom FG angenommene
Manipulationsmöglichkeit.
|
|
|
57
|
Maßgeblich für die lückenlose
Zusammenstellung der Erlöse der einzelnen Betriebstage sind
nicht Warengruppen- oder Bedienerberichte, sondern die
Tagesendsummenbons. Gerade der Umstand, dass die separate
Löschung von Berichtsteilen den Z1-Zähler nicht
berührt, gewährleistet deshalb die korrekte Erfassung der
Einnahmen. Hätte - wie es sich das FG offenbar vorstellt - die
Löschung eines Kellnerberichts zur Folge, dass der
Z1-Zähler verändert würde, träte deshalb genau
das Gegenteil des vom FG Erstrebten ein: Ohne Löschung des
Inhalts des Z1-Speichers würde der Z1-Zähler
verändert. Dies wäre nicht zulässig und würde
den - für die Überprüfbarkeit der
Vollständigkeit der Einnahmenerfassung entscheidenden -
Tagesendsummenbons ihre Ordnungsmäßigkeit nehmen. Ohne
nähere Erläuterungen des FG ist daher der Umstand, dass
die Löschung der genannten Berichte keine Auswirkung auf den
Z1-Zähler hatte, nicht als objektive
Manipulationsmöglichkeit anzusehen.
|
|
|
58
|
cc) Als weiteren formellen Mangel von
erheblicher Bedeutung hat das FG angeführt, dass der
Kläger keine Protokolle über Umprogrammierungen der Kasse
vorgelegt habe, obwohl solche Umprogrammierungen nach der
Überzeugung der Vorinstanz stattgefunden haben müssten.
Diese Ausführungen sind nicht frei von Rechtsfehlern.
|
|
|
59
|
(1) Zum einen hat das FG die Auffassung
vertreten, der im Zeitpunkt der Umsatzsteuer-Nachschau und der
späteren Außenprüfung vorgefundene Zustand der
Einstellungen der Kasse (kein Ausdruck des GT-Speichers und des
Journals; Möglichkeit zur Ausgabe von Proforma-Rechnungen)
habe auf einer Umprogrammierung beruht. Der Kläger hat jedoch
- ohne dass das FG sich damit auseinandergesetzt hätte -
vorgetragen, diese Einstellungen seien bereits vorhanden gewesen,
als er die Kasse in Betrieb genommen habe. Sollte es sich so
verhalten, würde es sich nicht um eine Umprogrammierung
handeln, sondern allenfalls um eine Erstprogrammierung der
Einstellungen durch den Kassenhändler beim Verkauf der Kasse
an den Steuerpflichtigen. Zwar stellt auch eine solche
Erstprogrammierung eine dokumentations- und aufbewahrungspflichtige
Organisationsunterlage im Sinne des § 147 Abs. 1 Nr. 1 AO dar.
Für den Fall, dass bisher keine Änderung der
Programmierung vorgenommen worden ist, kann die - dann
unverändert fortbestehende - Erstprogrammierung der
Einstellungen aber auch durch einen nachträglichen
Speicherauszug („Dump“) nachgewiesen
werden. Ein solcher Speicherauszug ist während der
Umsatzsteuer-Nachschau erstellt worden. Eine vorherige
Umprogrammierung ist bei einer solchen Sachlage zwar nicht
ausgeschlossen, aber auch nicht belegt. Da das FG die
Möglichkeit, dass es sich noch um die Erstprogrammierung
gehandelt haben könnte, nicht gesehen und das entsprechende
Vorbringen des Klägers übergangen hat, wird es sich im
zweiten Rechtsgang nochmals damit auseinandersetzen, gegebenenfalls
statt dessen den in der fehlenden Aufbewahrung des Protokolls
über die Erstprogrammierung liegenden Mangel gewichten
müssen.
|
|
|
60
|
(2) Zum anderen hat das FG seine
Überzeugung von der nachträglichen Vornahme
undokumentierter Umprogrammierungen damit begründet, dass als
Firmware der Kasse die Version vom 20.09.2001 verwendet worden sei,
die erst nach dem - 1999 erfolgten - Erwerb der Kasse aufgespielt
worden sein könne. Wie der Kläger jedoch bereits im
Klageverfahren zutreffend vorgetragen hat, ist hinsichtlich der
Dokumentationsanforderungen zu unterscheiden zwischen der Firmware
der Kasse einerseits und den Einstellungen der Kasse andererseits.
Die Firmware kann bei einer Kasse des hier verwendeten Typs durch
den Nutzer der Kasse nicht verändert werden. Sie wird durch
die Bedienungsanleitung dokumentiert, die im Streitfall vorgelegen
hat. Die Einstellungen der Kasse können hingegen durch den
Nutzer im laufenden Betrieb verändert werden und sind in
diesem Zeitpunkt durch Erstellung entsprechender Protokolle
über die vorgenommenen Einstellungen (in der Praxis der
Finanzverwaltung und der Gerichte bisher als
„Programmierprotokolle“ bezeichnet) zu
dokumentieren. Zwar stellt das Protokoll über das Aufspielen
einer neuen Firmware einschließlich des Zeitpunkts für
sich genommen auch eine dokumentations- und aufbewahrungspflichtige
Organisationsunterlage im Sinne des § 147 Abs. 1 Nr. 1 AO dar.
Einen Schluss auf eine damit einhergehende oder anschließend
erfolgte Änderung der Einstellungen im oben genannten Sinne
lässt das Aufspielen der neuen Firmware jedoch nur zu, wenn
die Firmware diese Einstellungen zwingend auf einen bestimmten
Ausgangszustand zurückversetzt und außerdem dieser
Zustand nicht demjenigen entspricht, der dem Speicherauszug zu
entnehmen ist. Hierzu hat das FG keine Feststellungen getroffen.
Das ist gegebenenfalls nachzuholen, der in der fehlenden
Protokollierung des Firmware-Updates liegende Mangel ist für
sich zu gewichten.
|
|
|
61
|
dd) Das FG hat außerdem einen
Schätzungsgrund darin gesehen, dass die Zahlungswege (Bar-
oder Kartenzahlung) nicht in den Z1-Bons selbst angegeben waren,
sondern der Kläger diese Angaben handschriftlich auf den
täglichen Kassenabrechnungen notiert hat. Selbst wenn man
darin einen formellen Mangel sehen wollte, wäre dieser im
Rahmen der Gesamtwürdigung, die sowohl für die
Begründung der Schätzungsbefugnis dem Grunde nach als
auch für die Eingriffsintensität der Schätzung der
Höhe nach vorzunehmen ist, im Streitfall nicht von
wesentlichem Gewicht. Denn die Kartenzahlungen sind aufgrund der
vorhandenen Kartenabrechnungen und Kontoauszüge jederzeit auch
nachträglich überprüfbar und hier vom FA
tatsächlich überprüft worden, ohne dass sich
Anhaltspunkte für eine fehlerhafte Aufteilung der Zahlungswege
ergeben hätten.
|
|
|
62
|
ee) Darüber hinaus hat das FG sich -
entgegen dem im Verlauf des finanzgerichtlichen Verfahrens
präzisierten Vorbringen des Klägers - davon
überzeugt gezeigt, dass der Kläger den Kassenspeicher
täglich auf null gesetzt hatte. Diese Feststellung ist
möglich und daher revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
|
|
|
63
|
Um hieraus allerdings eine (wesentliche)
Schätzungsbefugnis abzuleiten, hätte das FG
zusätzlich Feststellungen dazu treffen müssen, ob die vom
Kläger verwendete Kasse, die lediglich über 128 KB
Arbeitsspeicher verfügte, technisch überhaupt in der Lage
gewesen wäre, die Einzeldaten eines längeren Zeitraums zu
speichern (vgl. Brenner in Hruschka/Peters/von Freeden, Steuerliche
Betriebsprüfung, 2022, Rz 5.68: bei derartigen, bis 2016 auch
nach Auffassung der Finanzverwaltung in zulässiger Weise
eingesetzten Altkassen Speicherung von Einzeldaten „in der
Regel nur für wenige Tage“). Nur wenn
dies festgestellt werden könnte, wäre das
„rechtmäßige
Alternativverhalten“ des Klägers geeignet
gewesen, dem FA die Auslesung der Kassendaten eines längeren,
repräsentativen Zeitraums zu ermöglichen.
|
|
|
64
|
Etwas anderes würde allerdings gelten,
wenn das FG festgestellt hätte, dass der nach seiner
Tatsachenwürdigung vom Kläger verwendete Löschbefehl
- ob das FG die Überzeugung gewonnen hatte, der Kläger
habe den Befehl „89-X-2610“ oder aber
den Befehl „89-X-9999-T5“ verwendet,
wird aus den tatrichterlichen Feststellungen nicht deutlich, da auf
Blatt 38 des Urteils beide Befehle erwähnt werden - auch zur
Folge gehabt hätte, dass der Inhalt des Z1-Speichers auf null
gesetzt wird, ohne zugleich den Z1-Zähler zu erhöhen.
Eine solche Feststellung lässt sich den - letztlich unklar
bleibenden - Formulierungen des FG auf Blatt 39 Mitte seines
Urteils indes nicht mit hinreichender Eindeutigkeit entnehmen.
|
|
|
65
|
c) Auch in Bezug auf die Feststellung und
Gewichtung von materiellen Mängeln weist die angefochtene
Entscheidung Rechtsfehler auf.
|
|
|
66
|
aa) Das FG hat ausdrücklich festgestellt,
dass kein Nachweis für eine tatsächliche Manipulation der
Kasse durch den Kläger vorliegt.
|
|
|
67
|
bb) Als materiellen Mangel, der schon für
sich genommen eine Schätzungsbefugnis begründen soll, hat
das FG allerdings den Umstand angesehen, dass der Kläger in
den Jahren 2012 und 2013 bei den Gutscheinen vom Typ 2 lediglich
die ihm von den Gutscheinherausgebern tatsächlich auf sein
Bankkonto überwiesenen Beträge - erhöht um die
einbehaltenen und als Betriebsausgabe abgezogenen Provisionen - als
Erlöse erfasst hat, nicht aber den Nennbetrag des Gutscheins
unter gegenläufigen Abzugs eines Rabatts.
|
|
|
68
|
(1) In Bezug auf diese Gutscheine hat das FG
weder die Vertragsinhalte festgestellt, die für die
Streitjahre im Verhältnis zwischen dem Kläger und den
Gutscheinherausgebern galten, noch die Bedingungen, die im
Verhältnis zwischen den Gutscheinherausgebern und den
Restaurantgästen vereinbart waren. Dem Vorbringen des
Klägers - das das FG im zweiten Rechtsgang, sofern es auf
diesen Punkt überhaupt noch ankommen sollte, durch
entsprechende tatsächliche Feststellungen zu unterlegen
hätte - lässt sich jedoch entnehmen, dass die
Gutscheinherausgeber potenziellen Restaurantgästen anboten,
einen beim Kläger einzulösenden Restaurantgutschein
über Leistungen im Wert von beispielsweise 50 EUR für
lediglich 25 EUR zu erwerben. Der Gast legte dem Kläger den
Gutschein vor, erhielt Leistungen im (Speisekarten-)Wert von 50 EUR
und übergab dem Kläger anstelle einer Bar- oder
Kartenzahlung den Gutschein. Der Kläger reichte den Gutschein
bei dessen Aussteller ein und erhielt einige Zeit später eine
Überweisung auf sein Bankkonto in Höhe der Differenz
zwischen den versprochenen 25 EUR und einer vom Gutscheinaussteller
einbehaltenen - recht hohen - Provision. Der Kläger erfasste
die 25 EUR als Erlös und zog die einbehaltene Provision als
Betriebsausgabe ab.
|
|
|
69
|
(2) Ertragsteuerrechtlich hält der Senat
die Auffassung des FG, der Kläger hätte den vollen
Nominalbetrag des Gutscheins als Erlös, gegenläufig
allerdings auch den Rabatt erfassen müssen, jedenfalls in den
Fällen der Gewinnermittlung durch
Einnahmen-Überschuss-Rechnung für unzutreffend. Hier
kommt es hinsichtlich des Zeitpunkts der Einnahmenerfassung auf den
Zufluss an (§ 11 Abs. 1 Satz 1 EStG). In diesen Fällen
sind als Betriebseinahmen die wirtschaftlich endgültig
vereinnahmten Geldzugänge anzusetzen; maßgeblich ist
insoweit, ob der Steuerpflichtige die wirtschaftliche
Verfügungsmacht über die jeweiligen Geldbeträge
endgültig erlangt hat (vgl. zuletzt BFH-Urteil vom 16.03.2022
- I R 10/18, BFH/NV 2023, 24 = SIS 22 19 39, Rz 11, mit zahlreichen
weiteren Nachweisen).
|
|
|
70
|
In Bezug auf die Leistungen an einen
Restaurantgast, der einen solchen Gutschein vorgelegt hat, hat der
Kläger zu keinem Zeitpunkt die wirtschaftliche
Verfügungsmacht an einem Geldbetrag erlangt, der den Betrag
von 25 EUR, den der Kläger vom Aussteller des Gutscheins
erhalten konnte, übersteigt. Insoweit ist auch kein Zufluss im
Sinne des § 11 Abs. 1 EStG ersichtlich. Eine gesetzliche
Grundlage für seine abweichende Auffassung hat das FG nicht
angeführt. Da es sich bei solchen Gutscheinen weder um
gesetzliche Zahlungsmittel noch um Wertpapiere handelt, sondern
lediglich um Beweispapiere über Forderungen (vgl. hierzu
ausführlich Dienst/Scheibenpflug, JurPC Internet-Zeitschrift
für Rechtsinformatik und Informationsrecht, 147/2012, stellt
allein die Übergabe des Gutscheins ohnehin noch keinen Zufluss
(§ 11 Abs. 1 EStG) der entsprechenden Forderung dar, sondern
erst die spätere tatsächliche Gutschrift auf dem
Bankkonto des Klägers.
|
|
|
71
|
Soweit das FA in der Revisionserwiderung die
Auffassung vertritt, die Handhabung des Klägers habe die
Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung
verletzt, ist darauf hinzuweisen, dass der Kläger seinen
Gewinn in den Streitjahren - in zulässiger Weise - eben nicht
nach § 4 Abs. 1, § 5 Abs. 1 EStG in Verbindung mit den
Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung
ermittelt hat, sondern durch Einnahmen-Überschuss-Rechnung
gemäß § 4 Abs. 3 EStG i.V.m. § 11 EStG.
|
|
|
72
|
(3) Umsatzsteuerrechtlich hat das FG nicht
genügend Feststellungen getroffen, um seine Auffassung
revisionsrechtlich überprüfen zu können. Die
für bestimmte Gutscheine geltenden Sonderregelungen in §
3 Abs. 13 bis 15 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) sind erstmals ab
dem 01.01.2019 anzuwenden und daher in den Streitjahren noch nicht
einschlägig. Ob das FA dem Kläger gestattet hatte, seinen
Umsatz nach vereinnahmten Entgelten zu besteuern - die
Voraussetzungen des hierfür maßgeblichen § 20 Satz
1 Nr. 1 UStG hätten vorgelegen -, ist vom FG nicht
festgestellt worden. Sollte es sich so verhalten, würden die
Ausführungen unter (2) entsprechend gelten.
|
|
|
73
|
(4) Selbst wenn aber entsprechend der vom FG
vertretenen Auffassung eine fiktive Einnahme beziehungsweise ein
fiktiver Umsatz in Höhe des Gutschein-Nennbetrags - unter
gleichzeitigem Abfluss eines Rabatts in Höhe der Differenz zu
dem Auszahlungsbetrag, den der Kläger vom Gutscheinaussteller
lediglich beanspruchen konnte - als zugeflossen beziehungsweise
erzielt gelten müsste, würde dies keine
Schätzungsbefugnis begründen. Vielmehr würde es sich
lediglich um einen technischen Fehler der Aufzeichnungen ohne
Auswirkungen auf das Ergebnis der Gewinn- oder Umsatzermittlung
handeln. Ein solcher Fehler wäre zwar zu korrigieren (durch
betragsmäßig identische und sich daher gegenseitig
aufhebende Erhöhungen sowohl der Erlöse als auch der
gewährten Rabatte); aus ihm ergäbe sich aber - gerade im
Gegensatz zur entscheidungstragend gewordenen Auffassung des FG -
kein Anlass, an der materiellen Richtigkeit der Aufzeichnungen im
Übrigen zu zweifeln.
|
|
|
74
|
cc) Als weiteren materiellen Mangel
erwähnt das FG die nicht aufgezeichneten Wareneinkäufe
(Getränkeeinkäufe) bei C. Diese Würdigung findet
sich zwar lediglich in demjenigen Abschnitt des angefochtenen
Urteils, der sich mit der Schätzungsbefugnis in Bezug auf die
Lieferdienstumsätze befasst. Es ist aber kein Grund
ersichtlich, weshalb sich die hieraus abgeleitete
Schätzungsbefugnis auf diesen Teilbereich der Betätigung
des Klägers beschränken sollte, zumal nach Angabe des
Klägers selbst im Restaurant der Anteil der
Getränkeumsätze am Gesamtumsatz deutlich höher
gewesen sein soll als im Lieferdienst.
|
|
|
75
|
(1) Das Vorhandensein dieser vom Kläger
nicht erfassten Rechnungen - wobei das FG im zweiten Rechtsgang
noch Feststellungen dazu treffen sollte, wo (beim Kläger oder
bei C) das FA diese Rechnungen aufgefunden hat - stellt ein starkes
und vom FG in zulässiger Weise gewürdigtes Indiz für
das Vorhandensein nicht erfasster Wareneinkäufe dar. Aus
diesem Indiz durfte das FG dem Grunde nach in ebenfalls
zulässiger Weise den Schluss auf eine
„Doppelverkürzung“ (Nichterfassung
von Wareneinkäufen, um Schwarzeinnahmen verschleiern zu
können) ziehen. Bei dieser Sachlage hätte es dem
Kläger oblegen, seine - lediglich pauschal erhobene und nicht
unter Beweis gestellte - Behauptung zu substantiieren, die für
die Ermöglichung von Schwarzeinkäufen bekannte C habe den
Namen des Klägers missbraucht, damit Dritte bei ihr
Schwarzeinkäufe tätigen könnten. Der Kläger hat
allerdings im zweiten Rechtsgang Gelegenheit, dem FG nähere
Darlegungen hierzu zu unterbreiten.
|
|
|
76
|
(2) Allerdings sind die nicht erfassten
Einkäufe bei C im Verhältnis zu den gesamten
Wareneinkäufen des Klägers geringfügig (vgl. Anlage
4 des Betriebsprüfungs-Berichts):
|
|
|
|
Jahr
|
Wareneinkauf gesamt
|
nicht
erfasster Wareneinkauf bei C
|
Anteil des nicht erfassten Wareneinkaufs
|
|
2011
|
64.177,84 EUR
|
0,00
EUR
|
0,00
%
|
|
2012
|
72.751,33 EUR
|
1.122,78 EUR
|
1,54
%
|
|
2013
|
79.021,78 EUR
|
125.56
EUR
|
0,15
%
|
|
2014
|
93.374,48 EUR
|
221,38
EUR
|
0,24
%
|
|
|
77
|
Angesichts dieses Umstands hätte das FG -
das die Höhe dieser Beträge in seiner Entscheidung nicht
einmal erwähnt hat - begründen müssen, weshalb es
aus diesem geringen Anteil eine umfassende Befugnis zu einer hohen
Vollschätzung ableiten will. An einer solchen Begründung
fehlt es.
|
|
|
78
|
Auch begründet das FG weder dem Grunde
noch der Höhe nach, weshalb es zusätzlich zu den nicht
erfassten Wareneinkäufen bei C pauschale Hinzuschätzungen
weiterer Schwarzeinkäufe in vielfacher Höhe vorgenommen
hat, mögen diese Hinzuschätzungen sich auch zugunsten des
Klägers ausgewirkt haben. Dies wird im zweiten Rechtsgang
nachzuholen sein.
|
|
|
79
|
(3) Soweit das FG in diesem Zusammenhang als
zusätzliches Argument für eine Doppelverkürzung
anführt, im Vergleich zur vorangegangenen
Außenprüfung (2001 bis 2003) sei der Fassbiereinkauf im
Streitjahr 2013 deutlich geringer ausgefallen, hätte sich das
FG auch damit auseinandersetzen müssen, dass sich der
Kläger für die Streitjahre auf einen sehr hohen Anteil an
Außer-Haus-Umsätzen berufen hat, bei denen der
Getränkeanteil geringer sei als bei
Restaurantumsätzen.
|
|
|
80
|
2. Das FG ist auf wesentliche Einwendungen des
Klägers nicht eingegangen. Darin liegt sowohl die vom
Kläger insoweit gerügte Verletzung seines Anspruchs auf
Gewährung rechtlichen Gehörs aus Art. 103 Abs. 1 des
Grundgesetzes (GG) als auch ein materiell-rechtlicher Mangel der
Begründung des angefochtenen Urteils.
|
|
|
81
|
a) Nachdem der vom FG beauftragte Sachverständige
den GT1-Speicher ausgelesen hatte, hat der Kläger eine
Aufstellung der seit der Erstinbetriebnahme der Kasse erzielten
Umsätze eingereicht und behauptet, die Summe dieser
Umsätze - seiner eigenen zuzüglich der Erlöse des
Voreigentümers der Kasse - entspreche genau dem Stand des
GT1-Speichers (3.100.835,79 Währungseinheiten). Auch
entspreche der am 06.10.2015 erreichte Stand des Z1-Zählers (5
725) der Summe der Öffnungstage seit der Erstinbetriebnahme
der Kasse.
|
|
|
82
|
Neben der bisher ungeklärten Frage, ob
und mit welchen Programmierbefehlen der GT1-Speicher löschbar
ist und gelöscht worden sein könnte, hätte das FG
die vom Kläger mitgeteilten Zahlen überprüfen
müssen, wobei allerdings zu beachten ist, dass in der
Aufstellung des Klägers die Netto-Erlöse angegeben sind,
während die Kasse die Brutto-Erlöse in den GT1-Speicher
schreibt. Hätte sich - entsprechend der Behauptung des
Klägers - bei dieser Überprüfung herausgestellt,
dass der Inhalt des GT1-Speichers der Summe der seit Inbetriebnahme
der Kasse vom Kläger und dem Voreigentümer der Kasse
erklärten Umsätze entspricht, würde dies ein
wesentliches Indiz dafür darstellen, dass der Kläger alle
Umsätze, die in die Kasse eingegeben worden sind, auch
erklärt hat.
|
|
|
83
|
b) Ebenso hätte das FG dem - während des
gesamten Verfahrens mehrfach wiederholten - Vorbringen des
Klägers nachgehen müssen, das FA habe die
Hinzuschätzungsbeträge für das Restaurant auf einer
fehlerhaften Zahlengrundlage ermittelt, zumal dieses Vorbringen
ebenso auf die methodisch vergleichbare eigene Schätzung des
FG zutrifft.
|
|
|
84
|
aa) Das FA und das FG haben die
Hinzuschätzungsbeträge für das Restaurant dadurch
ermittelt, dass sie den vom Kläger erklärten
Bruttoerlösen die im Wege der Vollschätzung anhand
unterstellter fester Tagesumsätze ermittelten
Bruttoerlöse gegenübergestellt haben. Die jeweiligen
Differenzbeträge wurden als Hinzuschätzung den
erklärten Erlösen hinzuaddiert.
|
|
|
85
|
bb) Hierzu hat der Kläger im
Klageverfahren zum einen geltend gemacht, das FA habe vom
Kläger erklärte Erlöse aus bestimmten Gutscheinen
aus dem Bereich „7 % Umsatzsteuer“
(Lieferdienste) in den Bereich „19 %
Umsatzsteuer“ (Restaurant) umgegliedert (2012:
2.607 EUR; 2013: 13.374 EUR), was in der Sache nicht zu beanstanden
sei. Dadurch erhöhten sich aber nach der vom FA und FG
angewendeten Schätzungssystematik die vom Kläger aus dem
Restaurant erklärten Bruttoerlöse, so dass der
Differenzbetrag zu der vorgenommenen Vollschätzung - und damit
der Hinzuschätzungsbetrag - entsprechend geringer hätte
ausfallen müssen.
|
|
|
86
|
cc) Zum anderen hat der Kläger im
Klageverfahren vorgetragen, wenn das FA hinsichtlich der Gutscheine
der Auffassung sei, dass der höhere Nennbetrag als Erlös
- unter gegenläufigem Abzug eines Rabatts - anzusetzen sei,
dann müsse in einem ersten Schritt zunächst dieser
Erlös angesetzt werden. Erst dieser Betrag dürfe dann mit
der vorgenommenen Vollschätzung verglichen werden, so dass
sich der Differenzbetrag (Hinzuschätzungsbetrag) entsprechend
mindere.
|
|
|
87
|
3. Der Umstand, dass die vom FG festgestellten
beziehungsweise angenommenen formellen und materiellen Mängel
teilweise nicht vorliegen oder zu stark gewichtet worden sind und
dass das FG wesentliche Einwendungen des Klägers
übergangen hat, bewirkt, dass die von der Vorinstanz
getroffenen Feststellungen und vorgenommenen Würdigungen
derzeit keine Grundlage für die vom FG in Bezug auf das
Restaurant gewählte, sehr eingriffsintensive Methode der
Vollschätzung bieten.
|
|
|
88
|
a) Das FG hat aufgrund der von ihm
festgestellten beziehungsweise angenommenen Mängel die
Beweiskraft der Gewinnermittlungen des Klägers als insgesamt
erschüttert angesehen, sie daher vollständig verworfen
und eine Befugnis zur Vollschätzung der Erlöse des
Klägers auf der Grundlage griffweise unterstellter Werte
für die durchschnittliche Gästezahl je Öffnungstag
und den durchschnittlichen Umsatz je Gast angenommen. Eine solche
Vollschätzung unter Verwerfung der gesamten Gewinnermittlungen
des Steuerpflichtigen ist nur dann zulässig, wenn das FG -
regelmäßig auch materielle - Mängel der
Gewinnermittlungen feststellen kann, die so gravierend sind, dass
sie bei Vornahme der aus
Verhältnismäßigkeitsgründen auch hier
erforderlichen Abwägung und Gesamtwürdigung (zur
Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes bei
Schätzungen vergleiche bereits oben III.1.b aa (4) (b),
m.w.N.) den erheblichen Eingriff einer Vollschätzung - die im
Streitfall ungefähr zu einer Verdreifachung der vom
Kläger aus dem Restaurantbereich erklärten Erlöse
und zu einer Vervielfachung der erklärten Gewinne geführt
hat - rechtfertigen und tragen können.
|
|
|
89
|
Dies ist derzeit nicht der Fall. Allein das
Gewicht der nach revisionsrechtlicher Prüfung
bestehenbleibenden, vom FG festgestellten Mängel ist, wenn man
zusätzlich - allein für Zwecke dieses Revisionsverfahrens
- unterstellt, dass die vorstehend unter 2. aufgezeigten weiteren
Sachaufklärungsmaßnahmen zugunsten des Klägers
ausgehen könnten, nicht geeignet, den erheblichen Eingriff
einer Vollschätzung zu rechtfertigen.
|
|
|
90
|
b) In revisionsrechtlich im Wesentlichen
bedenkenfreier Weise ist das FG allerdings davon ausgegangen, dass
andere Methoden als eine - notwendigerweise ungenaue - griffweise
Schätzung im Streitfall nicht zur Verfügung stehen. Eine
Geldverkehrsrechnung haben FA und FG mit der nachvollziehbaren
Erwägung ausgeschlossen, dass der Kläger umfangreiche
finanzielle Beziehungen zum Ausland unterhält, die
regelmäßig nicht vollständig aufklärbar sind.
Die Durchführung eines Zeitreihenvergleichs hatte schon das FA
infolge des großen Umfangs der Gutscheinumsätze, bei
denen die Zahlungen erst deutlich nach Erbringung der Leistungen
des Klägers eingehen, als nicht sinnvoll angesehen. Eine
Aufschlagkalkulation hat das FG für nicht durchführbar
gehalten und zur Begründung darauf verwiesen, dass die auf
Thermopapier ausgedruckten Rechnungen nicht mehr lesbar seien und
die Kleinbetragsrechnungen keine genaue Angabe der
Liefergegenstände enthielten. Dabei hat es allerdings nicht
festgestellt, welchen Anteil diese Rechnungen am gesamten
Wareneinkauf des Klägers hatten. In Anlage 12 zum
Betriebsprüfungs-Bericht ist lediglich ein einziger
Einkaufsbeleg aus dem Jahr 2009 - also außerhalb des
Streitzeitraums - als nicht lesbar bezeichnet. Allerdings mag eine
Aufschlagkalkulation daran scheitern, dass der Kläger die
Waren einheitlich sowohl für das Restaurant als auch für
die Lieferdienste eingekauft hat, im Bereich der Lieferdienste -
auch nach seinen eigenen Angaben - aber ein wesentlich geringerer
Anteil der Getränkeumsätze im Vergleich zum Restaurant zu
erwarten ist.
|
|
|
91
|
c) Damit verbleibt notwendigerweise allein die
griffweise Schätzung als unter den besonderen
Verhältnissen des Streitfalls geeignete Methode. Das FG wird
im zweiten Rechtsgang allerdings - nach ergänzender
Sachaufklärung und erneuter Würdigung des Gewichts der
jeweiligen Mängel - zu erwägen haben, ob die
Voraussetzungen einer griffweisen Vollschätzung oder lediglich
diejenigen einer griffweisen Teilschätzung
(Sicherheitszuschlag) vorliegen.
|
|
|
92
|
4. Da die Revision insgesamt zur
Urteilsaufhebung und zur Zurückverweisung an das FG zur
erneuten Verhandlung und Entscheidung führt, ist über die
vom Kläger erhobenen Verfahrensrügen nicht mehr zu
entscheiden.
|
|
|
93
|
Entgegen dem entsprechenden Antrag des
Klägers ist die Sache nicht gemäß § 155 FGO
Satz 1 i.V.m. § 563 Abs. 1 Satz 2 der Zivilprozessordnung an
einen anderen Senat des FG zurückzuverweisen. Da die
Zurückverweisung an einen anderen Senat das Recht auf den
gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) berührt,
setzt sie besondere sachliche Gründe voraus. Sie kommt zum
Beispiel in Betracht, wenn ernstliche Zweifel an der
Unvoreingenommenheit des beim FG geschäftsplanmäßig
zur Entscheidung berufenen Senats bestehen (zum Ganzen BFH-Urteil
vom 09.01.2018 - IX R 34/16, BFHE 260, 440, BStBl II 2018, 582 =
SIS 18 05 04, Rz 38, m.w.N.). Dafür gibt es im Streitfall
keine hinreichenden Anhaltspunkte.
|
|
|
94
|
5. Für den zweiten Rechtsgang weist der
Senat - ohne die Bindungswirkung nach § 126 Abs. 5 FGO - auf
die folgenden Punkte hin:
|
|
|
95
|
a) Hinsichtlich der Erlöse aus dem
Lieferdienst sieht der Senat derzeit keinen Grund, den vom FG
angesetzten Sicherheitszuschlag im Umfang von 5 % der
erklärten Erlöse zu beanstanden, wobei allerdings auch
hier ergänzende Tatsachenfeststellungen erforderlich sind.
|
|
|
96
|
aa) Insoweit hat das FG die
Schätzungsbefugnis dem Grunde nach - allerdings nur im
Ergebnis - zu Recht bejaht.
|
|
|
97
|
(1) Allerdings enthalten sowohl der Tatbestand
als auch die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils in
Bezug auf die Kassendaten zu den Lieferdienstumsätzen
widersprüchliche Angaben. Im Tatbestand wird auf Blatt 4 des
Urteils bei Wiedergabe der Feststellungen der
Außenprüfung angegeben, die
Außer-Haus-Verkäufe seien täglich lediglich
zusammengefasst in einer Summe in der Registrierkasse erfasst
worden. Dies impliziert, dass in der Kasse zu den
Außer-Haus-Umsätzen zu keinem Zeitpunkt Einzeldaten
vorhanden waren. Auf Blatt 5 des Urteils heißt es
demgegenüber zu den Feststellungen der Fahndungsprüfung,
die Einzeldaten zu den Lieferdienstbestellungen seien
programmgesteuert täglich gelöscht worden; hierzu sei die
Einstellung der Kasse „Automatische Reorganisation
täglich“ verwendet worden.
Gleichermaßen ist in den Entscheidungsgründen auf Blatt
39 unten des FG-Urteils erneut davon die Rede, die Bestellungen
seien nach Angabe des Klägers „in einer Summe in die
Kasse eingebucht“ worden. Unmittelbar im
Anschluss heißt es indes, die Einzeldaten zu den
Lieferdienstbestellungen seien programmgesteuert durch die genannte
Einstellung der Kasse täglich gelöscht worden.
|
|
|
98
|
Diese Feststellungen sind miteinander
unvereinbar. Entweder ist nur die zusammengefasste Tagessumme in
die Kasse eingebucht worden; dann waren in der Kasse niemals
Einzeldaten vorhanden, so dass sie auch nicht gelöscht werden
konnten. Oder in die Kasse sind tatsächlich doch Einzeldaten
eingegeben worden, die später allerdings gelöscht worden
sind.
|
|
|
99
|
(2) Die Schätzungsbefugnis ergibt sich
aber daraus, dass nach den Feststellungen des FG für die mit
dem Lieferdienst ausgeführten Umsätze tatsächlich
Unterlagen in Papierform angefallen sind (zum Beispiel per Telefax
eingegangene Bestellungen; ausgedruckte über das Internet
eingegangene Bestellungen). Diese hat der Kläger nicht
aufbewahrt. Der Senat hat bereits entschieden, dass ein
Steuerpflichtiger, bei dem tatsächlich bestimmte Einzeldaten
anfallen, sich nicht darauf berufen kann, dass die
Einzelaufzeichnung in seinem Fall unzumutbar sei (vgl. Senatsurteil
vom 16.12.2014 - X R 42/13, BFHE 248, 99, BStBl II 2015, 519 = SIS 15 08 27, Rz 23). Gleiches muss gelten, wenn - wie hier -
Einzelaufzeichnungen in Papierform tatsächlich vorhanden sind.
Die Nichtaufbewahrung dieser Unterlagen schließt jegliche
Möglichkeit aus, die erklärten Lieferdiensterlöse
nachträglich auf Vollständigkeit zu überprüfen.
Sollten die Auslieferungsfahrer Abrechnungen erstellt haben,
wären auch diese aufbewahrungspflichtig gewesen.
|
|
|
100
|
bb) Der Höhe nach wäre der vom FG im
Wege griffweiser Schätzung angesetzte Sicherheitszuschlag von
5 % der erklärten Erlöse auf der Grundlage der bisherigen
tatrichterlichen Feststellungen nicht zu beanstanden. Das FG hat
seinen - hier im Vergleich zur Schätzung des FA erheblich
reduzierten - Ansatz durch Abwägung der einander
gegenüberstehenden Gesichtspunkte ausführlich
begründet und damit die Anforderungen erfüllt, die die
höchstrichterliche Rechtsprechung an die Begründung
griffweiser Schätzungen stellt (vgl. hierzu Senatsurteil vom
20.03.2017 - X R 11/16, BFHE 258, 272, BStBl II 2017, 992 = SIS 17 14 48, Rz 50 ff.).
|
|
|
101
|
b) Für den Fall, dass das FG im zweiten
Rechtsgang eine Plausibilisierung seines Schätzungsergebnisses
anhand der Richtsätze (unter Beachtung der in dem
Senatsbeschluss vom 14.12.2022 - X R 19/21, BFHE 278, 428 = SIS 23 03 41 angestellten Erwägungen) vornehmen sollte, ist darauf
hinzuweisen, dass nach dem Tatbestand seiner Entscheidung die
Außenprüfung einen unzutreffenden mittleren Richtsatz
für die Streitjahre (275 %) angegeben hat. Tatsächlich
lag der in der Richtsatzsammlung ausgewiesene Mittelsatz für
Gast-, Speise- und Schankwirtschaften in den Streitjahren bei 257
%, wobei allerdings höhere Sätze für Restaurants mit
asiatischem Speiseangebot anzusetzen sein sollen (für 2011
BMF-Schreiben vom 21.06.2012, BStBl I 2012, 626 = SIS 12 19 59;
für 2012 BMF-Schreiben vom 18.07.2013, BStBl I 2013, 863 = SIS 13 21 56; für 2013 BMF-Schreiben vom 29.07.2014, BStBl I 2014,
1075 = SIS 14 21 91; für 2014 BMF-Schreiben vom 14.07.2015,
BStBl I 2015, 521 = SIS 15 16 14).
|
|
|
102
|
c) Ferner wird das FG darauf hingewiesen, dass
es hinsichtlich der während der Durchsuchung am 03.12.2015
beim Kläger ausgedruckten Kassenbelege eine schwankende und
teilweise fehlerhafte Begrifflichkeit verwendet. Im Tatbestand
seines Urteils (dort Blatt 5) bezeichnet es diese drei Dokumente
als „Kellnerberichte“, was nach
Aktenlage zutreffend ist und auch dem Vorbringen des FA entspricht.
In der rechtlichen Würdigung auf Blatt 29 des Urteils ist dann
in widersprüchlicher Weise einmal von
„Z-Bon“ und einmal von
„Bericht“ die Rede. Da es sich
tatsächlich um Kellnerberichte handelt und deren Ausdruck
keine Erhöhung des Z1-Zählers bewirkt hat, ist der - dem
Kläger vom FG vorgehaltene - Befund, dass der letzte
vorliegende Z1-Bon und die nachfolgend ausgedruckten
Kellnerberichte - ein Z-Abschlag war zwischenzeitlich wegen des am
06.10.2015 eingetretenen Defekts der Kasse nicht vorgenommen worden
- alle dieselbe Z-Nummer aufweisen, ohne Weiteres nachvollziehbar
und technisch geradezu zwingend. Dem Sachverständigen hatte
das FG im Beweisbeschluss mit der Vorgabe, sowohl bei dem Beleg vom
06.10.2015 als auch bei den Ausdrucken vom 03.12.2015 habe es sich
jeweils um Z1-Bons gehandelt, eine falsche Anknüpfungstatsache
mitgeteilt. Der Sachverständige, dem das FG keine Kopien der
in den Akten enthaltenen Belege vorgelegt hatte, hat mit dieser
Vorgabe ersichtlich nichts anfangen können.
|
|
|
103
|
d) Sollte das FG nochmals eine Schätzung
durchschnittlicher Tageserlöse des Streitzeitraums 2011 bis
2014 anhand der im Herbst 2017 erzielten Betriebsergebnisse
vornehmen wollen, wird darauf hingewiesen, dass dies einen
sorgfältigen Vergleich der Verhältnisse der beiden
Zeiträume erfordert (vgl. BFH-Urteil vom 16.12.2021 - IV R
1/18, BFH/NV 2022, 305 = SIS 22 01 94, Rz 51 ff.). Etwaigen
Unterschieden in den betrieblichen Gegebenheiten ist durch Vornahme
sachgerechter und im Einzelnen begründeter Zu- beziehungsweise
Abschläge Rechnung zu tragen. An der Eignung der vom FG im
Streitfall gewählten Schätzungsmethode der
Übertragung der Verhältnisse von Herbst 2017 auf die
Streitjahre bestehen aber auch vor allem deshalb Zweifel, weil das
Restaurant im Herbst 2017 - nach den eigenen Feststellungen des FG
- nicht mehr vom Kläger, sondern von einem Dritten betrieben
wurde. Das FG hat keine Feststellungen dazu getroffen, ob die
jeweiligen Betriebskonzepte vergleichbar waren.
|
|
|
104
|
e) Im Rahmen seiner Gesamtwürdigung zur
Schätzung dem Grunde und der Höhe nach kann das FG auch
Umstände einfließen lassen, die für den Kläger
sprechen. So ergibt sich aus Blatt 26 der für die
Umsatzsteuer-Nachschau geführten Betriebsprüfungs-Akte,
dass der Prüfer am 28.02.2015 - im Vorfeld der geplanten
Umsatzsteuer-Nachschau - das vom Kläger geführte
Restaurant inkognito in Augenschein genommen und sich an einen
Tisch gesetzt hatte, von dem aus er die Kasse beobachten konnte. Im
Beobachtungszeitraum von 17:20 Uhr bis 19:00 Uhr wurden ausweislich
des vom Prüfer angefertigten Vermerks alle Tischvorgänge
über die Kasse abgerechnet.
|
|
|
105
|
f) In Bezug auf die
Gewerbesteuermessbeträge macht der Kläger geltend, das FA
habe neben den Gewerbeerträgen aus dem Restaurant in denselben
Messbescheiden auch Gewerbeerträge aus einem vom Kläger
betriebenen Bauunternehmen angesetzt. Daran ist richtig, dass das
FA davon ausgegangen ist, der Kläger habe auch Bauleistungen
erbracht. Es hat die hieraus resultierenden Einkünfte aber
nicht als gewerblich angesehen, sondern sie - ob zu Recht oder zu
Unrecht, kann hier dahinstehen - einkommensteuerrechtlich den
subsidiären Einkünften aus Leistungen nach § 22 Nr.
3 EStG zugeordnet (vgl. Tz. 28 des Betriebsprüfungs-Berichts
und die angegriffenen Einkommensteuerbescheide). In den
Gewerbeertrag sind sie daher nicht eingegangen, so dass insoweit
keine Korrektur veranlasst ist.
|
|
|
106
|
6. Die Übertragung der Kostenentscheidung
auf das FG beruht auf § 143 Abs. 2 FGO.
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|