Die Revision des Beklagten gegen das Urteil
des Finanzgerichts Münster vom 06.05.2020 - 9 K 3359/18 E, AO
= SIS 20 13 54 wird als
unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der
Beklagte zu tragen.
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I. Der Kläger und Revisionsbeklagte zu
1. (Kläger) wurde für die Streitjahre (2012 bis 2015) mit
seiner Ehefrau, der Klägerin und Revisionsbeklagten zu 2.,
zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Er war in den Streitjahren
Geschäftsführer und zu 50 % Gesellschafter der K-GmbH.
Weitere zu 50 % beteiligte Gesellschafterin der K-GmbH war die
T-GmbH, deren alleiniger Gesellschafter und
Geschäftsführer in den Streitjahren ebenfalls der
Kläger war.
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Nach dem Gesellschaftsvertrag der K-GmbH
hatten deren Gesellschafter über die Gewährung und die
Entnahme von Vorschüssen auf die voraussichtlichen
Jahresgewinnansprüche während eines laufenden
Geschäftsjahres durch Beschluss mit einfacher Mehrheit zu
entscheiden (§ 12 Nr. 2 Buchst. i und § 17 Nr. 3 des
Gesellschaftsvertrags). Die Beschlüsse sollten nur
rechtsgültig sein, sofern die Vorschüsse nicht zu einer
Minderung des Stammkapitals führen konnten; Zahlungen an die
Gesellschafter durften zudem die Regelungen zum Erhalt des
Stammkapitals in § 30 des Gesetzes betreffend die
Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHG) nicht
verletzen (§ 17 Nr. 4 des Gesellschaftsvertrags). Der
Jahresgewinn der Gesellschaft war auf der Grundlage einer
festgestellten und geprüften Bilanz der K-GmbH zu bestimmen.
Über die Verwendung des Jahresgewinns hatten die
Gesellschafter durch Gesellschafterbeschluss zu entscheiden (§
17 Nrn. 1 und 2 des Gesellschaftsvertrags). Das Recht eines
Gesellschafters, einen Beschluss der Gesellschafterversammlung
anfechten zu dürfen, war verwirkt, wenn es sich um
unverzichtbare Rechte handelte und der jeweilige Gesellschafter in
der Gesellschafterversammlung, in der der anzufechtende Beschluss
gefasst worden war, anwesend oder rechtsgültig vertreten war,
dem Beschluss nicht ausdrücklich widersprochen hatte und er
nicht innerhalb von zwei Monaten danach Klage auf Anfechtung oder
Geltendmachung der Nichtigkeit des Beschlusses gegen die
Gesellschaft erhob (§ 15 des Gesellschaftsvertrags).
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Der Gesellschaftsvertrag der K-GmbH
enthielt keine Regelung zur Gewinnverteilung. Er sah insbesondere
weder vor, dass Entnahmen, Vorschüsse und der Jahresgewinn
stets abweichend von den Beteiligungsverhältnissen zu
verteilen waren, noch enthielt er eine Öffnungsklausel i.S.
des § 29 Abs. 3 Satz 2 GmbHG, die eine von den
Beteiligungsverhältnissen abweichende Verteilung durch
gesonderte Beschlussfassung im Einzelfall zuließ.
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Die Gesellschafterversammlung der K-GmbH
fasste in den Streitjahren jeweils einstimmig
Vorabgewinnausschüttungsbeschlüsse. Die
Vorabausschüttungen wurden nach den Beschlüssen nur an
die T-GmbH verteilt und an diese ausgezahlt (2012: 1,4 Mio. EUR;
2013: 1,45 Mio. EUR; 2014: 2,55 Mio. EUR und 2015: 3,4 Mio.
EUR).
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In den Einkommensteuererklärungen
für die Streitjahre gab der Kläger keine Einkünfte
aus Ausschüttungen der K-GmbH an. In den zunächst
ergangenen und bestandskräftig gewordenen
Einkommensteuerbescheiden für die Streitjahre (2012: vom
08.05.2014; 2013: vom 12.02.2015; 2014: vom 20.01.2016; 2015: vom
16.05.2017) wurden erklärungsgemäß keine
Gewinnanteile des Klägers aus der K-GmbH gemäß
§ 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG)
bei dessen Einkünften aus Kapitalvermögen
berücksichtigt.
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Während einer Außenprüfung
bei der K-GmbH gelangte der Prüfer zu der Auffassung, die
Vorabausschüttungen der K-GmbH an die T-GmbH beruhten auf
zivilrechtlich nichtigen Ausschüttungsbeschlüssen. Die
ausgeschütteten Beträge seien dem Kläger
entsprechend seiner Beteiligungsquote zur Hälfte zuzurechnen.
Die Anschaffungskosten des Klägers für die Anteile an der
T-GmbH seien zu erhöhen, weil der Kläger die ihm
zustehenden Ausschüttungsbeträge im Wege eines
abgekürzten Zahlungswegs der T-GmbH als Einlagen zugewendet
habe. Seien die Vorabgewinnverteilungsbeschlüsse
zivilrechtlich wirksam, seien die wiederholten
Vorabgewinnausschüttungen nur an die T-GmbH als
Gestaltungsmissbrauch gemäß § 42 der Abgabenordnung
(AO) zu behandeln. In diesem Fall seien dem Kläger die
hälftigen Ausschüttungsbeträge ebenfalls als
Einkünfte aus Kapitalvermögen zuzurechnen.
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Der Beklagte und Revisionskläger
(Finanzamt - FA - ) schloss sich der Auffassung des
Außenprüfers an. Er erließ entsprechend
geänderte Einkommensteuerbescheide für die Streitjahre,
jeweils vom 16.05.2018, in denen er aufgrund der
Ausschüttungen der K-GmbH zusätzliche Kapitalerträge
des Klägers in Höhe von 700.000 EUR (2012), 725.000 EUR
(2013), 1.275.000 EUR (2014) und 1.700.000 EUR (2015) erfasste und
dem gesonderten Tarif gemäß § 32d Abs. 1 EStG
unterwarf. Als Rechtsgrundlage für die Änderung zog das
FA jeweils § 32a Abs. 1 des Körperschaftsteuergesetzes in
der in den Streitjahren anzuwendenden Fassung (KStG) heran. Der
Kläger habe veranlasst durch sein Gesellschaftsverhältnis
zur K-GmbH die ihm zustehenden Teile der
Ausschüttungsbeträge der T-GmbH zugewendet und hierdurch
Einkünfte aus verdeckten Gewinnausschüttungen (vGA)
gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG erzielt. Dem
stehe nicht entgegen, dass mangels eines Betriebsausgabenabzugs der
abgeflossenen Ausschüttungsbeträge auf Ebene der K-GmbH
keine Einkommenserhöhung gemäß § 8 Abs. 3 Satz
2 KStG durchzuführen sei. Das anschließende
Einspruchsverfahren der Kläger blieb erfolglos.
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Während des folgenden Klageverfahrens,
das sich gegen die geänderten Einkommensteuerbescheide der
Streitjahre und hierzu ergangene Zinsfestsetzungen gemäß
§ 233a i.V.m. § 239 AO richtete, erging für das
Streitjahr 2015 ein geänderter Einkommensteuerbescheid (vom
22.11.2018), der hier nicht streitige Sachverhalte zu den
Einkünften der Kläger aus Vermietung und Verpachtung zum
Gegenstand hatte. Das Finanzgericht (FG) gab der Klage mit der in
EFG 2020, 1603 = SIS 20 13 54
wiedergegebenen Begründung statt, soweit sie die
Einkommensteuerbescheide der Streitjahre betraf. Es hob die
geänderten Einkommensteuerbescheide für die Streitjahre
2012 bis 2014 vom 16.05.2018 in Gestalt der Einspruchsentscheidung
vom 27.09.2018 auf und änderte den Einkommensteuerbescheid
2015 vom 22.11.2018 mit der Maßgabe, dass dem Kläger aus
den Ausschüttungen keine Einkünfte zuzurechnen
seien.
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Hiergegen richtet sich die Revision des FA,
mit der es die Verletzung materiellen Bundesrechts durch das FG
geltend macht, soweit das FG der Klage gegen die geänderten
Einkommensteuerbescheide für die Streitjahre stattgegeben
hat.
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Die inkongruenten
Vorabgewinnausschüttungsbeschlüsse seien nichtige
satzungsdurchbrechende Beschlüsse mit Dauerwirkung, sodass es
an den Voraussetzungen für eine offene Gewinnausschüttung
fehle. Der Kläger habe Einkünfte aus vGA gemäß
§ 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG erzielt. Gehe man von
zivilrechtlich wirksamen
Vorabgewinnausschüttungsbeschlüssen aus, seien dem
Kläger die hälftigen Ausschüttungsbeträge als
Gewinnanteile gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 EStG
zuzurechnen, da ein Gestaltungsmissbrauch gemäß §
42 AO vorliege.
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Das FA beantragt,
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das Urteil des FG Münster vom
06.05.2020 - 9 K 3359/18 E, AO aufzuheben und die Klage
abzuweisen.
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Die Kläger beantragen
sinngemäß,
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die Revision als unbegründet
zurückzuweisen.
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Das Bundesministerium der Finanzen (BMF)
ist dem Verfahren gemäß § 122 Abs. 2 der
Finanzgerichtsordnung (FGO) beigetreten. Es hat keinen Antrag
gestellt.
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Es vertritt wie das FA die Auffassung, dass
die Vorabausschüttungsbeschlüsse nichtig seien und der
Kläger Einkünfte aus vGA erzielt habe. Gehe man von
zivilrechtlich wirksamen Beschlüssen und offenen
Gewinnausschüttungen aus, sei die Einkünftezurechnung nur
bei der T-GmbH nicht anzuerkennen, da sie einem Fremdvergleich
nicht standhalte. Jedenfalls seien dem Kläger die
Ausschüttungsbeträge hälftig zuzurechnen, weil
jeweils ein Gestaltungsmissbrauch gemäß § 42 AO in
den Streitjahren vorliege.
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II. Die Revision des FA ist unbegründet
und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO).
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Das FG ist im Ergebnis zutreffend davon
ausgegangen, dass das FA zur Änderung der ursprünglichen
bestandskräftigen Einkommensteuerbescheide für die
Streitjahre nach der Außenprüfung grundsätzlich
befugt war (s. unter II.1.). Es hat auch zu Recht entschieden, dass
der Kläger aufgrund der inkongruenten Vorabausschüttungen
weder Einkünfte aus offenen Gewinnausschüttungen nach
§ 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 EStG (s. unter II.2.) noch
Einkünfte aus vGA gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz
2 EStG (s. unter II.3.) erzielt hat. Eine hälftige Zurechnung
der Ausschüttungsbeträge an die T-GmbH als Einkünfte
des Klägers gemäß § 42 AO kommt ebenfalls
nicht in Betracht (s. unter II.4.).
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1. Im Ergebnis zutreffend hat das FG
unterstellt, dass das FA grundsätzlich berechtigt war, die
ursprünglichen bestandskräftigen Einkommensteuerbescheide
der Streitjahre nach der Außenprüfung zu ändern und
für das Streitjahr 2015 den weiteren Änderungsbescheid
vom 22.11.2018 zu erlassen. Zwar ist zweifelhaft, ob sich das FA
hierzu auf die in den Änderungsbescheiden zitierte Regelung in
§ 32a Abs. 1 Satz 1 KStG stützen kann. Nach dieser
Vorschrift muss für eine rechtmäßige Korrektur des
Einkommensteuerbescheids beim Gesellschafter die vGA im
Steuerbescheid der Körperschaft grundsätzlich vor der
Änderung des Bescheids des Gesellschafters oder zumindest
zeitgleich mit dieser berücksichtigt werden (Urteil des
Bundesfinanzhofs - BFH - vom 10.12.2019 - VIII R 2/17, BFHE 267,
361, BStBl II 2020, 679 = SIS 20 06 80, Rz 36, 38). Im Streitfall
wurden aufgrund der Vorabausschüttungen auf Ebene der K-GmbH
jedoch keine vGA bewirkt und die Körperschaftsteuerbescheide
der Streitjahre nicht geändert. Der Senat hat die Frage, ob
§ 32a Abs. 1 Satz 1 KStG als Korrekturvorschrift auch dann auf
der Ebene des Anteilseigners herangezogen werden kann, wenn die
Änderung des Körperschaftsteuerbescheids gänzlich
unterbleibt, noch nicht entschieden und muss sie auch hier nicht
abschließend entscheiden. Die geänderten Bescheide
können im Streitfall grundsätzlich jeweils auf § 173
Abs. 1 Nr. 1 AO als Änderungsvorschrift gestützt werden
(vgl. hierzu BFH-Urteil vom 12.06.2018 - VIII R 38/14, BFH/NV 2018,
1141 = SIS 18 14 34, Rz 33, zum Austausch der
Änderungsvorschrift). Dem FA sind die inkongruenten
Ausschüttungen erst durch die Außenprüfung und
damit nachträglich bekannt geworden. Für das Streitjahr
2015 kann das FA die weitere Änderung der
Einkommensteuerfestsetzung im Klageverfahren, die nur die
Vermietungseinkünfte der Kläger und damit einen anderen
Streitpunkt betraf, auf § 165 Abs. 2 AO stützen.
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2. Der Kläger hat aufgrund der
Vorabgewinnausschüttungen keine Einkünfte aus
Gewinnanteilen (Dividenden) gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 1
EStG erzielt. Die inkongruenten
Vorabgewinnausschüttungsbeschlüsse, in denen an ihn keine
Ausschüttungsbeträge verteilt wurden, sind zivilrechtlich
wirksam (s. unter II.2.a und b). Der Kläger hat den
Einkünfteerzielungstatbestand des § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz
1 EStG jeweils nicht verwirklicht (s. unter II.2.c).
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a)
Vorabgewinnausschüttungsbeschlüsse, die nicht nichtig
sind oder nicht aufgrund einer Anfechtung für nichtig
erklärt werden oder von keinem der Gesellschafter angefochten
werden können, sind wirksame Gewinnverwendungs- und
Gewinnverteilungsbeschlüsse (vgl. BFH-Urteile vom 23.07.1975 -
I R 165/73, BFHE 117, 30, BStBl II 1976, 73 = SIS 76 00 43, unter
1. [Rz 12]; vom 07.11.2001 - I R 11/01, BFH/NV 2002, 540 = SIS 02 58 87, unter II.3.b; vom 27.01.1977 - I R 39/75, BFHE 122, 43,
BStBl II 1977, 491 = SIS 77 02 72, unter 2.; wohl auch BFH-Urteil
vom 13.03.2018 - IX R 35/16, BFH/NV 2018, 936 = SIS 18 10 57, Rz
18). Die hierauf beruhenden Ausschüttungen sind
Gewinnausschüttungen i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1
EStG (vgl. BFH-Urteile vom 02.12.2014 - VIII R 2/12, BFHE 248, 45,
BStBl II 2015, 333 = SIS 15 03 41, Rz 19; s.a. BFH-Urteile vom
17.02.1993 - I R 21/92, BFH/NV 1994, 83 = SIS 93 19 34, unter
II.2., zur Kapitalertragsteuer; vom 23.04.1992 - II R 40/88, BFHE
168, 365, BStBl II 1992, 790 = SIS 92 17 24, unter II.1.c, sowie
BFH-Urteile in BFHE 122, 43, BStBl II 1977, 491 = SIS 77 02 72; vom
18.11.1970 - I R 88/69, BFHE 100, 400, BStBl II 1971, 73 = SIS 71 00 41, unter 2.c [Rz 16], jeweils zu § 19 Abs. 3 Satz 1 KStG
a.F.).
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b) Die in den Streitjahren gefassten
Beschlüsse über die inkongruenten
Vorabgewinnausschüttungen widersprechen zwar der Satzung der
K-GmbH (s. unter II.2.b aa). Sie sind aber entgegen der Auffassung
des FA und des BMF nicht nichtig, sondern als punktuell
satzungsdurchbrechende Ausschüttungsbeschlüsse mangels
Anfechtbarkeit zivilrechtlich wirksam und bindend (s. unter II.2.b
bb bis dd).
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aa) Enthält ein Gesellschaftsvertrag -
wie hier - keine gesonderte Regelung zur Gewinnverteilung und keine
Öffnungsklausel i.S. des § 29 Abs. 3 Satz 2 GmbHG, sind
die Gewinne entsprechend der gesetzlichen Regelung in § 29
Abs. 3 Satz 1 GmbHG nach dem Verhältnis der
Geschäftsanteile zu verteilen. Wenn die
Gesellschafterversammlung durch Beschluss von der subsidiären
gesetzlichen Regelung in § 29 Abs. 3 Satz 1 GmbHG abweicht,
die in der Satzung nicht aufgenommen, in ihr aber auch nicht im
Rahmen einer Öffnungsklausel gemäß § 29 Abs. 3
Satz 2 GmbHG abbedungen wird, liegt ein satzungsdurchbrechender
Ausschüttungsbeschluss vor. Die gesetzliche Regelung in §
29 Abs. 3 Satz 1 GmbHG ist dann ein materieller, wenngleich kein
formeller Satzungsbestandteil (Priester, Zeitschrift für das
gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht - ZHR - Bd. 151 (1987),
40; zu inkongruenten Gewinnverteilungsbeschlüssen Priester,
ZHR Bd. 151 (1987), 40, 42 f.; Birkenmaier/Obser, GmbHR 2022, 850,
853; Strecker, Kölner Steuer-Dialog 2022, 22657, 22660 f., Rz
20, 23; Lauer/Weustenfeld, DB 2022, 985, 987, jeweils m.w.N.).
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bb) Satzungsdurchbrechende
Gesellschafterbeschlüsse, die einen vom Regelungsinhalt der
Satzung abweichenden rechtlichen Zustand mit Dauerwirkung (und sei
es auch nur für einen begrenzten Zeitraum) begründen,
sind (selbst im Fall eines einstimmig gefassten Beschlusses)
nichtig, wenn bei der Beschlussfassung nicht alle materiellen und
formellen Bestimmungen einer Satzungsänderung (insbesondere
die notarielle Beurkundung und Eintragung des Beschlusses in das
Handelsregister gemäß § 53 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz
1, § 54 Abs. 1 GmbHG) eingehalten werden (Urteil des
Bundesgerichtshofs - BGH - vom 07.06.1993 - II ZR 81/92, BGHZ 123,
15, unter 1.b [Rz 12, 13]; Oberlandesgericht - OLG - Köln,
Beschluss vom 24.08.2018 - I-4 Wx 4/18, GmbHR 2019, 188, Rz 15 bis
19; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 23.09.2016 - I-3 Wx 130/15,
GmbHR 2017, 36, Rz 22; s. OLG Dresden, Beschluss vom 09.11.2011 -
12 W 1002/11, GmbHR 2012, 213, Rz 10; vgl. auch OLG Nürnberg,
Urteil vom 10.11.1999 - 12 U 813/99, GmbHR 2000, 563, Rz 81,
jeweils m.w.N.).
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Von satzungsdurchbrechenden Beschlüssen
mit Dauerwirkung sind punktuell satzungsdurchbrechende
Beschlüsse zu unterscheiden, deren Wirkung sich in der
betreffenden Maßnahme als Einzelakt erschöpft, sodass
die Satzung durch den Beschluss zwar verletzt wird, aber nicht mit
Wirkung für die Zukunft geändert werden soll; solche
punktuell wirkenden Beschlüsse sind nicht nichtig, aber bei
der GmbH entsprechend § 243 Abs. 1 des Aktiengesetzes (AktG)
anfechtbar (BGH-Urteile in BGHZ 123, 15, unter 1.b [Rz 12, 13]; vom
25.11.2002 - II ZR 69/01, GmbHR 2003, 171, unter I.1.a; OLG
Köln, Beschluss in GmbHR 2019, 188, Rz 13; Lauer/Weustenfeld,
DB 2022, 985, 988 f.).
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cc) Ob ein satzungsdurchbrechender Beschluss
eine von der Satzung abweichende Regelungslage mit (ggf.
vorübergehender) Dauerwirkung begründet oder sich als
punktueller Satzungsverstoß in einer einzelnen Maßnahme
erschöpft, betrifft eine im Einzelfall durch das FG auf der
Grundlage der in der zivilgerichtlichen Rechtsprechung entwickelten
Wertungen zu entscheidende Tatsachenfrage. Die Würdigung des
FG, dass die von den Gesellschaftern der K-GmbH gefassten
Beschlüsse über die inkongruenten
Vorabgewinnausschüttungen jeweils nur punktuell
satzungsdurchbrechend sind, ist revisionsrechtlich nicht zu
beanstanden und für den Senat daher bindend (§ 118 Abs. 2
FGO).
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aaa) Das FG stellt bei seiner Würdigung
maßgeblich darauf ab, dass jeder Beschlussfassung über
eine Vorabausschüttung ein neuer Willensentschluss der
Gesellschafter der K-GmbH zugrunde lag und diese keine neue
Satzungsregelung zu einer generell von den
Beteiligungsverhältnissen abweichenden Gewinnverteilung
treffen wollten. Die Wirkung des jeweiligen Beschlusses habe sich
im Abfluss der Ausschüttung an die T-GmbH erschöpft.
Diese Würdigung des FG ist möglich, nachvollziehbar und
plausibel.
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bbb) Auch der Schutz des Rechtsverkehrs
verlangt - wie vom FG zu Recht entschieden - keine Einordnung der
Vorabgewinnausschüttungsbeschlüsse als nichtige
satzungsdurchbrechende Beschlüsse mit Dauerwirkung.
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Nach dem BGH-Urteil in BGHZ 123, 15 (unter 1.b
[Rz 12, 13]) haben Abweichungen von der Satzung, wenn sie
Dauerwirkung entfalten, nicht nur gesellschaftsinterne Bedeutung,
sondern berühren auch den Rechtsverkehr (Gläubiger,
Geschäftspartner und etwaige später eintretende
Gesellschafter). Da die gesamte Satzungsurkunde zum Handelsregister
einzureichen ist, ist die Eintragung satzungsdurchbrechender
Beschlüsse, die einen von der Satzung abweichenden Zustand
begründen, geboten, denn die beim Register vorhandene Satzung
gibt in einem solchen Fall entgegen dem mit der
Registerpublizität verfolgten Zweck den materiellen
Satzungsinhalt nicht mehr richtig und vollständig wieder (s.a.
OLG Köln, Beschluss in GmbHR 2019, 188, Rz 16 bis 19). Der
Schutz des Rechtsverkehrs wird vom BGH im Urteil in BGHZ 123, 15
(unter 1.b [Rz 12, 13]) als maßgebliches Wertungskriterium
für die Differenzierung zwischen nichtigen
satzungsdurchbrechenden Beschlüssen mit Dauerwirkung und
anfechtbaren satzungsdurchbrechenden Beschlüssen mit
punktueller Wirkung benannt.
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(1) Eine Vorabausschüttung ist eine
gesellschaftsrechtlich zulässige vorweggenommene
Gewinnauszahlung (Gewinnvorschuss), die u.a. als unterjährige
(wie im Streitfall) oder nachperiodische Ausschüttung (vor
Feststellung des Jahresabschlusses) erfolgen kann (vgl.
MüKoGmbHG/Ekkenga, 4. Aufl., § 29 Rz 95) und an den
Vorbehalt geknüpft ist, dass nach Ablauf des Wirtschaftsjahres
tatsächlich ein entsprechend hoher
ausschüttungsfähiger Gewinn vorhanden ist (vgl.
BFH-Urteile in BFHE 122, 43, BStBl II 1977, 491 = SIS 77 02 72,
unter 1.; in BFHE 168, 365, BStBl II 1992, 790 = SIS 92 17 24,
unter II.1.c). Vorabgewinnausschüttungen einer GmbH stehen
nach ganz herrschender Meinung nicht unter einem Satzungsvorbehalt
(vgl. Hommelhoff in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 20. Aufl., § 29
Rz 45). Da Vorabausschüttungen auch ohne eine
Satzungsgrundlage unter bestimmten weiteren Voraussetzungen
zulässig sind, muss der potenzielle Erwerber eines
Geschäftsanteils stets damit rechnen, dass es bei der
Gesellschaft, an der er Anteile erwerben will, solche
Ausschüttungen gegeben hat. Es liegt in seinem Interesse und
der gebotenen Sorgfalt in eigenen Angelegenheiten, sich über
frühere Vorabgewinnausschüttungen und deren Verteilung zu
informieren, um abschätzen zu können, ob es ggf. nicht
durchsetzbare Rückforderungsansprüche der Gesellschaft
gegen die Ausschüttungsempfänger geben könnte. Im
Streitfall war für jeden potenziellen Anteilserwerber
überdies aus § 12 Nr. 2 Buchst. i und § 17 Nr. 3 des
Gesellschaftsvertrags der K-GmbH ersichtlich, dass die
Gesellschafter Vorabgewinnausschüttungen beschließen
konnten.
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(2) Der Einordnung inkongruenter
Vorabgewinnausschüttungsbeschlüsse als nichtige
satzungsdurchbrechende Beschlüsse mit Dauerwirkung bedarf es
zum Schutz potenzieller Anteilserwerber danach nicht. Hieran
ändert auch der Umstand nichts, dass in den Streitjahren
inkongruente Vorabgewinnausschüttungen wiederholt beschlossen
und vollzogen wurden. Ein nennenswertes Interesse des
Rechtsverkehrs an einer Offenlegung der inkongruenten
Vorabausschüttungen im Register - und der Annahme der
Nichtigkeit der Beschlüsse, falls dies nicht geschieht - sieht
der Senat auch unter diesem Gesichtspunkt nicht. Das
Handelsregister dient nicht dazu, über die
gesellschaftsinterne Willensbildung der Gesellschafter bei
früheren Vorabgewinnausschüttungen zu unterrichten (vgl.
auch Lauer/Weustenfeld, DB 2022, 985, 991 f.; Pöschke, DStR
2012, 1089, 1092). Auch insoweit ist ein potenzieller
Anteilserwerber gehalten, sich über die Häufigkeit und
Verteilung früherer Vorabgewinnausschüttungen bei der
K-GmbH selbst zu informieren.
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(3) Schließlich veranlasst auch der
Beschluss des OLG Dresden in GmbHR 2012, 213 nicht dazu, die hier
streitigen Vorabgewinnausschüttungsbeschlüsse zum Schutz
des Rechtsverkehrs als nichtige satzungsdurchbrechende
Beschlüsse mit Dauerwirkung zu behandeln. Gegenstand der
Entscheidung des OLG Dresden war die Frage, ob ein Beschluss, mit
dem die Gesellschafterversammlung einer GmbH frühere
Gewinnverwendungsbeschlüsse bestätigte, mit denen die
vorgeschriebene jährliche Rücklagenbildung wiederholt
missachtet worden war, zur nachträglichen Legitimation der
früheren satzungswidrigen Ausschüttungen in das Register
eingetragen werden durfte. Das OLG Dresden hat diesen
Bestätigungsbeschluss als satzungsdurchbrechenden Beschluss
mit Dauerwirkung eingestuft und dessen Eintragung in das Register
zugelassen. Hierzu hat es maßgeblich darauf abgestellt, die
unterbliebene satzungsmäßig vorgegebene
Rücklagenbildung habe eine Dauerwirkung für die
Kapitalausstattung der Gesellschaft über das Jahr der
jeweiligen Ausschüttung hinaus entfaltet. Der Rechtsverkehr
und potenzielle neue Gesellschafter hätten - so das OLG
Dresden - das berechtigte Interesse zu erfahren, dass die aus den
Bilanzen ersichtlichen Gewinnrücklagen und damit die
Kapitalausstattung der Gesellschaft nicht den
satzungsmäßigen Vorgaben entsprochen hätten. Diese
Würdigung ist nicht sinngemäß auf die hier
streitigen inkongruenten
Vorabgewinnausschüttungsbeschlüsse zu übertragen.
Der dortige Streitfall betrifft eine gänzlich andere
Fallgestaltung als der Streitfall. Die Satzung der K-GmbH enthielt
keine Verpflichtung, eine bestimmte Kapitalausstattung der K-GmbH
zu gewährleisten, und erlaubte Vorabgewinnausschüttungen.
Der Rechtsverkehr durfte daher von vornherein kein
schützenswertes Vertrauen in eine besondere Kapitalausstattung
der K-GmbH entwickeln, denn Vorabausschüttungen beruhen auf
einer Gewinnprognose (s. unter II.2.b cc bbb (1)), die sich
nachträglich als unzutreffend herausstellen kann. Die
Kapitalausstattung einer Gesellschaft wird zudem auch nur über
den Abfluss der Vorabausschüttung tangiert, nicht
zusätzlich ins Gewicht fällt der Umstand, dass die
Vorabgewinnausschüttung inkongruent verteilt worden ist
(gleicher Ansicht im Ergebnis Lauer/Weustenfeld, DB2022, 985, 991;
Birkenmaier/Obser, GmbHR 2022, 850, 851 f.).
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dd) Die einstimmig gefassten, jeweils nur
punktuell satzungsdurchbrechenden inkongruenten
Vorabgewinnausschüttungsbeschlüsse der Streitjahre sind
im Ergebnis zivilrechtlich wirksam und bindend. Ob die
Beschlüsse für ihre Wirksamkeit notariell zu beurkunden
gewesen wären, aber nicht in das Handelsregister hätten
eingetragen werden müssen (so wohl BFH-Urteil in BFH/NV 2018,
936 = SIS 18 10 57, Rz 22; offengelassen von OLG Düsseldorf,
Beschluss in GmbHR 2017, 36, Rz 23; Bender/Bracksiek, DStR 2014,
121, 124 f.; wohl auch Pörschke, DB 2017, 1165, 1166), oder ob
für die Wirksamkeit der Beschlüsse die notarielle
Beurkundung und Eintragung - neben der erforderlichen
Beschlussmehrheit und Zustimmung der betroffenen Gesellschafter -
entbehrlich waren (Lauer/Weustenfeld, DB 2022, 985, 988;
Birkenmaier/Obser, GmbHR 2022, 850, 853; wohl auch Grever,
Rheinische Notar-Zeitschrift 2019, 1, 8), braucht der Senat nicht
zu entscheiden. Unabhängig davon, welche formellen
Anforderungen an die Wirksamkeit eines solchen Beschlusses gestellt
werden, ist ein punktuell satzungsdurchbrechender inkongruenter
Ausschüttungsbeschluss stets nur analog § 243 Abs. 1 AktG
anfechtbar (BGH-Urteil in GmbHR 2003, 171, unter I.1.a; OLG
Köln, Beschluss in GmbHR 2019, 188, Rz 13). Haben aber - wie
hier - sämtliche Gesellschafter der inkongruenten
Gewinnverteilung zugestimmt, kann der Beschluss von keinem der
Gesellschafter angefochten werden, denn die Zustimmung aller
Gesellschafter führt für jeden Gesellschafter zum Verlust
der Anfechtungsberechtigung (vgl. MüKoGmbHG/ Harbarth, a.a.O.,
§ 53 Rz 51, m.w.N.; vgl. auch Priester, ZHR Bd 151 (1987), 40,
54 und 57 f.; Lawall, DStR 1996, 1169, 1174, unter 5.1;
Priester/Tebben in Scholz, GmbHG, 13. Aufl., § 53 Rz 30a;
Bayer in Lutter/Hommelhoff, a.a.O., § 53 Rz 30; Noack in
Noack/Servatius/Haas, GmbHG, 23. Aufl., § 53 Rz 46;
Pörschke, DB 2017, 1165, 1166; s. zum Ausschluss der
Anfechtungsberechtigung auch § 15 des Gesellschaftsvertrags
der K-GmbH). Die einstimmigen und nicht anfechtbaren
Beschlüsse über die inkongruenten
Vorabgewinnausschüttungen der Streitjahre sind damit jeweils
zivilrechtlich wirksam und bindend.
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c) Da die Vorabgewinnausschüttungen im
Streitjahr auf zivilrechtlich wirksamen
Gesellschafterbeschlüssen beruhen, handelt es sich jeweils um
eine offene Ausschüttung von Gewinnanteilen gemäß
§ 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 EStG (s. unter II.2.a). Der
Kläger hat jedoch keinen Gewinnanteil zu versteuern, denn er
hat den Einkünfteerzielungstatbestand des § 20 Abs. 1 Nr.
1 Satz 1 EStG jeweils nicht verwirklicht, da zivilrechtlich wirksam
beschlossen wurde, an ihn keinen Gewinn auszuschütten (vgl.
auch BFH-Urteil vom 28.09.2021 - VIII R 25/19, BFHE 274, 457 = SIS 22 00 65, Rz 15, 17, zur inkongruenten Gewinnverwendung). Offen
ausgeschüttete Gewinne sind stets - nur - bei demjenigen
Anteilseigner der Besteuerung zu unterwerfen, dem sie in dieser
Eigenschaft als Anteilseigner zufließen (BFH-Urteil vom
19.08.1999 - I R 77/96, BFHE 189, 342, BStBl II 2001, 43 = SIS 99 21 49, unter II.3. [Rz 41]).
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d) Der Senat sieht auch keine Veranlassung,
dem Kläger auf der Grundlage der vom BMF geforderten
Fremdüblichkeitsprüfung aus den inkongruenten
Vorabausschüttungen an die T-GmbH Einkünfte
gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 EStG zuzurechnen.
§ 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 EStG verlangt für die
Einkünfteerzielung tatbestandlich nur den Bezug von
Gewinnanteilen durch den Gesellschafter (hier: nur bei der T-GmbH),
enthält aber keinen Vorbehalt, dass der Bezug fremdüblich
oder angemessen sein muss. Eine allgemeine steuerliche
Angemessenheitskontrolle zivilrechtlich wirksam beschlossener
inkongruenter Gewinnausschüttungen ist ebenfalls abzulehnen
(s. Schön, Fünfte Gedächtnisvorlesung für Max
Hachenburg (2002), S. 17, 50 f., 53 ff., mit weiteren Argumenten);
anderer Ansicht BMF-Schreiben vom 17.12.2013 - IV C 2 - S 2750 -
a/11/10001, BStBl I 2014, 63 = SIS 13 34 12).
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3. Entgegen der Auffassung des FA und des BMF
hat der Kläger auch keine Einkünfte aus vGA
gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG erzielt.
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a) Gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 1
Satz 2 EStG gehören zu den Einkünften aus
Kapitalvermögen als sonstige Bezüge aus Anteilen an einer
GmbH auch vGA. Eine vGA im Sinne dieser Vorschrift liegt vor, wenn
die Kapitalgesellschaft ihrem Gesellschafter außerhalb der
gesellschaftsrechtlichen Gewinnverteilung einen Vorteil zuwendet
und diese Zuwendung ihren Anlass im Gesellschaftsverhältnis
hat. Sie kann auch ohne tatsächlichen Zufluss beim
Gesellschafter verwirklicht werden, wenn der Vorteil ihm durch das
Gesellschaftsverhältnis mittelbar in der Weise zugewendet
wird, dass eine ihm nahestehende Person aus der
Vermögensverlagerung Nutzen zieht. Das
„Nahestehen“ kann
familienrechtlicher, gesellschaftsrechtlicher, schuldrechtlicher
oder auch rein tatsächlicher Art sein. Neben dem Vorliegen
eines
„Näheverhältnisses“
zwischen Gesellschafter und Vorteilsempfänger setzt eine vGA
ohne tatsächlichen Zufluss beim Gesellschafter voraus, dass
die Vorteilszuwendung ihren Anlass im Gesellschaftsverhältnis
der vorteilsgewährenden Gesellschaft zum Gesellschafter hat.
Unerheblich ist, ob der Gesellschafter selbst ein
vermögenswertes Interesse an der Zuwendung hat (vgl.
BFH-Urteil vom 14.02.2022 - VIII R 29/18, BFHE 276, 49, BStBl II
2022, 544 = SIS 22 11 08, Rz 12, 19, 21, zur Verlagerung von
Gewinnanteilen auf eine Schwestergesellschaft im Wege des
Nießbrauchs).
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b) Die inkongruenten Vorabausschüttungen
an die vom Kläger beherrschte T-GmbH wurden zivilrechtlich
wirksam beschlossen. Es handelt sich um offene Ausschüttungen,
die auf dem Gesellschaftsverhältnis der T-GmbH zur K-GmbH und
nicht auf dem Gesellschaftsverhältnis des Klägers zur
K-GmbH beruhen (s. unter II.2.c). Dies schließt die
Beurteilung der Ausschüttungen als vGA der K-GmbH an den
Kläger aus.
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4. Das FG hat ferner zu Recht entschieden,
dass die Vorabausschüttungen nur an die T-GmbH keinen
Missbrauch rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten
gemäß § 42 AO darstellen und nicht zu einer
Zurechnung der hälftigen Ausschüttungsbeträge als
Einkünfte beim Kläger führen können.
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a) Gemäß § 42 Abs. 1 Satz 1 AO
kann das Steuergesetz durch den Missbrauch von
Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts nicht umgangen werden.
Beim Vorliegen eines Missbrauchs i.S. des § 42 Abs. 2 AO
entsteht der Steueranspruch gemäß § 42 Abs. 1 Satz
3 AO anderenfalls so, wie er bei einer den wirtschaftlichen
Vorgängen angemessenen rechtlichen Gestaltung entsteht. Ein
Missbrauch liegt gemäß § 42 Abs. 2 Satz 1 AO vor,
wenn eine unangemessene rechtliche Gestaltung gewählt wird,
die beim Steuerpflichtigen oder einem Dritten im Vergleich zu einer
angemessenen Gestaltung zu einem gesetzlich nicht vorgesehenen
Steuervorteil führt. Dies gilt gemäß § 42 Abs.
2 Satz 2 AO nicht, wenn der Steuerpflichtige für die
gewählte Gestaltung außersteuerliche Gründe
nachweist, die nach dem Gesamtbild der Verhältnisse beachtlich
sind.
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b) Das FG zieht für die Prüfung
eines Gestaltungsmissbrauchs gemäß § 42 AO im
Streitfall, der zivilrechtlich wirksame punktuell
satzungsdurchbrechende inkongruente
Vorabgewinnausschüttungsbeschlüsse zum Gegenstand hat, zu
Recht dieselben Kriterien wie in Fallgestaltungen heran, in denen
inkongruente Ausschüttungen aufgrund einer abweichenden
Gewinnverteilungsregel oder Öffnungsklausel
satzungsgemäß zivilrechtlich wirksam beschlossen werden.
Es ist kein Grund ersichtlich, zwischen diesen jeweils
zivilrechtlich wirksamen Ausschüttungsbeschlüssen im
Rahmen des § 42 AO zu unterscheiden (zustimmend
Lauer/Weustenfeld, DB 2022, 985, 992).
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c) Das FG hat das Vorliegen eines
Gestaltungsmissbrauchs nach diesem zutreffenden Maßstab mit
nicht zu beanstandenden Erwägungen verneint.
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aa) Nach der gefestigten Rechtsprechung des
BFH sind inkongruente Gewinnverteilungen steuerrechtlich
grundsätzlich anzuerkennen, wenn sie auf einem zivilrechtlich
wirksam zustande gekommenen Ausschüttungsbeschluss beruhen
(vgl. u.a. BFH-Urteile in BFHE 189, 342, BStBl II 2001, 43 = SIS 99 21 49, unter II.1.b aa aaa [Rz 28]; vom 28.06.2006 - I R 97/05,
BFHE 214, 276 = SIS 06 40 89; vom 04.12.2014 - IV R 28/11, BFH/NV
2015, 495 = SIS 15 05 43, Rz 22, 23, zur inkongruenten
Gewinnverteilung im Vorfeld einer Anteilsveräußerung; in
BFH/NV 2018, 936 = SIS 18 10 57, Rz 17, 18, zu einem
Vorabgewinnverteilungsbeschluss anlässlich einer
Anteilsveräußerung; BFH-Beschlüsse vom 27.05.2010 -
VIII B 146/08, BFH/NV 2010, 1865 = SIS 10 27 71; vom 04.05.2012 -
VIII B 174/11, BFH/NV 2012, 1330 = SIS 12 19 21; zur inkongruenten
(gespaltenen) Gewinnverwendung s. BFH-Urteil in BFHE 274, 457 = SIS 22 00 65, Rz 15; vgl. ferner FG Münster, Urteil vom 30.06.2021
- 13 K 272/19 G,F, EFG 2021, 1615 = SIS 21 13 64, Rz 47 ff.,
m.w.N.). Nahezu jede Gewinnausschüttung, die verdeckt erfolgt,
stellt zugleich eine inkongruente Ausschüttung an den
empfangenden Gesellschafter dar und wird der Besteuerung zugrunde
gelegt. Es gibt keinen Grund, offene inkongruente
Gewinnausschüttungen, die mit dem Gesellschaftsrecht im
Einklang stehen, hiervon steuerlich abweichend zu behandeln
(BFH-Urteil in BFHE 189, 342, BStBl II 2001, 43 = SIS 99 21 49,
unter II.1.b aa aaa [Rz 28]).
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bb) Ferner ist bei der Prüfung des
Eintritts eines steuerlichen Vorteils i.S. des § 42 Abs. 2
Satz 1 AO nur auf den Steueranspruch aus dem konkreten
Steuerschuldverhältnis abzustellen (BFH-Urteil in BFH/NV 2015,
495 = SIS 15 05 43, Rz 23), d.h. hier auf die einkommensteuerlichen
Steueransprüche für die Streitjahre. Die Würdigung
des FG, durch die Verlagerung des Ausschüttungspotenzials auf
die T-GmbH sei dem Kläger kein steuerlicher Vorteil
entstanden, weil er davon ausgehen musste, bei einer späteren
Ausschüttung der T-GmbH an ihn denselben Besteuerungsregeln zu
unterliegen und eine einkommensteuerliche Besteuerung infolgedessen
nur einstweilen aufgeschoben zu haben, ist nicht zu beanstanden.
Ebenso zutreffend hat das FG es abgelehnt, schenkungsteuerliche
Gestaltungsmöglichkeiten des Klägers in die Betrachtung
einzubeziehen, da es insoweit um (vermeintliche) steuerliche
Vorteile des Klägers außerhalb der hier zu beurteilenden
Einkommensteueransprüche geht. Ob die Ausschüttungen an
die T-GmbH der Verminderung der Haftungsmasse der K-GmbH dienten
und darin ein beachtlicher außersteuerlicher Grund (§ 42
Abs. 2 Satz 2 AO) liegen könnte, bedarf in Ermangelung eines
steuerlichen Vorteils des Klägers keiner weiteren
Prüfung.
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5. Der Senat entscheidet mit
Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung
(§ 121 i.V.m. § 90 Abs. 2 FGO). Ein Einverständnis
des beigetretenen BMF ist nicht erforderlich (BFH-Urteile vom
11.11.2010 - VI R 16/09, BFHE 232, 34, BStBl II 2011, 966 = SIS 11 01 53, Rz 16 f.; vom 20.03.2019 - II R
62/15, BFH/NV 2019, 674 = SIS 19 06 29, Rz 28).
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6. Die Kostenentscheidung beruht auf §
135 Abs. 2 FGO.
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