Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil
des Finanzgerichts Baden-Württemberg vom 24.06.2020 - 7 K
2352/17 = SIS 20 15 88
aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des gesamten Verfahrens hat der
Kläger zu tragen.
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I. Der Kläger und Revisionsbeklagte
(Kläger), sein Vater (V) und sein Bruder (B) schlossen am
27.06.2006 einen notariell beurkundeten Vertrag über die
Errichtung einer GmbH. Gegenstand des Unternehmens war der Erwerb,
die Verwaltung, Nutzung und Verwertung eigenen Vermögens sowie
die Beteiligung an anderen Unternehmen. Jeder Gesellschafter war zu
einem Drittel am Gesellschaftsvermögen beteiligt. Das
Stammkapital in Höhe von 27.000 EUR brachten die
Gesellschafter durch Bareinlagen in Höhe von jeweils 9.000 EUR
auf.
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Nach § 9 Nr. 2 der Satzung stand der
auszuschüttende Gewinn den Gesellschaftern im Verhältnis
ihrer Beteiligung am Stammkapital zu, sofern nicht eine andere
Gewinnverteilung unter Zustimmung jedes benachteiligten
Gesellschafters beschlossen wurde. Entsprechendes galt für die
Zuweisung und Auflösung der Kapitalrücklagen.
Beschlüsse der Gesellschafterversammlung wurden
grundsätzlich mit einfacher Mehrheit der abgegebenen Stimmen
gefasst und konnten nur innerhalb einer Frist von einem Monat ab
Beschlussfassung angefochten werden. Änderungen der Satzung
sowie Nebenabreden bedurften der notariellen Beurkundung.
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Am 01.07.2006 fassten die Gesellschafter
unter Verzicht auf alle Frist- und Formvorschriften folgenden
Beschluss: „Die Gesellschaft soll bislang im
Privatvermögen der Gesellschafter gehaltenes
Kapitalvermögen zusammenfassen und einheitlich anlegen. Die
Gesellschafter werden zu diesem Zwecke aus ihrem
Privatvermögen Geld- und Wertpapiervermögen einbringen,
ggfs. auch andere Vermögenswerte. Die zur Nutzung
eingebrachten Vermögenswerte werden
vereinbarungsgemäß den Kapitalrücklagen
zugeführt, daneben werden für jeden Gesellschafter
Verrechnungskonten geführt, auf die die Gewinnanteile der
Gesellschafter, Entnahmen aus den Kapitalrücklagen und
Einlagen zunächst verbucht werden. Zwischen den Parteien
besteht Einigkeit darüber, dass jeder Gesellschafter über
seinen Teil der Rücklagen frei verfügen kann und
insbesondere bei disquotalen Einlagen jeder Gesellschafter
Rechtsinhaber und Eigentümer seines Anteils der
Kapitalrücklagen bleibt, die Kapitalrücklagen also nicht
im Verhältnis der Beteiligungen zu je 1/3 den Gesellschaftern
zugerechnet werden.“
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Im Zeitraum zwischen Juli 2006 und Januar
2010 erbrachte V mehrere Bar- und Sachleistungen an die GmbH, die
zunächst teilweise auf dem Gesellschafter-Verrechnungskonto
verbucht, jedoch später aufgrund entsprechender
Gesellschafterbeschlüsse, die jeweils von zwei Gesellschaftern
unterzeichnet waren, in die Kapitalrücklage der GmbH als
„Kapitalrücklage V“ umgebucht
wurden. Auf diese Weise wurde der Kapitalrücklage der GmbH
insgesamt ein Betrag in Höhe von 4,95 Mio. EUR
zugeführt.
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Mit notariellem Vertrag vom 15.11.2012
beschlossen die Gesellschafter der GmbH, das Stammkapital von
27.000 EUR auf 554.500 EUR zu erhöhen. Zur Übernahme der
neuen Geschäftsanteile in Höhe von jeweils 263.750 EUR
wurden nur der Kläger und B zugelassen. Die
Kapitalerhöhung erfolgte in der Weise, dass der Kläger
und B im Wege der Sacheinlage Beteiligungen an anderen
Gesellschaften in die GmbH einbrachten, die ihnen V mit notariellem
Vertrag vom 24.10.2012 unentgeltlich übertragen hatte. Der
Buchwert der eingebrachten Beteiligungen betrug zum
Einbringungsstichtag 01.11.2012 jeweils 2.352.428,51 EUR. Die
Differenz zu den von dem Kläger und B übernommenen
Kapitalerhöhungsgeschäftsanteilen in Höhe von
jeweils 2.088.678,51 EUR wurde als sonstige Zuzahlung in die
Kapitalrücklage der GmbH eingestellt.
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Infolge der Kapitalerhöhung
verringerte sich die Beteiligung des V am
Gesellschaftsvermögen der GmbH von 33,33 % auf 1,623084 %
(9.000 EUR/554.500 EUR) und erhöhten sich die Beteiligungen
des Klägers und die des B von jeweils 33,33 % auf 49,188458 %
(272.750 EUR/554.500 EUR). Im Gegenzug für den Verzicht des V
auf die Teilnahme an der Kapitalerhöhung trafen die
Beteiligten in dem notariellen Vertrag vom 15.11.2012 eine
Ausgleichsvereinbarung, in der sie unter anderem festlegten, dass
die Veränderung der Kapitalbeteiligungen auch zu einer
Veränderung der Ansprüche der Gesellschafter an und auf
die Kapitalrücklage, welche bei der Gesellschaft besteht,
führt. Bei der Bestimmung des bei V eingetretenen Wertverlusts
rechneten sie die Kapitalrücklage der GmbH (vor
Kapitalerhöhung) in Höhe von 4,95 Mio. EUR den
Gesellschaftern in Höhe von jeweils einem Drittel zu. Nach
Durchführung der Kapitalerhöhung betrug der Anteil des V
an der Kapitalrücklage 148.144,66 EUR und die Anteile des
Klägers und des B jeweils 4.489.606,18 EUR. Nach dieser
Berechnung, die die Urkundsbeteiligten als
„verbindlich“ anerkannten, ergab sich
für V eine Wertminderung in Bezug auf seine Beteiligung an der
GmbH in Höhe von 1.063.061,26 EUR. Zum Ausgleich dieses
Verlusts verpflichteten sich der Kläger und B im notariellen
Vertrag vom 15.11.2012 zu lebenslänglichen Zahlungen an V in
Höhe von monatlich 14.500 EUR. Bei Vorversterben des V sollten
diese Zahlungen an seine Ehefrau, die Mutter des Klägers und
des B erfolgen, allerdings nur in Höhe von 75 %. Die als
„Wertverlustvereinbarung (V)“
bezeichnete Berechnung wurde von allen Gesellschaftern
unterzeichnet und als Anlage zur notariellen Urkunde vom 15.11.2012
genommen.
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Der Beklagte und Revisionskläger
(Finanzamt - FA - ) sah den Wertverlust des V durch die
Ausgleichsvereinbarung vom 15.11.2012 als nicht vollständig
ausgeglichen an und erblickte darin eine gemischte Schenkung von V
an den Kläger und B. Das FA war der Ansicht, die
Kapitalrücklage der GmbH sei für Zwecke der Berechnung
des Wertverlusts nicht jedem der Gesellschafter zu einem Drittel,
sondern allein dem V zuzurechnen, und stellte daher dem Wert der
Rücklage vor Kapitalerhöhung in Höhe von 3.566.239
EUR den Wert der Rücklage nach Kapitalerhöhung in
Höhe von 125.685 EUR und den vereinbarten Wertausgleich von
1.063.061 EUR gegenüber. In Höhe des Differenzbetrags
ging es von einer hälftigen Bereicherung des Klägers und
des B in Höhe von jeweils 1.188.746 EUR aus und setzte mit
Bescheid vom 23.05.2016 Schenkungsteuer in Höhe von 157.180
EUR fest.
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Gegen den Bescheid legte der Kläger
Einspruch ein. Er machte geltend, das FA habe nicht
berücksichtigt, dass der Kläger und B ihre Beteiligungen
zum Buchwert in die GmbH eingebracht hätten.
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Mit Einspruchsentscheidung vom 10.08.2017
setzte das FA die Schenkungsteuer auf 151.537 EUR herab und wies
den Einspruch im Übrigen als unbegründet zurück, da
es auch unter Berücksichtigung der gemeinen Werte der
eingebrachten Beteiligungen zu einer Vermögensminderung bei V
gekommen sei. Das FA berechnete die hälftige Bereicherung des
Klägers nunmehr mit 1.159.058 EUR, indem es dem Wert der
Kapitalrücklage vor Kapitalerhöhung in Höhe von
3.566.239 EUR zuzüglich der Einlage des V in Höhe von
9.000 EUR seiner Beteiligung in Höhe von 1,623084 % am
gemeinen Wert des Gesellschaftsvermögens in Höhe
11.956.371 EUR sowie den vereinbarten Wertausgleich von 1.063.061
EUR gegenüberstellte.
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Mit Urteil vom 24.06.2020 - 7 K 2352/17 gab
das Finanzgericht (FG) der Klage des Klägers statt und hob den
Bescheid vom 23.05.2016 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom
10.08.2017 auf.
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Das FG war der Auffassung, das FA sei zu
Unrecht davon ausgegangen, dass V seinen Mitgesellschaftern eine
Zuwendung gemacht habe. Diese Ansicht verkenne, dass die
Aufstockung der Kapitalrücklage auf disquotalen Einlagen des V
beruhe, die nach der im Einlagezeitpunkt geltenden Rechtslage nicht
der Schenkungsteuer unterlegen hätten. Die Formulierung in den
Gesellschafterbeschlüssen, dass der jeweilige Kapitalbetrag in
die Kapitalrücklage des Unternehmens umgebucht werde als
Kapitalrücklage des V ändere nichts daran, dass V im
Zeitpunkt der Kapitalerhöhung nur zu einem Drittel an der von
ihm aufgebrachten Kapitalrücklage beteiligt gewesen sei. Die
geleistete Einlage stelle Eigenkapital der GmbH dar, das allein der
Gesellschaft und nicht den Gesellschaftern zustehe.
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Mit der gegen das FG-Urteil erhobenen
Revision macht das FA die Verletzung materiellen Bundesrechts
geltend.
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Das FG habe sich nicht hinreichend mit den
rechtlichen Auswirkungen des Gesellschafterbeschlusses vom
01.07.2006 auseinandergesetzt, wonach bei disquotalen Einlagen
jeder Gesellschafter Rechteinhaber und Eigentümer seines
Anteils an der Kapitalrücklage bleibe. Dementsprechend
hätte die Kapitalrücklage nicht den Gesellschaftern in
Höhe ihrer jeweiligen Beteiligungsquoten, sondern allein dem V
zugerechnet werden dürfen. Das FG habe nicht beachtet, dass
der Vorgang der Einlageleistung als solcher nicht besteuert worden
sei. Zu einer freigebigen Zuwendung des V im Verhältnis zu
seinen Mitgesellschaftern sei es erst durch den im Zusammenhang mit
der Kapitalerhöhung erfolgten Verzicht des V auf seine
Ansprüche hinsichtlich seines Anteils an der
Kapitalrücklage gekommen.
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Das FA beantragt,
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die Vorentscheidung aufzuheben und die
Klage abzuweisen.
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Der Kläger beantragt,
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die Revision als unbegründet
zurückzuweisen.
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Er macht unter anderem geltend, der
Gesellschafterbeschluss vom 01.07.2006 habe im
Außenverhältnis keine Wirkung entfalten können.
Eine Verbuchung der disquotalen Einlagen des V auf einem
gesellschafterbezogenen Kapitalrücklagenkonto sei nicht
erfolgt, da nur ein Kapitalrücklagenkonto der Gesellschaft
bestanden habe. Mangels individueller Rücklagenzuordnung
könne V keinen Anspruch gegen die GmbH auf Auskehrung
„seiner“ Kapitalrücklage gehabt
haben. Das FA gehe auch zu Unrecht von einem subjektiven
Schenkungswillen des V gegenüber seinen Söhnen aus. Dies
zeige sich bereits daran, dass die Beteiligten im notariellen
Vertrag vom 15.11.2012 eine Ausgleichsvereinbarung getroffen
hätten. V habe die Berechnung des Ausgleichsanspruchs durch
seinen steuerlichen Berater in Auftrag gegeben, um eine
Ausgewogenheit von Leistung und Gegenleistung zu
gewährleisten. Er habe davon ausgehen können, dass der
aus der geänderten Beteiligungsquote resultierende Wertverlust
angemessen berücksichtigt worden sei.
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II. Die Revision des FA ist begründet.
Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung
der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung
- FGO - ). Das FG hat zu Unrecht angenommen, dass der
Forderungsverzicht des V im Zusammenhang mit der
Kapitalerhöhung der GmbH nicht den Tatbestand der freigebigen
Zuwendung im Sinne des § 7 Abs. 1 Nr. 1 des Erbschaftsteuer-
und Schenkungsteuergesetzes (ErbStG) erfüllt. Das FA hat die
Schenkungsteuer auch der Höhe nach zutreffend festgesetzt.
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1. Nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG gilt als
Schenkung unter Lebenden jede freigebige Zuwendung, soweit der
Bedachte durch sie auf Kosten des Zuwendenden bereichert wird. Ob
der Bedachte bereichert ist, bestimmt sich ausschließlich
nach der Zivilrechtslage (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom
27.08.2014 - II R 43/12, BFHE 246, 506, BStBl II 2015, 241 = SIS 14 29 69, Rz 37, 45). Als Bereicherung kommt dabei grundsätzlich
jede Vermögensmehrung sowie jede Minderung von Schulden oder
Belastungen beim Bedachten in Betracht (BFH-Urteil vom 17.03.2004 -
II R 3/01, BFHE 204, 311, BStBl II 2004, 429 = SIS 04 16 90, unter
II.1.). Auch ein Forderungsverzicht kann Gegenstand einer
freigebigen Zuwendung sein (BFH-Urteile vom 30.08.2017 - II R
46/15, BFHE 259, 370, BStBl II 2019, 38 = SIS 17 20 64, Rz 28 f.
und vom 16.09.2020 - II R 33/19, BFH/NV 2021, 317 = SIS 21 00 64,
Rz 23).
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2. Danach hat das FG das Vorliegen einer
freigebigen Zuwendung im Sinne des § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG zu
Unrecht mit der Begründung verneint, der Verzicht des V auf
einen vollen Wertausgleich für seine Kapitalzuführungen
führe nicht zu einer Bereicherung seiner Mitgesellschafter,
weil die Kapitalrücklage jedem der Gesellschafter in Höhe
ihrer Beteiligungsquoten zugestanden habe.
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a) Das FG hat verkannt, dass eine von den
Beteiligungsquoten abweichende Zuordnung der Kapitalrücklage
zivilrechtlich zulässig und grundsätzlich auch
steuerrechtlich anzuerkennen ist.
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aa) Die Kapitalrücklage ist zwar Bestandteil des
Eigenkapitals der Gesellschaft; dieses steht allein der
Gesellschaft und nicht dem Gesellschafter zu (vgl. BFH-Urteil vom
20.07.2018 - IX R 5/15, BFHE 262, 135, BStBl II 2019, 194 = SIS 18 17 45, Rz 22, m.w.N.). Insbesondere erwirbt der Gesellschafter im
Fall einer Einlage in das Gesellschaftsvermögen nicht ein
selbständiges Wirtschaftsgut „Beteiligung an der
Kapitalrücklage“. Die Einzahlung in die
Kapitalrücklage ist vielmehr in rechtlicher Hinsicht
aufzuspalten in die Zuführung von Kapital zum Vermögen
der Gesellschaft (Einlage) und die anschließende Einstellung
des zugeführten Betrags in die Kapitalrücklage. Nur
Erstere betrifft das Verhältnis zwischen Gesellschafter und
Gesellschaft; die spätere Einstellung in die Rücklage ist
ein rein gesellschaftsinterner Vorgang, der die Stellung des
Gesellschafters gegenüber der Gesellschaft nicht berührt.
Deshalb entsteht auch bei Zuführung des Kapitals zu einer
Kapitalrücklage nicht eine Berechtigung des Gesellschafters
speziell in Bezug auf diese Rücklage, sondern die Einlage
verstärkt lediglich die aus der Beteiligung erwachsende
Gesellschafterstellung (BFH-Urteil vom 27.04.2000 - I R 58/99, BFHE
192, 428, BStBl II 2001, 168 = SIS 00 12 40, unter III.5.b).
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bb) Die Zuordnung der Kapitalrücklage zum
Eigenkapital der Gesellschaft schließt es nach allgemeiner
Auffassung im Schrifttum jedoch nicht aus, dass Leistungen eines
Gesellschafters in die Kapitalrücklage in entsprechender
Anwendung von § 29 Abs. 3 Satz 2, § 72 Satz 2 des
Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter
Haftung (GmbHG) in der Weise gesellschafterbezogen zugeordnet
werden können, dass etwa im Fall der Liquidation oder der
Auflösung der Kapitalrücklage die geleisteten
Beträge nur den Gesellschaftern zustehen sollen, die die
Leistung ursprünglich erbracht haben, sodass die übrigen
Gesellschafter nicht über ihre Beteiligung von der eingelegten
Leistung profitieren. Dies gilt jedenfalls dann, wenn eine von den
Beteiligungsverhältnissen abweichende Zuordnung der
Kapitalrücklage nach der Satzung der GmbH möglich ist und
die Gesellschafter wirksam einen entsprechenden Beschluss fassen
(vgl. z.B. Priester,
DStR 2001, 795, 797; Blumers/Beinert/Witt, DStR 2002, 616, 617 f.;
Schulze/Osterloh, BB 2018, 427, 428; Kotzenberg/Riedel, DB 2019,
2655, 2656; Ott, DStR 2021, 897, 899; Karsten Schmidt/Scheller in
Scholz, GmbHG, 12./13. Aufl., § 72 Rz 2a; vgl. auch BFH-Urteil
vom 28.09.2021 - VIII R 25/19, BFHE 274, 457 = SIS 22 00 65, Rz
14). Liegen diese Voraussetzungen vor, ist eine zivilrechtlich
wirksam zustande gekommene gesellschafterbezogene Zuordnung der
Kapitalrücklage grundsätzlich auch in steuerrechtlicher
Hinsicht anzuerkennen (so auch R E 7.5 Abs. 11 Satz 14 der
Erbschaftsteuer-Richtlinien 2019).
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b) Eine gesellschaftsrechtlich zulässige
und auch in steuerrechtlicher Hinsicht anzuerkennende Vereinbarung
entsprechender disquotaler Rückzahlungsansprüche in Bezug
auf die Kapitalrücklage kann dazu führen, dass ein
späterer Verzicht auf eine derartige Forderung im
Verhältnis der Gesellschafter untereinander einen
schenkungsteuerbaren Vorgang nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG
auslöst. Das FG ist hingegen von anderen
Rechtsgrundsätzen ausgegangen. Denn aus der Prämisse, die
disquotale Einlage stelle Eigenkapital der Gesellschaft dar und
stehe nicht den Gesellschaftern zu, hat es unzutreffend
geschlussfolgert, dass die Kapitalrücklage den Gesellschaftern
stets nur in Höhe ihrer Beteiligungsquoten zuzurechnen ist und
der Verzicht auf disquotale Rückzahlungsansprüche, die
auf einem Gesellschafterbeschluss beruhen, nicht zu einem
schenkungsteuerbaren Vorgang führen kann. Das Urteil des FG
war daher aufzuheben.
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3. Die Sache ist spruchreif. Die Klage ist
abzuweisen. Der angefochtene Schenkungsteuerbescheid in Gestalt der
Einspruchsentscheidung vom 10.08.2017 ist rechtmäßig.
Die Gesellschafter der GmbH haben wirksam eine von den
Beteiligungsverhältnissen abweichende Zuordnung der
Kapitalrücklage zugunsten des V beschlossen (hierzu unter
II.3.a). Daher hat V, indem er im Zusammenhang mit der
Kapitalerhöhung der GmbH auf einen vollen Ausgleich der von
ihm aufgebrachten Kapitalrücklage verzichtet hat, eine
freigebige Zuwendung im Sinne des § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG im
Verhältnis zu dem Kläger bewirkt (hierzu unter II.3.b).
Das FA hat auch die Höhe der Schenkungsteuer zutreffend
festgesetzt (hierzu unter II.3.c).
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a) Die Gesellschafter der GmbH haben wirksam
eine von den Beteiligungsverhältnissen abweichende Zuordnung
der Kapitalrücklage zugunsten des V beschlossen.
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aa) Die Gesellschafter der GmbH haben mit
Beschluss vom 01.07.2006 bestimmt, dass „insbesondere bei
disquotalen Einlagen jeder Gesellschafter Rechtsinhaber und
Eigentümer seines Anteils der Kapitalrücklagen bleibt,
die Kapitalrücklagen also nicht im Verhältnis der
Beteiligungen zu je 1/3 den Gesellschaftern zugerechnet
werden“. Dieser Beschluss stand im Einklang
mit der in § 9 Nr. 2 der Satzung enthaltenen
Öffnungsklausel, die den Gesellschaftern ausdrücklich die
Befugnis einräumte, eine von den
Beteiligungsverhältnissen abweichende Regelung in Bezug auf
die „Zuweisung und Auflösung von
Kapitalrücklagen“ zu treffen. Der
Beschluss vom 01.07.2006 beruhte danach auf einer
satzungsmäßigen Grundlage, sodass er ohne Beachtung der
für eine Satzungsänderung nach § 53 Abs. 3 Satz 1
GmbHG erforderlichen notariellen Beurkundung wirksam war (vgl.
Urteil des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 02.07.2019 - II ZR
406/17, DB 2019, 1783 = SIS 20 16 62, Rz 57; vgl. auch Lawall, DStR
1996, 1169; MüKoGmbHG/Harbarth, 4. Aufl., § 53 Rz 47;
Priester/Tebben in Scholz, GmbHG, 12./13. Aufl., § 53 Rz 27a;
Bayer in
Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 21. Aufl., § 53 Rz 33).
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Der Wirksamkeit des Gesellschafterbeschlusses
vom 01.07.2006 steht auch nicht entgegen, dass § 19 der
Satzung vorsah, dass nicht nur Satzungsänderungen, sondern
auch Nebenabreden der notariellen Beurkundung bedurften. Denn im
Unterschied zu den gesetzlichen Beurkundungspflichten führt
die Verletzung einer nur durch Satzung aufgestellten
Beurkundungsvorschrift nicht zur Nichtigkeit, sondern lediglich zur
Anfechtbarkeit des Beschlusses (BGH-Urteil vom 16.07.2024 - II ZR
71/23, DB 2024, 1875 = SIS 24 15 53, Rz 37; vgl. auch Noack in
Noack/Servatius/Haas, GmbHG, 23. Aufl., Anhang nach § 47 Rz
49; Schmidt/Nachtwey in Prinz/Winkeljohann,
Beck’sches Handbuch der GmbH, 6. Aufl., § 4 Rz
174). Haben aber - wie hier - sämtliche Gesellschafter
zugestimmt, kann der Beschluss von keinem der Gesellschafter
angefochten werden, denn die Zustimmung aller Gesellschafter
führt für jeden Gesellschafter zum Verlust der
Anfechtungsberechtigung (BFH-Urteil vom 28.09.2022 - VIII R 20/20,
BFHE 278, 231 = SIS 22 21 40, Rz 31; Lawall, DStR 1996, 1169, 1174;
MüKoGmbHG/Harbarth, 4. Aufl., § 53 Rz 53; Priester/Tebben
in Scholz, GmbHG, 12./13. Aufl., § 53 Rz 30a; Bayer in
Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 21. Aufl., § 53 Rz 30). Der
einstimmige und nicht anfechtbare Beschluss vom 01.07.2006
über die disquotale Zuweisung der Kapitalrücklage war
damit zivilrechtlich wirksam und bindend. Er ist mangels
entgegenstehender Gründe auch in steuerrechtlicher Hinsicht
anzuerkennen.
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bb) Die disquotale Zurechnung der
Kapitalrücklage ging auch nicht deswegen ins Leere, weil es,
wie der Kläger geltend macht, von vornherein an einer
wirksamen Beschlussfassung der Gesellschafter über die
Einstellung der Leistungen des V in die Kapitalrücklage der
GmbH gefehlt habe. Ausweislich der im Jahr 2007 gefassten
Gesellschafterbeschlüsse wurden die zunächst auf dem
Gesellschafter-Verrechnungskonto des V bestehenden
Verbindlichkeiten in die Kapitalrücklage der GmbH als
„Kapitalrücklage V“ umgebucht.
Diese Beschlüsse wurden satzungsgemäß von der
Mehrheit der Gesellschafter gefasst und waren daher wirksam. Sie
waren auch deswegen bindend, weil sie durch den an der
Beschlussfassung nicht teilnehmenden Gesellschafter nicht
angefochten wurden.
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b) Durch den Verzicht auf einen vollen
Ausgleich des von ihm aufgebrachten Betrags der
Kapitalrücklage im Zusammenhang mit der Kapitalerhöhung
bei der GmbH hat V eine freigebige Zuwendung im Sinne des § 7
Abs. 1 Nr. 1 ErbStG an den Kläger bewirkt.
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aa) Die objektive Bereicherung des
Klägers liegt darin, dass er aufgrund des Forderungsverzichts
des V die bei diesem aufgrund der Kapitalerhöhung entstandene
Wertminderung seines Anteils nicht vollständig ausgleichen
musste. Obwohl die Kapitalrücklage nach dem
Gesellschafterbeschluss vom 01.07.2006 allein dem V zustand, wurde
sie in der Wertverlustberechnung vom 15.11.2012 allen
Gesellschaftern in Höhe ihrer jeweiligen Beteiligungsquote
zugerechnet. Sie wurde damit trotz abweichender Beschlussfassung
auch auf den Kläger und B verteilt, ohne dass diese
hierfür einen entsprechenden Ausgleich zu leisten hatten.
Hierin liegt ein vermögenswerter Vorteil, um den der
Kläger und B bereichert worden sind.
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bb) Der Kläger ist auch, wie es § 7
Abs. 1 Nr. 1 ErbStG erfordert, auf Kosten des V bereichert worden.
Denn soweit V auf einen vollen Ausgleich der bei ihm eingetretenen
Wertminderung verzichtet hat, ist bei ihm eine entsprechende
Vermögensminderung eingetreten. Entgegen dem Vorbringen des
Klägers in der mündlichen Verhandlung war diese
Vermögensminderung nicht nur rein vorläufiger Natur. In
der notariellen Urkunde vom 15.11.2012 wurde festgelegt, dass
„die Veränderung der Kapitalbeteiligung (…) auch
zu einer Veränderung der Ansprüche der Gesellschafter an
und auf die Kapitalrücklage“ führe.
Zugleich erkannten sämtliche Gesellschafter die
Wertverlustberechnung als „verbindlich“
an. Diese getroffenen Vereinbarungen können nicht anders
verstanden werden, als dass V auf einen vollen Ausgleich der bei
ihm entstandenen Wertminderung endgültig verzichtet hat.
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cc) Auch das subjektive Erfordernis einer
freigebigen Zuwendung, nämlich der Wille des V zur
Freigebigkeit, ist erfüllt.
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(1) Hierfür genügt es, wenn sich der
Zuwendende der (Teil-)Unentgeltlichkeit seiner Leistung bewusst
ist. Bei Unausgewogenheit gegenseitiger Verträge reicht
regelmäßig das Bewusstsein des einseitig benachteiligten
Vertragspartners über den Mehrwert seiner Leistung aus; auf
die Kenntnis des genauen Ausmaßes des Wertunterschieds kommt
es hingegen nicht an. Die Kenntnis des Zuwendenden hinsichtlich der
Umstände, aus denen sich die objektive Bereicherung des
Zuwendungsempfängers ergibt, ist dabei regelmäßig
prima facie zu unterstellen. Ein auf die Bereicherung des
Empfängers gerichteter Wille im Sinne einer
Bereicherungsabsicht ist nicht erforderlich (BFH-Urteile vom
29.10.1997 - II R 60/94, BFHE 183, 253, BStBl II 1997, 832 = SIS 98 01 06 und vom 12.07.2005 - II R 8/04, BFHE 210, 474, BStBl II 2005,
845 = SIS 05 44 27).
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(2) Danach liegt der subjektive Tatbestand
einer freigebigen Zuwendung vor. Dem V war bekannt, dass bei der
Bestimmung der vom Kläger zu erbringenden Ausgleichsleistung
die Kapitalrücklage der GmbH den Gesellschaftern im
Verhältnis ihrer quotalen Beteiligung am
Gesellschaftsvermögen zugerechnet worden war, obwohl die
Gesellschafter mit Beschluss vom 01.07.2006 bindend festgelegt
hatten, dass jeder Gesellschafter Rechtsinhaber und Eigentümer
seines Anteils der Kapitalrücklage bleibt, die
Kapitalrücklage also nicht im Verhältnis der
Beteiligungen sämtlichen Gesellschaftern zugerechnet werden
sollte. Die Wertverlustberechnung, in der die Kapitalrücklage
entsprechend den Beteiligungsquoten aufgeteilt wurde, wurde auch
von V unterzeichnet und als Anlage zur notariellen Urkunde vom
15.11.2012 genommen. Damit war dem V im Zusammenhang mit der
Durchführung der Kapitalerhöhung bewusst, dass die vom
Kläger und B an ihn zu leistende Ausgleichszahlung den
entstandenen Wertverlust nur teilweise ausgleichen würde. Das
reicht für die Annahme des Bewusstseins der
(Teil-)Unentgeltlichkeit aus, ohne dass es darauf ankommt, welche
konkreten Motive für die Zuwendung des V im Vordergrund
standen.
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dd) Der Annahme einer freigebigen Zuwendung im Sinne
des § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG aufgrund des Forderungsverzichts
des V steht schließlich nicht entgegen, dass die Aufstockung
der Kapitalrücklage der GmbH auf disquotalen Einlagen beruht,
die nach der im Zeitpunkt der Einlageleistung maßgebenden
Rechtslage nicht der Besteuerung nach § 7 Abs. 8 Satz 1 ErbStG
unterlagen (vgl. § 37 Abs. 7 Satz 1 ErbStG). Denn Gegenstand
des angefochtenen Schenkungsteuerbescheids sind nicht die
Einlageleistungen des V, sondern dessen Verzicht auf einen vollen
Ausgleich der von ihm aufgebrachten Kapitalrücklage.
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c) Das FA hat auch die Höhe der
Schenkungsteuer zutreffend festgesetzt. Insbesondere ist das FA in
der Einspruchsentscheidung vom 10.08.2017 zu Recht von einer
Bereicherung des Klägers in Höhe von 1.159.058 EUR
ausgegangen.
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Nach den Feststellungen des FG, die der
Kläger nicht mit Verfahrensrügen angegriffen hat und
deshalb für den Senat bindend sind (§ 118 Abs. 2 FGO),
war V nach der Kapitalerhöhung mit einem Anteil von 1,623084 %
am Gesellschaftsvermögen der GmbH beteiligt. Der Wert seiner
Beteiligung an dem vom FG festgestellten gemeinen Wert des
Betriebsvermögens in Höhe von 11.956.371 EUR betrug daher
194.062 EUR. Vor der Kapitalerhöhung belief sich der Wert
seiner Beteiligung auf 3.575.239 EUR, da von dem vom FG festgestellten gemeinen Wert
des Betriebsvermögens in Höhe von 3.593.239 EUR die
Bareinlagen des Klägers und B in Höhe von 18.000 EUR
unstreitig abzuziehen waren. Die Kapitalerhöhung
führte daher zu einem Wertverlust bei V in Höhe von
3.381.177 EUR. Die in der Wertverlustberechnung vom 15.11.2012
ermittelte Ausgleichszahlung in Höhe von 1.063.061 EUR glich
diesen Wertverlust nur teilweise aus. Den Differenzbetrag in
Höhe von 2.318.116 EUR hat das FA zu Recht jeweils zur
Hälfte beim Kläger und bei B als Bereicherung angesetzt,
weil sie jeweils in dieser Höhe durch den Forderungsverzicht
des V von ihrer Ausgleichsverpflichtung befreit wurden. Die
weiteren Berechnungsgrundlagen der angefochtenen
Schenkungsteuerfestsetzung stehen zwischen den Beteiligten nicht in
Streit, sodass der Senat insoweit von weiteren Ausführungen
absieht.
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4. Die Kostenentscheidung beruht auf §
135 Abs. 2 FGO.
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