Der Beschluss des Hessischen Finanzgerichts
vom 19.05.2020 - 4 V 540/20 wird aufgehoben.
Der Antrag der Antragstellerin wird
abgelehnt.
Die Kosten des Verfahrens hat die
Antragstellerin zu tragen.
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I. Streitig ist die Aussetzung bzw.
Aufhebung der Vollziehung (AdV) von zwei Pfändungs- und
Einziehungsverfügungen.
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Die Antragstellerin,
Beschwerdeführerin und Beschwerdegegnerin (Antragstellerin)
betreibt Seeschiffe (Container- und Massegutschiffe) und
verchartert dabei u.a. Transportkapazitäten der in ihrem
Eigentum stehenden Schiffe. Sie ist eine in der A-Republik
gegründete Kapitalgesellschaft, die das
streitgegenständliche Verfahren ebenso wie auch schon das
Verwaltungsverfahren unter ihrer dortigen Adresse führt. Ihr
Geschäftsführer ist in der B-Republik
geschäftsansässig. Nach Angaben der Antragstellerin hat
sie ihren Geschäftssitz gleichwohl in der C-Republik, einem
Mitgliedstaat der Europäischen Union (EU-Mitgliedstaat), ist
eine hundertprozentige Tochtergesellschaft eines Unternehmens mit
Sitz in diesem Staat und gehört wirtschaftlich mittelbar -
über Zwischengesellschaften - zu mehr als 75 Prozent einer in
der Bundesrepublik Deutschland (Deutschland) ansässigen
Kommanditgesellschaft (KG).
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Der EU-Mitgliedstaat, der gegenüber
der Antragstellerin im Jahr 2019 fällige Steuern festgesetzt
hat, richtete mit Schreiben vom 09.01.2020 (Eingang am 10.02.2020)
ein Beitreibungsersuchen gemäß § 9 des Gesetzes
über die Durchführung der Amtshilfe bei der Beitreibung
von Forderungen in Bezug auf bestimmte Steuern, Abgaben und
sonstige Maßnahmen zwischen den Mitgliedstaaten der
Europäischen Union (EUBeitrG) an das Bundeszentralamt für
Steuern (BZSt) als Verbindungsbüro i.S. des § 3 Abs. 1
Satz 2 Nr. 1 EUBeitrG i.V.m. § 5 Abs. 1 Nr. 5 des
Finanzverwaltungsgesetzes a.F. Insgesamt begehrt der
EU-Mitgliedstaat die Beitreibung von rund 6 Mio. EUR (5.925.562,02
EUR).
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Das BZSt leitete das Vollstreckungsersuchen
an die Hessische Finanzverwaltung, letztendlich an den
Antragsgegner, Beschwerdegegner und Beschwerdeführer
(Finanzamt - FA - ) weiter. Dieser erließ über den in
dem einheitlichen Vollstreckungstitel ausgewiesenen Betrag in
Höhe von 5.869.272,52 EUR (insgesamt drei Hauptforderungen
zuzüglich der bis zum Datum der Übermittlung des
Ersuchens fällig gewordenen Zinsen) zuzüglich
Säumniszuschlägen in Höhe von 56.289,50 EUR und
Vollstreckungskosten in Höhe von 86,28 EUR unter dem Datum
05.02.2020 die auf den Gesamtbetrag von 5.925.648,30 EUR lautenden
streitgegenständlichen Pfändungs- und
Einziehungsverfügungen gegen die X-Bank (Geschäftszeichen
- Gz. - : ...) und die Z-Bank (Gz.: ...). Eine weitere
Kontenpfändung (Gz.: ...) ging ins Leere. Als Gläubiger
war das Land Hessen ausgewiesen.
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Nach Aktenlage war den Schreiben an die
Banken jeweils eine Rückstandsaufstellung beigefügt, aus
der sich ersehen ließ, dass - von den Vollstreckungskosten in
Höhe von 86,28 EUR abgesehen - die Forderung auf ein
Beitreibungsersuchen des EU-Mitgliedstaats zurückging. Diese
Rückstandsaufstellungen unterschieden sich nur in einer Ziffer
des jeweiligen Gz. Den Zweitschriften für die
Vollstreckungsschuldnerin war ausweislich der Akten auch bzw. nur
eine Rückstandsaufstellung beigefügt. Diese trug das Gz.
der an die X-Bank adressierten Pfändungs- und
Einziehungsverfügung.
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Die X-Bank erkannte die Pfändung an
und überwies am 06.03.2020 einen Teilbetrag in Höhe von
1.456,89 EUR und am 02.04.2020 einen Teilbetrag in Höhe von
604.394,64 EUR an das FA.
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Die Z-Bank teilte mit, dass die
Pfändung hinsichtlich einer Forderung in Höhe von 447.540
USD aus einem Kontokorrentguthaben grundsätzlich anerkannt
werde, dass das Konto jedoch bereits vorrangig verpfändet
sei.
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Die Antragstellerin legte gegen die
Pfändungs- und Einziehungsverfügungen am 14.02.2020
Einsprüche ein und beantragte AdV. Den AdV-Antrag lehnte das
FA mit Schreiben vom 19.02.2020 ab.
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9
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Nach einem weiterem Schriftwechsel
beantragte die Antragstellerin mit Schreiben vom 30.03.2020 von den
Vollstreckungsmaßnahmen unter Berücksichtigung des
Schreibens des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) vom 19.03.2020
- IV A 3 - S 0336/19/1007 (BStBl I 2020, 262 = SIS 20 02 55) bis
zum 31.12.2020 abzusehen. Dies lehnte das FA am 01.04.2020 ab, da
das BMF-Schreiben nur Geschädigte im Bundesgebiet und nur die
von den Landesfinanzbehörden verwalteten Steuern
betreffe.
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Mit unter dem Datum 15.04.2020
bekanntgegebener Einspruchsentscheidung (in der neben diesem Datum
als Erlassdatum der 08.04.2020 genannt wird; im Folgenden:
Einspruchsentscheidung vom 15.04.2020), zugestellt am 30.04.2020,
wies das FA die Einsprüche der Antragstellerin
zurück.
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11
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Am 13.05.2020 erhob die Antragstellerin
Anfechtungsklage gegen die Pfändungs- und
Einziehungsverfügungen vom 05.02.2020 in Gestalt der
Einspruchsentscheidung vom 15.04.2020 und beantragte die
Rückzahlung der bereits eingezogenen Beträge.
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Zuvor, am 23.04.2020, stellte die
Antragstellerin außerdem gemäß § 69 Abs. 3
Satz 1 und Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) den
streitgegenständlichen AdV-Antrag und beantragte, die
Vollziehung der Pfändungs- und Einziehungsermächtigungen
vom 05.02.2020 - ... und ... (in Gestalt der Einspruchsentscheidung
vom 15.04.2020) bis zur rechtskräftigen Entscheidung über
ein Klageverfahren ohne Sicherheitsleistung auszusetzen bzw. deren
Vollziehung aufzuheben.
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13
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Sie trug vor, ihren Geschäftsbetrieb
einstellen und Insolvenz anmelden zu müssen, sollte der Antrag
abgelehnt werden; sie sei bereits zum 31.12.2019 überschuldet
gewesen (vgl. Beschluss des Finanzgerichts - FG - S. 23).
Sicherheiten könne sie nicht stellen. Bis zur Entscheidung
über ihre Klage auf Aufhebung der Pfändungs- und
Einziehungsverfügungen sei AdV aus Billigkeitsgründen
gemäß § 258 der Abgabenordnung (AO) zu
gewähren.
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Die Antragstellerin begründete ihren
Antrag mit folgenden Argumenten, auf die sie auch ihre
streitgegenständliche Beschwerde stützt:
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Die Aufrechterhaltung der
Vollstreckungsmaßnahmen verstoße gegen den ordre public
(Art. 6 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen
Gesetzbuchs - EGBGB - ) und gegen die Kapitalverkehrsfreiheit nach
Art. 63 ff. des Vertrags über die Arbeitsweise der
Europäischen Union (AEUV).
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Wegen der Corona-Pandemie habe sie (die
Antragstellerin) derzeit erhebliche Einnahmeausfälle
insbesondere im Chartergeschäft. Zu ihren Gunsten sei
zumindest in entsprechender Anwendung des BMF-Schreibens in BStBl I
2020, 262 = SIS 20 02 55 i.V.m. § 14 Abs. 1 EUBeitrG von
Vollstreckungsmaßnahmen abzusehen; bereits eingezogene Mittel
seien ihr zu erstatten. Auch in dem ersuchenden EU-Mitgliedstaat
seien alle Steuervollstreckungsverfahren ab dem Inkrafttreten eines
Gesetzes zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im April
2020 automatisch ausgesetzt worden. Die dortige Finanzbehörde
habe den Antrag der Antragstellerin, das Beitreibungsersuchen
zurückzunehmen, zu Unrecht mit der Begründung abgelehnt,
das Gesetz sei nur auf Vollstreckungsmaßnahmen im
Staatsgebiet anzuwenden. Da die Weigerung der Finanzverwaltung des
EU-Mitgliedstaats jedoch willkürlich erscheine, seien die
Aufrechterhaltung des Beitreibungsersuchens und die Fortsetzung der
Vollstreckung durch das FA unbillig.
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Die unterlassene Anwendung des
BMF-Schreibens in BStBl I 2020, 262 = SIS 20 02 55 stelle
außerdem einen Verstoß gegen die
Kapitalverkehrsfreiheit nach Art. 63 ff. AEUV dar. Die
Pfändungsverfügungen vom 05.02.2020 hätten
gemäß § 309 Abs. 3 Satz 1 AO i.V.m. § 833a der
Zivilprozessordnung (ZPO) zu einer faktischen Kontosperre
geführt, so dass die von der Pfändung betroffenen
Girokonten ihre Zahlungsfunktion im bargeldlosen Zahlungsverkehr
verloren hätten (vgl. etwa Senatsurteil vom 16.05.2017 - VII R
5/16, BFHE 258, 105, BStBl II 2018, 735 = SIS 17 14 31, Rz 11;
Klein/Werth, AO, 15. Aufl., § 309 Rz 39). Die Auslegung des
BMF-Schreibens in BStBl I 2020, 262 = SIS 20 02 55 durch das FA -
bzw. ihm folgend durch das FG - und die hierdurch verursachte
unterschiedliche Behandlung von inländischen und
ausländischen Vollstreckungsschuldnern, die in Deutschland
Kapital angelegt hätten, stelle eine Beschränkung des
Kapitalverkehrs i.S. des Art. 63 Abs. 1 AEUV dar. Diese
Beschränkung sei nicht nach Art. 65 Abs. 1 Buchst. a AEUV
gerechtfertigt. Bei dieser sog. Steuerklausel handele es sich nicht
um eine Bereichsausnahme für das Steuerrecht. Vielmehr bringe
diese Regelung zum Ausdruck, dass steuerliche Ungleichbehandlungen
nur dann keine Beschränkungen bewirkten, wenn sich die
Steuerpflichtigen wegen ihrer Ansässigkeit oder des Anlageorts
in keiner vergleichbaren Situation befänden. Im Streitfall
befinde sich die Antragstellerin in Bezug auf die gepfändeten
Forderungen in einer mit einem inländischen
Vollstreckungsschuldner vergleichbaren Situation. Eine
unterschiedliche Behandlung sei demnach nicht gerechtfertigt. Von
Vollstreckungsmaßnahmen sei somit bis zum 31.12.2020
abzusehen.
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Der mit Hauptforderung I bezeichnete
Steueranspruch beruhe außerdem auf einem verfassungswidrigen
Gesetz. Dies sei ein weiterer Grund dafür, dass die
Vollstreckung gegen den ordre public (Art. 6 EGBGB) verstoße.
Sie (die Antragstellerin) unterliege in dem EU-Mitgliedstaat einer
optionalen Tonnagebesteuerung. Sie sei davon ausgegangen, dass bei
der Veräußerung von Schiffen ohne entsprechende
Neuanschaffung innerhalb der gesetzlichen Reinvestitionsfrist nur
auf den Nettogewinn (Verkaufserlös abzüglich
Anschaffungskosten, die um etwaige Abschreibungen zu vermindern
wären) Steuern zu entrichten seien. Die Steuerverwaltung des
ersuchenden EU-Mitgliedstaats habe jedoch im April 2019 für
das Jahr 2017 auf die Bruttoerlöse Steuern erhoben, also die
Anschaffungskosten nicht abgezogen, und deshalb um mehr als 4 Mio.
EUR höhere Steuern festgesetzt. Die Besteuerung des
Bruttoerlöses beim Verkauf eines Wirtschaftsguts
verstoße gegen den in Deutschland gemäß Art. 3
Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) geltenden Grundsatz der Besteuerung
nach der Leistungsfähigkeit. Der Gewinn des Jahres 2017 liege
weit unter dem, was die Steuerverwaltung des um Beitreibung
ersuchenden EU-Mitgliedstaats für dieses Jahr an Steuern
festgesetzt habe. Auch in den Vorjahren sei es zu Verlusten
gekommen.
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19
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Die weiteren in dem Vollstreckungsersuchen
genannten Hauptforderungen datierten gleichfalls aus dem Jahr 2019,
wobei in Bezug auf einen Teil der Forderungen (Hauptforderung II)
der Zugang des die Forderung festsetzenden Bescheids bestritten
werde. Dies führe dazu, dass das Beitreibungsersuchen
insgesamt (nicht nur teilweise) rechtswidrig sei und eine
Vollstreckung in Deutschland ausscheide (vgl. Urteil des
Gerichtshofs der Europäischen Union - EuGH - Donnellan vom
26.04.2018 - C-34/17, EU:C:2018:282, Amtsblatt der
Europäischen Union - ABlEU - 2018, Nr. C 211, 5, Rz 48, 52,
57).
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20
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Ein weiterer Verstoß gegen den ordre
public (Art. 6 EGBGB) bestehe darin, dass der um Beitreibung
ersuchende EU-Mitgliedstaat seinen Zinsforderungen einen
Jahreszinssatz von 7 Prozent zugrunde gelegt habe. Der
Bundesfinanzhof (BFH) habe bereits gegen den Zinssatz des §
238 Abs. 1 Satz 1 AO in Höhe von 6 Prozent pro Jahr für
Veranlagungszeiträume ab 2012 verfassungsrechtliche Bedenken
geäußert (BFH-Beschluss vom 04.07.2019 - VIII B 128/18,
BFH/NV 2019, 1060 = SIS 19 12 30).
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Den Pfändungs- und
Einziehungsverfügungen sei der einheitliche
Vollstreckungstitel (Uniform Instrument
Permitting Enforcement, UIPE) gemäß §
10 Abs. 3 EUBeitrG bzw. gemäß Art. 12 Abs. 1 der
Richtlinie 2010/24/EU des Rates vom 16.03.2010 über die
Amtshilfe bei der Beitreibung von Forderungen in Bezug auf
bestimmte Steuern, Abgaben und sonstige Maßnahmen
(EUBeitrRL), der im ersuchten EU-Mitgliedstaat (hier Deutschland)
die alleinige Grundlage für die zu ergreifenden
Beitreibungsmaßnahmen sei, nicht beigefügt gewesen. Es
werde bezweifelt, dass er zum Zeitpunkt der Pfändungs- und
Einziehungsverfügungen vorgelegen habe.
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Für die Vollstreckung angefochtener
Steuerforderungen sei nach § 13 Abs. 3 Satz 2 EUBeitrG eine
qualifizierte Begründung der Finanzverwaltung des ersuchenden
EU-Mitgliedstaats erforderlich. Diese liege nicht vor.
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Darüber hinaus habe die
Finanzbehörde des ersuchenden EU-Mitgliedstaats gegen Art. 21
Abs. 1 der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 1189/2011 der
Kommission vom 18.11.2011 zur Festlegung der
Durchführungsbestimmungen zu bestimmten Artikeln der
Richtlinie 2010/24/EU des Rates über die Amtshilfe bei der
Beitreibung von Forderungen in Bezug auf Steuern, Abgaben und
sonstige Maßnahmen (ABlEU Nr. L 302, 16) verstoßen,
weil zunächst versäumt worden sei, die gegen die
Steuerforderungen eingelegten Rechtsbehelfe mitzuteilen. Dieses
Vorgehen bzw. die Vollstreckung nicht bestandskräftiger
Forderungen verstoße gegen den in Art. 11 Abs. 1 EUBeitrRL
geregelten Grundsatz, wonach die ersuchende Behörde kein
Beitreibungsersuchen stellen könne, falls und solange die
Forderung und/oder der Titel für ihre Vollstreckung im
ersuchenden Mitgliedstaat angefochten worden seien.
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Dass in dem ersuchenden EU-Mitgliedstaat
generell kein vorläufiger Rechtsschutz gewährt werde, sei
gleichfalls mit dem ordre public (Art. 6 EGBGB)
unvereinbar.
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Entgegen dem BMF-Merkblatt zur
zwischenstaatlichen Amtshilfe bei der Steuererhebung (Beitreibung)
vom 23.01.2014 - IV B 6 S 1320/07/10011:011, FMNR0b9000014 (BStBl I
2014, 188 = SIS 14 04 72, Nr. 4.2.4.) sei vor Erlass der
Pfändungs- und Einziehungsverfügungen keine
Zahlungsaufforderung mit 14-tägiger Frist ergangen, weshalb
diese rechtswidrig und aufzuheben seien.
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Im Übrigen seien die Pfändungs-
und Einziehungsverfügungen schon deshalb rechtswidrig, weil
das FA für deren Erlass örtlich unzuständig gewesen
sei.
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In den Pfändungs- und
Einziehungsverfügungen sei als Vollstreckungsgläubiger zu
Unrecht das Land Hessen und nicht der um Beitreibung ersuchende
EU-Mitgliedstaat angegeben worden. Auch deshalb seien die
Verfügungen aufzuheben.
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Die ihr (der Antragstellerin)
übersandte Rückstandsanzeige verweise auf eine
Pfändungs- und Einziehungsverfügung vom
04.02.2020. Den Pfändungs- und
Einziehungsverfügungen vom 05.02.2020 sei keine
Rückstandsanzeige mit diesem Datum beigefügt gewesen,
weshalb ihnen nicht zu entnehmen sei, welche Forderungen
vollstreckt werden sollten. Sie seien deshalb wegen mangelnder
Bestimmtheit rechtswidrig oder nichtig und jedenfalls
aufzuheben.
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29
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Das FG setzte die Vollziehung der
Pfändungs- und Einziehungsverfügungen vom 05.02.2020 (in
Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 15.04.2020) mit dem
streitgegenständlichen Beschluss vom 19.05.2020 - 4 V 540/20
hinsichtlich der Einziehung bis zu einem Monat nach Zustellung
einer das Klageverfahren abschließenden Entscheidung,
längstens bis zum Eintritt der Bestandskraft der
Verfügungen, aus und hob sie hinsichtlich der Pfändung
mit Wirkung ab Leistung einer Sicherheit in Höhe von 450.000
EUR bis zum selben Zeitpunkt auf. Außerdem gab das FG dem FA
auf, gegenüber den Banken unverzüglich für die
Zukunft die Vollziehung der Einziehung auszusetzen und - sobald die
Sicherheitsleistung eingegangen ist - unverzüglich auch die
Vollziehung der Pfändungen aufzuheben.
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30
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Das FG stützte seine Entscheidung
darauf, dass das FA in den Pfändungs- und
Einziehungsverfügungen das Land Hessen als Gläubiger der
Forderung angegeben habe und den tatsächlichen Inhaber der
vollstreckten Steuerforderungen, den EU-Mitgliedstaat, nicht
benannt habe, was unter Berücksichtigung der Entscheidung des
FG Münster vom 21.01.2020 - 11 V 3213/19 AO (EFG 2020, 419 =
SIS 19 21 52) Zweifel an der Rechtmäßigkeit der
Pfändungs- und Einziehungsverfügungen begründe. Im
Übrigen liege kein weiterer offensichtlicher Verstoß
gegen Vollstreckungsvorschriften vor, weshalb AdV nur gegen
Sicherheitsleistung mit Wirkung ex nunc gewährt werden
könne.
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31
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Die geforderte Sicherheitsleistung
entspreche in ihrer Höhe in etwa der von der Z-Bank
anerkannten Pfändung des Kontoguthabens in Höhe von
447.540 USD. Trotz der bestehenden vorrangigen Pfändung einer
anderen Gläubigerin der Antragstellerin habe das FA insoweit
ein Sicherungsinteresse, da es möglich sei, dass das
vorrangige Pfandrecht erlösche. Da das Anliegen der
Antragstellerin auf Rückerstattung der von der X-Bank an das
FA ausgezahlten Beträge nicht Gegenstand des
streitgegenständlichen Verfahrens, sondern eines gesonderten
Erstattungsverfahrens sei, für das die Wirksamkeit und
Rechtmäßigkeit der Pfändungs- und
Einziehungsverfügungen nicht bindend seien, sei insoweit keine
weitergehende Sicherheitsleistung erforderlich. Dies gelte umso
mehr, als wegen des Vorrangs des Erstattungsverfahrens die
Vollziehung der Einziehung nicht rückwirkend aufzuheben,
sondern nur (mit Wirkung für die Zukunft) auszusetzen sei. Im
Übrigen sei mit weiteren Zahlungseingängen auf den
gepfändeten Konten nicht mehr zu rechnen, weshalb keine
über das gepfändete Kontoguthaben bei der Z-Bank
hinausgehende Sicherheiten festzusetzen seien.
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32
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Gegen den Beschluss des FG vom 19.05.2020 -
4 V 540/20, welcher der Antragstellerin am 23.05.2020 und dem FA am
25.05.2020 zugestellt worden ist, haben sowohl die Antragstellerin
mit Schreiben vom 02.06.2020 als auch das FA mit Schreiben vom
03.06.2020 (Begründung mit Schreiben vom 09.06.2020)
Beschwerde eingelegt.
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33
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Die Antragstellerin wiederholt und vertieft
im Wesentlichen ihr Vorbringen gegenüber dem FG und trägt
vor, dieses sei auf ihre Argumente nur unvollständig
eingegangen. Bei zutreffender Würdigung der Sach- und
Rechtslage und des Umstands, dass sie zu einer Sicherheitsleistung
nicht in der Lage sei, weshalb die geforderte Sicherheitsleistung
einer Rechtsverweigerung gleichkomme, sei - wie von ihr beantragt -
vollumfänglich AdV zu gewähren.
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34
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Sie beantragt, den FG-Beschluss vom
19.05.2020 - 4 V 540/20 aufzuheben und die Vollziehung der
Pfändungs- und Einziehungsermächtigungen vom 05.02.2020
... und ... in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 15.04.2020
ohne Sicherheitsleistung auszusetzen bzw. aufzuheben.
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35
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Das FA hält die
streitgegenständlichen Pfändungs- und
Einziehungsermächtigungen nach wie vor für
rechtmäßig und trägt vor, das FG habe zu Unrecht
teilweise AdV gewährt. Gemäß § 252 AO gelte im
Vollstreckungsverfahren die Körperschaft als Gläubigerin
der zu vollstreckenden Ansprüche, der die
Vollstreckungsbehörde angehöre. Deshalb sei in den
Pfändungs- und Einziehungsverfügungen zu Recht das Land
Hessen als Gläubigerin angegeben worden.
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36
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Es beantragt, den FG-Beschluss vom
19.05.2020 - 4 V 540/20 aufzuheben sowie den Antrag der
Antragstellerin, die Vollziehung der Pfändungs- und
Einziehungsermächtigungen vom 05.02.2020 - ... und ... in
Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 15.04.2020 bis zur
rechtskräftigen Entscheidung über das Klageverfahren ohne
Sicherheitsleistung auszusetzen bzw. deren Vollziehung aufzuheben,
zurückzuweisen.
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37
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II. Die Beschwerde des FA gegen den
FG-Beschluss vom 19.05.2020 - 4 V 540/20 ist begründet, die
Beschwerde der Antragstellerin ist zurückzuweisen.
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38
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1. Die Beschwerden sind zulässig. Das FG
hat die Beschwerde zugelassen; gemäß § 128 Abs. 1
FGO stand den Beteiligten somit die Beschwerde an den BFH zu. Beide
Beschwerden wurden innerhalb der Zwei-Wochen-Frist des § 129
Abs. 1 FGO eingelegt.
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39
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2. Die Beschwerde des FA ist begründet.
Das FG hat die streitgegenständlichen Pfändungs- und
Einziehungsverfügungen zu Unrecht teilweise von der
Vollziehung ausgesetzt und zu Unrecht teilweise die Vollziehung
aufgehoben. Bei der im vorliegenden Eilverfahren gebotenen
summarischen Prüfung anhand der präsenten Akten bestehen
keine Zweifel daran, dass die Pfändungs- und
Einziehungsverfügungen rechtmäßig sind. Die
Vollziehung hat für die Antragstellerin auch keine unbillige,
nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene
Härte zur Folge (§ 69 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 i.V.m.
Abs. 2 Satz 2 FGO).
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40
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a) Das FG ist zutreffend davon ausgegangen,
dass der Antrag der Antragstellerin, die Vollziehung der
streitgegenständlichen Pfändungs- und
Einziehungsverfügungen bis zur rechtskräftigen
Entscheidung über das Klageverfahren ohne Sicherheitsleistung
auszusetzen bzw. aufzuheben, zulässig ist.
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41
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aa) Pfändungs- (§ 309 AO) und
Einziehungsverfügungen (§ 314 AO) sind Verwaltungsakte,
deren Vollziehung gemäß § 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m.
§ 69 Abs. 2 Sätze 2 bis 6 FGO vom Gericht der Hauptsache
ausgesetzt werden kann, wenn das FA die AdV der Pfändungs- und
Einziehungsverfügungen abgelehnt hat (§ 69 Abs. 4 Satz 1
FGO) oder die Vollstreckung droht (§ 69 Abs. 4 Satz 2 Nr. 2
FGO). Gemäß § 69 Abs. 3 Satz 3 FGO kann das Gericht
auch ganz oder teilweise die Aufhebung der Vollziehung, auch gegen
Sicherheit, anordnen, wenn der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der
Entscheidung schon vollzogen ist. Der AdV-Antrag kann schon vor
Erhebung der Klage gestellt werden (§ 69 Abs. 3 Satz 2
FGO).
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42
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bb) Hiernach ist der Antrag im Streitfall
zulässig, die Voraussetzungen des § 69 Abs. 3 Sätze
1 und 3 FGO sind erfüllt. Die AdV wurde vom FA abgelehnt. Die
Vollstreckung drohte bzw. war im Zeitpunkt der Entscheidung des FG
bereits im Gange. Der AdV-Antrag wurde zulässigerweise vor
Erhebung der Klage gestellt. Da diese fristgerecht erhoben wurde,
sind die Pfändungs- und Einziehungsverfügungen nach wie
vor angefochtene Verwaltungsakte i.S. des § 69 Abs. 3 Satz 1
Halbsatz 2 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 AO.
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43
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b) Der Antrag ist jedoch nicht begründet.
Das FG hat zu Unrecht teilweise AdV gewährt.
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44
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aa) Im Streitfall bestehen keine ernstlichen
Zweifel an der Rechtmäßigkeit der
streitgegenständlichen Pfändungs- und
Einziehungsverfügungen.
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45
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Die AdV setzt nicht voraus, dass die für
die Rechtswidrigkeit und Unwirksamkeit sprechenden Gründe
überwiegen (vgl. u.a. BFH-Beschluss vom 25.11.2005 - V B
75/05, BFHE 212, 176, BStBl II 2006, 484 = SIS 06 04 04, m.w.N.).
Ernstliche Zweifel bestehen jedoch nur dann, wenn bei Prüfung
der Sach- und Rechtslage aufgrund präsenter Beweismittel und
des unstreitigen Sachverhalts erkennbar wird, dass aus gewichtigen
Gründen Unsicherheit oder Unentschiedenheit in der Beurteilung
von Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung von Tatfragen
besteht und sich bei abschließender Klärung dieser
Fragen der Verwaltungsakt als rechtswidrig erweisen könnte
(BFH-Beschluss vom 31.01.2002 - V B 108/01, BFHE 198, 208, BStBl II
2004, 622 = SIS 02 07 75, m.w.N.).
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46
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Diese Voraussetzungen sind im Streitfall nicht
erfüllt.
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47
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(1) Nach dem EUBeitrG wird Amtshilfe im
Bereich der Beitreibung in Bezug auf Forderungen im Zusammenhang
mit Steuern (i.S. des § 3 Abs. 1 AO) und Abgaben
einschließlich der Forderungen aus Haftungsbescheiden und
steuerlichen Nebenleistungen (i.S. des § 3 Abs. 4 AO), wie
etwa Säumniszuschlägen (vgl. Senatsurteil vom 21.07.2009
- VII R 52/08, BFHE 226, 102, BStBl II 2010, 51 = SIS 09 30 37,
unter II.4.a), geleistet (§ 1 EUBeitrG, Art. 2 EUBeitrRL),
wenn der Mindestbetrag von 1.500 EUR (§ 14 Abs. 1 EUBeitrG,
Art. 18 Abs. 3 EUBeitrRL) überschritten wird und die
Forderungen nicht betagt sind (§ 14 Abs. 2 EUBeitrG, Art. 18
Abs. 2 EUBeitrRL).
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48
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Diese allgemeinen Voraussetzungen lagen im
Streitfall vor. Der EU-Mitgliedstaat ersuchte um Beitreibung einer
der Körperschaftsteuer vergleichbaren Steuer sowie der hierauf
entfallenden Zinsen und Säumniszuschläge. Der
Mindestbetrag ist überschritten. Die Forderungen waren nicht
älter als fünf bzw. zehn Jahre.
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49
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(2) Das FA war für den Erlass der
Pfändungs- und Einziehungsverfügungen gemäß
§ 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a EUBeitrG sachlich und
gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 EUBeitrG i.V.m. § 25
Satz 1 AO örtlich zuständig, da für die
Vollstreckung aufgrund des Beitreibungsersuchens im Hinblick auf
einen fehlenden Geschäftssitz im Inland und die bei
verschiedenen Banken unterhaltenen Guthaben im Grundsatz mehrere
Ämter zuständig waren und das FA durch das
Verbindungsbüro beim BZSt zuerst mit der Sache befasst worden
ist. Eine vorrangige andere Zuständigkeit gemäß
§§ 19 ff. AO bestand nicht. § 20 Abs. 3 AO betrifft
das Besteuerungs- und nicht das Vollstreckungsverfahren.
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50
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Das BZSt musste eine Auswahl treffen, um eine
unabgestimmte Vollstreckung mehrerer Finanzbehörden aus einem
einheitlichen Vollstreckungstitel zu verhindern; entgegen der
unsubstantiierten Behauptung der Antragstellerin hat es diese auch
getroffen, denn es hat die Hessische Finanzverwaltung und letztlich
das FA mit der Vollstreckung beauftragt. Dies war nicht
willkürlich, da für eine etwaige Einziehungsklage gegen
die Z-Bank nach den Feststellungen des FG Frankfurt am Main der
allgemeine Gerichtsstand (§ 17 ZPO) gewesen wäre, und da
das BZSt wusste oder es zumindest nahelag, dass ein international
tätiges Unternehmen wie die Antragstellerin bei dieser Bank
ein Konto unterhält. Dass sich später herausgestellt hat,
dass die gepfändete Forderung das Guthaben einer
Zweigniederlassung betraf, dass die Z-Bank eine sog.
Pfändungsabteilung in D-Stadt unterhält, an welche die
Pfändungs- und Einziehungsverfügungen adressiert wurden,
oder dass bei einer anderen Bank letztlich am meisten beigetrieben
werden konnte, ändert an der Zuständigkeit des FA
gemäß § 25 Satz 1 AO nichts, weil die
Zuständigkeit vor Erlass des Verwaltungsaktes feststehen
muss.
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51
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Im Übrigen findet im Streitfall auch
§ 127 AO Anwendung, wonach die Aufhebung eines
Verwaltungsaktes, der nicht nach § 125 AO nichtig ist, nicht
allein deshalb beansprucht werden kann, weil er unter Verletzung
von Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit
zustande gekommen ist, wenn keine andere Entscheidung in der Sache
hätte getroffen werden können. Gemäß § 9
Abs. 1 Satz 1 EUBeitrG steht die Beitreibung aufgrund des EGBeitrG
nicht im Ermessen der ersuchten Behörde, sondern ist auf
Antrag der ersuchenden Behörde bei Vorliegen der
Voraussetzungen zwingend durchzuführen (vgl. Urteil des FG
Hamburg vom 04.02.2010 - 3 V 254/09, EFG 2010, 848 = SIS 10 10 67
zur Vorgängervorschrift). Angesichts der finanziellen
Situation der Antragstellerin, die nach ihren Angaben bereits zum
31.12.2019 überschuldet war, hatte sie objektiv keine
Möglichkeit, die Zwangsvollstreckung durch Zahlung oder
Sicherheitsleistung zu vermeiden; dies behauptet sie auch nicht. Im
Hinblick auf die Höhe der beizutreibenden Forderungen sowie
mangels sonstigem Vermögens der Antragstellerin bestand auch
kein Auswahlermessen des FA. Es musste gegenüber allen
kontoführenden Banken im Inland eine Pfändungs- und
Einziehungsverfügung erlassen.
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52
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(3) Der Vorwurf der Antragstellerin, die
Pfändungs- und Einziehungsverfügungen seien zu unbestimmt
und in sich widersprüchlich, trifft nicht zu. Gleiches gilt
für den Einwand, das FA habe als Vollstreckungsgläubiger
das Land Hessen angegeben und gegen den Grundsatz verstoßen,
dass die Adressaten der Pfändungs- und
Einziehungsverfügungen erfahren müssen, um welche
Ansprüche es sich handelt, um über Zahlungen und bzw.
oder das Ergreifen von Rechtsmitteln entscheiden zu können
(vgl. etwa Senatsurteil vom 18.07.2000 - VII R 101/98, BFHE 192,
232, BStBl II 2001, 5 = SIS 00 14 33).
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53
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Die Pfändungs- und
Einziehungsverfügungen sind, wie jeder Verwaltungsakt, nach
dem objektiven Empfängerhorizont auszulegen. Adressaten waren
mehrere deutsche Großbanken, die eigene
Vollstreckungsabteilungen unterhalten, sowie die Antragstellerin -
ein weltweit tätiges größeres
Schifffahrtsunternehmen -, die nach ihren Angaben mittelbar einer
deutschen KG gehört. Geht einem derartigen Unternehmen eine
Pfändung in einer Größenordnung von rund 6 Mio. EUR
zu, ist der objektive Empfängerhorizont eines einschlägig
Rechtskundigen maßgeblich, denn ein solcher wird (objektiv
betrachtet) von einem derartigen Unternehmen mit der Angelegenheit
befasst werden. Der objektive Empfängerhorizont ist somit im
Streitfall bei allen Beteiligten der eines im Geschäfts- und
Rechtsverkehr einschlägig erfahrenen Adressaten.
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Vor diesem Hintergrund war die Angabe in den
Verfügungen, die Antragstellerin schulde dem Land Hessen
5.925.648,30 EUR i.V.m. der jeweils beigefügten
Rückstandaufstellung eindeutig. Denn gemäß
§§ 250 Abs. 1 Satz 1, 252 AO, deren Kenntnis nach dem im
Streitfall zu berücksichtigenden objektiven
Empfängerhorizont unterstellt werden kann, gilt im
Vollstreckungsverfahren die Körperschaft als Gläubigerin
der zu vollstreckenden Ansprüche, der die
Vollstreckungsbehörde angehört. Aus der beigefügten
Rückstandsaufstellung ergab sich, dass es sich bei den
beizutreibenden Forderungen um solche des EU-Mitgliedstaats
handelte und dass das Land Hessen bzw. das FA aufgrund eines
Beitreibungsersuchens dieses Staates tätig wurde. Unklar oder
in sich widersprüchlich ist das nicht.
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Daran ändert nichts, dass der
Antragstellerin nach Aktenlage zusätzlich zu den
Zweitschriften der - vom jeweiligen Adressaten (Drittschuldner bzw.
Bank) und jeweils einer Ziffer des Gz. abgesehen - wortgleichen
Pfändungs- und Einziehungsverfügungen nur eine einzige
Rückstandsaufstellung übermittelt worden ist, die das Gz.
einer der streitgegenständlichen Pfändungs- und
Einziehungsverfügungen trug.
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Dass die der Antragstellerin und den Banken
übermittelten Rückstandsanzeigen außerdem einen
Schreibfehler im Datum aufwiesen (04.02. statt 05.02.2020) spielt
gleichfalls keine Rolle. Das FG ist zutreffend davon ausgegangen,
dass es sich bei dem Verweis auf eine Pfändungs- und
Einziehungsverfügung vom 04.02.2020 in den
Rückstandsanzeigen, die den Pfändungs- und
Einziehungsverfügungen vom 05.02.2020 beigefügt waren,
erkennbar um einen bloßen Schreibfehler oder um eine
sonstige, jederzeit berichtigungsfähige offenbare
Unrichtigkeit i.S. des § 129 Satz 1 AO handelt. Unklar oder
widersprüchlich waren die Pfändungs- und
Einziehungsverfügungen deshalb nicht.
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Entscheidend ist, dass die Schriftstücke
nach Aktenlage zusammen verschickt wurden und jeweils auf
Forderungen in Höhe von 5.925.648,30 EUR bezogen waren.
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Insoweit unterscheidet sich der Streitfall von
dem Sachverhalt, der dem Beschluss des FG Münster in EFG 2020,
419 = SIS 19 21 52 zugrunde lag, in einem wesentlichen Punkt. Denn
dort war es ausweislich der Feststellungen des FG nicht
ersichtlich, dass Ansprüche der luxemburgischen
Finanzverwaltung Gegenstand der Pfändung sein sollten. Eine
weitere Auseinandersetzung mit dem Beschluss des FG Münster in
EFG 2020, 419 = SIS 19 21 52 erübrigt sich somit im
Streitfall.
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59
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(4) Die unsubstantiierte Behauptung der
Antragstellerin, die formalen Voraussetzungen des § 9 Abs. 1
Sätze 1 und 3 EUBeitrG, § 10 Abs. 3 EUBeitrG bzw. Art. 12
Abs. 1 EUBeitrRL hätten nicht vorgelegen, weil in dem
EU-Mitgliedstaat schon kein Titel i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 1
EUBeitrG in der in dem einheitlichen Vollstreckungstitel
ausgewiesenen Höhe vorgelegen habe oder weil der einheitliche
Vollstreckungstitel gemäß § 10 Abs. 3 EUBeitrG bzw.
Art. 12 Abs. 1 EUBeitrRL am 05.02.2020 noch nicht vorgelegen habe,
sind nicht geeignet, Zweifel an der Rechtmäßigkeit der
Pfändungs- und Einziehungsverfügungen zu wecken. Da der
einheitliche Vollstreckungstitel aus den Daten im
übermittelten elektronischen Formblatt „Ersuchen um
Beitreibung oder Sicherungsmaßnahmen“ von der
ersuchten Behörde generiert wird (vgl. auch Senatsurteil vom
11.12.2012 - VII R 70/11, BFHE 239, 501, BStBl II 2013, 475 = SIS 13 08 11, Rz 10, 19 ff.), geht er zwangsläufig mit dem
Beitreibungsersuchen zu. Gemäß § 9 Abs. 1 Satz 3
EUBeitrG gilt der dem Ersuchen beigefügte einheitliche
Vollstreckungstitel als vollstreckbarer Verwaltungsakt, weshalb die
ersuchte Behörde nicht kontrollieren muss, ob dieser mit der
Bescheidlage im ersuchenden Mitgliedstaat übereinstimmt.
Vielmehr verlangt der Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens
zwischen den Mitgliedstaaten von jedem Mitgliedstaat, dass er -
abgesehen von außergewöhnlichen Umständen - davon
ausgeht, dass alle anderen Mitgliedstaaten das Unionsrecht und
insbesondere die dort anerkannten Grundrechte beachten. Dieses
Vertrauen wird nur dann erschüttert, wenn hinreichende
Anhaltspunkte für einen Verstoß gegen grundrechtliche
Mindeststandards darlegt werden (vgl. Nichtannahmebeschluss des
Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - vom 23.05.2019 - 1 BvR 1724/18
= SIS 19 08 44, Wertpapier-Mitteilungen/Zeitschrift für
Wirtschafts- und Bankrecht - WM - 2019, 1179, m.w.N.; EuGH-Urteil
Donnellan, EU:C:2018:282, ABlEU 2018, Nr. C 211, 5, m.w.N.). Die
Darlegungs- und Beweislast für Auslandssachverhalte liegt bei
den Beteiligten (§ 76 Abs. 1 Satz 4 FGO i.V.m. § 90 Abs.
2 Satz 1 AO; vgl. auch Senatsurteil in BFHE 239, 501, BStBl II
2013, 475 = SIS 13 08 11, Rz 26).
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60
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Der von der Antragstellerin vorgelegte Abdruck
einer Entscheidung der zuständigen Behörde des
ersuchenden EU-Mitgliedstaats vom 26.04.2019, wonach die
Antragstellerin wohl aus der Hauptforderung I zum damaligen
Zeitpunkt bereits rund 4,8 Mio. EUR zuzüglich Zinsen, zusammen
also rund 5,3 Mio. EUR schuldete, ist nicht geeignet, derartige
Zweifel in Bezug auf das Beitreibungsersuchen vom 09.01.2020,
welches drei Hauptforderungen zuzüglich Zinsen und
Säumniszuschlägen betrifft, zu wecken. Es gibt keinen
Grund zu der Annahme, der ersuchende Mitgliedstaat könne
versucht haben, durch ein Beitreibungsersuchen mehr Steuern
beizutreiben, als festgesetzt worden waren, wie die Antragstellerin
behauptet. Im Übrigen bleiben die von den
streitgegenständlichen Pfändungs- und
Einziehungsverfügungen erfassten Kontoguthaben weit hinter dem
Betrag von rund 5,3 Mio. EUR zurück, welche auch nach dem
Vortrag der Antragstellerin im Zusammenhang mit der Hauptforderung
I festgesetzt worden sind.
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61
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(5) Die Antragstellerin kann die Aufhebung der
streitgegenständlichen Pfändungs- und
Einziehungsverfügungen nicht deshalb verlangen, weil im
Streitfall - entgegen dem BMF-Merkblatt in BStBl I 2014, 188 = SIS 14 04 72, Nr. 4.2.4. - vor deren Erlass keine Zahlungsaufforderung
mit 14-tägiger Frist ergangen ist, auch wenn der Senat mit
Urteil in BFHE 226, 102, BStBl II 2010, 51 = SIS 09 30 37 zum
früheren Recht entschieden hat, dass ein derartiges Merkblatt
Außenwirkung entfaltet.
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62
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Der Senat kann im Streitfall offenlassen, ob
er hieran festhält, denn gemäß § 127 AO kann
die Aufhebung eines Verwaltungsaktes, der nicht nach § 125 AO
nichtig ist, nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er unter
Verletzung von Vorschriften über das Verfahren zustande
gekommen ist. Wie ausgeführt, stand die Beitreibung im
Streitfall nicht im Ermessen des FA.
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63
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(6) Die Vollstreckung aufgrund eines
Beitreibungsersuchens ist möglich, auch wenn der zu
vollstreckende Verwaltungsakt angefochten ist (§ 10 Abs. 1
EUBeitrG, Art. 11 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 4 EUBeitrRL).
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64
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(7) Es bestehen keine ernstlichen Zweifel an
der Rechtmäßigkeit der streitgegenständlichen
Pfändungs- und Einziehungsverfügungen, soweit der
ersuchende EU-Mitgliedstaat das Begründungsgebot des § 13
Abs. 3 Satz 2 EUBeitrG zunächst nicht beachtet hat.
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65
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Nach der im Streitfall gebotenen summarischen
Prüfung spricht viel dafür, dass das
Begründungsgebot in erster Linie dazu dient, dem ersuchenden
Mitgliedstaat vor Augen zu führen, dass eine Vollstreckung
angefochtener Forderungen mit einem Haftungs- bzw.
Entschädigungsrisiko (§ 13 Abs. 3 Satz 3 EUBeitrG)
verbunden ist und deshalb nur aus guten Gründen angestrengt
werden sollte. Auch sind Einwendungen in Bezug auf Fehler des
ersuchenden Mitgliedstaats - insbesondere gegen die Abgaben- und
Steuerfestsetzung sowie das Beitreibungsersuchen gemäß
§ 13 Abs. 1 und 2 EUBeitrG (Art. 14 Abs. 1 und 2 EUBeitrRL) -
grundsätzlich nur gegenüber dem ersuchenden Staat (hier
dem EU-Mitgliedstaat) geltend zu machen.
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66
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Im Streitfall kann jedoch letztlich
dahinstehen, ob das Begründungsgebot drittschützend ist.
Denn ein etwaiger Verstoß gegen die Begründungspflicht
durch die ersuchende Behörde kann jedenfalls nach dem
Rechtsgedanken des § 126 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 AO bis zum
Abschluss der Tatsacheninstanz des finanzgerichtlichen Verfahrens
geheilt werden. Im Streitfall hat der ersuchende EU-Mitgliedstaat
somit Gelegenheit, seine bisherigen Schreiben (insbesondere das
Schreiben vom 13.02.2020) vor dem Ergehen einer Entscheidung in der
Hauptsache noch einmal daraufhin zu überprüfen, ob sie
eine ausreichende Begründung enthalten, und diese
gegebenenfalls nachzuholen bzw. zu ergänzen.
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(8) Es bestehen außerdem auch keine
ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der
streitgegenständlichen Pfändungs- und
Einziehungsverfügungen, weil das FA das BMF-Schreiben in BStBl
I 2020, 262 = SIS 20 02 55 nicht (analog) angewandt hat. Nach der
Rechtsprechung des BFH ist für die Auslegung einer
Verwaltungsvorschrift nicht maßgeblich, wie die
Finanzgerichte die Verwaltungsanweisung verstehen, sondern wie die
Verwaltung sie verstanden hat und verstanden wissen wollte. Die
Finanzgerichte dürfen daher Verwaltungsanweisungen nicht nach
den allgemeinen Auslegungsmethoden selbst auslegen, sondern nur
darauf überprüfen, ob die Auslegung durch die
Behörde möglich ist (BFH-Urteil vom 26.09.2019 - V R
36/17, BFH/NV 2020, 86 = SIS 19 19 00, Rz 13).
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68
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Ist in einer Norm, in einer eine Norm
ersetzenden Verwaltungsvorschrift oder in einem Erlass kein
Zeitpunkt angegeben, ab dem die Regelung gelten soll, und
lässt sich ein derartiger Zeitpunkt auch nicht durch Auslegung
ermitteln, tritt die Regelung regelmäßig mit ihrer
Bekanntgabe in Kraft. Im BMF-Schreiben in BStBl I 2020, 262 = SIS 20 02 55 ist kein spezieller Zeitpunkt angegeben, ab dem die
Regelungen gelten sollen. Nr. 3 Satz 2 des Schreibens lässt
sich jedoch entnehmen bzw. bestätigt, dass maßgeblicher
Zeitpunkt, ab dem die Verwaltung in Vollstreckungsangelegenheiten
Zurückhaltung üben will, die Veröffentlichung des
Schreibens (in elektronischer Form) am 19.03.2020 ist. Der Begriff
des „Absehens“ i.S. der Nr. 3 Satz 1 dieses
Schreibens deutet auch darauf hin, dass Maßnahmen gemeint
sind, die noch nicht durchgeführt worden sind (vgl. auch
Beschluss des Hessischen FG vom 08.06.2020 – 12 V 643/20, EFG
2020, 1056, Rz 25). Jedenfalls kann dem Schreiben nicht entnommen
werden, dass Vollstreckungsmaßnahmen, die vor
Veröffentlichung dieses Schreibens ergriffen worden sind,
wieder aufzuheben oder rückabzuwickeln sind. Bei diesem Befund
ist davon auszugehen, dass die Verwaltungsanweisung mit ihrer
Bekanntgabe in Kraft getreten ist. Ließe sich dieses Ergebnis
nur durch Auslegung ermitteln, hält der beschließende
Senat ein solches Verständnis des BMF-Schreibens zumindest
für möglich.
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Somit könnten auch Inländer in einer
vergleichbaren Situation eine AdV nicht unter Berufung auf dieses
Schreiben erreichen. Die unterlassene Anwendung dieses Schreibens
stellt deshalb keinen Verstoß gegen die
Kapitalverkehrsfreiheit nach Art. 63 ff. AEUV dar (die, was das FA
übersehen hat, auch zugunsten von in Drittstaaten
ansässigen Personen zu beachten ist).
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Die Annahme der Finanzbehörde, das
BMF-Schreiben in BStBl I 2020, 262 = SIS 20 02 55 betreffe nur
Vollstreckungsmaßnahmen, die nach seiner Bekanntgabe am
19.03.2020 ergriffen werden, führt auch nicht zu einem
Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG, denn Art. 3 GG lässt
Stichtagsregelungen zu, sofern diese nicht zu willkürlichen
Ergebnissen führen. Wird eine Begünstigung
eingeführt, so ist es regelmäßig nicht geboten,
bereits verwirklichte Sachverhalte in die Begünstigung mit
einzubeziehen.
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Dies bedeutet jedoch nicht, dass
Vollstreckungsschuldner in derartigen Fällen rechtsschutzlos
gestellt sind. Vielmehr gelten insoweit die allgemeinen Regeln,
insbesondere § 258 AO. Der Antragsteller ist dann, wenn die
Verwaltung die Regelung in Nr. 3 des BMF-Schreibens in BStBl I
2020, 262 = SIS 20 02 55 nicht zu seinen Gunsten anwendet,
lediglich stärker gefordert, darzulegen, weshalb die
Aufrechterhaltung der Vollstreckungsmaßnahme wegen der
Corona-Pandemie oder aus anderen Gründen unbillig ist bzw.
weshalb ihm einstweiliger Rechtsschutz zu gewähren ist. Diese
Verteilung der Darlegungslast ist gerechtfertigt, denn in den
Fällen, in denen vor dem 19.03.2020
Vollstreckungsmaßnahmen ergriffen worden sind, kann die
Corona-Pandemie und die zu ihrer Eindämmung ergriffenen
Maßnahmen für die der Vollstreckung vorangehende
Nichtbegleichung von Abgaben- und Steuerschulden (trotz Mahnung)
kaum ursächlich sein.
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72
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Es gibt keinen Grund, Schuldner, die vor und
völlig unabhängig von der Corona-Pandemie und den
staatlichen Beschränkungen ihre Steuer- und Abgabenschulden
nicht getilgt haben - denen gegenüber somit
Vollstreckungsmaßnahmen erforderlich waren -, besser zu
stellen als diejenigen, die ihren Zahlungsverpflichtungen
(gegebenenfalls erst nach Aufnahme eines Bankkredits) nachgekommen
sind, indem man zu ihren Gunsten die Regelung in Nr. 3 des
BMF-Schreibens in BStBl I 2020, 262 = SIS 20 02 55 generell auf vor
dem 19.03.2020 ergriffene Maßnahmen der Zwangsvollstreckung
anwendet. Dies widerspräche dem aus Art. 3 GG abgeleiteten
Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung. Die
Finanzbehörden sind nicht nur berechtigt, sondern
verpflichtet, die wegen Verwirklichung eines steuerrechtlichen
Tatbestands entstandenen Steueransprüche (§ 38 AO)
festzusetzen und die Steuer zu erheben. Einen im Belieben der
Finanzverwaltung stehenden, freien Verzicht auf Steuerforderungen
gibt es nicht. Auch im Wege von Verwaltungserlassen dürfen die
Finanzbehörden Ausnahmen von der gesetzlich vorgeschriebenen
Besteuerung nicht zulassen, denn auch der Verzicht auf den
Steuereingriff bedarf einer gesetzlichen Grundlage. Fehlt diese,
können die Finanzbehörden von der Festsetzung und
Erhebung gemäß § 38 AO entstandener
Steueransprüche nicht absehen (BFH-Beschluss vom 28.11.2016 -
GrS 1/15, BFHE 255, 482, BStBl II 2017, 393 = SIS 16 28 03).
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73
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Selbst wenn man in Bezug auf die Geltung des
BMF-Schreibens eine andere Auffassung vertreten würde (vgl.
Beschluss des FG Düsseldorf vom 29.05.2020 – 9 V 754/20
AE(KV), WM 2020, 1365, Rz 34; Rothbächer, Der
Vollstreckungsaufschub gemäß § 258 AO als Teil des
Schutzschilds in der Corona-Krise, DStR 2020, 1014, 1020; Katemann,
Stundungsanträge und Vollstreckungsmaßnahmen in Zeiten
der Corona-Krise, AO-StB 2020, 223, 228), könnte der
AdV-Antrag der Antragstellerin (unabhängig davon, wo sie
geschäftsansässig ist) abgelehnt werden. Denn nach diesem
Schreiben „soll“ nur von der Vollstreckung
abgesehen werden, d.h. in besonders gelagerten Fällen kann die
Vollstreckung durchgeführt werden. Dies kommt insbesondere
dann in Betracht, wenn die angestrebte AdV mit ganz
überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht zu einem bloßen
Zahlungsaufschub führen würde und zur Vermeidung einer
vermeidbaren Insolvenz beitragen kann, sondern im Ergebnis
lediglich dazu führt, dass andere Gläubiger oder die
Gesellschafter bzw. Anteilseigner des bereits vor der
„Corona-Krise“ überschuldeten oder
zahlungsunfähigen Steuerschuldners zu Lasten des (hier
ausländischen) Fiskus begünstigt werden. Dies entspricht
auch nicht der Intention des BMF-Schreibens in BStBl I 2020, 262 =
SIS 20 02 55 und der Rechtsprechung zu § 258 AO (vgl. etwa die
Nachweise bei Jatzke in Hübschmann/Hepp/Spitaler - HHSp -,
§ 258 Rz 13), deren Rechtsgedanken auch im Verfahren
gemäß § 69 AO Berücksichtigung finden
können.
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74
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Die Antragstellerin war nach ihrem eigenen
Vortrag bereits zum 31.12.2019, also vor Ausbruch der
Corona-Pandemie, überschuldet, hat seither zusätzliche,
massive Einnahmeausfälle zu verzeichnen und will mit dem Geld
nach eigenen Angaben Schiffshypothekendarlehen bei den
kreditgebenden Banken und andere Forderungen bedienen. Angaben
dazu, wie eine Tilgung der Forderungen des um Beitreibung
ersuchenden Mitgliedstaats nach dem 31.12.2020 möglich sein
soll oder wie sie ihre Zahlungsunfähigkeit überwinden
will, hat die Antragstellerin nicht gemacht. Vor diesem Hintergrund
besteht kein Anlass zu der Annahme, dass es in ihrem Fall um einen
bloßen Zahlungsaufschub oder die Verhinderung einer
vermeidbaren Insolvenz geht, sondern dass das
antragsgemäße Gewähren einer AdV lediglich einzelne
Gläubiger oder die Anteilseigner bzw. Gesellschafter
begünstigen würde und zu einem endgültigen
Forderungsausfall des Fiskus - hier dem des ersuchenden Staats -
und damit letztlich zu einem Erlass (§ 227 AO) führen
würde. Eine derartige Entscheidung widerspräche auch der
Kompetenzverteilung bei der Amtshilfe. Sollte - aus welchen
Gründen auch immer - eine in ihren Wirkungen einem Erlass
gleichkommende AdV in Betracht kommen, müsste hierüber
regelmäßig von der ersuchenden Behörde entschieden
werden und nicht von einer um Amtshilfe bzw. Beitreibung ersuchten
Behörde.
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Im Ergebnis ist davon auszugehen, dass das
auch einem Inländer unter im Übrigen gleichgelagerten
Umständen nicht aufgrund des BMF-Schreibens in BStBl I 2020,
262 = SIS 20 02 55 AdV zu gewähren wäre. Dass das FA
(wenn auch mit anderer Begründung) das genannte Schreiben
nicht zugunsten der Antragstellerin angewandt hat, stellt deshalb
im Ergebnis (vgl. hierzu den Rechtsgedanken des § 126 Abs. 4
FGO) keine nach Art. 63 AEUV unzulässige Diskriminierung dar.
Deshalb ist eine Stellungnahme zum weiteren Vortrag der
Antragstellerin zu Art. 63 ff. AEUV, insbesondere zu Fragen der
faktischen Kontosperre und zu Art. 65 Abs. 1 Buchst. a AEUV
entbehrlich.
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(9) Im Streitfall ist die Vollstreckung weder
i.S. des § 14 Abs. 1 EUBeitrG unbillig noch stört sie die
öffentliche Ordnung Deutschlands. Sie verstößt
nicht gegen den ordre public i.S. des Art. 6 EGBGB und ist nicht
geeignet, i.S. des Art. 18 EUBeitrRL erhebliche wirtschaftliche
oder soziale Schwierigkeiten in Deutschland zu bewirken.
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(a) Die Verpflichtung der ersuchten
Behörde, Amtshilfe zu leisten, besteht nicht schrankenlos.
Gemäß § 14 Abs. 1 Satz 1 EUBeitrG wird Amtshilfe
nicht geleistet, wenn die Vollstreckung unbillig wäre. Das ist
jedenfalls dann der Fall, wenn sie gegen den ordre public (Art. 6
EGBGB) verstoßen, die öffentliche Ordnung des ersuchten
Mitgliedstaats stören oder erhebliche wirtschaftliche oder
soziale Schwierigkeiten in Deutschland bewirken würde.
Gemäß Art. 6 Satz 1 EGBGB ist eine Rechtsnorm eines
anderen Staates nicht anzuwenden, wenn ihre Anwendung zu einem
Ergebnis führt, das mit wesentlichen Grundsätzen des
deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar ist. Sie ist
insbesondere nicht anzuwenden, wenn die Anwendung mit den
Grundrechten unvereinbar ist (Art. 6 Satz 2 EGBGB). Der EuGH (vgl.
EuGH-Urteil Kyrian vom 14.01.2010 - C-233/08, EU:C:2010:11, Slg.
2010, I-177) und ihm folgend der Senat (Senatsurteil vom 03.11.2010
- VII R 21/10, BFHE 231, 500, BStBl II 2011, 401 = SIS 11 02 59)
sind deshalb in Bezug auf die frühere Rechtslage davon
ausgegangen, dass eine Ausnahme von dem - der Kompetenzverteilung
folgenden - Grundsatz, die Wirksamkeit und die Vollstreckbarkeit
der beizutreibenden Forderung sei von der ersuchten Behörde
nicht zu prüfen, zuzulassen ist, wenn die Vollstreckung dieses
Titels unbillig wäre, gegen den ordre public gemäß
Art. 6 EGBGB verstoßen würde oder die öffentliche
Ordnung des ersuchten Mitgliedstaats stören würde. Durch
das Inkrafttreten des EUBeitrG ist diese Rechtsprechung nicht
überholt (BVerfG-Beschluss in WM 2019, 1179, m.w.N.;
Senatsurteil vom 28.11.2017 - VII R 30/15, BFH/NV 2018, 405 = SIS 18 02 16, Rz 16; Jatzke in HHSp, § 256 AO Rz 20).
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Der Beschluss des Bundesgerichtshofs (BGH) vom
24.04.2014 - VII ZB 28/13 (BGHZ 201, 22, NJW 2014, 2363), wonach
eine ordre public-Überprüfung im Vollstreckungsstaat
nicht stattfindet, wenn in einem Mitgliedstaat der
Europäischen Union ein Titel als Europäischer
Vollstreckungstitel bestätigt wird, betrifft nicht das
EUBeitrG, sondern die Vollstreckung zivilrechtlicher Forderungen.
Aus dem dort maßgeblichen Regelungswerk sind
Steuerforderungen und andere „acta jure imperii“
ausdrücklich ausgenommen (Art. 2 Abs. 1 der Verordnung (EG)
Nr. 805/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom
21.04.2004 zur Einführung eines europäischen
Vollstreckungstitels für unbestrittene Forderungen), weshalb
eine weitere Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung des BGH
insoweit nicht erforderlich ist.
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Ein Versagungsgrund gemäß § 14
Abs. 1 EUBeitrG kann etwa dann gegeben sein, wenn der
Vollstreckungstitel aus einem Verfahren hervorgegangen ist, das von
den Grundsätzen des deutschen Verfahrensrechts in einem
solchen Maß abweicht, dass er nicht als in einem geordneten
rechtsstaatlichen Verfahren ergangen angesehen werden kann
(BFH-Urteil in BFHE 231, 500, BStBl II 2011, 401 = SIS 11 02 59;
BGH-Beschluss vom 26.08.2009 - XII ZB 169/07, BGHZ 182, 188,
m.w.N.). Im Übrigen verlangt - wie bereits ausgeführt -
der Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens zwischen den
Mitgliedstaaten von jedem Mitgliedstaat, dass er - abgesehen von
außergewöhnlichen Umständen - davon ausgeht, dass
alle anderen Mitgliedstaaten das Unionsrecht und insbesondere die
dort anerkannten Grundrechte beachten. Wird keine offensichtliche
Verletzung einer in der Rechtsordnung des Vollstreckungsstaats als
wesentlich geltenden Rechtsnorm oder eines dort als grundlegend
anerkannten Rechts dargetan, prüft die ersuchte Behörde
die materielle Richtigkeit der Forderung und die Vollstreckbarkeit
des Vollstreckungstitels nicht. Entsprechende Fehler sind dann
allein im ersuchenden Staat geltend zu machen (§ 13 Abs. 1 und
Abs. 2 Satz 1 EUBeitrG; Art. 14 Abs. 1 und Abs. 2 EUBeitrRL; vgl.
Senatsurteile vom 24.02.2015 - VII R 1/14, BFH/NV 2015, 801 = SIS 15 10 66; in BFHE 239, 501, BStBl II 2013, 475 = SIS 13 08 11;
EuGH-Urteil Kyrian, EU:C:2010:11, Slg. 2010, I-177).
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(b) Nach diesen Grundsätzen war das FA im
Streitfall nicht gehindert, dem Beitreibungsersuchen nachzukommen.
Denn die Vollstreckung aufgrund dieses Ersuchens ist nicht mit
wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich
unvereinbar und auch nicht aus anderen Gründen i.S. des §
14 Abs. 1 EUBeitrG unbillig.
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(aa) Es verstößt nicht gegen den
ordre public (Art. 6 EGBGB), wenn die zuständige Behörde
des um Beitreibung ersuchenden EU-Mitgliedstaats die dortige, dem
BMF-Schreiben in BStBl I 2020, 262 = SIS 20 02 55 entsprechende
Regelung, die erst im April 2020 erlassen worden ist, nicht
rückwirkend auf das Beitreibungsersuchen vom 09.01.2020
bezieht, dem das FA durch Pfändungs- und
Einziehungsverfügungen vom 05.02.2020 bereits nachgekommen
war, bevor die Corona-Pandemie wirtschaftliche Auswirkungen
entfalten konnte. Auch in Deutschland ist eine Anwendung des
BMF-Schreibens in BStBl I 2020, 262 = SIS 20 02 55 auf vor seiner
Bekanntgabe erfolgte Vollstreckungsmaßnahmen nicht
geboten.
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(bb) Die für den Auslandssachverhalt
darlegungs- und beweispflichtige Antragstellerin hat nicht
substantiiert dargelegt, weshalb der mit Hauptforderung I
bezeichnete Steueranspruch auf einem verfassungswidrigen Gesetz
beruht, wie sie behauptet. Sie hätte zumindest den
Gesamtzusammenhang der Regelung und die konkreten Auswirkungen auf
ihre Besteuerung über die Veranlagungszeiträume hinweg
darstellen müssen. Unterschiedliche Auffassungen zur Auslegung
der maßgeblichen Regelungen, etwaige Rechtsirrtümer oder
(wirtschaftliche) Fehlprognosen der Antragstellerin bei der Wahl
der Tonnagebesteuerung in dem EU-Mitgliedstaat stehen einer
Vollstreckung jedenfalls nicht entgegen. Bei der Tonnagesteuer
zahlt der Reeder im Regelfall direkt auf die betriebene Tonnage
eine Steuer, unabhängig von den tatsächlichen
Einkünften, Gewinnen oder Verlusten. Sollte sich die Wahl im
Nachhinein als ungünstig erweisen, besteht nicht ohne Weiteres
ein Grund zu der Annahme, dass die Vollstreckung einer in der Folge
entstandenen Steuerforderung des EU-Mitgliedstaats unbillig
wäre, zumal nach den Leitlinien der Gemeinschaft für
staatliche Beihilfen im Seeverkehr (BStBl I 2000, 1049, 1053) davon
auszugehen ist, dass das Ersetzen der Körperschaftsteuer durch
eine Tonnagesteuer eine staatliche Beihilfe ist und diejenigen, die
für die Tonnagebesteuerung optieren, im Ergebnis
regelmäßig begünstigt.
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(cc) Die bloße Behauptung der
Antragstellerin, in Bezug auf einen Teil der Forderungen
(Hauptforderung II) sei ihr kein Bescheid zugegangen, rechtfertigt
im Streitfall gleichfalls nicht die Annahme eines Verstoßes
gegen den ordre public und folglich eine AdV der
streitgegenständlichen Pfändungs- und
Einziehungsverfügungen.
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Zwar hat der EuGH entschieden, dass die
ersuchte Behörde die Beitreibung einer Forderung ablehnen
kann, wenn die Entscheidung, auf der die Forderung beruht, nicht
ordnungsgemäß zugestellt worden ist (EuGH-Urteil
Donnellan, EU:C:2018:282, ABlEU 2018, Nr. C 211, 5). Auch hat der
Senat bei einem - immerhin zugegangenen - Vollstreckungsersuchen in
ausländischer Sprache unter Hinweis auf die fehlende
Rechtsbehelfsbelehrung, die kurze Rechtsbehelfsfrist und die
mangelnde Möglichkeit, bei Fristversäumnis
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu erlangen, einen
Verstoß gegen den ordre public für möglich gehalten
(Senatsurteil in BFHE 231, 500, BStBl II 2011, 401 = SIS 11 02 59).
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Im Streitfall hat die Antragstellerin den
mangelnden Zugang jedoch lediglich unsubstantiiert behauptet und
keine Anstrengungen zur Glaubhaftmachung unternommen. Dies
wäre geboten gewesen, da nach dem Grundsatz des gegenseitigen
Vertrauens zwischen den Mitgliedstaaten davon auszugehen ist, dass
der ersuchende Mitgliedstaat ein ordnungsgemäßes
Verfahren durchgeführt und das Unionsrecht und insbesondere
die dort anerkannten Grundrechte beachtet hat. Das bloße
Bestreiten des Zugangs steht einer Beitreibung aufgrund eines
Beitreibungsersuchens nicht entgegen (vgl. BVerfG-Beschluss in WM
2019, 1179, Rz 33).
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(dd) Ein Verstoß gegen den ordre public
(Art. 6 EGBGB) besteht auch nicht darin, dass der um Beitreibung
ersuchende EU-Mitgliedstaat seinen Zinsforderungen angeblich einen
Jahreszinssatz von 7 Prozent zugrunde gelegt hat. Erforderlich
wäre vielmehr, dass die Vollstreckung einer derartigen
Forderung in einem nicht hinnehmbaren Gegensatz zur Rechtsordnung
des Vollstreckungsstaats stünde, was nicht erkennbar ist.
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Die Antragstellerin hat nicht substantiiert
dargelegt und das FG hat auch nicht festgestellt, dass in den
beizutreibenden Forderungen überhaupt Zinsansprüche
enthalten sind, die mit einem Zinssatz von 7 Prozent berechnet
worden sind.
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Es ist völlig offen, ob es sich um Zinsen
handeln soll, welche denen vergleichbar sind, die in Deutschland
einhalb Prozent pro Monat betragen (§ 238 Abs. 1 Satz 1 AO)
oder um etwa den Säumniszuschlägen vergleichbare Zinsen,
die in Deutschland 1 Prozent pro Monat betragen (§ 240 Abs. 1
Satz 1 AO), also 12 Prozent pro Jahr. Verglichen damit stünde
die Vollstreckung einer mit einem Zinssatz von 7 Prozent
berechneten Zinsforderung ohnehin nicht in einem nicht hinnehmbaren
Gegensatz zur Rechtsordnung Deutschlands, unabhängig von
etwaigen verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Zinshöhe.
Auch darf eine (Zins-)Vorschrift nicht isoliert betrachtet, sondern
muss im Gesamtzusammenhang mit den übrigen einschlägigen
Vorschriften des Mitgliedstaats gesehen werden. Auch dazu
äußert sich die Antragstellerin nicht. Im Übrigen
hat die Vollstreckung auch nach deutschem Recht erst dann zu
unterbleiben, wenn das BVerfG die Verfassungswidrigkeit der Norm
festgestellt hat (vgl. § 79 Abs. 2 Satz 2 des Gesetzes
über das Bundesverfassungsgericht - BVerfGG - ); Zweifel an
der Verfassungsmäßigkeit genügen nicht. Sie
rechtfertigen somit auch nicht die Annahme, dass die Vollstreckung
einer derartigen Forderung in einem nicht hinnehmbaren Gegensatz
zur Rechtsordnung Deutschlands stünde.
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(ee) Dass in dem ersuchenden EU-Mitgliedstaat
generell kein vorläufiger Rechtsschutz gewährt wird,
wurde von der Antragstellerin weder belegt noch vom FG
festgestellt. Die Antragstellerin hat auch nicht aufgezeigt,
welcher nicht hinnehmbare Gegensatz zur Rechtsordnung Deutschlands
hieraus resultieren würde, wenn man unterstellt, dass es in
dem EU-Mitgliedstaat keine Möglichkeit gibt, vorläufigen
Rechtsschutz zu gewähren.
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(10) Im Streitfall bestehen somit keine
ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der
streitgegenständlichen Pfändungs- und
Einziehungsverfügungen i.S. des § 69 Abs. 3 Satz 1
Halbsatz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 FGO.
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bb) Die Vollziehung der
streitgegenständlichen Pfändungs- und
Einziehungsverfügungen hat für die Antragstellerin auch
keine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche
Interessen gebotene Härte zur Folge (§ 69 Abs. 3 Satz 1
Halbsatz 2 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 FGO).
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Nach der Rechtsprechung des BFH ist eine
Vollstreckung unbillig, wenn sie oder einzelne
Vollstreckungsmaßnahmen dem Vollstreckungsschuldner einen
unangemessenen Nachteil bringen, der durch kurzfristiges Zuwarten
oder eine andere Vollstreckungsmaßnahme vermieden werden
kann. Die Härten, die mit jeder Vollstreckung verbunden sind,
sind dabei nicht gemeint.
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Im Streitfall ist die Vollstreckung nicht
unbillig, da in Betracht kommende alternative
Vollstreckungsmaßnahmen nicht ersichtlich sind, die
Antragstellerin nach eigenen Angaben auch zu einer
Sicherheitsleistung nicht in der Lage ist, die von der
Antragstellerin begehrte AdV ohne Sicherheitsleistung - wie
ausgeführt - zu einer isolierten Begünstigung anderer
Gläubiger oder der Anteilseigner bzw. Gesellschafter
führen würde und voraussichtlich zu einem
endgültigen Forderungsausfall bei dem ersuchenden Staat. In
einem derartigen Fall überwiegt das öffentliche Interesse
an der Beitreibung.
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cc) Da hiernach keine AdV zu gewähren
ist, muss der Senat auch nicht über eine Sicherheitsleistung
entscheiden. Bei Änderung der Umstände, insbesondere wenn
die Antragstellerin die für eine Sicherheitsleistung
erforderlichen Mittel aufbringen oder für sie weniger
belastende, gleichwertige andere Vollstreckungsmaßnahmen
aufzeigen kann, bleibt es ihr unbenommen, einen neuen AdV-Antrag zu
stellen und vorzutragen, dass die Vollziehung der
streitgegenständlichen Pfändungs- und
Einziehungsverfügungen unter den geänderten
Umständen eine unbillige, nicht durch überwiegende
öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge habe.
Soweit sie jedoch weiterhin der Sache nach einen Erlass begehrt,
müsste sie dieses Anliegen an den ersuchenden Staat
herantragen.
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3. Aus diesen Darlegungen folgt, dass die
Beschwerde der Antragstellerin unbegründet ist. Denn hiernach
bestehen bei der im vorliegenden Eilverfahren gebotenen
summarischen Prüfung anhand der präsenten Akten keine
Zweifel daran, dass die streitgegenständlichen Pfändungs-
und Einziehungsverfügungen rechtmäßig sind. Die
Vollziehung hat für die Antragstellerin auch keine unbillige,
nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene
Härte zur Folge (§ 69 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 i.V.m.
Abs. 2 Satz 2 FGO). Eine AdV der streitgegenständlichen
Pfändungs- und Einziehungsverfügungen kommt somit nicht
in Betracht.
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4. Die Kostenentscheidung beruht auf §
135 Abs. 1 und 2 FGO.
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