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I. Streitig ist die Bestandskraft einer
Teileinspruchsentscheidung.
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Die Kläger und Revisionskläger
(Kläger) sind Eheleute und wurden im Streitjahr 2011 zusammen
zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger übte eine
Auswärtstätigkeit (Einsatzwechseltätigkeit) aus und
erzielte hieraus Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit.
Mit der Einkommensteuererklärung 2011 machte er Kosten
für Fahrten zu seinen Einsatzorten in Höhe von 12.387,60
EUR geltend.
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Mit Bescheid vom 4.6.2012 setzte der
Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA - ) die
Einkommensteuer für 2011 auf 7.032 EUR fest. Bei den
Einkünften des Klägers brachte er Reisekosten in
Höhe von nur 80 % des geltend gemachten Betrages zum
Abzug.
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Mit Schreiben vom 4.6.2012, das dem FA am
5.6.2012 zugegangen ist, legten die Kläger Einspruch ein. Der
Einspruch richtete sich gegen die Kürzung der als
außergewöhnliche Belastungen nach § 33 des
Einkommensteuergesetzes abgezogenen Krankheitskosten um zumutbare
Belastungen. Da zur Frage der Verfassungsmäßigkeit
dieser Kürzung mehrere finanzgerichtliche Verfahren
anhängig seien, beantragten die Kläger das Ruhen des
Verfahrens.
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Daraufhin erließ das FA am 21.6.2012
- vor Ablauf der Einspruchsfrist - eine Teileinspruchsentscheidung
gemäß § 367 Abs. 2a der Abgabenordnung (AO). Es
wies den Einspruch, soweit er nicht die
Verfassungsmäßigkeit der Kürzung der
außergewöhnlichen Belastungen betraf, als
unbegründet zurück. Zur Begründung führte es
aus, dass Anhaltspunkte für eine Rechtswidrigkeit des
Steuerbescheides nicht bestünden. Die Kläger hätten
auch keine Einwände gegen die Steuerfestsetzung erhoben. Der
Erlass einer Teileinspruchsentscheidung sei sachdienlich, weil
dadurch die Festsetzung weitestgehend in Bestandskraft erwachsen
und so dem beiderseitigen Bedürfnis nach Rechtsfrieden und
-sicherheit Rechnung getragen werden könne. Im Übrigen
stellte das FA das Einspruchsverfahren ruhend.
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Am 6.7.2012 und damit innerhalb der
Einspruchsfrist legten die Kläger erneut Einspruch gegen den
Einkommensteuerbescheid 2011 vom 4.6.2012 ein. Eine Begründung
werde nachgereicht. Nachdem das FA mit Schreiben vom 16.8.2012 um
Übersendung der Einspruchsbegründung gebeten hatte,
beantragten die Kläger am 3.9.2012 die
erklärungsgemäße Berücksichtigung der
Fahrtkosten des Klägers. Dem am 20.9.2012 vorgebrachten
Einwand des FA, dass der erneute Einspruch nicht zulässig sei,
hielten sie entgegen, dass die Einspruchsfrist des § 355 Abs.
1 AO durch eine vorzeitige Teileinspruchsentscheidung nicht
verkürzt werden dürfe.
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Mit Einspruchsentscheidung vom 15.11.2012
verwarf das FA den (erneuten) Einspruch der Kläger als
unzulässig. Das Finanzgericht (FG) wies die daraufhin erhobene
Klage ab. Ein erneuter Einspruch innerhalb der Frist des § 355
AO gegen einen Steuerbescheid sei unstatthaft, wenn der erste
Einspruch innerhalb der Rechtsbehelfsfrist durch
Teileinspruchsentscheidung abgewiesen worden sei. Nach Abschluss
des Einspruchsverfahrens durch Teileinspruchsentscheidung stehe dem
Steuerpflichtigen nur der Weg zum FG offen (Urteil des FG
Düsseldorf vom 5.6.2013 15 K 4597/12 E, EFG 2014, 621 = SIS 14 09 09).
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Hiergegen wenden sich die Kläger mit
der Revision.
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Sie beantragen, das Urteil des FG
Düsseldorf vom 5.6.2013 15 K 4597/12 E und die
Einspruchsentscheidung vom 15.11.2012 aufzuheben sowie die
Einkommensteuerfestsetzung 2011 vom 4.6.2012 dahingehend
abzuändern, dass bei den Einkünften des Klägers aus
nichtselbständiger Arbeit Fahrtkosten in Höhe von
insgesamt 12.387,60 EUR als Werbungskosten berücksichtigt
werden.
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Das FA beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
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II. Die Revision ist unbegründet und
daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der
Finanzgerichtsordnung - FGO - ). Denn das FA hat den Einspruch der
Kläger vom 6.7.2012 zu Recht als nicht statthaft
verworfen.
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1. Gemäß § 347 Abs. 1 Satz 1
Nr. 1 AO ist gegen Verwaltungsakte in Abgabenangelegenheiten der
Einspruch statthaft. Soweit das Einspruchsverfahren durch eine
wirksame Einspruchsentscheidung abgeschlossen wird (vgl. Birkenfeld
in Hübschmann/ Hepp/Spitaler - HHSp -, § 367 AO Rz 300),
können Verwaltungsakte jedoch nur noch mit der Klage
angefochten werden (§§ 40 ff. FGO); ein erneuter
Einspruch gegen die Steuerfestsetzung ist nicht mehr
zulässig.
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a) Ist das außergerichtliche
Rechtsbehelfsverfahren - wie vorliegend - durch eine (wirksame)
Rechtsbehelfsentscheidung abgeschlossen worden, liegen zwei
Verwaltungsakte vor, der ursprüngliche Verwaltungsakt (hier:
der Einkommensteuerbescheid vom 4.6.2012) und die
(Teil)Einspruchsentscheidung (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH -
vom 18.10.1972 II R 110/69, BFHE 107, 409, BStBl II 1973, 187 = SIS 73 01 02; Steinhauff in HHSp, § 44 FGO Rz 300; von Beckerath
in Beermann/Gosch, FGO § 44 Rz 165; Seer in Tipke/Kruse,
Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 44 FGO Rz 16).
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b) Die Einspruchsentscheidung ist ein
selbständiger Verwaltungsakt. Die Finanzbehörde
entscheidet über den Fortbestand und Inhalt des angefochtenen
Verwaltungsaktes. Verwirft sie nicht lediglich den Einspruch als
unzulässig (§ 358 AO), enthält die
Einspruchsentscheidung eine materiell-rechtliche Regelung, weil sie
den Regelungsinhalt des angefochtenen Verwaltungsaktes - vorliegend
die Steuerfestsetzung für das Jahr 2011 - umgestaltet oder -
wie im Streitfall dem Grunde und der Höhe nach -
bestätigt (Steinhauff in HHSp, § 44 FGO Rz 301,
m.w.N.).
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c) Verfahrensrechtlich bilden
ursprünglicher Verwaltungsakt und Einspruchsentscheidung
jedoch einen Rechtsverbund (BFH-Beschluss vom 29.6.1999 VII B
303/98, BFH/NV 1999, 1585 = SIS 99 54 15), eine Verfahrenseinheit
(BFH-Urteil vom 19.5.1998 I R 44/97, BFH/NV 1999, 314 = SIS 98 52 36) in der Weise, dass der ursprüngliche Verwaltungsakt
„in der Gestalt“ (mit dem Inhalt) zu beurteilen
ist, die er durch die Entscheidung über den
außergerichtlichen Rechtsbehelf gefunden hat (§ 44 Abs.
2 FGO). Die Vorschrift legt damit fest, gegen welche
Einzelfallregelung die Klage zu richten ist und mit welchem Inhalt
die angefochtene Einzelfallregelung in das Verfahren eingeht
(Gräber/von Groll, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 44
Rz 31 f., m.w.N.).
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d) Diese verfahrensrechtliche Einheit hat zum
einen zur Folge, dass die Einspruchsentscheidung - obwohl
Verwaltungsakt - nicht nochmals mit dem Einspruch (§ 348 Nr. 1
AO) und in der Regel auch nicht „isoliert“
angefochten werden kann (Steinhauff in HHSp, § 44 FGO Rz 303;
von Beckerath, a.a.O., FGO § 44 Rz 171, 178; Seer, a.a.O.,
§ 44 FGO Rz 16 f.). Überdies kann eine
Einspruchsentscheidung nicht neben einer gegen den Steuerbescheid
gerichteten Klage gesondert im Klagewege angefochten werden
(BFH-Urteil vom 30.1.1976 III R 61/74, BFHE 118, 288, BStBl II
1976, 428 = SIS 76 02 27). Zum anderen entfällt wegen des
„Verbundes“ von ursprünglichem
Verwaltungsakt und Einspruchsentscheidung die Möglichkeit, den
Ausgangsbescheid nach dem Ergehen einer Einspruchsentscheidung
nochmals - in seiner ursprünglichen Gestalt - zum Gegenstand
eines außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahrens zu machen.
Denn in seiner ursprünglichen Form existiert der
Ausgangsbescheid verfahrensrechtlich in einem solchen Fall nicht
(mehr). § 44 Abs. 2 FGO behandelt das zweistufige
Verwaltungshandeln insoweit vielmehr als Einheit. Ein erneuter
Einspruch gegen die nämliche Steuerfestsetzung nach dem
Ergehen einer Einspruchsentscheidung ist deshalb ausgeschlossen,
auch wenn er innerhalb der Einspruchsfrist (§ 355 Abs. 1 AO)
eingelegt wird.
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2. Nach Maßgabe dieser Grundsätze
stand der Statthaftigkeit des (erneuten) Einspruchs vom 6.7.2012 im
Streitfall die auf den (ersten) Einspruch vom 4.6.2012 hin
ergangene Teileinspruchsentscheidung vom 21.6.2012 entgegen. Diese
Teileinspruchsentscheidung ist wirksam ergangen. Es ist nicht
ersichtlich, dass sie an einem schweren offenkundigen Mangel
gemäß § 125 AO leidet. Allein der Umstand, dass sie
vor Ablauf der Einspruchsfrist ergangen ist, vermag einen solchen
Fehler nicht zu begründen. Denn selbst wenn das FA
verpflichtet sein sollte, eine Einspruchsentscheidung erst nach
Ablauf der Einspruchsfrist zu erlassen - was der Senat hier offen
lassen kann -, führte ein Verstoß dagegen nur zur
Rechtswidrigkeit der Einspruchsentscheidung, die der
Steuerpflichtige im Rahmen eines hiergegen gerichteten
Klageverfahrens geltend machen müsste. Damit ist das
Einspruchsverfahren gegen die Einkommensteuerfestsetzung des
Streitjahres, das mit dem Einspruch vom 4.6.2012 in Gang gesetzt
wurde, abgeschlossen worden und der erneute Einspruch gegen die
nämliche Steuerfestsetzung ausgeschlossen.
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3. Das FG hatte auch keinen Anlass, den nicht
statthaften (nochmaligen) Einspruch vom 6.7.2012 als beim FA
angebrachte (§ 47 Abs. 2 FGO) Klage gegen die
Einkommensteuerfestsetzung 2011 in Gestalt der
Teileinspruchsentscheidung vom 21.6.2012 auszulegen. Denn eine
solche Auslegung des Schreibens der fachkundig vertretenen
Kläger ist vorliegend nicht möglich.
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a) Der Grundsatz der
rechtsschutzgewährenden Auslegung von Verfahrensvorschriften
(Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes) verpflichtet das FG, den
wirklichen Willen des Erklärenden zu erforschen (§ 133
des Bürgerlichen Gesetzbuchs). Maßgebend ist nicht nur
die Wortwahl des Steuerpflichtigen, sondern der gesamte Inhalt
seiner Willenserklärung (z.B. BFH-Beschluss vom 7.11.2007 I B
104/07, BFH/NV 2008, 799 = SIS 08 17 57); auch außerhalb der
Erklärung liegende weitere Umstände können
berücksichtigt werden (vgl. BFH-Beschluss vom 16.4.2007 VII B
98/04, BFH/NV 2007, 1345 = SIS 07 20 46). Die Wahrung einer
Klagefrist erfordert daher nicht in jedem Falle die Bezeichnung als
Klageschrift oder die technisch zutreffende Formulierung des
Klageantrags (Urteil des Bundesgerichtshofs vom 6.11.2009 V ZR
73/09, NJW 2010, 446; BFH-Beschluss vom 20.5.2014 III B 82/13,
BFH/NV 2014, 1505 = SIS 14 24 31).
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b) Nach diesen Maßstäben und in
Anbetracht der Rechtsmittelbelehrung der Teileinspruchsentscheidung
war das Schreiben der Kläger vom 6.7.2012 nicht als Klage
(§§ 40 Abs. 1, 63 ff. FGO) auszulegen, da es weder an das
FG gerichtet war noch den (unbedingten) Willen zur gerichtlichen
Überprüfung der Teileinspruchsentscheidung zum Ausdruck
brachte, sondern ohne Bezugnahme auf diese namens und im Auftrag
der Kläger Einspruch eingelegt und angekündigt wurde,
dass die Einspruchsbegründung nachgereicht werde.
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4. Schließlich lagen im Streitfall auch
die Voraussetzungen für eine schlichte Änderung des
streitigen Einkommensteuerbescheides nach § 172 Abs. 1 Satz 1
Nr. 2 Buchst. a AO nicht vor.
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a) Ein wirksamer Antrag auf
„schlichte“ Änderung nach § 172 Abs. 1
Satz 1 Nr. 2 Buchst. a i.V.m. Sätzen 2 und 3 AO zugunsten des
Steuerpflichtigen muss auf eine bestimmte Änderung gerichtet
sein und deshalb das verfolgte Änderungsbegehren innerhalb der
Einspruchsfrist oder der Klagefrist seinem sachlichen Gehalt nach
zumindest in groben Zügen zu erkennen geben (BFH-Urteile vom
27.10.1993 XI R 17/93, BFHE 172, 493, BStBl II 1994, 439 = SIS 94 04 52; vom 21.10.1999 I R 25/99, BFHE 190, 285, BStBl II 2000, 283
= SIS 00 06 01; vom 20.12.2006 X R 30/05, BFHE 216, 31, BStBl II
2007, 503 = SIS 07 11 13, und vom 25.9.2013 VIII R 46/11 = SIS 13 35 15).
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b) Ein dergestalt bestimmbares
Änderungsbegehren haben die Kläger erstmals mit der
Einspruchsbegründung vom 3.9.2012 und damit jedenfalls erst
nach Ablauf der Frist für eine Klage gegen die
Einkommensteuerfestsetzung 2011 vom 4.6.2012 in Gestalt der
Teileinspruchsentscheidung vom 21.6.2012 vorgetragen.
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