1
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I. Streitig ist,
ob Aufwendungen für Fahrten einer Flugzeugführerin von
und zu ihrem Heimatflughafen (home base) unter der Geltung des
neuen Reisekostenrechts nach Dienstreisegrundsätzen oder nach
Maßgabe der Entfernungspauschale als Werbungskosten sowie
Mehraufwendungen für Verpflegung anzusetzen
sind.
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2
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Die Klägerin
und Revisionsklägerin (Klägerin) ist seit September 2007
als Flugzeugführerin bei der A angestellt. Sie war
zunächst bei „X/0/0“ in X, später in Y
beschäftigt. Im Arbeitsvertrag war vereinbart, dass die A die
Klägerin auch auf anderen Flugzeugmustern, an anderen Orten
sowie vorübergehend bei anderen Unternehmen im Konzern
einsetzen konnte (Tz. 1 Abs. 2).
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3
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Mit Schreiben vom
November 2011 versetzte die A die Klägerin aufgrund ihrer
Umschulung auf den A340 ab Dezember 2011 vom Flughafen Y (Y/0/0)
zum Flughafen X (X/0/1). Im Versetzungsschreiben behielt sich die A
- wie schon im Anstellungsvertrag - vor, die Klägerin auf
anderen Flugzeugmustern, an anderen Orten sowie vorübergehend
bei anderen Unternehmen im A Konzern einzusetzen. Nach dem
Streitjahr (2014) wurde die Klägerin auf ihren Antrag hin
wieder nach Y versetzt.
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4
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Im Operations
Manual Part A (OM-A) der A ist Folgendes bestimmt (Kapitel 7,
Revision 36):
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7.DE.100
Geltungsbereich
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Im OM-A Kapitel 7
sind die Anforderungen an A als Betreiber gewerblichen Luftverkehrs
und deren Besatzungsmitglieder in Bezug auf Flug- und
Dienstzeitbeschränkungen und Ruhevorschriften für
Besatzungsmitglieder festgelegt. Dieses OM-A Kapitel 7 ist der
gesetzlich geforderte und behördlich genehmigte
Flugzeitspezifikationsplan der A, der allen geltenden
Rechtsvorschriften entspricht. (...)
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7.DE.105
Begriffsbestimmungen
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(...)
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14.
„Heimatbasis“ (home base): der von A gegenüber dem
Besatzungsmitglied benannte Ort, wo das Besatzungsmitglied
normalerweise eine Dienstzeit oder eine Abfolge von Dienstzeiten
beginnt und beendet und wo A normalerweise nicht für die
Unterbringung des betreffenden Besatzungsmitglieds verantwortlich
ist; (...).
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7.DE.200
Heimatbasis
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(a) Die
Heimatbasis ist ein einzelner Flughafenstandort, der mit einem
hohen Grad an Beständigkeit zugewiesen ist.
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A weist die
Heimatbasis individuell im Arbeitsvertrag zu. (...)
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5
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Ferner sind unter
7.DE.205.a OM-A - in Abhängigkeit vom Flugzeugtyp und vom
Abflughafen - die Zeiten für das vor jedem Flug erforderliche
Briefing festgelegt, die zwischen 60 und 100 Minuten betragen. Nach
Kapitel 14 Ziffer 14.3.1.1 OM-A muss jedes Besatzungsmitglied
über einen dienstlichen Wohnsitz im Einzugsbereich seines
Einsatzorts verfügen, von dem aus der Flugdienst während
des Bereitschaftsdiensts innerhalb von 60 Minuten nach
Benachrichtigung angetreten werden kann. Für die
Beförderung zum und vom Dienst am Einsatzort ist nach Kapitel
14 Ziffer 14.3.3.1 OM-A das einzelne Besatzungsmitglied
verantwortlich. Als Dienstreisen gelten dementsprechend Reisen im
dienstlichen Auftrag außerhalb des üblichen
Streckeneinsatzes, z.B. die Anreise zum Simulator oder Public
Relations Assignments (14.4.1.1 OM-A). Kosten hierfür
trägt die A (14.4.1.3 OM-A).
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6
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Im Streitjahr war
die Klägerin als First Officer (Copilotin) tätig und
ausschließlich im internationalen Flugverkehr eingesetzt. Sie
hatte insgesamt 24 Einsätze bei 139 Arbeitstagen, darunter
fünf Bereitschaftsdienste, einen Bürodienst, einen
Simulatorcheck und eine medizinische Untersuchung. Sämtliche
Flugeinsätze, die zwischen einem und sechs Tagen dauerten,
begann und beendete die Klägerin am Flughafen X. Zu den
dienstlichen Einsätzen reiste sie im Streitjahr an 39 Tagen
mit dem Flugzeug oder mit ihrem eigenen PKW von ihrem Wohnort an
und dorthin wieder ab. Bei einem frühen Dienstbeginn reiste
sie am Vortag an und übernachtete in einem Hotel in X.
Entsprechend verfuhr sie bei einem späten Dienstende und bei
unmittelbar aufeinander folgenden Bereitschaftsdiensten und
Schulungen. Von der A erhielt die Klägerin Abwesenheitsgeld
für die Einsätze im Streckendienst, beginnend mit dem
planmäßigen Abflug und endend mit der in den flight-logs
angegebenen Blockzeit (gemäß Tarifvertrag der
A).
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7
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Zu den Aufgaben
der Klägerin als Copilotin gehörte es u.a., vor jedem
Abflug an dem vorgeschriebenen Briefing der Flugbesatzung, das in
sog. Briefingräumen der A am Flughafen X stattfand,
teilzunehmen, die Wettermeldungen zu überprüfen, sich an
der Beurteilung der Wetterlage zu beteiligen, alle notwendigen
Unterlagen und Informationen zur Durchführung des Flugs
einzuholen, den Flugplan zu überprüfen, sich mit dem
technischen Status des Flugzeugs vertraut zu machen, dafür zu
sorgen, dass alle Flugunterlagen vollständig an Bord
verfügbar waren, die Abflugdaten zu errechnen und die an Bord
befindliche Kraftstoffmenge mit der vorgeschriebenen Menge zu
vergleichen. Nach dem Flug musste sie den Kommandanten bei der
Vervollständigung der Flugunterlagen unterstützen und auf
Anweisung schriftliche Berichte erstellen.
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8
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Die A teilte dem
Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt - FA - ) auf Anfrage
mit, beim fliegenden Personal der A bestehe eine arbeitsrechtliche
Zuordnung zu einem konkreten Flughafen (Stationierungsort), von wo
der Mitarbeiter regelmäßig seinen Dienst beginne und
beende. In Einzelfällen erfolgten abweichende Zuordnungen
über Weisungen des Arbeitgebers, wobei der Stationierungsort
im Versetzungsschreiben benannt sei, sodass auch in diesen
Fällen eine eindeutige Zuordnung und damit eine erste
Tätigkeitsstätte gegeben sei. Die Zuordnung ergebe sich
somit aus den Dienstverträgen bzw. ergänzenden
Versetzungsschreiben.
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9
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In ihrer
Einkommensteuererklärung machte die Klägerin u.a.
Fahrtkosten von der Wohnung zum Flughafen X nach
Dienstreisegrundsätzen sowie entsprechende
Verpflegungsmehraufwendungen und Übernachtungskosten am
Dienstort als Werbungskosten bei ihren Einkünften aus
nichtselbständiger Arbeit geltend.
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10
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Im Rahmen der
streitigen Einkommensteuerfestsetzung ließ das FA lediglich
die Kosten für die Übernachtungen am Dienstort in
tatsächlicher Höhe zum Werbungskostenabzug zu. Die
geltend gemachten Fahrtkosten setzte es lediglich mit der
Entfernungspauschale an. Mehraufwendungen für Verpflegung
berücksichtigte das FA nicht. Die A habe der Klägerin den
Flughafen X (im Arbeitsvertrag) als erste
Tätigkeitsstätte zugewiesen. Daher könnten
Verpflegungsmehraufwendungen für die An- und Abreisetage nicht
und Aufwendungen für die Fahrten zwischen der Wohnung und dem
Flughafen X nur in Höhe der Entfernungspauschale
berücksichtigt werden.
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11
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Die daraufhin
erhobene Klage wies das Finanzgericht (FG) mit den in EFG 2017, 27
veröffentlichten Gründen ab.
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12
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Mit der Revision
rügt die Klägerin die Verletzung materiellen
Rechts.
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13
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Sie beantragt, das Urteil des FG Hamburg
vom 13.10.2016 - 6 K 20/16 sowie die Einspruchsentscheidung des FA
vom 12.1.2016 aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid 2014 vom
25.11.2015 dahingehend zu ändern, dass bei den Einkünften
aus nichtselbständiger Arbeit weitere Werbungskosten in
Höhe von 2.095,71 EUR berücksichtigt werden.
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14
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Das FA beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
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15
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Das
Bundesministerium der Finanzen (BMF) ist dem Rechtsstreit
beigetreten. Einen Antrag hat es nicht gestellt.
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16
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II. Die Revision der
Klägerin ist unbegründet und daher zurückzuweisen
(§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO - ). Das FG hat
zutreffend entschieden, dass die Klägerin im Streitjahr am
Flughafen X - ihrem Stationierungs- bzw. Heimatflughafen (home
base) - ihre erste Tätigkeitsstätte i.S. des § 9
Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes in der im Streitjahr geltenden
Fassung (EStG) hatte. Es hat deshalb zu Recht die Aufwendungen der
Klägerin für die Fahrten zwischen ihrem Wohnort und dem
Flughafen X lediglich mit der Entfernungspauschale sowie die
geltend gemachten weiteren Verpflegungsmehraufwendungen nicht zum
Werbungskostenabzug zugelassen.
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17
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1. Beruflich
veranlasste Fahrtkosten sind Erwerbsaufwendungen. Handelt es sich
bei den Aufwendungen des Arbeitnehmers um solche für die Wege
zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte i.S. des
§ 9 Abs. 4 EStG, ist zu deren Abgeltung für jeden
Arbeitstag, an dem der Arbeitnehmer die erste
Tätigkeitsstätte aufsucht, grundsätzlich eine
Entfernungspauschale für jeden vollen Kilometer der Entfernung
zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte von 0,30 EUR
anzusetzen (§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Sätze 1 und 2
EStG).
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18
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2. Wird der
Arbeitnehmer außerhalb seiner Wohnung und ersten
Tätigkeitsstätte beruflich tätig (auswärtige
berufliche Tätigkeit), ist gemäß § 9 Abs. 4a
Satz 1 EStG zur Abgeltung der ihm tatsächlich entstandenen,
beruflich veranlassten Mehraufwendungen eine Verpflegungspauschale
nach Maßgabe des Satzes 3 anzusetzen.
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19
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3. Erste
Tätigkeitsstätte ist nach der Legaldefinition in § 9
Abs. 4 Satz 1 EStG die ortsfeste betriebliche Einrichtung des
Arbeitgebers, eines verbundenen Unternehmens (§ 15 des
Aktiengesetzes) oder eines vom Arbeitgeber bestimmten Dritten, der
der Arbeitnehmer dauerhaft zugeordnet ist. Der durch das Gesetz zur
Änderung und Vereinfachung der Unternehmensbesteuerung und des
steuerlichen Reisekostenrechts vom 20.2.2013 (BGBl I 2013, 285) neu
eingeführte und in § 9 Abs. 4 Satz 1 EStG definierte
Begriff der „ersten Tätigkeitsstätte“
tritt an die Stelle des bisherigen unbestimmten Rechtsbegriffs der
„regelmäßigen
Arbeitsstätte“.
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20
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a) Ortsfeste
betriebliche Einrichtungen sind räumlich zusammengefasste
Sachmittel, die der Tätigkeit des Arbeitgebers, eines
verbundenen Unternehmens oder eines vom Arbeitgeber bestimmten
Dritten dienen und mit dem Erdboden verbunden oder dazu bestimmt
sind, überwiegend standortgebunden genutzt zu werden. Eine
(großräumige) erste Tätigkeitsstätte liegt
auch vor, wenn eine Vielzahl solcher Mittel, die für sich
betrachtet selbständige betriebliche Einrichtungen darstellen
können (z.B. Werkstätten und Werkshallen,
Bürogebäude und -etagen sowie Verkaufs- und andere
Wirtschaftsbauten), räumlich abgrenzbar in einem
organisatorischen, technischen oder wirtschaftlichen Zusammenhang
mit der betrieblichen Tätigkeit des Arbeitgebers, eines
verbundenen Unternehmens oder eines vom Arbeitgeber bestimmten
Dritten stehen. Demgemäß kommt als eine solche erste
Tätigkeitsstätte auch ein großflächiges und
entsprechend infrastrukturell erschlossenes Gebiet (z.B.
Werksanlage, Betriebsgelände, Bahnhof oder Flughafen) in
Betracht.
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21
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b) Die Zuordnung zu
einer solchen Einrichtung wird gemäß § 9 Abs. 4
Satz 2 EStG durch die dienst- oder arbeitsrechtlichen Festlegungen
sowie die diese ausfüllenden Absprachen und Weisungen
bestimmt.
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22
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aa) Nach der
gesetzlichen Konzeption - und der die Neuordnung des steuerlichen
Reisekostenrechts prägenden Grundentscheidung - wird die erste
Tätigkeitsstätte vorrangig anhand der arbeits(vertrag)-
oder dienstrechtlichen Zuordnung des Arbeitnehmers durch den
Arbeitgeber bestimmt, hilfsweise mittels quantitativer Kriterien
(BTDrucks 17/10774, S. 15; ebenso BMF-Schreiben vom 24.10.2014 - IV
C 5 S 2353/14/10002, BStBl I 2014, 1412 = SIS 14 28 22, Rz 2;
Niermann, DB 2013, 1015; Isenhardt, DB 2014, 1316; Thomas, DStR
2014, 497; Blümich/ Thürmer, § 9 EStG Rz 559;
Schmidt/Krüger, EStG, 38. Aufl., § 9 Rz 303; Oertel in
Kirchhof, EStG, 18. Aufl., § 9 Rz 52; Köhler in
Bordewin/Brandt, § 9 EStG Rz 1402; kritisch Bergkemper, FR
2013, 1017; ders. in Herrmann/Heuer/ Raupach - HHR -, § 9 EStG
Rz 546).
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23
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bb) Zu den arbeits-
oder dienstrechtlichen Weisungen und Verfügungen (im weiteren
Verlauf: arbeitsrechtliche) zählen alle schriftlichen, aber
auch mündlichen Absprachen oder Weisungen (BTDrucks 17/10774,
S. 15). Die Zuordnung kann also insbesondere im Arbeitsvertrag oder
durch Ausübung des Direktionsrechts (bspw. im
Beamtenverhältnis durch dienstliche Anordnung) kraft der
Organisationsgewalt des Arbeitgebers oder Dienstherrn (im weiteren
Verlauf: Arbeitgeber) vorgenommen werden. Die Zuordnung zu einer
ersten Tätigkeitsstätte muss dabei nicht
ausdrücklich erfolgen. Sie setzt auch nicht voraus, dass sich
der Arbeitgeber der steuerrechtlichen Folgen dieser Entscheidung
bewusst ist. Wird der Arbeitnehmer von seinem Arbeitgeber einer
betrieblichen Einrichtung zugeordnet, weil er dort seine
Arbeitsleistung erbringen soll, ist diese Zuordnung aufgrund der
steuerrechtlichen Anknüpfung an das Dienst- oder Arbeitsrecht
vielmehr auch steuerrechtlich maßgebend. Deshalb bedarf es
neben der arbeitsrechtlichen Zuordnung zu einer betrieblichen
Einrichtung keiner gesonderten Zuweisung zu einer ersten
Tätigkeitsstätte für einkommensteuerrechtliche
Zwecke. Denn der Gesetzgeber wollte mit der Neuregelung des
steuerlichen Reisekostenrechts auch das Auseinanderfallen der
arbeitsrechtlichen von der steuerrechtlichen Einordnung bestimmter
Zahlungen als Reisekosten verringern (BTDrucks 17/10774, S. 15).
Entscheidend ist, ob der Arbeitnehmer aus der Sicht ex ante nach
den arbeitsrechtlichen Festlegungen an einer ortsfesten
betrieblichen Einrichtung des Arbeitgebers, eines verbundenen
Unternehmens oder eines vom Arbeitgeber bestimmten Dritten
tätig werden sollte.
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24
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cc) Die
arbeitsrechtliche Zuordnungsentscheidung des Arbeitgebers als
solche muss für ihre steuerliche Wirksamkeit nicht
dokumentiert werden (a.A. BMF-Schreiben in BStBl I 2014, 1412 = SIS 14 28 22, Rz 10). Eine Dokumentationspflicht ist § 9 Abs. 4
Satz 2 EStG nicht zu entnehmen. Die Feststellung einer
entsprechenden Zuordnung ist vielmehr durch alle nach der FGO
zugelassenen Beweismittel möglich und durch das FG im Rahmen
einer umfassenden Würdigung aller Umstände des
Einzelfalls zu treffen. So entspricht es regelmäßig der
Lebenswirklichkeit, dass der Arbeitnehmer der betrieblichen
Einrichtung des Arbeitgebers zugeordnet ist, in der er
tatsächlich tätig ist oder werden soll.
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25
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dd) Ist der
Arbeitnehmer einer bestimmten Tätigkeitsstätte
arbeitsrechtlich zugeordnet, kommt es aufgrund des Direktionsrechts
des Arbeitgebers für das Auffinden der ersten
Tätigkeitsstätte auf den qualitativen Schwerpunkt der
Tätigkeit, die der Arbeitnehmer dort ausübt oder
ausüben soll, entgegen der bis 2013 geltenden Rechtslage nicht
mehr an (BTDrucks 17/10774, S. 15; BMF-Schreiben in BStBl I 2014,
1412 = SIS 14 28 22, Rz 8; Niermann, DB 2013, 1015; Bergkemper, FR
2013, 1017; Blümich/Thürmer, § 9 EStG Rz 551, 554
und 559; Schmidt/Krüger, a.a.O., § 9 Rz 303; Oertel in
Kirchhof, a.a.O., § 9 Rz 52; Köhler in Bordewin/Brandt,
§ 9 EStG Rz 1402; Lochte in Frotscher/Geurts, EStG, Freiburg
2018, § 9 Rz 122b und 252a; A. Claßen in Lademann, EStG,
§ 9 EStG Rz 68; Schramm/Harder-Buschner, Neue
Wirtschafts-Briefe 2014, 26, 33; kritisch HHR/Bergkemper, § 9
EStG Rz 546).
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26
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Erforderlich, aber
auch ausreichend ist, dass der Arbeitnehmer am Ort der ersten
Tätigkeitsstätte zumindest in geringem Umfang
Tätigkeiten zu erbringen hat, die er arbeitsvertraglich oder
dienstrechtlich schuldet und die zu dem von ihm ausgeübten
Berufsbild gehören. Nur dann kann die „erste
Tätigkeitsstätte“ als Anknüpfungspunkt
für den Ansatz von Wegekosten nach Maßgabe der
Entfernungspauschale und als Abgrenzungsmerkmal gegenüber
einer auswärtigen beruflichen Tätigkeit dienen. Dies
folgt nach Auffassung des erkennenden Senats insbesondere aus
§ 9 Abs. 4 Satz 3 EStG, der zumindest für den Regelfall
davon ausgeht, dass der Arbeitnehmer an diesem Ort auch tätig
werden soll. Darüber hinaus ist das Erfordernis einer
arbeitsvertrag- oder dienstrechtlich geschuldeten Betätigung
an diesem Ort nicht zuletzt dem Wortsinn des Tatbestandsmerkmals
„erste Tätigkeitsstätte“ geschuldet.
Denn ein Ort, an dem der Steuerpflichtige nicht tätig wird
(oder für den Regelfall nicht tätig werden soll), kann
nicht als Tätigkeitsstätte angesehen werden.
Schließlich zwingt auch das objektive Nettoprinzip, den
Begriff der ersten Tätigkeitsstätte dahingehend
auszulegen. Denn anderenfalls bestimmt sich die Steuerlast nicht -
gleichheitsrechtlich geboten - nach der individuellen
Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen, sondern nach dem
Belieben seines Arbeitgebers.
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27
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c) Von einer
dauerhaften Zuordnung ist ausweislich der in § 9 Abs. 4 Satz 3
EStG aufgeführten Regelbeispiele insbesondere auszugehen, wenn
der Arbeitnehmer unbefristet, für die Dauer des
Dienstverhältnisses oder über einen Zeitraum von 48
Monaten hinaus an einer solchen Tätigkeitsstätte
tätig werden soll. Fehlt eine solche dienst- oder
arbeitsrechtliche Festlegung auf eine Tätigkeitsstätte
oder ist sie nicht eindeutig, ist erste Tätigkeitsstätte
entsprechend § 9 Abs. 4 Satz 4 EStG die betriebliche
Einrichtung, an der der Arbeitnehmer dauerhaft
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1. typischerweise
arbeitstäglich tätig werden soll oder
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2. je Arbeitswoche
zwei volle Arbeitstage oder mindestens ein Drittel seiner
vereinbarten regelmäßigen Arbeitszeit tätig werden
soll.
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28
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aa) Eine Zuordnung
ist unbefristet i.S. des § 9 Abs. 4 Satz 3 1. Alternative
EStG, wenn die Dauer der Zuordnung zu einer
Tätigkeitsstätte aus der maßgeblichen Sicht ex ante
nicht kalendermäßig bestimmt ist und sich auch nicht aus
Art, Zweck oder Beschaffenheit der Arbeitsleistung
ergibt.
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29
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bb) Die Zuordnung
erfolgt gemäß § 9 Abs. 4 Satz 3 2. Alternative EStG
für die Dauer des Arbeits- oder Dienstverhältnisses, wenn
sie aus der maßgeblichen Sicht ex ante für die gesamte
Dauer des Arbeits- oder Dienstverhältnisses Bestand haben
soll. Dies kann insbesondere angenommen werden, wenn die Zuordnung
im Rahmen des Arbeits- oder Dienstverhältnisses unbefristet
oder (ausdrücklich) für dessen gesamte Dauer
erfolgt.
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30
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4. Nach diesen
Maßstäben ist das FG zu Recht davon ausgegangen, dass
die Klägerin im Streitjahr ihre erste
Tätigkeitsstätte am Flughafen X hatte.
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31
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a) Nach den
bindenden (§ 118 Abs. 2 FGO) Feststellungen des FG
verfügt die A am Flughafen X über mehrere
Betriebsgebäude. Diese innerhalb wie außerhalb des
Sicherheitsbereichs befindlichen Gebäude, in denen auch die
sog. Briefingräume der A belegen sind, bilden die
„A-basis“ X, die steuerrechtlich eine ortsfeste
(großräumige) betriebliche Einrichtung - hier des
Arbeitgebers der Klägerin - bildet. Denn die Gebäude
stehen in einem organisatorischen und wirtschaftlichen Zusammenhang
mit der betrieblichen Tätigkeit des Arbeitgebers. Sie bilden
eine räumlich abgrenzbare funktionale betriebliche
Einheit.
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32
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b) Dieser
betrieblichen Einrichtung war die Klägerin auch dauerhaft
zugeordnet.
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33
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aa) Nach den nicht
mit Verfahrensrügen angegriffenen und den Senat ebenfalls
bindenden Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 FGO) wurde die
Klägerin ab Dezember 2011 vom Flughafen Y - Y/0/0 -
(zurück) zum Flughafen X (X/0/1) versetzt.
Einkommensteuerrechtlich stellt sich diese arbeitsrechtliche
Weisung als Zuordnung zur A-basis am Flughafen X i.S. von § 9
Abs. 4 Satz 3 EStG dar. Der Klägerin wurde dadurch der
Flughafen X verbindlich als home base zugewiesen. Denn sie hatte
nunmehr von dort aus ihren Dienst anzutreten und zu
beenden.
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34
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bb) Diese Zuordnung
erfolgte auch unbefristet. Dem steht der Umstand, dass die
Klägerin (jederzeit) erneut an einen anderen Ort versetzt
werden konnte, nicht entgegen. Denn die Zuordnung zur A-basis am
Flughafen X war weder kalendermäßig bestimmt noch ergab
sich aus Art, Zweck oder Beschaffenheit der Arbeitsleistung eine
Befristung. Die jederzeitige Möglichkeit einer Versetzung als
solche führt noch nicht zu einer lediglich befristeten
Zuordnung.
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35
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cc) Ebenso wenig
vermag der Einwand der Klägerin, die A habe mit der Zuweisung
einer home base lediglich nationalen wie EU-rechtlichen Vorgaben,
insbesondere Ziffer 1.7 des Anhangs III Abschn. Q OPS 1.1095 der
Verordnung (EG) Nr. 859/2008 der Kommission vom 20.8.2008 (EU-OPS;
Amtsblatt der Europäischen Union - ABlEU - L 254, S. 1)
Rechnung tragen, aber keine erste Tätigkeitsstätte i.S.
von § 9 Abs. 4 EStG zuweisen wollen, vorliegend gegen eine
erste Tätigkeitsstätte der Klägerin am Flughafen X
zu streiten. Denn einer gesonderten Zuordnung zu einer ersten
Tätigkeitsstätte für einkommensteuerliche Zwecke
bedarf es nicht. Die in Ziffer 1.7 des Anhangs III Abschn. Q OPS
1.1095 der Verordnung (EG) Nr. 859/2008 der Kommission vom
20.8.2008 (EU-OPS; ABlEU L 254, S. 1) geregelte Verpflichtung von
Luftfahrtunternehmen, für jedes Besatzungsmitglied eine
Heimatbasis festzulegen, und die arbeitsvertragliche Umsetzung der
dahingehenden Verpflichtung verdeutlicht vielmehr den vom
Steuergesetzgeber beabsichtigten Gleichklang von Arbeits- und
Steuerrecht.
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36
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dd) Ebenso
rechtsunerheblich ist der Einwand der Klägerin, ihr sei der
Stationierungsflughafen schon vor der Einführung des neuen
Reisekostenrechts von ihrem Arbeitgeber zugewiesen worden. Zwar ist
der Klägerin zuzugeben, dass der Arbeitgeber für einen
bereits abgelaufenen Veranlagungszeitraum nicht rückwirkend
eine bislang unterbliebene Zuordnungsentscheidung nachholen kann.
Dies ist im Streitfall jedoch nicht der Fall. Denn das
Versetzungsschreiben vom November 2011 ist zukunftsbezogen. Im
Übrigen gilt auch insoweit die Maßgeblichkeit der
arbeits- oder dienstrechtlichen Festlegung. Sofern diese - wie
vorliegend - auch jenseits des 31.12.2013 fortwirkt, bedarf es
keiner erneuten und insbesondere einkommensteuerrechtlichen
Festlegung einer ersten Tätigkeitsstätte i.S. von §
9 Abs. 4 EStG. Vielmehr nimmt das neue - zum 1.1.2014 in Kraft
getretene - steuerliche Reisekostenrecht die vorgefundenen arbeits-
und dienstrechtlichen Festlegungen des Arbeitgebers auf.
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37
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c) Da die
Klägerin der A-basis am Flughafen X damit bereits aufgrund der
dienstrechtlichen Festlegung ihres Arbeitgebers i.S. des § 9
Abs. 4 Satz 1 EStG dauerhaft zugeordnet war, kommt es auf die
Erfüllung der quantitativen Kriterien des § 9 Abs. 4 Satz
4 EStG im Streitfall nicht an.
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38
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d) Schließlich
ist die Klägerin dort auch in dem erforderlichen Umfang
tätig geworden.
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39
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Nach den bindenden
Feststellungen des FG war die Klägerin im Streitjahr - wenn
auch in geringem Umfang - in der A-basis am Flughafen X tätig.
Denn zu den Aufgaben der Klägerin gehörte es u.a., vor
jedem Abflug in der A-basis auf dem Flughafen X an dem 60- bis
100-minütigen Briefing der Flugbesatzung teilzunehmen, die
Wettermeldungen zu überprüfen, sich an der Beurteilung
der Wetterlage zu beteiligen, alle notwendigen Unterlagen und
Informationen zur Durchführung des Fluges einzuholen, den
Flugplan zu überprüfen, sich mit dem technischen Status
des Flugzeugs vertraut zu machen und die Abflugdaten zu errechnen.
Nach dem Flug musste sie den Kommandanten bei der
Vervollständigung der Flugunterlagen unterstützen und auf
Anweisung schriftliche Berichte erstellen.
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40
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Die Würdigung
des FG, dass die Klägerin damit in hinreichendem Umfang ihre
eigentliche Berufstätigkeit als Copilotin auch in einer
ortsfesten betrieblichen Einrichtung ihres Arbeitgebers am
Flughafen X ausgeübt hat, ist danach revisionsrechtlich nicht
zu beanstanden. Denn insbesondere die Teilnahme an dem vor jedem
Flug obligatorischen Briefing zählt zu den
arbeitsvertraglichen Pflichten der Klägerin und gehört zu
dem von ihr ausgeübten Beruf der Flugzeugführerin. Der
Umstand, dass die Klägerin ihre Tätigkeit
schwerpunktmäßig in einem Flugzeug ausübt, das
mangels Ortsfestigkeit seinerseits keine erste
Tätigkeitsstätte ist, steht dem - wie oben
ausgeführt - nach der Neuordnung des steuerlichen
Reisekostenrechts nicht mehr entgegen.
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41
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5. Da die
Klägerin im Streitjahr eine erste Tätigkeitsstätte
auf dem Betriebsgelände der A am Flughafen X hatte, sind ihre
Aufwendungen für die Fahrten zwischen ihrem Wohnort und dem
Flughafen X mit der vom FA bereits berücksichtigten
Entfernungspauschale gemäß § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4
Satz 2 EStG abgegolten. Ein Verstoß gegen das objektive
Nettoprinzip ist dadurch nicht zu beklagen. Es begegnet keinen
verfassungsrechtlichen Bedenken, dass durch die
Entfernungspauschale Aufwendungen für Fahrten zwischen Wohnung
und erster Tätigkeitsstätte abgegolten werden
(Senatsurteil vom 4.4.2019 - VI R 27/17, zur amtlichen
Veröffentlichung bestimmt).
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42
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6. Ein Ansatz der
begehrten Mehraufwendungen für Verpflegung kommt ebenfalls
nicht in Betracht, da die Klägerin nach den bindenden
Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 FGO) nicht nachgewiesen
hat, dass sie an den entsprechenden Tagen - wie in § 9 Abs. 4a
Sätze 2 und 3 Nr. 3 EStG vorausgesetzt - mehr als acht Stunden
von ihrer Wohnung und dem Betriebsgelände der A am Flughafen X
als ersten Tätigkeitsstätte abwesend war. Eine
Abwesenheit von mehr als acht Stunden nur von der Wohnung reicht
nach dem Gesetzeswortlaut nicht aus.
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43
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7. Die
Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 2 FGO.
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