Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil
des Finanzgerichts Rheinland-Pfalz vom 28.11.2019 - 6 K 1475/18 =
SIS 19 22 62 aufgehoben.
Die Sache wird an das Finanzgericht Rheinland-Pfalz zur
anderweitigen Verhandlung und Entscheidung
zurückverwiesen.
Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens
übertragen.
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I. Der Kläger und Revisionsbeklagte
(Kläger) ist in A als Feuerwehrmann angestellt. Im Streitjahr
(2016) war er an 112 Tagen in der Feuerwache B eingesetzt.
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In seiner Einkommensteuererklärung
machte der Kläger Fahrtkosten in Höhe von 1.008 EUR nach
Reisekostengrundsätzen geltend.
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Der Beklagte und Revisionskläger
(Finanzamt - FA - ) setzte hingegen nur die Entfernungspauschale in
Höhe von 504 EUR an. Den hiergegen gerichteten Einspruch wies
er als unbegründet zurück. Im Laufe des
finanzgerichtlichen Verfahrens erließ das FA aus hier nicht
streitigen Gründen einen Änderungsbescheid. Das
Finanzgericht (FG) gab der Klage mit den in EFG 2020, 269 =
SIS 19 22 62 veröffentlichten
Gründen statt.
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Mit der Revision rügt das FA die
Verletzung materiellen Rechts.
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Es beantragt,
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das Urteil des FG aufzuheben und die Klage
abzuweisen.
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Der Kläger beantragt,
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die Revision zurückzuweisen.
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II. Die Revision des FA ist begründet.
Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur
Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen
Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der
Finanzgerichtsordnung - FGO - ).
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1. Beruflich veranlasste Fahrtkosten sind
Erwerbsaufwendungen. Handelt es sich bei den Aufwendungen des
Arbeitnehmers um solche für die Wege zwischen Wohnung und
erster Tätigkeitsstätte i.S. des § 9 Abs. 4 des
Einkommensteuergesetzes (EStG), ist zu deren Abgeltung für
jeden Arbeitstag, an dem der Arbeitnehmer die erste
Tätigkeitsstätte aufsucht, grundsätzlich eine
Entfernungspauschale für jeden vollen Kilometer der Entfernung
zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte von (im
Streitjahr) 0,30 EUR anzusetzen (§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4
Sätze 1 und 2 EStG).
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2. Erste Tätigkeitsstätte ist nach
der Legaldefinition in § 9 Abs. 4 Satz 1 EStG die ortsfeste
betriebliche Einrichtung des Arbeitgebers, eines verbundenen
Unternehmens (§ 15 des Aktiengesetzes) oder eines vom
Arbeitgeber bestimmten Dritten, der der Arbeitnehmer dauerhaft
zugeordnet ist.
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a) Ortsfeste betriebliche Einrichtungen sind
räumlich zusammengefasste Sachmittel, die der Tätigkeit
des Arbeitgebers, eines verbundenen Unternehmens oder eines vom
Arbeitgeber bestimmten Dritten dienen und mit dem Erdboden
verbunden oder dazu bestimmt sind, überwiegend
standortgebunden genutzt zu werden (z.B. Senatsurteil vom
04.04.2019 - VI R 27/17, BFHE 264, 271, BStBl II 2019, 536 = SIS 19 09 76, Rz 13, m.w.N.).
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b) Die Zuordnung zu einer solchen Einrichtung
wird gemäß § 9 Abs. 4 Satz 2 EStG durch die dienst-
oder arbeitsrechtlichen Festlegungen sowie die diese
ausfüllenden Absprachen und Weisungen bestimmt. Einer
gesonderten Zuordnung für einkommensteuerliche Zwecke bedarf
es nicht (Senatsurteil vom 11.04.2019
- VI R 40/16, BFHE 264, 248, BStBl II 2019, 546 = SIS 19 09 78, Rz 23, 35).
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Die arbeitsrechtliche Zuordnungsentscheidung
des Arbeitgebers als solche muss für ihre steuerliche
Wirksamkeit nicht dokumentiert werden. Eine Dokumentationspflicht
ist § 9 Abs. 4 Satz 2 EStG nicht zu entnehmen. Die
Feststellung einer entsprechenden Zuordnung ist vielmehr durch alle
nach der FGO zugelassenen Beweismittel möglich und durch das
FG im Rahmen einer umfassenden Würdigung aller Umstände
des Einzelfalls zu treffen. So entspricht es regelmäßig
der Lebenswirklichkeit, dass der Arbeitnehmer der betrieblichen
Einrichtung des Arbeitgebers zugeordnet ist, in der er
tatsächlich tätig ist oder werden soll (z.B.
Senatsurteile in BFHE 264, 271, BStBl II 2019, 536 = SIS 19 09 76,
Rz 17, und vom 10.04.2019 - VI R 17/17 = SIS 19 10 21, Rz 20).
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c) Ist der Arbeitnehmer einer bestimmten
Tätigkeitsstätte arbeitsrechtlich zugeordnet, kommt es
aufgrund des Direktionsrechts des Arbeitgebers für die erste
Tätigkeitsstätte auf den qualitativen Schwerpunkt der
Tätigkeit, die der Arbeitnehmer dort ausübt oder
ausüben soll, nicht an. Erforderlich, aber auch ausreichend
ist, dass der Arbeitnehmer am Ort der ersten
Tätigkeitsstätte zumindest in geringem Umfang
Tätigkeiten zu erbringen hat, die er arbeitsvertraglich oder
dienstrechtlich schuldet und die zu dem von ihm ausgeübten
Berufsbild gehören (Senatsurteile in BFHE 264, 271, BStBl II
2019, 536 = SIS 19 09 76, Rz 18 f., und in BFHE 264, 248, BStBl II
2019, 546 = SIS 19 09 78, Rz 25 f.).
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d) Von einer dauerhaften Zuordnung ist
ausweislich der in § 9 Abs. 4 Satz 3 EStG aufgeführten
Regelbeispiele insbesondere auszugehen, wenn der Arbeitnehmer
unbefristet, für die Dauer des Dienstverhältnisses oder
über einen Zeitraum von 48 Monaten hinaus an einer solchen
Tätigkeitsstätte tätig werden soll.
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Eine Zuordnung ist unbefristet i.S. des §
9 Abs. 4 Satz 3 1. Alternative EStG, wenn die Dauer der Zuordnung
zu einer Tätigkeitsstätte aus der maßgeblichen
Sicht ex ante nicht kalendermäßig bestimmt ist und sich
auch nicht aus Art, Zweck oder Beschaffenheit der Arbeitsleistung
ergibt (Senatsurteil in BFHE 264, 271, BStBl II 2019, 536 = SIS 19 09 76, Rz 21).
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3. Das FG ist zu Recht davon ausgegangen, dass
es sich bei der Feuerwache B um eine ortsfeste betriebliche
Einrichtung des Arbeitgebers des Klägers handelt. Dies steht
zwischen den Beteiligten auch nicht im Streit. Der Senat sieht
deshalb insoweit von weiteren Ausführungen ab.
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4. Die tatsächlichen Feststellungen des
FG tragen jedoch nicht dessen Schlussfolgerung, dass der
Kläger der Feuerwache B nicht dauerhaft zugeordnet worden
ist.
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a) Ob im Einzelfall unter Anwendung der unter
II.2.b dargelegten Grundsätze eine dauerhafte Zuordnung
vorliegt, ist grundsätzlich Tatfrage und als solche vom FG zu
beurteilen. Die revisionsrechtliche Prüfung beschränkt
sich darauf, ob das FG im Rahmen der Gesamtwürdigung von
zutreffenden Kriterien ausgegangen ist, alle maßgeblichen
Beweisanzeichen in seine Beurteilung einbezogen und dabei nicht
gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstoßen hat.
Fehlt es an einer tragfähigen Tatsachengrundlage für die
Folgerungen in der tatrichterlichen Entscheidung oder fehlt die
nachvollziehbare Ableitung dieser Folgerungen aus den
festgestellten Tatsachen und Umständen, liegt ein
Verstoß gegen die Denkgesetze vor, der als Fehler der
Rechtsanwendung ohne besondere Rüge vom Revisionsgericht
beanstandet werden kann (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs vom
22.02.2021 - IX R 6/20 = SIS 21 12 02, Rz 21, m.w.N.).
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b) Das FG hat eine (dauerhafte) Zuordnung des
Klägers zur Feuerwache B allein mit der Begründung
verneint, der Kläger sei nach dem Arbeitsvertrag verpflichtet,
nach entsprechender Einzelanweisung seinen Dienst an vier
verschiedenen Einsatzstellen zu leisten, und sich dabei auf Ziffer
6 des Arbeitsvertrags gestützt. Darin wird als
Beschäftigungsdienststelle/-ort allgemein auf die
verschiedenen Standorte, nämlich „... „,
hingewiesen, an denen der Kläger eingesetzt werden kann.
Aufgrund dieser arbeitsvertraglichen Regelung mag der Kläger -
wie das FG meint - zum Dienst an verschiedenen ortsfesten
betrieblichen Einrichtungen des Arbeitsgebers verpflichtet sein. Ob
der Arbeitgeber den Kläger einer dieser betrieblichen
Einrichtungen tatsächlich zugeordnet hat, lässt sich
dieser Bestimmung hingegen nicht entnehmen. Sie rechtfertigt auch
nicht den vom FG gezogenen (Umkehr-)Schluss, der Kläger sei
keiner dieser betrieblichen Einrichtungen zugeordnet worden. Denn
allein der Umstand, dass ein Arbeitnehmer auf Weisung seines
Arbeitgebers in unterschiedlichen betrieblichen Einrichtungen
tätig werden soll, steht seiner Zuordnung zu einer dieser
betrieblichen Einrichtungen durch den Arbeitgeber nicht
entgegen.
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c) Da die Feststellungen des FG dessen
Würdigung, es fehle an der dauerhaften Zuordnung des
Klägers zur Feuerwache B, nicht tragen, war das angefochtene
Urteil aufzuheben.
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5. Die Sache ist nicht spruchreif. Der
erkennende Senat kann aufgrund der Feststellungen des FG nicht
entscheiden, ob es zu Recht davon ausgegangen ist, der Kläger
sei B nicht zugeordnet worden. Entsprechend ist die Sache an das FG
zurückzuverweisen.
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a) Das FG wird im zweiten Rechtsgang
festzustellen haben, ob der Kläger aus der Sicht ex ante B im
Streitjahr zugeordnet war und sodann ob es sich in diesem Fall um
eine dauerhafte Zuordnung handelte.
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In diesem Zusammenhang weist der Senat auf
Folgendes hin:
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Die vom Kläger vorgelegten
Dienstpläne können allenfalls indiziell für die
Annahme einer dauerhaften Zuordnungsentscheidung des Arbeitgebers
herangezogen werden. Ebenso wenig kann im Streitfall ohne Weiteres
auf die Rechtsprechung des erkennenden Senats zurückgegriffen
werden, wonach es regelmäßig der Lebenswirklichkeit
entspricht, dass der Arbeitnehmer der betrieblichen Einrichtung des
Arbeitgebers zugeordnet ist, in der er tatsächlich tätig
ist oder werden soll (z.B. Senatsurteile in BFHE 264, 271, BStBl II
2019, 536 = SIS 19 09 76, Rz 17, und vom 10.04.2019 - VI R 17/17 =
SIS 19 10 21, Rz 20). Vorliegend
ist eine solche Würdigung ohne weitere Feststellungen nicht
möglich, da der Kläger substantiiert unter Bezugnahme auf
den Arbeitsvertrag vorgetragen hat, dass es an einer entsprechenden
- jedenfalls dauerhaften - Zuordnung zur Feuerwache B ebenso wie zu
einer anderen betrieblichen Einrichtung des Arbeitgebers fehle, er
vielmehr ohne konkrete Festlegung von vornherein an sämtlichen
Standorten eingesetzt werden sollte. Ob dieser Vortrag zutrifft
oder doch von vornherein eine Zuordnung an die Feuerwache B vorlag
oder eine zunächst fehlende dauerhafte Zuordnung in
späteren Jahren - insbesondere im Hinblick auf das Streitjahr
- durch eine solche ersetzt worden ist, wird das FG insbesondere
durch Zeugeneinvernahme festzustellen haben. Der im Arbeitsvertrag
enthaltene Vermerk, in dem es heißt, „Änderungen
... der persönlichen Beschäftigungsbedingungen
[können] von der Beschäftigungsdienststelle durch
schriftliche Benachrichtigung festgelegt
werden“, könnte dafür sprechen, dass
der Kläger von seinem Arbeitgeber zunächst einem der
darin genannten Standorte zugeordnet worden ist. Ob eine solche
Zuordnung allerdings auch dauerhaft oder nur für eine
bestimmte (unter 48 Monaten liegende) Zeit erfolgen sollte, kann
dem Vermerk nicht entnommen werden und bedarf ebenfalls weiterer
Feststellungen.
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b) Gelangt das FG im zweiten Rechtsgang zu dem
Ergebnis, dass eine solche dauerhafte Zuordnung vorlag, ist
hinsichtlich der Frage, ob der Kläger dort in dem
erforderlichen Umfang tätig geworden ist, zu beachten, dass
nach Auffassung des Senats bei einem Angehörigen der
Betriebs-/Werksfeuerwehr auch die Arbeitsbereitschafts- und
Bereitschaftsruhezeiten, soweit diese an der ersten
Tätigkeitsstätte abzuleisten sind, Tätigkeiten i.S.
des § 9 Abs. 4 EStG darstellen, die arbeitsvertraglich
geschuldet sind und dem Berufsbild der Betriebs-/Werksfeuerwehr
entsprechen (vgl. zur Beurteilung der Arbeitszeit einer
Werksfeuerwehr, Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 23.06.2010 -
10 AZR 543/09, BAGE 135, 34).
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c) Sollte das FG eine solche dienstrechtliche
Festlegung auf eine Tätigkeitsstätte nicht feststellen
können oder ist sie nicht eindeutig, wird es des Weiteren zu
prüfen haben, ob die Tatbestandsvoraussetzungen des § 9
Abs. 4 Satz 4 Nr. 1 oder Nr. 2 EStG vorgelegen haben.
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6. Die Übertragung der Kostenentscheidung
beruht auf § 143 Abs. 2 FGO.
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