Auf die Revision der Klägerin wird das
Urteil des Finanzgerichts Berlin-Brandenburg vom 22.6.2017 5 K
5043/16 aufgehoben.
Die Sache wird an das Finanzgericht
Berlin-Brandenburg zurückverwiesen.
Diesem wird die Entscheidung über die
Kosten des Revisionsverfahrens übertragen.
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A. Die Klägerin und
Revisionsklägerin (Klägerin) ist ein
berufsständisches Versorgungswerk in der Rechtsform einer
Anstalt des öffentlichen Rechts. Im Rahmen einer bei der
Klägerin durchgeführten Prüfung nach § 22a Abs.
4 des Einkommensteuergesetzes in der im Streitjahr geltenden
Fassung (EStG) stellte die Beklagte und Revisionsbeklagte (Deutsche
Rentenversicherung Bund - DRV Bund -, Zentrale Zulagenstelle
für Altersvermögen - ZfA - ) fest, dass die Klägerin
für den Veranlagungszeitraum 2013 bestimmte
Rentenbezugsmitteilungen nicht fristgerecht übermittelt hatte,
und setzte dementsprechend letztendlich ein Verspätungsgeld in
Höhe von 1.440 EUR gemäß § 22a Abs. 5 EStG
fest. Den hiergegen gerichteten Einspruch wies die ZfA zurück,
da die Klägerin die verspätete Übermittlung der
Rentenbezugsmitteilungen zu vertreten habe. In ihrer
Klagebegründung rügte die Klägerin zunächst die
Zuständigkeit des Finanzgerichts (FG). Bei dem
Verspätungsgeld handele es sich weder um eine Steuer noch um
eine Gebühr, so dass es nur noch als Bußgeld eingeordnet
werden könne. Damit sei das Verfahren gemäß §
33 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) den Strafgerichten
zugewiesen. Zudem sei § 22a Abs. 5 EStG nicht
verfassungsgemäß. Es habe der ZfA oblegen, hinsichtlich
jeder Verspätung zu überprüfen und nachzuweisen,
dass diese auf dem Verschulden der Klägerin beruht habe. Dies
sei unterblieben. Der Bescheid sei auch in materieller Hinsicht
fehlerhaft. Die Anforderungen der ZfA seien überspannt und
könnten nicht unter den notwendigen Verschuldensmaßstab
subsumiert werden.
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Das FG hat der Klage mit dem in EFG 2017,
1669 veröffentlichten Urteil nur in Bezug auf einen - im
Revisionsverfahren nicht mehr streitigen - Teilbetrag stattgegeben.
Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen.
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Zur Begründung ihrer Revision
führt die Klägerin aus, das FG habe zu Unrecht
angenommen, dass der Finanzrechtsweg gemäß § 33
Abs. 1 FGO gegeben sei, und fehlerhaft ohne Zwischenverfahren
gemäß § 155 Satz 1 FGO i.V.m. § 17a Abs. 2 bis
4 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) entschieden.
Materiell-rechtlich sei darauf hinzuweisen, dass das
Verspätungsgeld gemäß § 22a EStG mit Blick auf
das Bußgeld des § 50f EStG die Grenze des Art. 103 Abs.
3 des Grundgesetzes (GG) überschreite, der im Hinblick auf die
strafrechtlichen Garantien der Europäischen
Menschenrechtskonvention (EMRK) völkerrechtsfreundlich
auszulegen sei. Auch verstoße der Normaufbau des § 22a
Abs. 5 Satz 3 EStG, wonach die Behörde von der Erhebung des
Verspätungsgeldes abzusehen habe, wenn die
Fristüberschreitung auf Gründen beruhe, die die
mitteilungspflichtige Stelle nicht zu vertreten habe, gegen die
Unschuldsvermutung. Diese sei eine besondere Ausprägung des
Rechtsstaatsprinzips und habe damit Verfassungsrang. Art. 6 Abs. 2
EMRK, der Bestandteil des positiven Rechts im Range eines
Bundesgesetzes sei, lege zudem die Beweislast für ein
schuldhaftes Verhalten der staatlichen Stelle auf, die die Sanktion
verhängen wolle. Dies habe das FG verkannt. Es habe lediglich
ausgeführt, die Klägerin habe nicht alles getan, um die
Identifikationsnummern zu ermitteln. Sie habe es u.a.
versäumt, eine Anfrage nach § 22a Abs. 2 Satz 2 EStG beim
Bundeszentralamt für Steuern (BZSt) durchzuführen. Aus
der FG-Akte ergebe sich jedoch, dass die Klägerin in diesen
Fällen bereits am 10.2.2014, somit vor Ablauf der Frist des
§ 22a Abs. 1 Satz 1 EStG, eine Anfrage an das BZSt im
maschinellen Antragsverfahren zur Abfrage der Identifikationsnummer
(MAV) übersandt habe, um von diesem die Identifikationsnummer
zu erhalten. Hierbei handele es sich um ein Verfahren, das zu
wählen sei, wenn der mitteilungspflichtigen Stelle die
Identifikationsnummer des Leistungsempfängers nicht bekannt
sei. Am 20.2.2014 habe die Klägerin die Antwort erhalten, die
Nummer sei selbständig bei den Leistungsempfängern zu
erfragen (Returncode 1). Dieser Aufforderung sei die Klägerin
nachgekommen. Ihre an die Rentenberechtigten gerichtete Bitte um
Mitteilung der Identifikationsnummer sei aber erfolglos geblieben,
was das FG in seinem Urteil auch festgestellt habe. Damit habe die
Klägerin bereits vor Fristablauf alles Erforderliche getan, um
eine rechtzeitige Mitteilung der Rentenbezüge zu
ermöglichen. Dass sie weder durch das BZSt noch durch die
Leistungsempfänger rechtzeitig Mitteilung erhalten habe, sei
nicht von ihr zu vertreten.
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Außerdem genüge die Norm des
§ 22a Abs. 5 Satz 1 EStG nicht den Anforderungen des
Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Selbst wenn es
sich bei dem Verspätungsgeld um keine Strafe handelte,
wären die Regelungen jedenfalls
unverhältnismäßig. Das Verspätungsgeld
verstoße gegen das Übermaßverbot, da ein grobes
Missverhältnis zwischen dessen Höhe und den durch die
Verzögerung zu erwartenden Mehrkosten im Bereich der
Finanzverwaltung bestehe. Dieses Missverhältnis werde umso
deutlicher, als § 22a EStG Dritte in Dienst nehme.
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Die Klägerin beantragt, das auf die
mündliche Verhandlung vom 2.4.2017 ergangene Urteil des FG
Berlin-Brandenburg vom 22.6.2017 5 K 5043/16, soweit der Klage
nicht stattgegeben wurde, sowie den Bescheid der ZfA zur Erhebung
von Verspätungsgeld für den Veranlagungszeitraum 2013 vom
4.3.2015 in Gestalt des Teilabhilfebescheides vom 14.12.2015 und
die Einspruchsentscheidung vom 9.2.2016 aufzuheben.
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Die ZfA beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
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Der Finanzrechtsweg sei eröffnet, da
es sich beim Verspätungsgeld um kein Bußgeld handele.
Allein § 50f EStG sei ein Bußgeldtatbestand. Aus den
Gesetzesmaterialien folge, dass die Regelung über das
Verspätungsgeld in erster Linie einen präventiven Zweck
verfolge (Anreiz zur rechtzeitigen Erfüllung der gesetzlichen
Mitteilungspflicht) und ersatzweise - in Fällen der nicht
rechtzeitigen Pflichterfüllung - einen finanziellen Ausgleich
für den dann entstehenden Verwaltungsmehraufwand bewirken
solle. Eine Doppelbestrafung sei vorliegend schon in
tatsächlicher Hinsicht ausgeschlossen, weil gegen die
Klägerin kein Bußgeld verhängt worden sei. Ohnehin
habe die ZfA von der Regelung des § 50f EStG bisher noch nie
Gebrauch gemacht. Die Unschuldsvermutung greife bei dem
Verspätungsgeld ebenfalls nicht ein, da § 22a Abs. 5 EStG
keine Strafnorm sei.
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Die Vorschrift sei zudem
verhältnismäßig. Der Grundsatz einer möglichst
effizienten Verwaltung habe nach der höchstrichterlichen
Rechtsprechung Verfassungsrang. Dies rechtfertige bei einem
Massenverfahren mit über 30 Mio. Rentenbezugsmitteilungen
jährlich die vom Gesetzgeber vorgenommenen Pauschalierungen.
Darüber hinaus sei für die Klägerin als
Körperschaft des öffentlichen Rechts schon der
persönliche Schutzbereich derjenigen Grundrechtsnormen, die im
Streitfall Grundlage für eine
Verhältnismäßigkeitsprüfung sein könnten,
nicht eröffnet.
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Im Streitfall habe die Klägerin die
verspäteten Rentenbezugsmitteilungen in den Fällen zu
vertreten, in denen eine Übermittlung aufgrund fehlender
Identifikationsnummern unterblieben sei, da sie die gesetzlichen
Regularien des MAV nicht beachtet habe.
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Das Bundesministerium der Finanzen ist dem
Revisionsverfahren beigetreten. Es hat keinen Antrag gestellt,
unterstützt aber in der Sache die Auffassung der ZfA.
Insbesondere weist es darauf hin, dass das Verbot der
Doppelbestrafung nicht in der EMRK selbst, sondern in Art. 4 Abs. 1
des 7. Zusatzprotokolls zur EMRK geregelt worden sei, das die
Bundesrepublik Deutschland (Deutschland) bisher aber nicht
ratifiziert habe. Die Eignung und Erforderlichkeit der
präventiven Regelung über das Verspätungsgeld zeige
sich schon daran, dass die Quote fristgerecht übermittelter
Rentenbezugsmitteilungen von 72,25 % im Jahr des Inkrafttretens des
§ 22a Abs. 5 EStG (2010) kontinuierlich bis auf 97,8 % im Jahr
2016 gestiegen sei.
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B. Die Revision ist begründet. Das
angefochtene Urteil wird aufgehoben und die Sache an das FG
zurückverwiesen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO).
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Der Finanzrechtsweg ist eröffnet (unten
I.). Die Klägerin ist keiner unzulässigen
Doppelbestrafung ausgesetzt (unten II.). Die gesetzliche Regelung
des Verspätungsgeldes verstößt weder gegen die
Unschuldsvermutung (unten III.) noch verletzt sie den
Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (unten IV.). Die
Auffassung des FG, der Klägerin sei ein Verschulden an der
Fristversäumnis anzulasten, hält einer
revisionsrechtlichen Überprüfung indes nicht stand. Der
festgestellte Sachverhalt reicht dem erkennenden Senat nicht aus,
um abschließend beurteilen zu können, ob die
Voraussetzungen des § 22a Abs. 5 Satz 3 EStG gegeben sind
(unten V.).
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I. Der Finanzrechtsweg ist eröffnet.
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1. Ungeachtet der Vorschrift des § 17a
Abs. 5 GVG muss der Senat im Streitfall eine eigene inhaltliche
Entscheidung über die Eröffnung des Finanzrechtswegs
treffen.
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Zwar ordnet die genannte Regelung an, dass das
Gericht, das über ein Rechtsmittel gegen eine Entscheidung in
der Hauptsache entscheidet, nicht prüft, ob der beschrittene
Rechtsweg zulässig ist. Das FG hat jedoch nicht beachtet, dass
es gemäß § 17a Abs. 3 Satz 2 GVG über die
Zulässigkeit des Rechtswegs aufgrund der entsprechenden
ausdrücklichen Rüge der Klägerin vorab - durch einen
gesonderten Beschluss - hätte entscheiden müssen. In
derartigen Fällen ist § 17a Abs. 5 GVG nach
ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht
anzuwenden, da den Beteiligten sonst jeder Rechtsbehelf, mit dem
sie eine Nachprüfung der Entscheidung über die
Zulässigkeitsfrage erreichen könnten, versagt bliebe
(Urteil des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 25.2.1993 III ZR 9/92,
BGHZ 121, 367, unter II.1.b; Beschluss des
Bundesverwaltungsgerichts - BVerwG - vom 28.1.1994 7 B 198/93, NJW
1994, 956; Senatsbeschluss vom 24.6.2014 X B 216/13, BFH/NV 2014,
1888 = SIS 14 29 98, Rz 9).
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2. Der Senat darf als Revisionsgericht
über die Zulässigkeit des Finanzrechtswegs im
vorliegenden Endurteil entscheiden, ohne seinerseits den in §
17a Abs. 3 Satz 2 GVG vorgesehenen Weg der Vorabentscheidung durch
gesonderten Beschluss einhalten zu müssen.
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Nach der Rechtsprechung des BGH kann selbst
ein Berufungsgericht von der Durchführung des Vorabverfahrens
absehen, wenn es im Fall der Wahl dieses Verfahrens keinen Anlass
gesehen hätte, gemäß § 17a Abs. 4 Satz 4 GVG
die Beschwerde zuzulassen (Urteil vom 11.7.1997 V ZR 313/95, BGHZ
136, 228, unter II.; ebenso die - allerdings jeweils nicht
tragenden - Äußerungen in den Entscheidungen vom
9.11.1995 V ZB 27/94, BGHZ 131, 169, unter II.; vom 29.3.1996 V ZR
326/94, BGHZ 132, 245, unter II.1., und vom 18.11.1998 VIII ZR
269/97, NJW 1999, 651, unter I.2.). Dies muss erst recht für
ein Revisionsgericht gelten, gegen dessen Entscheidungen niemals
die Möglichkeit einer Beschwerde eröffnet ist. Auch der
BGH entscheidet, wenn er wegen Nichtbeachtung des § 17a Abs. 3
Satz 2 GVG durch die Vorinstanz eine eigene Prüfung der
Rechtswegzuständigkeit vornimmt, hierüber im Endurteil
(vgl. z.B. BGH-Urteil in BGHZ 132, 245, unter II.2.).
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3. Vorliegend ergibt sich die
Zulässigkeit des Finanzrechtswegs aus § 33 Abs. 1 Nr. 1
FGO (gleicher Ansicht Braun in Hübschmann/Hepp/Spitaler,
§ 33 FGO Rz 172a). Danach ist der Finanzrechtsweg in
öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten (dazu unten a) über
Abgabenangelegenheiten (unten b) gegeben, soweit die Abgaben der
Gesetzgebung des Bundes unterliegen (unten c) und durch
Bundesfinanzbehörden oder Landesfinanzbehörden verwaltet
werden (unten d). Diese positiven Voraussetzungen sind hier
erfüllt; die u.a. für Bußgeldverfahren geltende
anderweitige Sonderzuweisung des § 33 Abs. 3 FGO ist nicht
einschlägig (unten e).
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a) Die Klage gegen die Festsetzung eines
Verspätungsgeldes ist eine öffentlich-rechtliche
Streitigkeit. Vorliegend hat die ZfA als Verwaltungseinheit der DRV
Bund ihr Handeln auf § 22a Abs. 5 EStG gestützt. Diese
Norm gilt für sie allein in ihrer Eigenschaft als
Hoheitsträger, so dass sie unstreitig dem öffentlichen
Recht zuzuordnen ist.
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b) Entgegen der Auffassung der Klägerin
handelt es sich um eine Abgabenangelegenheit i.S. des § 33
Abs. 2 FGO. Der Senat kann es dabei dahinstehen lassen, ob es sich
bei dem Verspätungsgeld, das in § 3 Abs. 4 Nr. 9 der
Abgabenordnung (AO) als steuerliche Nebenleistung definiert wird,
um eine „Abgabe“ handelt, jedenfalls stellt
§ 22a Abs. 5 EStG eine „abgabenrechtliche
Vorschrift“ i.S. der zweiten Alternative des § 33
Abs. 2 FGO dar. Das Verspätungsgeld ist im EStG geregelt und
bezweckt die geordnete und möglichst vollständige
Festsetzung und Erhebung der Einkommensteuer - bei der es sich
unstreitig um eine Abgabe handelt - auf Renteneinkünfte (vgl.
dazu auch BTDrucks 17/3549, S. 19). Die Vorschriften über das
Verspätungsgeld werden - wie von § 33 Abs. 2 FGO
vorausgesetzt - auch durch eine Finanzbehörde angewendet, da
die DRV Bund, die für die Festsetzung und Erhebung von
Verspätungsgeldern zuständig ist, in ihrer Eigenschaft
als zentrale Stelle i.S. des § 81 EStG zu den
Finanzbehörden gehört (§ 6 Abs. 2 Nr. 7 AO).
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c) Das Verspätungsgeld unterliegt der
Gesetzgebung des Bundes. Dies zeigt sich einfachgesetzlich bereits
daran, dass es sich bei § 22a Abs. 5 EStG um eine Norm des
Bundesrechts handelt. Dem Bund steht aber auch verfassungsrechtlich
die entsprechende Gesetzgebungskompetenz zu, die aus Art. 108 Abs.
5 Satz 1 GG folgt. Nach dieser Vorschrift wird das von den
Bundesfinanzbehörden anzuwendende Verfahren durch Bundesgesetz
geregelt. Bei der DRV Bund bzw. der ZfA, die für die Anwendung
des § 22a Abs. 5 EStG zuständig ist, handelt es sich um
eine Bundesfinanzbehörde (dazu noch ausführlich unten d).
Die gesamte Norm des § 22a EStG enthält
Verfahrensregelungen (Mitteilungspflichten), die eine
vollständige Festsetzung und Erhebung der Einkommensteuer auf
Renten gewährleisten sollen. Das in diesem Zusammenhang
vorgesehene Verspätungsgeld nach § 22a Abs. 5 EStG soll
wiederum sicherstellen, dass die Mitteilungspflichten von den
Normadressaten auch beachtet werden, ist also Teil einer
Verfahrensregelung.
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d) Das Verspätungsgeld wird auch durch
eine Bundesfinanzbehörde verwaltet. Zu den Aufgaben des BZSt,
einer Bundesfinanzbehörde (§ 1 Nr. 2 des Gesetzes
über die Finanzverwaltung - FVG - ), gehört u.a. die
Erhebung des Verspätungsgeldes nach § 22a Abs. 5 EStG
(§ 5 Abs. 1 Nr. 18 Satz 1 Buchst. d FVG). Das BZSt bedient
sich zur Durchführung dieser Aufgabe der DRV Bund, soweit
diese zentrale Stelle i.S. des § 81 EStG ist, im Wege der
Organleihe; die DRV Bund unterliegt insoweit der Fachaufsicht des
BZSt (§ 5 Abs. 1 Nr. 18 Sätze 2 und 3 FVG). Gegen diese
Organleihe bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken (s. dazu
ausführlich das Senatsurteil vom 20.2.2019 X R 28/17, -
www.bundesfinanzhof.de, Entscheidungen online - unter B.I.2.;
ebenso zur Zulässigkeit der Organleihe in Bezug auf die
Zuständigkeit der DRV Bund für die Altersvorsorgezulage
bereits Senatsurteil vom 8.7.2015 X R 41/13, BFHE 250, 397, BStBl
II 2016, 525 = SIS 15 23 24, Rz 37). Aufgrund dieser gesetzlichen
Anordnung der Organleihe ist das Handeln der DRV Bund dem BZSt
zuzurechnen.
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e) Die Regelung des § 33 Abs. 3 FGO,
wonach die FGO auf das Straf- und Bußgeldverfahren keine
Anwendung findet, ist vorliegend nicht einschlägig, da es sich
beim Verspätungsgeld nicht um eine Geldbuße handelt, mit
der eine Ordnungswidrigkeit in einem Bußgeldverfahren
geahndet werden könnte.
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aa) Nach § 1 Abs. 1 des Gesetzes
über Ordnungswidrigkeiten (OWiG) ist eine Ordnungswidrigkeit
eine rechtswidrige und vorwerfbare Handlung, die den Tatbestand
eines Gesetzes verwirklicht, das die Ahndung mit einer
Geldbuße zulässt. Dementsprechend bestimmt § 377
Abs. 1 AO, dass Steuerordnungswidrigkeiten Zuwiderhandlungen sind,
die nach der AO oder den Steuergesetzen mit einer Geldbuße
geahndet werden können.
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bb) Dies ist bei § 22a Abs. 5 EStG nicht
der Fall. Dort ist ausdrücklich keine Geldbuße, sondern
ein Verspätungsgeld vorgesehen. Dass diese Differenzierung
sowohl in der Terminologie als auch in der Systematik auf einer
bewussten Entscheidung des Gesetzgebers beruht, zeigt bereits die
Norm des § 50f EStG, die ausdrücklich einen
Bußgeldtatbestand für bestimmte Handlungen bzw.
Unterlassungen im Zusammenhang mit Rentenbezugsmitteilungen
enthält. Auch aus den Gesetzesmaterialien geht die
Differenzierung zwischen dem Bußgeldtatbestand des § 50f
EStG und dem Verspätungsgeld nach § 22a Abs. 5 EStG
hervor: Während im Zusammenhang mit § 50f EStG
ausdrücklich von der „Ahndung“ einer
Pflichtverletzung die Rede ist (BTDrucks 17/3549, S. 21) und
insoweit die Terminologie des OWiG aufgenommen wird, betonen die
Gesetzesmaterialien zu § 22a Abs. 5 EStG ausschließlich
den Präventiv- und Ausgleichszweck des Verspätungsgeldes
(vgl. BTDrucks 17/3549, S. 19).
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cc) Dies entspricht der ständigen
höchstrichterlichen Rechtsprechung zur rechtlichen Einordnung
des Verspätungszuschlags nach § 152 AO: Obwohl dieser an
ein in der Vergangenheit liegendes schuldhaftes Verhalten des
Steuerpflichtigen anknüpft, handelt es sich nicht etwa um
einen Straf- oder Bußgeldtatbestand, sondern um ein
besonderes Druckmittel der Steuerverwaltung zur Sicherung eines
ordnungsgemäßen Veranlagungsverfahrens, das
präventiven Charakter hat (Entscheidungen des Bundesfinanzhofs
- BFH - vom 18.8.1988 V R 19/83, BFHE 154, 23, BStBl II 1988, 929 =
SIS 88 21 46, unter B.1.; vom 22.1.1993 III R 92/89, BFH/NV 1993,
455, unter 2.d, und vom 30.11.2001 IV B 30/01, BFH/NV 2002, 475 =
SIS 02 58 07).
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dd) Die Überlegung der Klägerin, das
Verspätungsgeld stehe möglicherweise inhaltlich einem
Bußgeld gleich, kann - unabhängig davon, ob der Senat
dem folgen könnte oder nicht - zu keinem anderen Ergebnis
führen. Denn die Klarheit und Bestimmtheit von Vorschriften
über den Rechtsweg ist unabdingbare Anforderung an eine
rechtsstaatliche Ordnung, die dem Bürger die
eigenmächtig-gewaltsame Durchsetzung behaupteter
Rechtspositionen grundsätzlich verwehrt und ihn statt dessen
auf den Rechtsweg verweist (Beschluss des Bundesverfassungsgerichts
- BVerfG - vom 25.3.1981 2 BvR 1258/79, BVerfGE 57, 9, unter
B.II.3.a). Die danach erforderliche Rechtsklarheit gebietet es,
jedenfalls vorrangig auf formale Merkmale abzustellen, was
vorliegend die Annahme, bei § 22a Abs. 5 EStG könnte es
sich um einen Bußgeldtatbestand handeln,
ausschließt.
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II. Die Klägerin ist weder einer
Doppelbestrafung im verfassungs-, noch menschen- oder
unionsrechtlichen Sinne ausgesetzt.
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1. Der angefochtene Bescheid
verstößt nicht gegen Art. 103 Abs. 3 GG, wonach niemand
wegen derselben Tat aufgrund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals
bestraft werden darf. Der Senat kann offenlassen, ob die
Klägerin als Anstalt des öffentlichen Rechts
überhaupt Trägerin des grundrechtsgleichen Rechts nach
Art. 103 Abs. 3 GG sein kann. Selbst wenn ihr der persönliche
Schutzbereich eröffnet wäre, wäre jedenfalls der
sachliche Schutzbereich der Norm nicht betroffen, denn gegen die
Klägerin ist im Zusammenhang mit der von der ZfA angenommenen
verspäteten Übermittlung von Rentenbezugsmitteilungen
für 2013 niemals ein zweites Verfahren - insbesondere kein
Bußgeldverfahren nach § 50f EStG - eingeleitet worden.
Die ZfA hat sogar erklärt, von § 50f EStG bisher noch in
keinem Fall Gebrauch gemacht zu haben. Darüber hinaus liegen
im Streitfall keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die
materiell-rechtlichen Voraussetzungen dieses
Bußgeldtatbestands - insbesondere die im subjektiven Bereich
geforderte Leichtfertigkeit - überhaupt erfüllt sein
könnten.
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2. Die Klägerin kann sich auch nicht auf
eine verbürgte Garantie der EMRK berufen, weil eine dem Art.
103 Abs. 3 GG entsprechende Regelung nicht in der EMRK selbst,
sondern lediglich in Art. 4 Abs. 1 ihres 7. Zusatzprotokolls
enthalten ist. Dieses 7. Zusatzprotokoll ist von Deutschland zwar
am 22.11.1984 unterzeichnet, bislang aber nicht ratifiziert
worden.
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3. Dem angefochtenen Bescheid steht die
Gewährleistung des Art. 50 der Charta der Grundrechte der
Europäischen Union (EUGrdRCh) ebenfalls nicht entgegen, wonach
niemand wegen einer Straftat, deretwegen er bereits in der Union
nach dem Gesetz rechtskräftig verurteilt oder freigesprochen
worden ist, in einem Strafverfahren erneut verfolgt oder bestraft
werden darf. Vorliegend wendet sich die Klägerin nicht gegen
eine erneute Verfolgung oder Bestrafung, sondern bereits gegen die
erste - und in ihrem Fall auch einzige - Verwaltungssanktion. Der
Schutzbereich des Art. 50 EUGrdRCh ist damit von vornherein nicht
berührt. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf das
Senatsurteil vom 20.2.2019 X R 28/17 ( - www.bundesfinanzhof.de,
Entscheidungen online - unter B.II.) verwiesen.
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III. Die Regelung des § 22a Abs. 5 Satz 3
EStG, wonach den Mitteilungspflichtigen die Darlegungslast für
ein fehlendes Vertretenmüssen trifft, verstößt
nicht gegen die Unschuldsvermutung, und zwar weder in deren
Gewährleistung durch das nationale Verfassungsrecht (dazu
unten 1.) noch durch die EMRK (unten 2.). Da bereits der sachliche
Schutzbereich der Unschuldsvermutung nicht betroffen ist, kann
offenbleiben, ob sich die Klägerin als Anstalt des
öffentlichen Rechts überhaupt auf die Unschuldsvermutung
berufen könnte.
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1. Die Unschuldsvermutung ist nach
ständiger Rechtsprechung des BVerfG eine besondere
Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips und hat damit
Verfassungsrang. Sie verbietet zum einen, in einem konkreten
Strafverfahren ohne prozessordnungsgemäßen - nicht
notwendigerweise rechtskräftigen - Schuldnachweis
Maßnahmen gegen den Beschuldigten zu verhängen, die in
ihrer Wirkung einer Strafe gleichkommen, und ihn verfahrensbezogen
als schuldig zu behandeln; zum anderen verlangt sie den
rechtskräftigen Nachweis der Schuld, bevor diese dem
Verurteilten im Rechtsverkehr allgemein vorgehalten werden darf
(umfassend zum Ganzen BVerfG-Beschluss vom 26.3.1987 2 BvR 589/79,
2 BvR 740/81, 2 BvR 284/85, BVerfGE 74, 358, unter C.I.1.a,
m.w.N.). Dem Betroffenen müssen Tat und Schuld nachgewiesen
werden (BVerfG-Beschluss vom 19.12.2012 1 BvL 18/11, BVerfGE 133,
1, Rz 90); ihm darf nicht umgekehrt die Notwendigkeit eines
Entlastungsbeweises auferlegt werden.
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Nach dieser Definition beschränkt sich
die Unschuldsvermutung aber grundsätzlich auf strafrechtliche
Vorwürfe im engeren Sinne. Das BVerfG hat den
Anwendungsbereich zwar auch auf das Recht der Ordnungswidrigkeiten
erstreckt, hierfür aber gleichzeitig erweiterte
Möglichkeiten zur Rechtfertigung von Eingriffen in den
Schutzbereich benannt; dort steht die Unschuldsvermutung einer
Regelung, die dem Betroffenen - ähnlich wie § 22a Abs. 5
Satz 3 EStG - den Entlastungsbeweis hinsichtlich der Beachtung der
im Verkehr erforderlichen Sorgfaltsanforderungen auferlegt,
jedenfalls nicht entgegen (ausführlich BVerfG-Beschluss vom
4.2.1959 1 BvR 197/53, BVerfGE 9, 167, unter III.3.a, auf den im
BVerfG-Beschluss in BVerfGE 133, 1, Rz 90 nochmals Bezug genommen
wird). Das BVerwG (Urteil vom 24.11.1999 1 D 68/98, BVerwGE 111,
43, unter 1.a) wendet die Unschuldsvermutung auch in
beamtenrechtlichen Disziplinarverfahren an.
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Demgegenüber wird - soweit ersichtlich -
von niemandem vertreten, dass rein verwaltungsrechtliche
Regelungen, nach denen ein Vertretenmüssen widerlegbar
vermutet wird, ebenfalls in den Anwendungsbereich der
Unschuldsvermutung fielen. Auch die Klägerin hat insoweit
keine Nachweise aus Rechtsprechung oder Literatur anführen
können.
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2. Soweit die Unschuldsvermutung durch Art. 6
Abs. 2 EMRK gewährleistet wird, steht sie ebenfalls der
Regelung des § 22a Abs. 5 Satz 3 EStG nicht entgegen. Die EMRK
ist im Streitfall grundsätzlich zu beachten (dazu unten a).
Allerdings kann die verspätete Übermittlung von
Rentenbezugsmitteilungen auch bei Zugrundelegung der vom
Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR)
vorgenommenen weiten Auslegung nicht als
„Straftat“ i.S. des Art. 6 Abs. 2 EMRK angesehen
werden (unten b). Selbst wenn dies aber der Fall sein sollte,
wäre die Beweislastregelung des § 22a Abs. 5 Satz 3 EStG
auf der Grundlage der Rechtsprechung des EGMR mit der genannten
Konventionsbestimmung vereinbar (unten c).
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a) Im Gegensatz zum Recht der
Europäischen Union kann die EMRK keinen Anwendungsvorrang vor
nationalem Recht beanspruchen, da die EMRK und ihre
Zusatzprotokolle als völkerrechtliche Verträge
zunächst nur im Range eines einfachen Bundesgesetzes stehen.
Dennoch besitzt die EMRK mittelbar verfassungsrechtliche Bedeutung,
indem sie die Auslegung der Grundrechte und rechtsstaatlichen
Grundsätze des GG beeinflusst (ausführlich zum Ganzen
zuletzt BVerfG-Urteil vom 12.6.2018 2 BvR 1738/12, 2 BvR 1395/13, 2
BvR 1068/14, 2 BvR 646/15, NJW 2018, 2695, Rz 126 ff., mit
zahlreichen weiteren Nachweisen).
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38
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Nach Art. 6 Abs. 2 EMRK gilt jede Person, die
einer Straftat angeklagt ist, bis zum gesetzlichen Beweis ihrer
Schuld als unschuldig.
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39
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Der EGMR sieht den in Art. 6 Abs. 2 EMRK
verwendeten Begriff der „Straftat“ als autonom -
und daher nicht durch das innerstaatliche Recht der Vertragsstaaten
determiniert - an und legt ihn sehr weit aus. Grund hierfür
ist, dass die Geltung der fundamentalen Bestimmungen der Art. 6, 7
EMRK dem freien Willen der Vertragsstaaten unterläge, wenn
diese nach Gutdünken eine Verfehlung als nichtstrafrechtlichen
Verstoß definieren könnten (EGMR-Urteile vom 8.6.1976
5100/71 - Engel u.a./Niederlande -, Rz 81, und vom 21.2.1984
8544/79 - Öztürk/Deutschland -, NJW 1985, 1273, Rz
49).
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40
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Vor diesem Hintergrund hat der EGMR drei -
auch als „Engel-Kriterien“ bezeichnete -
Merkmale entwickelt, nach denen zu prüfen ist, ob eine
Sanktion strafrechtlicher Natur ist (im Urteil Engel
u.a./Niederlande, Rz 82 zunächst unter ausdrücklicher
Beschränkung auf den Bereich des Wehrdisziplinarrechts,
später aber auf alle anderen Rechtsgebiete erweitert, vgl.
EGMR-Urteile Öztürk/Deutschland in NJW 1985, 1273, Rz 48,
und vom 3.5.2001 31827/96 - J.B./Schweiz -, NJW 2002, 499, Rz 44):
die Einordnung der maßgebenden Normen nach der Rechtstechnik
des betroffenen Staates (dazu unten aa), die Art die
Zuwiderhandlung (unten bb) sowie Art und Schwere der angedrohten
Sanktion (unten cc).
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41
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aa) Das erste Kriterium - die Einordnung im
nationalen Recht - hat allerdings nur „formellen und
relativen Wert“ (so EGMR-Urteil Engel u.a./Niederlande,
Rz 82); es ist in der bisherigen Rechtsprechung des EGMR nur
insoweit von Bedeutung gewesen, als eine Norm, die schon nach
nationalem Recht dem Strafrecht angehört, stets auch
strafrechtlicher Natur im Sinne der EMRK ist. Im umgekehrten Fall
ist die vom nationalen Recht vorgenommene Einordnung hingegen
bedeutungslos.
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bb) Die Art der Zuwiderhandlung spricht vor
allem dann für einen strafrechtlichen Charakter der sie
sanktionierenden Norm, wenn die betreffende Tat ihrer Natur nach
als strafbar angesehen wird (EGMR-Urteil vom 23.11.2006 73053/01 -
Jussila/Finnland -, Rz 31).
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Ein wesentliches Indiz ist darin zu sehen,
dass die Norm allgemein gilt und nicht nur für eine einzelne
Personengruppe (EGMR-Urteile Öztürk/Deutschland in NJW
1985, 1273, Rz 53, und vom 24.2.1994 12547/86 -
Bendenoun/Frankreich -, Rz 47). In diesem Zusammenhang hat der EGMR
einen Steuerzuschlag, dessen Anwendungsbereich sich auf
umsatzsteuerpflichtige Unternehmer beschränkte, noch als
hinreichend allgemein angesehen (Urteil Jussila/Finnland, Rz 38).
Verstößt hingegen ein Soldat gegen eine Rechtsnorm, die
den Betrieb der Streitkräfte regelt, handelt es sich nicht um
eine allgemeine Norm (EGMR-Urteil Engel u.a./Niederlande, Rz 82).
Auch berufsrechtliche Disziplinarverfahren, die sich nur an die
Angehörigen dieser Berufsgruppe richten, betreffen nicht die
Allgemeinheit (EGMR-Urteil vom 19.2.2013 47195/06 -
Müller-Hartburg/ Österreich -, NJW 2014, 1791, Rz 44).
Daneben spricht für den strafrechtlichen Charakter einer Norm,
wenn sie nicht in erster Linie einen finanziellen Ausgleich
für einen Schaden gewähren soll, sondern sowohl
abschreckende (präventive) als auch bestrafende (repressive)
Zwecke verfolgt, weil dies die üblichen Merkmale
strafrechtlicher Sanktionen sind (EGMR-Urteile
Öztürk/Deutschland in NJW 1985, 1273, Rz 53; Bendenoun/
Frankreich, Rz 47; J.B./Schweiz in NJW 2002, 499, Rz 48, und vom
23.7.2002 34619/97 - Janosevic/Schweden -, Rz 68).
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cc) Das dritte Engel-Kriterium ist
erfüllt, wenn die Tat eine Sanktion nach sich zieht, die
aufgrund ihrer Art und Schwere in den strafrechtlichen Bereich
fällt (EGMR-Urteil Jussila/ Finnland, Rz 31). Dabei ist
weniger auf die im konkreten Einzelfall verhängte Sanktion
abzustellen, sondern auf die im Gesetz angedrohte
Höchstsanktion (EGMR-Urteil Müller-Hartburg/
Österreich in NJW 2014, 1791, Rz 46).
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Dabei zählen nach der Rechtsprechung des
EGMR zum Strafrecht - unabhängig von ihrer Einordnung im
nationalen Recht - zwingend alle Freiheitsentziehungen, die
über unwesentliche Nachteile hinausgehen (EGMR-Urteil Engel
u.a./Niederlande, Rz 82); ebenso Geldzahlungen, die sehr hoch
ausfallen und bei Nichtzahlung zu einer Ersatzhaft führen
können (EGMR-Urteil Bendenoun/Frankreich, Rz 47). Umgekehrt
ist zu einem berufsgerichtlichen Disziplinarverfahren, in dem eine
Geldbuße von maximal 36.000 EUR (im Jahr 1995) verhängt
werden konnte, entschieden worden, dass allein die Schwere dieser
Sanktion sie noch nicht in den Bereich des Strafrechts bringt
(EGMR-Urteil Müller-Hartburg/Österreich in NJW 2014,
1791, Rz 47).
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dd) Für die Zuordnung einer Norm zum
Strafrecht i.S. des Art. 6 EMRK genügt es bereits, wenn
entweder das zweite oder das dritte Kriterium erfüllt ist;
diese stehen daher grundsätzlich in einem
Alternativverhältnis. Wenn allerdings die Einzelbetrachtung
der Kriterien noch keine eindeutigen Schlussfolgerungen
zulässt, ist auch eine kumulative Würdigung möglich
(EGMR-Urteile Janosevic/Schweden, Rz 67, und Jussila/ Finnland, Rz
31).
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b) Unter Zugrundlegung dieser Rechtsprechung
ist das in § 22a Abs. 5 EStG vorgesehene Verspätungsgeld
nicht dem Bereich des Strafrechts zuzurechnen. Zwar ist dafür
die im deutschen Recht vorgenommene Einordnung als
verwaltungsrechtliche Geldleistung nicht maßgebend. Weder die
Art der Zuwiderhandlung (dazu unten aa) noch die Art und Schwere
der Sanktion (unten bb) lassen aber - sowohl bei alternativer als
auch bei kumulativer Prüfung - eine Zuordnung zum Strafrecht
zu.
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aa) Die bloße nicht fristgerechte
Übermittlung von Rentenbezugsmitteilungen durch eine
rentenzahlende Stelle, die in diesem Zusammenhang nicht selbst
steuerpflichtig ist, stellt keine Tat dar, die schon ihrer Natur
nach als strafbar angesehen werden könnte. Vielmehr
sanktioniert § 22a Abs. 5 EStG lediglich eine Erschwerung des
Verwaltungsverfahrens; mit der verspäteten
Datenübermittlung ist aber weder ein soziales Unwerturteil
noch eine Stigmatisierung verbunden.
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Vor allem aber gilt die Norm nicht allgemein,
sondern betrifft nur eine sehr kleine Personengruppe, zu der
natürliche Personen von vornherein nicht zählen
können. In § 22a Abs. 1 EStG wird lediglich den
Rentenversicherungsträgern und den anderen Anbietern von
Altersvorsorgeleistungen eine besondere Pflicht - die
Übermittlung bestimmter Daten - auferlegt; die Allgemeinheit
der Steuerpflichtigen ist hiervon hingegen nicht betroffen.
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50
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Vor diesem Hintergrund erweist sich das
weitere in der Rechtsprechung des EGMR genannte Indiz - der Zweck
der Norm - als neutral, kann aber jedenfalls nicht alleine den
strafrechtlichen Charakter des Verspätungsgeldes
begründen. Das Verspätungsgeld will bei Zugrundelegung
der Sichtweise des nationalen Gesetzgebers sowohl eine
Prävention als auch einen finanziellen Ausgleich für
entstehenden Verwaltungsmehraufwand bewirken (vgl. BTDrucks
17/3549, S. 19). Selbst wenn man dem Verspätungsgeld in
Anwendung der - insoweit strengeren - Rechtsprechung des EGMR auch
einen gewissen repressiven Charakter nicht absprechen wollte,
bleibt doch der Ausgleichszweck bestehen, so dass das Kriterium der
Prävention und Repression jedenfalls nicht eindeutig für
eine strafrechtliche Funktion der Norm spricht.
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bb) Auch die Art und Schwere der in § 22a
Abs. 5 EStG angedrohten Höchstsanktion steht einer Zuordnung
zum Strafrecht entgegen. Typische strafrechtliche Sanktionen
(Freiheitsentziehung, auch in Form von Ersatzhaft; Eintragung in
ein Strafregister; vgl. dazu auch EGMR-Urteil vom 7.10.1988
10519/83 - Salabiaku/Frankreich -, EGMR-E 4, 139, Rz 24) sind von
vornherein nicht vorgesehen. Die Höhe der - einzig
möglichen - finanziellen Sanktion lässt auch unter
Berücksichtigung der ständigen Rechtsprechung des EGMR
keinen strafrechtlichen Charakter erkennen. Das Gericht hat zwar im
nationalen Steuerrecht geregelte pauschale Steuerzuschläge in
Fällen falscher oder unterbliebener Angaben in
Steuererklärungen dem Bereich des Strafrechts zugerechnet
(für einen französischen Zuschlag von 30 bis 100 % der
hinterzogenen Steuer, bei dessen Nichtzahlung Ersatzhaft
möglich ist, EGMR-Urteile Bendenoun/ Frankreich, Rz 47, und
vom 16.12.2003 69825/01 - Faivre/Frankreich -, Rz 21; für
einen schwedischen Zuschlag von 20 bis 40 % der Mehrsteuern, auch
wenn keine Ersatzhaft vorgesehen ist, EGMR-Urteil
Janosevic/Schweden, Rz 69; für einen finnischen Zuschlag von
20 % - in Ausnahmefällen 200 % - der Mehrsteuern EGMR-Urteile
Jussila/Finnland, Rz 31 ff., und vom 20.5.2014 11828/11 -
Nykänen/Finnland -, Rz 40; für einen norwegischen
Steuerzuschlag von 30 % EGMR-Urteil vom 15.11.2016 24130, 29758/11
- A und B/Norwegen -, Neue Juristische Online-Zeitschrift - NJOZ -
2018, 1462); hierbei handelte es sich jedoch um derart
schwerwiegende, in der Höhe nicht begrenzte Zuschläge,
die nicht mit der Höhe des Verspätungsgeldes des §
22a Abs. 5 EStG vergleichbar sind.
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52
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In Bezug auf die einzelne
Rentenbezugsmitteilung beträgt das Verspätungsgeld 10 EUR
je Monat der Verspätung; das Verspätungsgeld für
alle Verfehlungen eines Mitteilungspflichtigen in Bezug auf einen
Veranlagungszeitraum darf 50.000 EUR nicht übersteigen. Dieser
Betrag liegt noch innerhalb des Rahmens, den der EGMR im Urteil
Müller-Hartburg/Österreich in NJW 2014, 1791 (Rz 47) als
nichtstrafrechtlich angesehen hat. Wenn in dieser Entscheidung
für die Verhältnisse des Jahres 1995 ein
Höchstbetrag von 36.000 EUR als zulässig angesehen wurde,
kann für die Verhältnisse des Jahres 2014 und einen
Höchstbetrag von 50.000 EUR nichts anderes gelten.
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53
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c) Selbst wenn das Verspätungsgeld -
entgegen der Auffassung des Senats - als strafrechtliche Sanktion
i.S. des Art. 6 Abs. 2 EMRK anzusehen sein sollte, wäre die
Beweislastregelung des § 22a Abs. 5 Satz 3 EStG auf der
Grundlage der Rechtsprechung des EGMR mit der
konventionsrechtlichen Unschuldsvermutung vereinbar.
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54
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aa) Der EGMR hat in seiner jüngeren
Rechtsprechung ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die
autonome Auslegung des Begriffs „Strafrecht“
unter Zugrundelegung der Engel-Kriterien eine allmähliche
Erweiterung des Anwendungsbereichs der - nach dem Wortlaut der
Konvention auf das Strafrecht beschränkten -
Gewährleistungen auf Fälle mit sich gebracht hat, die
nicht zu den traditionellen Kategorien des Strafrechts
gehören. Da insbesondere Steuerzuschläge sich vom
Kernbestand des Strafrechts unterscheiden, gelten die Garantien des
Art. 6 EMRK hier nicht notwendig mit ihrer vollen Konsequenz
(EGMR-Urteile Jussila/ Finnland, Rz 43, und A und B/Norwegen in
NJOZ 2018, 1462, Rz 133).
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55
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bb) Dies vorausgeschickt, hat der EGMR in
ständiger Rechtsprechung entschieden, dass Tatsachen- und
Rechtsvermutungen durch Art. 6 Abs. 2 EMRK selbst im Strafrecht im
Grundsatz nicht verboten werden (ausführlich, auch zum
Folgenden, EGMR-Urteile Salabiaku/Frankreich, Rz 28.
Janosevic/Schweden, Rz 101, und vom 18.3.2010 13201/05 -
Krumpholz/Österreich -, Rz 34). Allerdings dürfen
derartige Vermutungen im Strafrecht nur in angemessenen Grenzen
unter Berücksichtigung der betroffenen Rechtsgüter
vorgesehen werden und müssen die Verteidigungsrechte
sicherstellen. Dies bedeutet, dass die eingesetzten Mittel in
angemessenem Verhältnis zu dem angestrebten legitimen Ziel
stehen müssen. Vor allem darf der gerichtlichen
Tatsacheninstanz nicht jede Befugnis zur Bewertung der Beweise
genommen werden, weil die Unschuldsvermutung dann ihres Sinns
entleert würde.
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56
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cc) Die unter Berücksichtigung dieser
EGMR-Rechtsprechung vorzunehmende Prüfung führt zu dem
Ergebnis, dass die Beweislastregelung des § 22a Abs. 5 Satz 3
EStG hinreichend gerechtfertigt ist.
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57
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Abgesehen davon, dass Art. 6 Abs. 2 EMRK -
wenn denn der sachliche Schutzbereich dieser Gewährleistung
überhaupt eröffnet sein sollte - außerhalb des
Kernstrafrechts ohnehin nicht mit voller Konsequenz anzuwenden ist,
dient die gesetzliche Beweislastverteilung auch einem legitimen
Ziel. Gerade zum Steuerrecht hat der EGMR bereits ausgeführt,
dass ein Steuersystem, das hauptsächlich auf Informationen
beruht, die der Steuerpflichtige - hier: ein im sachlichen
Zusammenhang mit dem Gegenstand der Besteuerung stehender Dritter -
liefern muss, angesichts der großen Zahl der Steuerfälle
ohne irgendeine Form der Sanktion gegen unterbleibende oder
fehlerhafte Angaben nicht funktionieren würde. Die
einheitliche Anwendung derartiger Sanktionen verlangt aber, dass
sie nach einheitlichen Regeln verhängt werden (insgesamt zum
Vorstehenden EGMR-Urteil Janosevic/Schweden, Rz 103). Für die
Erforderlichkeit und Angemessenheit der gesetzlichen
Beweislastverteilung in § 22a Abs. 5 Satz 3 EStG spricht
entscheidend, dass die Tatsachen, die zu einer verspäteten
Datenübermittlung geführt haben, regelmäßig
der Sphäre des Mitteilungspflichtigen entstammen. Dies hat zur
Folge, dass die ZfA kaum die Möglichkeit zur Führung
eines Verschuldensnachweises hätte, sofern dieser ihr obliegen
würde. Umgekehrt stehen dem Mitteilungspflichtigen aber
aufgrund seiner vollständigen Sachverhaltskenntnis trotz der
gesetzlichen Beweislastregelung alle Möglichkeiten offen, den
Entlastungsbeweis zu führen.
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58
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Das innerstaatliche Gericht hat diese Vorgaben
im Einzelfall im Rahmen einer Einzelfallprüfung zu
würdigen, eine lediglich schematische Anwendung der
gesetzlichen Tatsachen- und Rechtsvermutung reicht nicht aus.
Vorliegend ist - trotz der Mängel in der
Urteilsbegründung (vgl. dazu unter B.V.) - erkennbar, dass das
FG auf das Vorbringen der Klägerin - jedenfalls zum Teil -
eingegangen ist und die konkreten Umstände des Streitfalls
gewürdigt hat, so dass auch insoweit eine Verletzung der
Unschuldsvermutung ausscheidet.
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59
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IV. Soweit die Klägerin den
Verhältnismäßigkeitsgrundsatz durch die Erhebung
des Verspätungsgeldes als verletzt ansieht, kann der
erkennende Senat dem nicht zustimmen.
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1. Der
Verhältnismäßigkeitsgrundsatz genießt
Verfassungsrang und ergibt sich aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art.
20 Abs. 3 GG) sowie aus dem Wesen der Grundrechte selbst, die als
Ausdruck des allgemeinen Freiheitsanspruchs des Bürgers
gegenüber dem Staat von der öffentlichen Gewalt jeweils
nur so weit beschränkt werden dürfen, als es zum Schutz
öffentlicher Interessen unerlässlich ist (s.
BVerfG-Beschlüsse vom 15.12.1965 1 BvR 513/65, BVerfGE 19,
342, unter III.2., und vom 12.5.1987 2 BvR 1226/83, 2 BvR 101/84, 2
BvR 313/84, BVerfGE 76, 1, unter C.I.5.b aa).
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61
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2. Abgesehen von der Frage, inwieweit sich die
Klägerin als Anstalt des öffentlichen Rechts
überhaupt auf den
Verhältnismäßigkeitsgrundsatz berufen kann (vgl.
dazu u.a. BVerfG-Urteil vom 7.11.2017 2 BvE 2/11, BVerfGE 147, 50,
Rz 239, m.w.N.), wurden in § 22a Abs. 1 und Abs. 5 EStG dessen
Grenzen beachtet. Dies gilt insbesondere auch vor dem Hintergrund,
dass der Klägerin als Dritter die Pflicht zur
Übermittlung der Rentenbezugsmitteilungen auferlegt worden
ist. Der Senat verkennt zwar nicht, dass diese gesetzlich normierte
Übermittlungspflicht bei den meldepflichtigen Stellen
zusätzlichen zeitlichen, personellen und finanziellen Aufwand
verursacht. Er sieht diese Belastung im Hinblick auf das
verfassungsrechtlich gebotene Ziel der gleichmäßigen
Besteuerung der Einkünfte gemäß § 22 Nr. 1
Satz 3 Buchst. a und Nr. 5 EStG indes als noch angemessen an. Auch
ist der Senat nach Abwägung der vom Gesetzgeber mit dem
Verspätungsgeld letztendlich verfolgten Ziele, eine effektive
und möglichst einfache Verwaltung zu gewährleisten, mit
der hierdurch eintretenden Belastung des jeweiligen
Mitteilungspflichtigen nicht der Auffassung, dass die Regelung des
§ 22a Abs. 5 EStG unangemessen ist. Zur näheren
Begründung wird auf das Senatsurteil X R 28/17 vom 20.2.2019
(www.bundesfinanzhof.de, Entscheidungen online) unter B.III.
verwiesen.
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62
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V. Der Senat vermag nicht zu beurteilen, ob
die Erhebung des Verspätungsgeldes im Streitfall
rechtmäßig ist, da er den Feststellungen des FG nicht
entnehmen kann, welche konkreten Gründe für die
Fristüberschreitung im Hinblick auf die noch im Streit
stehenden Meldungen maßgeblich waren und ob diese ggf. von
der Klägerin nicht zu vertreten gewesen sein könnten.
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1. Es ist grundsätzlich die Aufgabe des
FG zu würdigen, ob die einfachgesetzlichen Voraussetzungen des
§ 22a Abs. 5 EStG im Streitfall erfüllt sind,
insbesondere ob die Fristüberschreitung auf Gründen
beruht, die der Mitteilungspflichtige (oder sein
Erfüllungsgehilfe) gemäß § 22a Abs. 5
Sätze 3 und 4 EStG nicht zu vertreten hat. Diese
Würdigung bindet das Revisionsgericht gemäß §
118 Abs. 2 FGO, wenn sie frei von Verfahrensfehlern ist und weder
Widersprüche noch einen Verstoß gegen Denkgesetze und
Erfahrungssätze enthält (vgl. dazu z.B. BFH-Urteile vom
14.5.2014 XI R 13/11, BFHE 245, 424, BStBl II 2014, 734 = SIS 14 18 68, Rz 26; vom 24.4.2013 XI R 7/11, BFHE 241, 459, BStBl II 2013,
648 = SIS 13 17 72, Rz 34, jeweils m.w.N.).
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64
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2. Eine dieser Ausnahmen von der Bindung ist
im Streitfall gegeben, da die Klägerin inzidenter einen
Verfahrensfehler geltend macht. Sie wendet sich u.a. dagegen, dass
sie die verspätete Übermittlung der einzeln bezeichneten
Rentenbezugsmitteilungen zu vertreten habe. Der Senat versteht ihr
Vorbringen in der Revisionsbegründung dabei so, dass sie
meint, das FG habe die von ihr im finanzgerichtlichen Verfahren
konkret beschriebenen Aktivitäten in Bezug auf die einzelnen
Rentenbezugsmitteilungen (insbesondere die konkreten Aufzeichnungen
auf Blatt 50 der FG-Akte) fehlerhaft nicht bei seiner
Entscheidungsfindung berücksichtigt.
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65
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a) Das FG ist gemäß § 96 Abs.
1 Satz 1 FGO verpflichtet, sich bei seiner Entscheidung auf das
Gesamtergebnis des Verfahrens zu stützen. Dazu hat das FG den
Inhalt der ihm vorliegenden Akten vollständig und einwandfrei
zu berücksichtigen. Dabei gehört zum Akteninhalt u.a. das
Vorbringen der Beteiligten. Das FG muss in seinem Urteil zwar nicht
auf jede Einzelheit des Sachverhalts und des Beteiligtenvortrags
ausdrücklich eingehen, es verletzt jedoch seine Pflicht zur
vollständigen Berücksichtigung des Streitstoffs, wenn es
einen bestimmten Tatsachenvortrag erkennbar unberücksichtigt
lässt, obwohl dieser auf der Basis seiner
materiell-rechtlichen Auffassung entscheidungserheblich sein kann
(ständige BFH-Rechtsprechung, vgl. z.B. Beschluss vom
2.11.2010 II B 61/10, BFH/NV 2011, 307 = SIS 11 01 33, Rz 6,
m.w.N.).
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66
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b) Dem FG-Urteil fehlt eine Auseinandersetzung
mit dem Vorbringen der Klägerin zu ihren einzelnen
Aktivitäten in Bezug auf die noch im Streit befindlichen
Rentenbezugsmitteilungen. Die Vorinstanz hat lediglich
ausgeführt, die Klägerin habe von der Möglichkeit
keinen Gebrauch gemacht, dass der Mitteilungspflichtige die
Identifikationsnummern beim BZSt erfragen könne, wenn der
Leistungsempfänger ihm diese trotz Aufforderung nicht
mitteile. Demgegenüber hat die Klägerin erstinstanzlich
ausgeführt, sie habe vor Ablauf der Frist des § 22a Abs.
1 Satz 1 EStG eine Anfrage an das BZSt im maschinellen
Antragsverfahren zur Abfrage der Identifikationsnummern
übersandt, um von diesem die Identifikationsnummern zu
erhalten. Sie habe die Antwort erhalten, die Nummern seien
selbständig bei den Leistungsempfängern zu erfragen
(Returncode 1). Dieser Aufforderung sei sie nachgekommen, ihre an
die Rentenberechtigten gerichtete Bitte um Mitteilung der
Identifikationsnummern sei aber erfolglos geblieben.
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Eine Würdigung dieses Vorbringens der
Klägerin hat das FG fehlerhaft unterlassen. Es hätte
darauf eingehen und die angeführten Aktivitäten
(MAV-Abfrage, Anschreiben der Leistungsempfänger, ggf. weitere
Anfrage) in Bezug auf die streitgegenständlichen
Rentenbezugsmitteilungen unter dem Aspekt würdigen
müssen, ob das Verhalten der Klägerin nicht nur nach
ihren persönlichen Kenntnissen und Fähigkeiten, sondern
insbesondere auch nach einem auf die allgemeinen
Verkehrsbedürfnisse ausgerichteten objektiven
Sorgfaltsmaßstab als fahrlässig anzusehen ist (zu dem
der Prüfung des § 22a Abs. 5 Satz 3 EStG zugrunde zu
legenden objektiven Sorgfaltsmaßstab vgl. das Senatsurteil
vom 20.2.2019 X R 29/16, - www.bundesfinanzhof.de, Entscheidungen
online - unter B.IV.1.).
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68
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Dies gilt insbesondere für die Frage, ob
die Klägerin in den noch streitgegenständlichen
Einzelfällen von dem in § 52 Abs. 38a EStG für
bestimmte Übergangskonstellationen zugelassenen
Ausnahmeverfahren Gebrauch machen durfte. Sollte die Klägerin
diesen Weg zu Recht beschritten haben, hätte
überprüft werden müssen, ob ein Vertretenmüssen
darin liegen könnte, dass es die Klägerin trotz der
Ergebnislosigkeit ihrer Abfrage und dem Erhalt des
„Returncodes 1“ unterlassen hat, zeitnah in das
Regel-Abfrageverfahren nach § 22a Abs. 2 EStG überzugehen
bzw. ob dieses Verhalten auf Gründen beruhen könnte, die
sie nicht zu vertreten hat (§ 22a Abs. 5 Satz 3 EStG). Sollten
demgegenüber die Voraussetzungen für eine Abfrage nach
§ 52 Abs. 38a EStG von vornherein nicht gegeben gewesen sein,
hätte es einer Prüfung bedurft, ob dies für die
Klägerin erkennbar war und ob die
„Returncodes“, die die Klägerin erhalten
hatte, hinreichend deutlich auf die Wahl eines nicht
eröffneten Übermittlungsverfahrens hinwiesen.
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3. Die Streitsache wird daher an das FG
zurückverwiesen, damit dieses die Würdigung nachholen
kann.
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VI. Die Kostenentscheidung wird dem FG
übertragen (§ 143 Abs. 2 FGO).
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