1
|
I. Der Kläger und Revisionskläger
(Kläger) erwarb im Jahre 2003 70 % der Anteile an einer GmbH
von deren Muttergesellschaft entgeltlich für 0,70 EUR im
Rahmen eines Insolvenzplanverfahrens der GmbH. Der Nominalwert
betrug 179.000 EUR. Im Anschluss an den Erwerb wurde eine
Kapitalerhöhung vorgenommen, an der der Kläger mit 31.000
EUR beteiligt war. Im Streitjahr (2006) erhielt der Kläger
Ausschüttungen aus dem steuerlichen Einlagekonto in Höhe
von 1.400.000 EUR.
|
|
|
2
|
In seiner unter Mitwirkung einer
Steuerberatungsgesellschaft angefertigten Steuererklärung
für das Streitjahr machte der Kläger in den vorgelegten
Anlagen GSE und KAP keine Angaben zu der von der GmbH erhaltenen
Ausschüttung oder über seine Anschaffungskosten der
Beteiligung und legte auch keine Gewinnermittlung vor. Der
Steuererklärung beigefügt war aber eine
Steuerbescheinigung der GmbH. Darin bescheinigte die GmbH am 8.
September des Streitjahres, an diesem Tag an den Kläger
für das Jahr 2005 1.400.000 EUR aus dem steuerlichen
Einlagekonto (§ 27 des Körperschaftsteuergesetzes - KStG
- ) bezahlt zu haben.
|
|
|
3
|
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das
Finanzamt - FA - ) berücksichtigte im Einkommensteuerbescheid
für das Streitjahr vom 7.1.2008 keine Einkünfte aus
§ 17 des Einkommensteuergesetzes i.d.F. des Streitjahres
(EStG). Infolge einer Außenprüfung gelangte das FA zu
der Auffassung, dass der Kläger durch die Ausschüttung
einen Veräußerungsgewinn nach § 17 Abs. 4 EStG von
1.368.999 EUR erzielt habe, der nach dem
Halbeinkünfteverfahren gemäß § 3 Nr. 40 Satz 1
Buchst. c EStG zur Hälfte, also in Höhe von 684.499 EUR
zu versteuern sei. Dementsprechend änderte das FA den
Einkommensteuerbescheid unter Berufung auf § 173 Abs. 1 Nr. 1
der Abgabenordnung (AO) durch Änderungsbescheid vom 8.7.2010,
erfasste bei den Einkünften aus Gewerbebetrieb zusätzlich
einen Veräußerungsgewinn von 684.499 EUR und setzte die
Einkommensteuer für das Streitjahr auf 357.249 EUR
fest.
|
|
|
4
|
Die Klage, mit der sich der Kläger
gegen die Änderbarkeit des ursprünglichen
Einkommensteuerbescheides wandte, hatte keinen Erfolg: Nicht allein
die Ausschüttung des Eigenkapitals bilde den steuerbaren
Tatbestand. Steuerbar sei der Vorgang erst dann, soweit die
Ausschüttung die Anschaffungskosten übersteige. Dem FA
sei im maßgebenden Zeitpunkt der abschließenden
Zeichnung aber nicht bekannt gewesen, dass der
Veräußerungspreis die Anschaffungskosten
überstiegen habe. Diese steuerrelevante Tatsache sei dem FA
erst bei der Außenprüfung bekannt geworden. Das FA sei
auch nicht nach Treu und Glauben daran gehindert gewesen, den
Einkommensteuerbescheid zu ändern. Zwar habe es weitergehende
Ermittlungen unterlassen, dem stünde aber die nicht
genügende Mitwirkungspflicht des Klägers entgegen. Bei
der auf das punktuelle Ereignis einer Einlagenrückgewähr
bezogenen Kenntnis über einen Mittelzufluss sei nicht auf das
Vorhandensein eines Gewinnes zu schließen.
|
|
|
5
|
Hiergegen richtet sich die Revision des
Klägers, die er auf Verletzung von § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO
stützt. Das FA wusste durch die Steuerbescheinigung der GmbH
und auch aus den Akten von den Leistungen des Klägers aus dem
steuerlichen Einlagekonto. Es hätte die 1.400.000 EUR als dem
Halbeinkünfteverfahren unterliegenden Einnahmen ansetzen
können und müssen. Zumindest hätte das FA die
Veranlagung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung vornehmen
müssen.
|
|
|
6
|
Der Kläger beantragt, das angefochtene
Urteil aufzuheben und den geänderten Einkommensteuerbescheid
für das Streitjahr zu ändern, indem die Einkommensteuer
des Streitjahres ohne Berücksichtigung von Einkünften aus
Veräußerungsgewinn in Höhe von 684.499 EUR
festgesetzt wird.
|
|
|
7
|
Das FA beantragt, die Revision als
unbegründet zurückzuweisen.
|
|
|
8
|
II. Die Revision ist unbegründet.
Zutreffend hat das Finanzgericht (FG) das FA als berechtigt
angesehen, den Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr nach
§ 173 Abs. 1 Nr. 1 AO zu ändern. Die Voraussetzungen
dieser Vorschrift liegen im Streitfall vor. Es sind Tatsachen
nachträglich bekannt geworden, die zu einer höheren
Einkommensteuer führen. Erst aufgrund der
Außenprüfung erfuhr das FA von steuerbaren Einnahmen
i.S. des § 17 Abs. 4 Sätze 1 und 2 EStG.
|
|
|
9
|
1. Nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO sind
Steuerbescheide zu ändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel
nachträglich bekannt werden, die zu einer höheren Steuer
führen. Tatsachen im Sinne der Vorschrift sind
Lebensvorgänge, die insgesamt oder teilweise einen
gesetzlichen Steuertatbestand oder das einzelne Merkmal eines
solchen Tatbestands erfüllen (ständige Rechtsprechung,
z.B. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 13.5.2004 IV R 11/02,
BFH/NV 2004, 1400 = SIS 04 35 93, m.w.N.).
|
|
|
10
|
a) Wenn im Streitfall das FG es als
„steuerrelevante Tatsache“ ansieht, dass die aus
dem Einlagekonto zugeflossenen Zahlungen die Anschaffungskosten
überstiegen haben, so mag offenbleiben, ob es sich bei der
Differenz von Einnahmen und Erwerbsaufwendungen um eine Tatsache
i.S. des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO oder nicht vielmehr um eine
Schlussfolgerung handelt (vgl. dazu Loose in Tipke/Kruse,
Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 173 AO Rz 2; von
Groll in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 173 AO Rz 73,
m.w.N.). Nach der Rechtsprechung sind Einkünfte als eine
Tatsache anzusehen und einheitliche Einkünfte nicht in
Einnahmen und Ausgaben aufzuspalten, wenn sich nachträglich,
z.B. nach einer Schätzung, ergibt, dass Einkünfte einer
Einkunftsart als Unterschied zwischen steuerbaren Einnahmen und
Erwerbsaufwand nicht oder nicht richtig erklärt und
berücksichtigt wurden (vgl. BFH-Urteile vom 1.10.1993 III R
58/92, BFHE 172, 397, BStBl II 1994, 346 = SIS 94 02 41, und vom
10.7.2008 IX R 4/08, BFH/NV 2008, 1803 = SIS 08 37 88).
|
|
|
11
|
b) Indes geht es um diese Problematik hier
nicht. Das FG hat den Sachverhalt zutreffend dahin gewürdigt,
dass das FA bei Vornahme der ursprünglichen Veranlagung nicht
wusste, dass der Kläger steuerbare Einnahmen gemäß
§ 17 Abs. 4 Satz 2 EStG erzielt hat. Zwar war ihm die Tatsache
der Zurückzahlung von Beträgen aus dem steuerlichen
Einlagekonto i.S. des § 27 KStG bereits aufgrund der
Steuerbescheinigung der GmbH bekannt, die der Steuererklärung
beigefügt worden war. Ferner wusste das FA aufgrund eines in
den Akten enthaltenen Vermerks vom 18.10.2001, dass der Kläger
i.S. von § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG qualifiziert an der GmbH
beteiligt war. Damit waren aber noch nicht alle Tatsachen schon im
Zeitpunkt der ursprünglichen Veranlagung bekannt, um den
Steuertatbestand bei der Steuerfestsetzung feststellen zu
können.
|
|
|
12
|
aa) Der Umstand, dass dem FA keine
Erwerbsaufwendungen erklärt waren, mag - insoweit ist der
Revision beizupflichten - das FA zwar noch nicht daran hindern, den
Steueranspruch festzustellen. Werden keine Anschaffungskosten
erklärt, können sie gegebenenfalls geschätzt werden
(§ 162 AO). Besteht dafür keine Grundlage, muss das FA
den Steuertatbestand erfassen, ohne Erwerbsaufwendungen zu
berücksichtigen.
|
|
|
13
|
bb) Indes haben die Anschaffungskosten, deren
Umfang das FA im Streitfall unstreitig nicht kannte, im Tatbestand
des § 17 Abs. 4 Satz 1 EStG eine die Steuerbarkeit der
Einnahmen leitende Funktion. Wird eine qualifizierte Beteiligung
nach § 17 Abs. 1 EStG veräußert, ist der
Veräußerungspreis steuerbar, auch wenn die
Veräußerung deshalb zu einem negativen Ergebnis
(Verlust) führt, weil der Preis die Anschaffungskosten nicht
übersteigt. Anders verhält es sich bei dem
Ersatztatbestand der Zurückzahlung von Beträgen aus dem
steuerlichen Einlagekonto i.S. des § 27 KStG (§ 17 Abs. 4
Satz 1 EStG). Hier bilden die Anschaffungskosten
Erwerbsaufwendungen nur, soweit die Zurückzahlung die
Anschaffungskosten übersteigen. Der übersteigende Teil
des Rückzahlungsbetrags allein ist steuerbare Einnahme und
(nach aktueller Rechtslage) zu 60 % steuerpflichtiger
Veräußerungsgewinn i.S. von § 17 Abs. 4 Satz 2 und
Abs. 2 i.V.m. § 3 Nr. 40 Satz 1 Buchst. c EStG.
|
|
|
14
|
c) Sind die zurückgezahlten Beträge
aus dem steuerlichen Einlagekonto i.S. des § 27 KStG aber
niedriger als die Anschaffungskosten, mindern sie die
Anschaffungskosten der Beteiligung erfolgsneutral (einhellige
Auffassung, vgl. Ott, Festschrift für Korn, 2005, 105, 113;
Eilers/R. Schmidt in Herrmann/Heuer/Raupach, § 17 EStG Rz 325;
Blümich/Ebling, § 17 EStG Rz 889; Schmidt/Weber-Grellet,
EStG, 31. Aufl., § 17 Rz 238; Gosch in Kirchhof, EStG, 11.
Aufl., § 17 Rz 136; Rundverfügung der Oberfinanzdirektion
Frankfurt a.M. vom 17.4.2000 S 2143 A-36-St II 20, in DStR 2000,
1093; zur alten Rechtslage s. auch BFH-Urteil vom 20.4.1999 VIII R
44/96, BFHE 188, 352, BStBl II 1999, 698 = SIS 99 14 22),
führen also per se nicht zu steuerbaren Einnahmen.
|
|
|
15
|
Erst dann, wenn der Steuerpflichtige
später einen Steuertatbestand i.S. des § 17 EStG
(Veräußerung nach § 17 Abs. 1 EStG oder
Ersatztatbestand nach § 17 Abs. 4 EStG) erfüllt, erfasst
das Gesetz die zurückgezahlte Einlage mit dem wegen
geminderter Anschaffungskosten höheren
Veräußerungsgewinn. Liegen die Voraussetzungen eines
Steuertatbestands i.S. des § 17 Abs. 1 oder Abs. 4 EStG aber
nicht vor, werden die zurückgezahlten Beträge aus dem
steuerlichen Einlagekonto steuerneutral mit den (höheren)
Anschaffungskosten verrechnet. Deshalb handelt es sich bei der
Zurückzahlung von Beträgen aus dem steuerlichen
Einlagekonto i.S. des § 27 KStG nicht um eine steuerbare
Einnahme, sondern um eine Position, welche die Anschaffungskosten
der Beteiligung mindert.
|
|
|
16
|
d) Mithin wusste das FA mit seiner
bloßen Erkenntnis des Rückzahlungsbetrags ohne Kenntnis
der Anschaffungskosten nichts von einer steuerbaren Einnahme
gemäß § 17 Abs. 4 Sätze 1 und 2 EStG. Dieses
Wissen hätte ihm erst der entsprechende Eintrag in der Anlage
GSE oder eine Gewinnermittlung durch den Kläger vermittelt.
Auch aus den weiteren Akten des FA ergaben sich nach den
Feststellungen des FG, die den Senat nach § 118 Abs. 2 der
Finanzgerichtsordnung binden, entgegen der Revision keinerlei
Anhaltspunkte über die Höhe der Anschaffungskosten. In
der Tat wurde der notarielle Vertrag über die Übertragung
erst nach Abschluss der Veranlagung, Anfang März 2008,
Bestandteil der Akten.
|
|
|
17
|
In Verbindung mit den fehlenden Angaben in der
Steuererklärung konnte das FA deshalb - wie das FG zutreffend
entschieden hat - davon ausgehen, dass sich die Rückzahlung
lediglich steuerneutral auswirke. Ihm ist die steuererhöhende
Tatsache steuerbarer Einnahmen als der positiven Differenz der
Rückgewähr von Einlagen gegenüber den
Anschaffungskosten nachträglich durch die
Außenprüfung bekannt geworden.
|
|
|
18
|
2. Das FA war auch nicht nach Treu und Glauben
daran gehindert, die Berichtigung durchzuführen. Der
Kläger kann sich nicht auf Treu und Glauben berufen, weil er
seiner Mitwirkungspflicht nicht in vollem Umfang nachgekommen ist
(vgl. zu den Voraussetzungen eingehend Loose in Tipke/Kruse,
a.a.O., § 173 AO Rz 68, m.w.N.). Er hat den steuerlich
bedeutsamen Sachverhalt nicht richtig, vollständig und
deutlich dargestellt und insbesondere weder einen
Veräußerungstatbestand (im Rahmen der Anlage GSE)
erklärt noch eine Gewinnermittlung vorgelegt. So hat er, indem
er allein die Steuerbescheinigung vorlegte, den steuerrechtlich
bedeutsamen Sachverhalt in der Schwebe gehalten und bei dem FA den
Eindruck erweckt, es handele sich bei der Rückzahlung aus dem
steuerlichen Einlagekonto i.S. des § 27 KStG um einen
steuerneutralen Vorgang.
|