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Nichtanschaffung ist kein Tatbestandsmerkmal für die Auflösung der Ansparabschreibung nach § 7 g Abs. 4 Satz 2 EStG a.F

Nichtanschaffung ist kein Tatbestandsmerkmal für die Auflösung der Ansparabschreibung nach § 7 g Abs. 4 Satz 2 EStG a.F.: Löst ein Steuerpflichtiger mit Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG die von ihm gebildete Ansparabschreibung für die geplante Anschaffung eines Wirtschaftsguts nicht spätestens durch Ansatz einer entsprechenden Betriebseinnahme in seiner Gewinnermittlung für den zweiten auf die Bildung folgenden Veranlagungszeitraum auf, so kann das FA den erklärungsgemäß für jenes Jahr ergangenen Einkommensteuerbescheid nicht nach Maßgabe des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO unter Hinweis auf das spätere Bekanntwerden der Nichtanschaffung des Wirtschaftsguts ändern. Denn die Nichtanschaffung ist kein Tatbestandsmerkmal für die Auflösung der Ansparabschreibung nach § 7 g Abs. 4 Satz 2 EStG a.F. und daher insoweit keine rechtserhebliche Tatsache. - Urt.; BFH 22.3.2016, VIII R 58/13; SIS 16 16 45

Kapitel:
Unternehmensbereich > Gewinnermittlung > Rücklagen
Fundstellen
  1. BFH 22.03.2016, VIII R 58/13
    BStBl 2016 II S. 774
    DStR 2016 S. 1917

    Anmerkungen:
    zur Veröffentlichung in BStBl II bestimmt nach BMF-Online vom 23.9.2016
    -/- in NWB 33/2016 S. 2481
    J.H. in StuB 16/2016 S. 630
    B. Rätke in BBK 17/2016 S. 823
    F. Werth in BFH/PR 11/2016 S. 352
    J. Brandt in StBp 10/2016 S. 307
Normen
[EStG a.F.] § 7 g
[AO 1977] § 173 Abs. 1 Nr. 1
Vorinstanz / Folgeinstanz:
  • vor: FG Berlin-Brandenburg, 16.05.2013, SIS 14 02 72, Änderung, Pflichtverletzung, Amtsermittlungspflicht, Treu und Glauben, Auflösung, Ansparrücklage
Zitiert in... / geändert durch...
  • BFH 6.5.2024, SIS 24 10 74, Korrektur bestandskräftiger Bescheide nach Außenprüfung: Die Art und Weise, in der der Steuerpflichtige s...
  • Niedersächsisches FG 6.9.2022, SIS 22 20 52, Veranlassungszusammenhang bei Grundschuldbestellungen: 1. Werden an den Grundstücken eines Steuerpflichti...
  • BFH 10.9.2020, SIS 20 20 54, Unbeachtlichkeit des Verschuldens bei Änderung eines Gewinnfeststellungsbescheids nach § 181 Abs. 1 Satz ...
  • FG Münster 12.4.2019, SIS 19 10 61, VGA aus Ausfällen von Forderungen einer GmbH gegenüber ihrem Gesellschafter: 1. Eine Darlehensgewährung z...
  • Sächsisches FG 6.3.2018, SIS 18 08 81, Falsche Bezeichnung der Änderungsvorschrift in einem Änderungsbescheid, Änderung nach § 172 Abs. 1 Nr. 2 ...
  • BFH 7.2.2018, SIS 18 05 14, Wirksamkeit von Erledigungserklärungen: 1. Die Wirksamkeit einer Erledigungserklärung hängt nicht davon a...
  • FG Köln 18.5.2017, SIS 17 23 91, Änderung von Steuerbescheiden, keine neuen Tatsachen bei Berücksichtigung von Versorgungsausgleichszahlun...
  • BFH 17.5.2017, SIS 17 15 58, Berücksichtigung des Verkaufspreises für eine Eigentumswohnung als Nachweis des niedrigeren Werts nach Be...
  • BFH 30.1.2017, SIS 17 05 98, Divergenzrüge bei Gewinnzuschlag aus Reinvestitionsrücklage: Bezieht sich eine Divergenzrüge auf Rechtssä...
  • BFH 3.8.2016, SIS 17 03 47, Unterbliebene Auflösung einer Ansparabschreibung bei Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG: 1. Löst ein S...

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Finanzgerichts Berlin-Brandenburg vom 16.5.2013 5 K 3173/10 = SIS 14 02 72 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der Beklagte zu tragen.

 

1

I. Die Beteiligten streiten darüber, ob die Einkommensteuerfestsetzung für das Streitjahr (2006) zwecks Korrektur der unterlassenen Auflösung einer Ansparabschreibung nebst Gewinnzuschlag gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO) geändert werden kann.

 

 

2

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger), der im Streitjahr zusammen mit seiner Ehefrau - der Klägerin und Revisionsbeklagten (Klägerin) - zur Einkommensteuer veranlagt wurde, ist Arzt. Seine Einkünfte aus freiberuflicher Tätigkeit ermittelte er durch Einnahmenüberschussrechnung (§ 4 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes in der im Streitjahr geltenden Fassung - EStG - ).

 

 

3

In seiner Gewinnermittlung für das Jahr 2004 hatte der Kläger eine Betriebsausgabe in Höhe von 25.500 EUR mit dem Zusatz „Zuführung Rücklage nach § 7g (3) EStG“ erfasst. Diese Ansparabschreibung löste er weder im Jahr 2005 noch im Streitjahr auf, was sowohl bei der erstmaligen Steuerfestsetzung für das Streitjahr als auch in dem Einkommensteueränderungsbescheid 2006 vom 28.5.2008 unbeachtet blieb. Erst im Rahmen der bei der Bearbeitung der Einkommensteuererklärung 2008 durchgeführten Verprobung der vom Kläger gebildeten und aufgelösten Ansparabschreibungen stellte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA - ) fest, dass die im Jahr 2004 gebildete Ansparabschreibung nicht aufgelöst worden war. Das FA erließ daraufhin am 30.3.2010 unter Verweis auf § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO einen Einkommensteueränderungsbescheid für das Jahr 2006, in dem es die Einkünfte aus selbständiger Arbeit des Klägers um 28.560 EUR (25.500 EUR Auflösung Ansparabschreibung zzgl. 3.060 EUR Gewinnzuschlag) erhöhte.

 

 

4

Die nach erfolglosem Einspruch erhobene Klage der Kläger führte zur Aufhebung des Änderungsbescheides vom 30.3.2010. Das Finanzgericht (FG) war der Auffassung, die Voraussetzungen für eine Änderung gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO seien nicht gegeben. Es sah den Umstand, dass der Kläger in seiner Gewinnermittlung die im Jahr 2004 gebildete Ansparabschreibung nicht aufgelöst hatte, als Tatsache i.S. des § 173 AO an, ließ aber offen, ob diese Tatsache dem FA nachträglich bekannt geworden war. Den Erlass des Änderungsbescheides hielt es nach dem Grundsatz von Treu und Glauben für ausgeschlossen.

 

 

5

Mit seiner hiergegen gerichteten Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts.

 

 

6

Das FA beantragt, das mit der Revision angefochtene FG-Urteil vom 16.5.2013 5 K 3173/10 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

 

 

7

Die Kläger beantragen, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

 

8

Die Beteiligten haben übereinstimmend auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.

 

 

9

II. Die Revision ist unbegründet. Sie war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 4 der Finanzgerichtsordnung - FGO - ).

 

 

10

Das FG hat im Ergebnis zutreffend erkannt, dass eine Änderung des bestandskräftigen Einkommensteuerbescheides vom 28.5.2008 ausgeschlossen ist. Es fehlt bereits an einer nachträglich bekannt gewordenen rechtserheblichen Tatsache i.S. des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO.

 

 

11

1. Gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO sind Steuerbescheide aufzuheben oder zu ändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer höheren Steuer führen.

 

 

12

a) Tatsache in diesem Sinne ist alles, was Merkmal oder Teilstück eines gesetzlichen Steuertatbestandes sein kann, also Zustände, Vorgänge, Beziehungen und Eigenschaften materieller oder immaterieller Art. Keine Tatsachen i.S. des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO sind demgegenüber Schlussfolgerungen aller Art, insbesondere juristische Subsumtionen (ständige Rechtsprechung, z.B. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 19.2.2013 IX R 24/12, BFHE 240, 265, BStBl II 2013, 484 = SIS 13 11 50, m.w.N.; BFH-Beschluss vom 26.6.2014 VI R 94/13, BFHE 246, 182, BStBl II 2014, 864 = SIS 14 21 82). Nachträglich bekannt geworden ist eine Tatsache, wenn sie das Finanzamt beim Erlass des zu ändernden Steuerbescheids noch nicht kannte (z.B. BFH-Urteil vom 13.1.2011 VI R 61/09, BFHE 232, 5, BStBl II 2011, 479 = SIS 11 06 54). Die Tatsache muss für die auf § 173 AO gestützte Korrektur erheblich sein.

 

 

13

b) Die „Nichtanschaffung“ jener Wirtschaftsgüter, für die der Kläger die Ansparabschreibung im Jahr 2004 gebildet hatte, ist in Bezug auf § 7g Abs. 4 Satz 2 EStG keine rechtserhebliche Tatsache in diesem Sinne.

 

 

14

aa) Eine gemäß § 7g Abs. 1, Abs. 3 Sätze 1 und 2 EStG gebildete Ansparabschreibung ist in Höhe von 40 % der Anschaffungs- oder Herstellungskosten gewinnerhöhend aufzulösen, sobald für das begünstigte Wirtschaftsgut Abschreibungen vorgenommen werden dürfen (§ 7g Abs. 4 Satz 1 EStG). Ist die Rücklage am Ende des zweiten auf die Bildung folgenden Wirtschaftsjahres noch vorhanden, so ist sie zu diesem Zeitpunkt ebenfalls gewinnerhöhend aufzulösen (§ 7g Abs. 4 Satz 2 EStG) und der Gewinn für jedes volle Wirtschaftsjahr, in dem die Rücklage bestanden hat, um 6 % des aufgelösten Rücklagebetrages zu erhöhen (§ 7g Abs. 5 EStG).

 

 

15

bb) Danach sieht der Tatbestand des § 7g Abs. 4 EStG die Auflösung einer Ansparabschreibung vor, sobald für das begünstigte Wirtschaftsgut Abschreibungen vorgenommen werden dürfen (Satz 1), was eine planmäßig erfolgte Investition voraussetzt. Daneben schreibt die Regelung (Satz 2) die zwangsweise Auflösung der Ansparabschreibung nach Ablauf der Investitionsfrist vor. Dabei knüpft das Gesetz ausdrücklich und ausschließlich an das Fortbestehen der Rücklage am Ende der Investitionsfrist an und stellt nicht auf die - negative Tatsache der - „Nichtanschaffung“ des Wirtschaftsgutes oder andere tatsächliche Umstände ab. Dementsprechend ist die Ansparabschreibung, sofern sie am Ende des zweiten auf ihre Bildung folgenden Wirtschaftsjahres noch vorhanden ist, unabhängig davon gewinnerhöhend aufzulösen, ob die begünstigten Anlagegüter später angeschafft oder hergestellt worden sind, die Investition geringer ausgefallen ist als geplant oder gar völlig ausbleibt (z.B. Senatsbeschluss vom 31.3.2008 VIII B 212/07, BFH/NV 2008, 1322 = SIS 08 28 14).

 

 

16

Zwingt das Gesetz jedoch mit Fristablauf unabhängig von der „Nichtanschaffung“ des Wirtschaftsgutes zur Auflösung der Ansparabschreibung, ist die „Nichtanschaffung“ des Wirtschaftsgutes - entgegen der überwiegenden Auffassung in der Rechtsprechung der Finanzgerichte (vgl. FG Münster, Urteil vom 18.1.2012 11 K 2552/10 E, EFG 2012, 1271 = SIS 12 11 74; FG Baden-Württemberg, Urteil vom 29.1.2008 4 K 123/06, EFG 2008, 662 = SIS 08 15 62; FG München, Urteil vom 21.5.2014 8 K 3645/12 = SIS 14 30 88; FG Nürnberg, Urteil vom 30.7.2015 4 K 638/14, EFG 2015, 1897 = SIS 15 25 19; FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 7.5.2015 10 K 10167/11, EFG 2015, 1451 = SIS 15 17 50, beim BFH anhängig unter X R 21/15; jeweils unter Verweis auf BFH-Urteil vom 10.4.1997 IV R 47/96, BFH/NV 1997, 757 = SIS 97 23 33, zu §§ 6b, 6c EStG) - kein tatsächlicher Vorgang, der die Auflösung einer Ansparabschreibung nach sich zieht und damit den Ansatz einer Betriebseinnahme gebietet. Die „Nichtanschaffung“ ist daher kein Merkmal des gesetzlichen Tatbestandes des § 7g Abs. 4 Satz 2 EStG und somit keine rechtserhebliche Tatsache.

 

 

17

Hierin liegt der wesentliche Unterschied zu der von der finanzgerichtlichen Rechtsprechung zur Begründung ihrer Auffassung herangezogenen Entscheidung des IV. Senats (in BFH/NV 1997, 757 = SIS 97 23 33), die den Fall einer unterlassenen Auflösung eines Gewinnabzuges gemäß § 6c EStG betraf. Dessen Auflösung war jedoch - anders als im Fall des § 7g Abs. 4 EStG - nicht zwangsläufig mit Ablauf der Investitionsfrist im Streitjahr vorzunehmen, sondern davon abhängig, dass der Steuerpflichtige bei Fristablauf weder Reinvestitionen vorgenommen noch mit der Errichtung eines Gebäudes auf einem seiner Grundstücke begonnen hatte. Die Pflicht zur Auflösung des Gewinnabzuges hing demzufolge nicht allein vom Fristablauf ab.

 

 

18

cc) Die in § 7g Abs. 5 EStG vorgesehene Regelung zum sog. Gewinnzuschlag, die zwischen dem Fall der Auflösung der Ansparabschreibung nach planmäßiger Investition einerseits und der zwangsweisen Auflösung einer am Ende des Investitionszeitraumes noch vorhandenen Rücklage andererseits differenziert, führt zu keinem anderen Ergebnis. Denn auch sie knüpft weder ausdrücklich an die „Nichtanschaffung“ von Wirtschaftsgütern an, noch stellt sie auf andere tatsächliche Umstände ab. Vielmehr ordnet die Norm für den Fall der zwangsweisen Auflösung einer am Ende des Investitionszeitraumes noch vorhandenen Ansparabschreibung i.S. des § 7g Abs. 4 Satz 2 EStG den automatischen Ansatz eines Gewinnzuschlages an. Aus der Rechtmäßigkeit der zwangsweisen Auflösung der Ansparabschreibung folgt zugleich die Rechtmäßigkeit des Gewinnzuschlages.

 

 

19

c) Der Umstand, dass der Kläger die Rücklage nicht durch Berücksichtigung einer entsprechenden Betriebseinnahme in seiner Gewinnermittlung aufgelöst hat, ist ebenfalls keine nachträglich bekanntgewordene rechtserhebliche Tatsache i.S. des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO. Ob der Steuerpflichtige die Betriebseinnahme in seiner Einnahmenüberschussrechnung erfasst oder nicht, ist für die Entstehung des Gewinns ohne Bedeutung. Denn die Rücklage ist - wie ausgeführt - kraft gesetzlicher Anordnung in § 7g Abs. 4 Satz 2 EStG im zweiten Jahr nach ihrer Bildung gewinnerhöhend aufzulösen. Die diesbezüglich fehlerhafte Gewinnermittlung des Klägers für das zweite Jahr nach ihrer Bildung kann danach keine für die Besteuerung erhebliche Tatsache sein.

 

 

20

d) Im Streitfall ist nicht ersichtlich, dass die Voraussetzungen einer anderen Norm erfüllt sind, auf die der angefochtene Änderungsbescheid gestützt werden könnte. Insbesondere gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger arglistig i.S. des § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c AO gehandelt hat (vgl. zu den Voraussetzungen der arglistigen Täuschung etwa BFH-Urteil vom 8.7.2015 VI R 51/14, BFHE 250, 322 = SIS 15 21 19).

 

 

21

2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 2 FGO.