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I. Der im Februar 1984 geborene Sohn (S)
der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) nahm
im Oktober 2007 ein Promotionsstudium an einer Universität in
Großbritannien auf, für das ihm die Universität ein
Stipendium in Höhe von umgerechnet 18.082 EUR (2008) und 2.657
EUR (Januar und Februar 2009) bewilligte. Dieses wurde ihm
entsprechend der englischen Steuergesetzgebung steuerfrei
ausgezahlt.
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Die Beklagte und Revisionsbeklagte
(Familienkasse) lehnte die Kindergeldfestsetzung für S mit
Bescheid vom 16.1.2009 ab Januar 2008 ab. Zur Begründung
führte die Familienkasse im Wesentlichen aus, dass die
Einkünfte und Bezüge des S den Grenzbetrag des § 32
Abs. 4 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes in der im Streitzeitraum
geltenden Fassung (EStG) überschreiten würden und bei der
insoweit durchzuführenden Berechnung insbesondere die Kosten
für Unterkunft und Verpflegung nicht als besondere
Ausbildungskosten berücksichtigt werden könnten. Der
hiergegen erhobene Einspruch wurde mit Einspruchsentscheidung vom
4.3.2009 als unbegründet zurückgewiesen. In der
Begründung der Einspruchsentscheidung führte die
Familienkasse u.a. aus, dass die Klägerin von Januar 2008 bis
Februar 2009 keinen Anspruch auf Kindergeld habe.
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Das Finanzgericht (FG) wies die Klage
für den Zeitraum Januar 2008 bis Februar 2009 als
unbegründet ab. Zur Begründung führte es im
Wesentlichen aus, dass die Einkünfte und Bezüge des S den
Grenzbetrag für 2008 und den anteiligen Grenzbetrag für
Januar und Februar 2009 überschritten hätten.
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Mit ihrer Revision rügt die
Klägerin die Verletzung materiellen Rechts.
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Die Klägerin beantragt, das Urteil des
FG aufzuheben und die Familienkasse unter Aufhebung des
Ablehnungsbescheids vom 16.1.2009 in Gestalt der
Einspruchsentscheidung vom 4.3.2009 zu verpflichten, für den
Zeitraum Januar 2008 bis Februar 2009 Kindergeld zugunsten der
Klägerin festzusetzen.
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Die Familienkasse beantragt
sinngemäß, die Revision als unbegründet
zurückzuweisen.
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II. Die Revision ist begründet. Sie
führt gemäß § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der
Finanzgerichtsordnung (FGO) zur Aufhebung des finanzgerichtlichen
Urteils und zur Zurückverweisung der nicht spruchreifen Sache
an das FG.
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1. Nach § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG wird ein
Kind, das - wie im Streitfall S - das 18. Lebensjahr, aber noch
nicht das 25. Lebensjahr vollendet hat und i.S. des § 32 Abs.
4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG für einen Beruf ausgebildet
wird, beim Kindergeldanspruch des Berechtigten nur
berücksichtigt, wenn es Einkünfte und Bezüge, die
zur Bestreitung des Unterhalts oder der Berufsausbildung bestimmt
oder geeignet sind, von - in 2008 und 2009 - nicht mehr als 7.680
EUR im Kalenderjahr hat. Für jeden Kalendermonat, in dem die
Voraussetzungen nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 oder 2 EStG an
keinem Tag vorliegen, ermäßigt sich der Grenzbetrag um
ein Zwölftel (§ 32 Abs. 4 Satz 7 EStG). Da S im Februar
2009 sein 25. Lebensjahr vollendete, beträgt somit der
anteilige Grenzbetrag für 2009 1.280 EUR.
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2. a) Der Begriff der Einkünfte in §
32 Abs. 4 Satz 2 EStG entspricht dem in § 2 Abs. 2 EStG
gesetzlich definierten Begriff und ist je nach Einkunftsart als
Gewinn oder als Überschuss der Einnahmen über die
Werbungskosten zu verstehen. Erzielt das Kind Einkünfte aus
nichtselbständiger Arbeit, sind daher von den Bruttoeinnahmen
die Werbungskosten abzuziehen (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs -
BFH - vom 21.7.2000 VI R 153/99, BFHE 192, 316, BStBl II 2000, 566
= SIS 00 12 07; Senatsurteil vom 29.5.2008 III R 33/06, BFH/NV
2008, 1664 = SIS 08 35 78).
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b) Die Anknüpfung an den
Einkünftebegriff des § 2 Abs. 2 EStG bedingt bei einer
unbeschränkt steuerpflichtigen Person nach dem
Welteinkommensprinzip zwar, dass auch im Ausland erzielte
Einkünfte zu erfassen sind. Dies gilt jedoch gemäß
§ 2 (nunmehr § 2 Abs. 1) der Abgabenordnung nicht, soweit
ein zu unmittelbar anwendbarem innerstaatlichen Recht gewordenes
völkerrechtliches Abkommen zur Vermeidung der
Doppelbesteuerung das Besteuerungsrecht für die betreffenden
Einkünfte einem anderen Staat zuweist.
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Nach Art. XVIII Abs. 2 Buchst. a des Abkommens
zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Vereinigten
Königreich Großbritannien und Nordirland zur Vermeidung
der Doppelbesteuerung und zur Verhinderung der
Steuerverkürzung vom 26.11.1964 (BGBl II 1966, 359, BStBl I
1966, 730) i.d.F. des Revisionsprotokolls vom 23.3.1970 (BGBl II
1971, 46, BStBl I 1971, 140) - DBA-Großbritannien 1964/1970 -
werden im Falle einer in Deutschland ansässigen Person -
sofern keiner der in Art. XVIII Abs. 2 Buchst. b
DBA-Großbritannien 1964/1970 genannten Ausnahmefälle
vorliegt - von der Bemessungsgrundlage der Steuer in Deutschland
u.a. die Einkünfte aus Quellen innerhalb Großbritanniens
ausgenommen, die in Übereinstimmung mit diesem Abkommen in
Großbritannien besteuert werden können. Insbesondere
können insoweit nach Art. XI Abs. 2 Sätze 1 und 2
DBA-Großbritannien 1964/1970 Gehälter, Löhne und
ähnliche Vergütungen, die eine in einem der Gebiete
ansässige Person aus in dem anderen Gebiet ausgeübter
unselbständiger Arbeit bezieht, in diesem anderen Gebiet
besteuert werden. Da der in Art. XVIII Abs. 2 Buchst. a
DBA-Großbritannien 1964/1970 verwendete Begriff der
„Einkünfte“ aber nicht nur positive,
sondern auch negative Einkünfte umfasst, werden nach dieser
Vorschrift nicht nur die Einnahmen aus nichtselbständiger
Arbeit, sondern auch die damit zusammenhängenden
Werbungskosten von der Bemessungsgrundlage der deutschen Steuer
ausgenommen (vgl. insoweit BFH-Urteil vom 11.2.2009 I R 25/08, BFHE
224, 498, BStBl II 2010, 536 = SIS 09 20 79; Senatsurteil vom
9.6.2011 III R 28/09, BFHE 234, 149, BStBl II 2012, 213 = SIS 11 24 27, zu der vergleichbaren Bestimmung in Art. 23 Abs. 2 Satz 1
Buchst. a Satz 1 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik
Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika zur Vermeidung
der Doppelbesteuerung und zur Verhinderung der
Steuerverkürzung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und
vom Vermögen und einiger anderer Steuern vom 29.8.1989, BGBl
II 1991, 355).
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c) aa) Stehen Aufwendungen nicht in einem
Veranlassungszusammenhang mit einer Tätigkeit, aus der aktuell
steuerpflichtige Einnahmen erzielt werden, kann sich ein
Werbungskostenabzug (oder gegebenenfalls Betriebsausgabenabzug)
auch daraus ergeben, dass die Aufwendungen im Zusammenhang mit
einer künftigen Einnahmeerzielung stehen. Aufwendungen zur
Erwerbung, Sicherung und Erhaltung der Einnahmen i.S. des § 9
Abs. 1 Satz 1 EStG liegen vor, wenn sie durch den Beruf oder durch
die Erzielung steuerpflichtiger Einnahmen veranlasst sind. Sie sind
beruflich veranlasst, wenn ein objektiver Zusammenhang mit dem
Beruf besteht und die Aufwendungen subjektiv zur Förderung des
Berufs getätigt werden. Dies gilt grundsätzlich auch
dann, wenn der Steuerpflichtige gegenwärtig noch keine
Einnahmen erzielt. Dann sind die Aufwendungen als vorab entstandene
Werbungskosten abziehbar, wenn sie in einem hinreichend konkreten,
objektiv feststellbaren Veranlassungszusammenhang mit späteren
Einnahmen stehen. Diese Voraussetzungen können auch bei
berufsbezogenen Bildungsmaßnahmen erfüllt sein. Denn
§ 9 EStG enthält keine Sonderregelung zu
Berufsausbildungskosten. Entscheidend bleibt, ob die Aufwendungen
einen hinreichend konkreten Veranlassungszusammenhang zur
nachfolgenden, auf die Erzielung von Einkünften gerichteten
Berufstätigkeit aufweisen (BFH-Urteil vom 27.10.2011 VI R
52/10, BFHE 235, 444 = SIS 11 39 73).
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bb) Insoweit ist in der Rechtsprechung des BFH
anerkannt, dass auch Aufwendungen für ein Promotionsstudium
und die Promotion vorweggenommene Werbungskosten (bzw.
Betriebsausgaben) darstellen, soweit sie mit einer künftigen
Berufstätigkeit in einem Veranlassungszusammenhang stehen.
Liegt ein erwerbsbezogener Veranlassungszusammenhang vor, kommt es
für die steuerliche Berücksichtigung der Aufwendungen
nicht darauf an, ob ein neuer, ein anderer oder ein erstmaliger
Beruf ausgeübt werden soll (BFH-Urteile vom 4.11.2003 VI R
96/01, BFHE 203, 500, BStBl II 2004, 891 = SIS 04 05 43; vom
4.11.2003 VI R 75/02, juris, und vom 4.11.2003 VI R 28/03, BFH/NV
2004, 928 = SIS 04 22 61). Dieser Auffassung ist auch die
Verwaltung gefolgt (Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen -
BMF - vom 22.9.2010 IV C 4-S 2227/07/10002, BStBl I 2010, 721 = SIS 10 27 84 Rz 26).
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Die Frage, ob im jeweiligen Einzelfall ein
hinreichend erwerbsbezogener Veranlassungszusammenhang zu bejahen
ist oder (ausnahmsweise) ein dem Bereich der privaten
Lebensführung zuzuweisendes Promotionsvorhaben vorliegt (zu
atypischen Fällen von Hobbypromotionen,
Promotionsvermittlungen und -verschaffungen vgl. Theisen, DB 2003,
1753), haben in erster Linie die FG nach § 96 Abs. 1 FGO in
Anbetracht aller entscheidungserheblichen Umstände zu
würdigen (BFH-Beschluss vom 8.6.2004 VI B 158/03, BFH/NV 2004,
1406 = SIS 04 35 99).
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cc) Voraussetzung für die
Berücksichtigung vorweggenommener Werbungskosten bzw.
Betriebsausgaben ist allerdings, dass die geplante Tätigkeit
zu im Inland steuerpflichtigen Einkünften führen muss.
Vorbereitende Aufwendungen zur Erzielung steuerfreier
ausländischer Einkünfte sind nicht einkünftemindernd
zu berücksichtigen (Schmidt/Loschelder, EStG, 31. Aufl.,
§ 9 Rz 37, m.w.N.). Spiegelbildlich steht dem Ansatz
vorweggenommener Aufwendungen für eine im Inland geplante
Tätigkeit nicht entgegen, dass sie während eines
Auslandsaufenthalts entstanden sind, wenn es an einem
Veranlassungszusammenhang zu im Ausland erzielten, nicht dem
deutschen Besteuerungsrecht unterfallenden Einkünften fehlt
(vgl. hierzu BFH-Urteile vom 7.12.2005 I R 34/05, BFH/NV 2006, 1068
= SIS 06 21 00, und vom 20.9.2006 I R 59/05, BFHE 215, 130, BStBl
II 2007, 756 = SIS 07 03 14; Heger in jurisPR-SteuerR 33/2009 Anm.
2).
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3. Bezüge i.S. des § 32 Abs. 4 Satz
2 EStG sind in der Regel alle Zuflüsse in Geld oder
Naturalleistungen, die nicht im Rahmen der
einkommensteuerrechtlichen Einkünfteermittlung erfasst werden
(Senatsurteil in BFHE 234, 149, BStBl II 2012, 213 = SIS 11 24 27).
Erfasst werden insoweit grundsätzlich auch nicht steuerbare
oder für steuerfrei erklärte Einnahmen
(Grönke-Reimann in Herrmann/Heuer/Raupach - HHR -, § 32
EStG Rz 135).
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4. Nach § 32 Abs. 4 Satz 5 EStG bleiben
bei der Ermittlung der schädlichen Grenze von 7.680 EUR
Bezüge außer Ansatz, die für besondere
Ausbildungszwecke bestimmt sind bzw. Einkünfte, die für
solche Zwecke verwendet werden. Solche besonderen Ausbildungskosten
sind alle über die Lebensführung hinausgehenden
ausbildungsbedingten Mehraufwendungen (BFH-Urteil vom 14.11.2000 VI
R 62/97, BFHE 193, 444, BStBl II 2001, 491 = SIS 01 03 87).
Ausbildungsbedingte Mehraufwendungen, die nicht bereits als
Werbungskosten oder Betriebsausgaben im Rahmen einer Einkunftsart
des Kindes berücksichtigt werden, sind gemäß §
32 Abs. 4 Satz 5 EStG von der Summe der Einkünfte und
Bezüge abzuziehen (BFH-Urteile in BFHE 193, 444, BStBl II
2001, 491 = SIS 01 03 87; vom 23.7.2002 VIII R 63/00, BFH/NV 2003,
24 = SIS 03 06 40). Dabei erfolgt die Abgrenzung zwischen Kosten
der Lebensführung und dem ausbildungsbedingten Mehrbedarf in
der Weise, wie dies im Rahmen eines
Ausbildungsdienstverhältnisses zwischen den Kosten der
Lebensführung und den durch den Beruf veranlassten Kosten
(Werbungskosten) geschieht (Senatsurteil vom 22.9.2011 III R 38/08,
BFHE 235, 331, BStBl II 2012, 338 = SIS 11 37 57, m.w.N.; ebenso
die Verwaltung, Dienstanweisung zur Durchführung des
Familienleistungsausgleichs nach dem X. Abschnitt des
Einkommensteuergesetzes - DA-FamEStG -, Stand 2011, Nr. 63.4.3.1
Abs. 1, BStBl I 2009, 1030 = SIS 09 30 63, BStBl I 2011, 21 = SIS 10 42 38 und 716). Es sind die den Abzug der jeweiligen Aufwendung
betreffenden steuerlichen Vorschriften dem Grunde und der Höhe
nach zu beachten (BFH-Urteil vom 25.7.2001 VI R 77/00, BFHE 196,
159, BStBl II 2002, 12 = SIS 01 11 71). Erfasst werden insoweit
insbesondere nachgewiesene Aufwendungen für
Studiengebühren, Fachbücher oder Fahrten zur
Ausbildungsstätte. Soweit grundsätzlich als Bezüge
anzusetzende Ausbildungshilfen solche besonderen Ausbildungskosten
abdecken sollen, kann bereits von dem Ansatz der entsprechenden
Bezüge(-teile) abgesehen werden (vgl. hierzu auch Nr.
63.4.2.3.3 Abs. 3 DA-FamEStG, zu Ausbildungshilfen, die z.B.
Studiengebühren, Reisekosten bei einem Auslandsstudium,
Kaufkraftunterschiede oder die Kosten einer
Auslandskrankenversicherung abdecken sollen).
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a) Nicht zu den ausbildungsbedingten
Mehraufwendungen gehört jedoch in der Regel der mit dem
Jahresgrenzbetrag bereits typischerweise abgegoltene erhöhte
Lebensbedarf wegen einer auswärtigen Unterbringung. Vielmehr
wird die Tatsache, dass eine beträchtliche Anzahl der in
Ausbildung befindlichen Kinder auswärts untergebracht ist und
es deshalb an einer gemeinsamen Wirtschaftsführung mit den
Eltern fehlt, in der Ausgestaltung des Jahresgrenzbetrags
hinreichend berücksichtigt (BFH-Urteile vom 25.7.2001 VI R
78/00, BFH/NV 2001, 1558 = SIS 01 81 33; vom 22.5.2002 VIII R
74/01, BFHE 199, 283, BStBl II 2002, 695 = SIS 02 85 80, und in
BFH/NV 2008, 1664 = SIS 08 35 78).
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b) Dies gilt jedoch nicht, wenn das Kind
über einen eigenen Hausstand am Lebensmittelpunkt verfügt
und hinsichtlich des weiteren Hausstands am Ort der
auswärtigen Ausbildung die Voraussetzungen einer doppelten
Haushaltsführung nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 EStG
vorliegen (Senatsurteil vom 17.6.2010 III R 63/09, BFH/NV 2010,
2047 = SIS 10 32 12; BFH-Urteil in BFH/NV 2001, 1558 = SIS 01 81 33). Liegen die Voraussetzungen einer doppelten
Haushaltsführung vor, sind solche Kosten, soweit es sich um
Werbungskosten oder Betriebsausgaben handelt, bereits bei der
Einkünfteermittlung zu berücksichtigen. Sind die Kosten
nicht durch die Erzielung von Einkünften veranlasst, kommt
eine Berücksichtigung als besondere Ausbildungskosten in
Betracht. Nichts anderes ergibt sich insoweit aus dem Senatsurteil
in BFHE 234, 149, BStBl II 2012, 213 = SIS 11 24 27. Denn in dem
dort zu beurteilenden Fall schied die Berücksichtigung von
Kosten der doppelten Haushaltsführung bereits deshalb aus,
weil das Kind seine eigene Wohnung in Deutschland aufgegeben hatte
und nur noch über ein Zimmer im Haushalt des
Kindergeldberechtigten verfügte (Görke, BFH/PR 2011, 384;
Selder, jurisPR-SteuerR 37/2011 Anm. 3).
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5. Eine in Analogie zu der in § 32 Abs. 4
Satz 3 EStG vorgesehenen Kürzung des Grenzbetrags erfolgende
Anhebung des Grenzbetrags wegen erhöhter Lebenshaltungskosten
in Großbritannien kommt nicht in Betracht. Die Kürzung
des Grenzbetrags wird in Anlehnung an die sogenannte
Ländergruppeneinteilung vorgenommen (s. hierzu
HHR/Grönke-Reimann, § 32 EStG Rz 138; Pust in
Littmann/Bitz/Pust, Das Einkommensteuerrecht, Kommentar, § 32
EStG Rz 590), in der das BMF die verschiedenen Länder anhand
vorhandener statistischer Kriterien, die Rückschlüsse auf
das Lebenshaltungsniveau zulassen, in vier unterschiedliche Gruppen
eingeteilt hat (s. hierzu für den Zeitraum 2008 und 2009
Schreiben des BMF vom 9.9.2008 IV C 4-S 2285/07/0005, BStBl I 2008,
936 = SIS 08 38 88). Diese Vorgehensweise hat das
Bundesverfassungsgericht (BVerfG) im Zusammenhang mit der sich im
Rahmen des § 33a Abs. 1 EStG ergebenden vergleichbaren
Problemstellung für verfassungsgemäß erachtet
(Beschluss vom 31.5.1988 1 BvR 520/83, BVerfGE 78, 214 = SIS 88 22 02). Dass § 32 Abs. 4 Satz 3 EStG nur eine Kürzung und
keine Erhöhung des Grenzbetrags vorsieht, ist Folge der
Tatsache, dass Deutschland nach der vom BVerfG nicht beanstandeten
Ermittlungsmethode des BMF ein vergleichbares Lebenshaltungsniveau
aufweist wie die in die höchste Gruppe eingeteilten
Länder, darunter u.a. auch Großbritannien.
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Zur Vermeidung einer Ungleichbehandlung in der
Europäischen Union verzichtet die Verwaltung im Übrigen
bereits auf eine Kürzung des Grenzbetrags, soweit das Kind
seinen Wohnsitz in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union
hat (Nr. 63.4.1 Abs. 3 DA-FamEStG). Da somit über den
Grenzbetrag die üblichen Kosten der auswärtigen
Unterbringung am Ausbildungsort abgedeckt sind und der
ausbildungsbedingte Mehrbedarf entweder bei der Einkünfte-
oder bei der Bezügeermittlung Berücksichtigung findet,
ist die von der Klägerin geltend gemachte Unvereinbarkeit des
§ 32 Abs. 4 Satz 2 ff. EStG mit dem Freizügigkeitsrecht
des Kindes nicht ersichtlich.
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6. Die Vorentscheidung entspricht den
vorgenannten Grundsätzen nicht.
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a) Das FG wird daher im zweiten Rechtsgang
zunächst festzustellen haben, ob - sofern die
unbeschränkte Steuerpflicht des S in Deutschland fortbestanden
hat - die Einnahmen aus dem Stipendium zu Einkünften
führen, für die das Besteuerungsrecht
Großbritannien zusteht.
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Ist dies der Fall, wird weiter zu prüfen
sein, ob im Zusammenhang mit dem Promotionsstudium entstandene
Aufwendungen Werbungskosten oder Betriebsausgaben darstellen,
insbesondere ob in der Person des S die Voraussetzungen einer
doppelten Haushaltsführung (§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 EStG)
vorlagen. Werbungskosten bzw. Betriebsausgaben, die mit
Einkünften in einem Veranlassungszusammenhang stehen, für
die Großbritannien das Besteuerungsrecht zusteht, sind
zunächst mit den entsprechenden Einnahmen zu verrechnen. Erst
hinsichtlich des sich danach ergebenden Saldos ist eine
Umqualifizierung in Bezüge i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 2
EStG zulässig.
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b) Stehen die Aufwendungen für das
Promotionsstudium in keinem Veranlassungszusammenhang mit
Einkünften, für die Großbritannien das
Besteuerungsrecht zusteht, ist weiter zu prüfen, ob die
Aufwendungen in einem Veranlassungszusammenhang mit einer
künftigen Berufstätigkeit des S im Inland stehen. Liegt
ein solcher Veranlassungszusammenhang vor (vgl. hierzu etwa
BFH-Urteil vom 28.7.2011 VI R 5/10, BFHE 234, 262 = SIS 11 28 17)
und sind die Voraussetzungen für den Werbungskosten- bzw.
Betriebsausgabenabzug - insbesondere im Hinblick auf eine etwaige
doppelte Haushaltsführung - im Übrigen erfüllt,
werden im Rahmen der Grenzbetragsberechnung die im Hinblick auf die
künftige Berufstätigkeit entstandenen negativen
Einkünfte mit den Bezügen aus dem Stipendium
verrechnet.
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c) Stehen die Aufwendungen weder in einem
Veranlassungszusammenhang zu gegenwärtigen noch zu
künftigen Einkünften, ist zu prüfen, ob Teile des
Stipendiums für besondere Ausbildungszwecke bestimmt waren.
Ist dies der Fall, bleibt dieser Teil des Stipendiums bereits bei
der Bezügeberechnung außer Betracht. Im Übrigen ist
zu prüfen, ob die Aufwendungen, wenn sie im Rahmen eines
Ausbildungsdienstverhältnisses angefallen wären, als
Werbungskosten zu berücksichtigen wären. Trifft dies zu,
mindern sie gemäß § 32 Abs. 4 Satz 5 EStG die
anzusetzenden Einkünfte und Bezüge. Anderenfalls ist eine
Berücksichtigung der Aufwendungen ausgeschlossen.
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