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I. Der Kläger und Revisionsbeklagte
(Kläger) beantragte im September 2006 für seinen im
November 1979 geborenen Sohn M Kindergeld für das Kalenderjahr
2004 (Streitzeitraum).
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M besuchte während des Streitzeitraums
eine Universität. Er trug - was zwischen den Beteiligten
unstreitig ist - besondere Ausbildungskosten in Höhe von
2.132,83 EUR. In diesem Betrag sind Fahrtkosten für die Wege
zwischen Wohnung und Universität in Höhe von 1.680 EUR
enthalten. Zudem bezahlte er im Streitzeitraum zweimal
Semestergebühren (2 x 120,28 EUR) in Höhe von insgesamt
240,56 EUR. Bei Nichtentrichtung dieser Gebühren hätte M
sein Studium nicht fortsetzen können. Zudem bestand für
die Studenten bei der Rückmeldung keine Wahl, ob sie eine in
diesen Gebühren ggf. enthaltene Nutzungsmöglichkeit
für den öffentlichen Nahverkehr miterwerben wollten.
Daneben erzielte M Einkünfte aus nichtselbständiger
Arbeit in Höhe von 11.902,72 EUR (Bruttoeinnahmen: 13.288,72
EUR; Werbungskosten: 1.386 EUR). Nach Berücksichtigung der von
ihm geleisteten Beiträge zur Renten-, Kranken- und
Pflegeversicherung und den vorstehend genannten Ausbildungskosten
in Höhe von 2.132,83 EUR beliefen sich seine Einkünfte im
Streitzeitraum - ohne Abzug der Semestergebühren - auf
7.816,97 EUR.
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Die Beklagte und Revisionsklägerin
(Familienkasse) lehnte den Antrag auf Gewährung von Kindergeld
mit Bescheid vom 14.3.2007 ab, da die Einkünfte und
Bezüge des M den Jahresgrenzbetrag von 7.680 EUR
überschritten hätten. Der Einspruch blieb
erfolglos.
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Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt
(DStRE 2009, 8). Zur Begründung führte es im Wesentlichen
aus, die von M erzielten Einkünfte hätten die
schädliche Grenze von 7.680 EUR nicht überschritten, weil
der Betrag von 7.816,97 EUR noch um die entrichteten
Semestergebühren in Höhe von 240,56 EUR zu reduzieren
sei. Bei diesen Gebühren handele es sich um
ausbildungsbedingten Mehrbedarf gemäß § 32 Abs. 4
Satz 5 des Einkommensteuergesetzes in der für den
Streitzeitraum maßgeblichen Fassung (EStG). Ein Student
könne sein Studium nur bei Entrichtung dieser Gebühren
fortsetzen. Der Abzugsfähigkeit stehe auch nicht entgegen,
dass der Student durch Zahlung der Semestergebühr ggf. eine
Nutzungsmöglichkeit für den Nahverkehr erhalte. Dies
ergebe sich schon daraus, dass sich der Student diesem Vorteil
nicht entziehen könne. Die Auffassung des Richtliniengebers in
Abschn. 63.4.2.8. Abs. 2 der Dienstanweisung zur Durchführung
des Familienleistungsausgleichs nach dem X. Abschnitt des
Einkommensteuergesetzes - DA-FamEStG - (Stand August 2004, BStBl I
2004, 743, 786 = SIS 04 37 71), wonach ein Abzug der Semester- oder
Rückmeldegebühren - anders als der Studiengebühren -
ausscheide, sei abzulehnen.
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Mit der Revision rügt die
Familienkasse die unzutreffende Auslegung des § 32 Abs. 4 Satz
5 EStG. Zur Begründung verweist sie auf die eben genannte
Regelung in Abschn. 63.4.2.8. Abs. 2 DA-FamEStG 2004, wonach die
Semester- oder Rückmeldegebühren nicht als besondere
Ausbildungskosten zu beurteilen seien. Man habe sich hierbei von
der Überlegung leiten lassen, dass diese Gebühren
Mischkosten seien. Eine steuerliche Berücksichtigung darin
enthaltener Einzelpositionen sei nur dann möglich, wenn die
erhebende Institution diese getrennt ausweise. Hieran fehle es im
Streitfall. Im Übrigen sei ein in der Semestergebühr
enthaltener Aufwand für ein Semesterticket ohnehin nicht
abziehbar, weil er bereits über die Entfernungspauschale
berücksichtigt sei. Gleiches gelte für einen in der
Semestergebühr enthaltenen - als Sozialaufwand zu
qualifizierenden - Beitrag an das Studentenwerk.
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Die Familienkasse beantragt, das
angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
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Der Kläger beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
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II. Die Revision ist unbegründet und nach
§ 126 Abs. 2 FGO zurückzuweisen. Die Entscheidung des FG,
die von M entrichteten Semestergebühren seien in voller
Höhe von seinen Einkünften abzuziehen, ist
revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
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1. Ein über 18 Jahre altes Kind, das -
wie M im Streitzeitraum - das 27. Lebensjahr noch nicht vollendet
hat, wird u.a. dann nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a,
Abs. 4 Satz 2 EStG berücksichtigt, wenn das Kind für
einen Beruf ausgebildet wird und seine zur Bestreitung des
Unterhalts oder der Berufsausbildung bestimmten oder geeigneten
Einkünfte und Bezüge 7.680 EUR im Kalenderjahr nicht
übersteigen. Im Streitfall wird die schädliche Grenze von
7.680 EUR nicht überschritten, weil die von M erzielten
Einkünfte nach Abzug der Semestergebühren 7.576,41 EUR (=
7.816,97 EUR ./. 240,56 EUR) betragen.
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a) Nach § 32 Abs. 4 Satz 5 EStG bleiben
bei der Ermittlung der schädlichen Grenze von 7.680 EUR
Bezüge außer Ansatz, die für besondere
Ausbildungszwecke bestimmt sind bzw. Einkünfte, die für
solche Zwecke verwendet werden. Solche besonderen Ausbildungskosten
sind alle über die Lebensführung hinausgehenden
ausbildungsbedingten Mehraufwendungen (Urteil des Bundesfinanzhofs
- BFH - vom 14.11.2000 VI R 62/97, BFHE 193, 444, BStBl II 2001,
491 = SIS 01 03 87). Ausbildungsbedingte Mehraufwendungen, die
nicht bereits als Werbungskosten (§ 9 EStG) im Rahmen einer
Einkunftsart des Kindes berücksichtigt werden, sind
gemäß § 32 Abs. 4 Satz 5 EStG von der Summe der
Einkünfte und Bezüge abzuziehen (BFH-Urteile in BFHE 193,
444, BStBl II 2001, 491 = SIS 01 03 87; vom 23.7.2002 VIII R 63/00,
BFH/NV 2003, 24 = SIS 03 06 40). Dabei erfolgt die Abgrenzung
zwischen Kosten der Lebensführung und dem ausbildungsbedingten
Mehrbedarf in der Weise, wie dies im Rahmen eines
Ausbildungsdienstverhältnisses zwischen den Kosten der
Lebensführung und den durch den Beruf veranlassten Kosten
(Werbungskosten) geschieht. Es sind die den Abzug der jeweiligen
Aufwendung betreffenden steuerlichen Vorschriften dem Grunde und
der Höhe nach zu beachten (BFH-Urteile vom 25.7.2001 VI R
77/00, BFHE 196, 159, BStBl II 2002, 12 = SIS 01 11 71; in BFH/NV
2003, 24 = SIS 03 06 40).
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b) Nach diesen Grundsätzen sind die von M
entrichteten Semestergebühren jedenfalls als
ausbildungsbedingte Mehraufwendungen gemäß § 32
Abs. 4 Satz 5 EStG zu qualifizieren. Es kann daher dahinstehen, ob
diese Aufwendungen - auch unter der Geltung des § 12 Nr. 5
EStG - bereits vorab im Rahmen einer Einkünfteermittlung des M
als vorweggenommene Werbungskosten gemäß § 9 Abs. 1
Satz 1 EStG zu berücksichtigen wären (vgl. dazu
BFH-Urteil vom 28.7.2011 VI R 7/10, zur Veröffentlichung
bestimmt, BFH/NV 2011, 1779 = SIS 11 26 72).
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aa) In entsprechender Anwendung der für
den Werbungskostenbegriff geltenden Grundsätze (vgl. dazu
Beschluss des Großen Senats des BFH vom 21.9.2009 GrS 1/06,
BFHE 227, 1, BStBl II 2010, 672 = SIS 10 00 37) liegt abziehbarer
ausbildungsbedingter Mehrbedarf dann vor, wenn das die betreffende
Aufwendung „auslösende Moment“ der
Ausbildungssphäre des Kindes zuzuordnen ist. Dabei bilden -
jedenfalls bei willensgesteuerten Handlungen - die Gründe, die
den Steuerpflichtigen bzw. das Kind zu den Aufwendungen bewogen
haben, das auslösende Moment (vgl. Pezzer, DStR 2010, 93).
Diese Gründe sind anhand der gesamten Umstände des
jeweiligen Einzelfalles festzustellen. Das ist grundsätzlich
Aufgabe des FG als Tatsacheninstanz (Beschluss des Großen
Senats in BFHE 227, 1, BStBl II 2010, 672 = SIS 10 00 37); das
Revisionsgericht ist hieran gemäß § 118 Abs. 2 FGO
grundsätzlich gebunden (vgl. BFH-Urteil vom 1.6.2010 VIII R
80/05, BFH/NV 2010, 1805 = SIS 10 27 26).
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bb) Nach diesen Maßstäben gelangte
das FG in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise zu dem
Ergebnis, dass die Semestergebühren in voller Höhe als
ausbildungsbedingte Mehraufwendungen zu qualifizieren sind. Nach
den Feststellungen des FG liegt der maßgebliche Grund (=
auslösendes Moment) für die Entrichtung der
Semestergebühr in der Erlangung des Studentenstatus, um die
universitäre Ausbildung überhaupt aufnehmen bzw.
fortsetzen zu können. Das FG hat diesen Grund allein der
Ausbildungssphäre des M, nicht auch dessen Privatsphäre
zugeordnet. Als maßgeblich hierfür hat das FG
insbesondere angesehen, dass der Studierende nicht frei über
den Erwerb solcher in der Semestergebühr enthaltenen
Positionen entscheiden kann, die ggf. auch privat nutzbare Vorteile
- wie z.B. ein Semesterticket, das auch für andere Fahrten als
solche zwischen Wohnung und Ausbildungsstätte
(Universität) genutzt werden kann - umfassen. Vielmehr hat der
Studierende, will er sein Studium aufnehmen oder fortsetzen,
verpflichtend den gesamten Betrag zu entrichten. Vor diesem
Hintergrund ist es nicht zu beanstanden, dass das FG eine private
Mitveranlassung abgelehnt hat. Danach liegen im Streitfall -
entgegen der in Abschn. 63.4.3.1. DA-FamEStG (Stand Januar 2009,
BStBl I 2009, 1033, 1084 = SIS 09 30 63) niedergelegten Auffassung
- keine Mischkosten vor. Die Semestergebühren sind insgesamt
als ausbildungsbedingter Mehrbedarf zu qualifizieren.
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2. Der Abzug der Kosten für ein in der
Semestergebühr ggf. enthaltenes Semesterticket ist auch nicht
- selbst wenn es an Ausbildungstagen uneingeschränkt für
Fahrten zur Universität genutzt werden kann - aus anderen
Gründen ausgeschlossen.
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a) Dem Abzug als ausbildungsbedingter
Mehrbedarf steht nicht entgegen, dass bei M die Fahrtkosten
zwischen Wohnung und regelmäßiger Ausbildungsstätte
(Universität) bereits mit den Pauschbeträgen des § 9
Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Satz 2 EStG (Entfernungspauschale)
berücksichtigt wurden.
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Der abziehbare ausbildungsbedingte Mehrbedarf
orientiert sich - wie bereits angeführt (vgl. II.1.a) - sowohl
dem Grunde als auch der Höhe nach an den entsprechend
anwendbaren Vorschriften über den Werbungskostenabzug.
Für die Bestimmung der abziehbaren Fahrtkosten zwischen
Wohnung und Universität sind daher nicht nur die
Pauschbeträge des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG
heranzuziehen (vgl. dazu BFH-Urteil in BFHE 193, 444, BStBl II
2001, 491 = SIS 01 03 87), sondern es ist auch die Vorschrift in
§ 9 Abs. 2 Satz 1 EStG anzuwenden. Danach sind mit der
Entfernungspauschale sämtliche Aufwendungen abgegolten, die
durch die Wege zwischen Wohnung und regelmäßiger
Ausbildungsstätte (Universität) veranlasst sind.
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Im Streitfall scheidet jedoch eine
Abgeltungswirkung gemäß § 9 Abs. 2 Satz 1 EStG aus,
weil die Entrichtung eines ggf. in der Semestergebühr
mitenthaltenen Betrags für ein Semesterticket auf einem
anderen Veranlassungszusammenhang beruht. Maßgeblicher Grund
für die Entrichtung der Semestergebühr ist nicht die
Erlangung eines Tickets, um die Wege zwischen Wohnung und
Universität zurücklegen zu können, sondern - wie
bereits angeführt (vgl. II.1.b) - die erforderliche Erlangung
des Studentenstatus, um das Studium aufnehmen bzw. fortsetzen zu
können.
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b) Ein Abzug scheitert auch nicht daran, dass
ein nur einmal getragener Aufwand nicht doppelt berücksichtigt
werden kann. Vielmehr liegen mit den Semestergebühren und den
Fahrten zwischen Wohnung und Universität unterschiedliche
Aufwandspositionen vor. Die Semestergebühr stellt insgesamt
Aufwand für das Betreiben des Studiums dar (§ 9 Abs. 1
Satz 1 EStG analog), die Pauschbeträge des § 9 Abs. 1
Satz 3 Nr. 4 EStG berücksichtigen hingegen pauschaliert und
aufwandsunabhängig die Wege zwischen Wohnung und
Ausbildungsstätte.
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3. Schließlich ist der bei M für
die Fahrten zwischen Wohnung und Universität nach den
Pauschbeträgen des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Satz 2 EStG
gewährte Abzug auch nicht in entsprechender Anwendung des
§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Satz 5 i.V.m. § 8 Abs. 3 EStG zu
mindern, weil das Semesterticket schon kein nach § 8 Abs. 3
EStG steuerfreier Sachbezug für Fahrten zwischen Wohnung und
Arbeitsstätte ist (vgl. z.B. Bergkemper in
Herrmann/Heuer/Raupach, § 9 EStG Rz 460). Selbst wenn man die
Universität in entsprechender Anwendung vorstehend genannter
Vorschriften noch als „Arbeitgeber“ des
Studierenden betrachten würde, gehörte die
Beförderungsleistung nicht zu dem Leistungsumfang der
Universität.
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