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I. Die Kläger und Revisionsbeklagten
(Kläger) sind Eheleute, die in den Streitjahren 1998 bis 2000
zusammen zur Einkommensteuer veranlagt wurden. Der Kläger hat
aus einer früheren Beziehung zu einer anderen Frau einen - in
den Streitjahren minderjährigen - Sohn (S), der bei der Mutter
in Norwegen lebt. Für sein nichteheliches Kind leistete der
Kläger Unterhalt nach norwegischem Recht. Die Mutter bezog
norwegisches Kindergeld. Bei der Bemessung der Unterhaltshöhe
blieb das Kindergeld unberücksichtigt, insbesondere stand dem
Kläger nach norwegischem Recht kein zivilrechtlicher
Ausgleichsanspruch zu. Denn eine dem früheren § 1612b
Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) vergleichbare
Vorschrift existierte im norwegischen Recht nicht.
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Der Beklagte und Revisionskläger (das
Finanzamt - FA - ) berücksichtigte S in den streitigen
Einkommmensteuerfestsetzungen dergestalt, dass er einen
Kinderfreibetrag mit den verdoppelten Beträgen des § 32
Abs. 6 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes in den in den
Streitjahren geltenden Fassungen (EStG) vom Einkommen abzog. Das FA
ging hierbei davon aus, dass der Freibetrag günstiger sei als
das norwegische Kindergeld. Die Beträge verdoppelte es im
Hinblick auf die fehlende unbeschränkte Einkommensteuerpflicht
der Kindsmutter. Die tarifliche Einkommensteuer erhöhte es
schließlich im Hinblick auf das in Norwegen bezogene
Kindergeld. Den Hinzurechnungsbetrag setzte es in Höhe der in
Deutschland geltenden Kindergeldsätze an.
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Während die Kläger mit ihrem
Begehren, ihnen den Kinderfreibetrag zu gewähren, ohne
zugleich die Einkommensteuer um das Kindergeld zu erhöhen, im
Einspruchsverfahren nicht durchdrangen, konnten sie im
finanzgerichtlichen Verfahren einen Teilerfolg erzielen. Das
Finanzgericht (FG) sah in seinem in EFG 2008, 1381 = SIS 08 24 03
veröffentlichten Urteil zwar nur die Voraussetzungen für
den Ansatz des einfachen Kinderfreibetrags als erfüllt an,
erhöhte die tarifliche Einkommensteuer allerdings nicht um das
Kindergeld.
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Mit seiner Revision rügt das FA eine
Verletzung von § 31 EStG und von § 32 Abs. 6 EStG. Die
letztgenannte Vorschrift sehe in ihrem Satz 3 Nr. 1 vor, dass die
verdoppelten Beträge für das sächliche
Existenzminimum und für den Betreuungsbedarf anzusetzen seien,
wenn ein Elternteil nicht unbeschränkt
einkommensteuerpflichtig sei. Auf die Mutter des S treffe dies zu.
Dass zwischen der Klägerin und dem S kein
Kindschaftsverhältnis bestehe, sei entgegen der Auffassung des
FG nicht rechtserheblich. Mit der unterbliebenen Erhöhung der
Einkommensteuer sei das FG von der Rechtsprechung des
Bundesfinanzhofs (BFH) abgewichen. Nach dieser Rechtsprechung sei
weder die Tatsache, dass der Kläger norwegisches oder
deutsches Kindergeld nicht erhalten habe, noch das Fehlen eines
zivilrechtlichen Ausgleichsanspruchs nach dem Muster des §
1612b BGB geeignet, die vom FG unterlassene Erhöhung der
Einkommensteuer zu rechtfertigen.
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Das FA beantragt, das Urteil der Vorinstanz
aufzuheben und die Klage abzuweisen.
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Die Kläger haben sich im
Revisionsverfahren nicht geäußert.
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II. Die Revision ist begründet.
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1. Auf die Revision ist das Urteil des FG
bereits aus verfahrensrechtlichen Gründen aufzuheben, da die
Einkommensteuerbescheide für die Streitjahre, über deren
Rechtmäßigkeit das FG entschieden hat, während des
Revisionsverfahrens mit Bescheiden vom 27.12.2011 geändert
wurden und diese Änderungsbescheide nach § 68 der
Finanzgerichtsordnung (FGO) zum Gegenstand des Verfahrens geworden
sind (vgl. dazu BFH-Urteil vom 29.3.2007 IV R 72/02, BFHE 217, 514,
BStBl II 2008, 420 = SIS 07 28 49, m.w.N.).
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Das vorinstanzliche Urteil ist somit
gegenstandslos geworden; die vom FG getroffenen tatsächlichen
Feststellungen sind hierdurch jedoch nicht weggefallen (BFH-Urteil
in BFHE 217, 514, BStBl II 2008, 420 = SIS 07 28 49).
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2. Die nicht spruchreife Sache wird zur
erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG
zurückverwiesen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO).
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Für den nichtehelichen Sohn des
Klägers waren der verdoppelte Kinderfreibetrag und - im
Streitjahr 2000 - der verdoppelte Betreuungsfreibetrag vom
Einkommen abzuziehen. Die tarifliche Einkommensteuer war um die
norwegische Familienleistung zu erhöhen. Da bislang nicht
ermittelt wurde, in welcher Höhe der Kindsmutter norwegisches
Kindergeld zugeflossen ist, wird das FG die erforderlichen
Feststellungen im zweiten Rechtsgang nachzuholen haben.
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a) Nach § 31 Satz 4 EStG sind bei der
Veranlagung zur Einkommensteuer der Kinderfreibetrag - in den
Veranlagungszeiträumen 1998 und 1999 - oder die
Freibeträge nach § 32 Abs. 6 EStG - im
Veranlagungszeitraum 2000 - abzuziehen, wenn die gebotene
steuerliche Freistellung eines Einkommensbetrags in Höhe des
Existenzminimums eines Kindes durch das Kindergeld nicht in vollem
Umfang bewirkt wird. In diesen Fällen sind das Kindergeld oder
vergleichbare Leistungen nach § 36 Abs. 2 EStG zu verrechnen,
auch soweit sie dem Steuerpflichtigen im Wege eines
zivilrechtlichen Ausgleichs zustehen (§ 31 Satz 5 EStG). Wird
nach ausländischem Recht ein höheres Kindergeld als nach
§ 66 EStG gezahlt, so beschränkt sich die Verrechnung auf
die Höhe des inländischen Kindergeldes (§ 31 Satz 6
EStG). In den Veranlagungszeiträumen 1998 und 1999 sah §
32 EStG in seinem Abs. 6 Satz 1 vor, dass für jedes zu
berücksichtigende Kind des Steuerpflichtigen ein
Kinderfreibetrag von 288 DM für jeden Kalendermonat, in dem
die Voraussetzungen vorgelegen haben, bei der Veranlagung zur
Einkommensteuer abgezogen wird. Bei zusammen veranlagten Ehegatten
ist dieser Betrag zu verdoppeln, wenn das Kind zu beiden Ehegatten
in einem Kindschaftsverhältnis steht (§ 32 Abs. 6 Satz 2
EStG). Der verdoppelte Betrag wird auch abgezogen, wenn der andere
Elternteil verstorben oder nicht unbeschränkt
einkommensteuerpflichtig ist (§ 32 Abs. 6 Satz 3 Nr. 1 EStG).
Die im Veranlagungszeitraum 2000 geltende Fassung des § 32
EStG traf in Abs. 6 Satz 4 eine dementsprechende Regelung.
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Wurde das Einkommen in den Fällen des
§ 31 EStG um den Kinderfreibetrag - beziehungsweise im
Veranlagungszeitraum 2000 um einen Freibetrag nach § 32 Abs. 6
EStG - vermindert, so wird gemäß § 36 Abs. 2 Satz 1
EStG im entsprechenden Umfang das gezahlte Kindergeld der
Einkommensteuer hinzugerechnet.
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b) Diesen gesetzlichen Vorgaben entspricht das
angegriffene Urteil bereits deshalb nicht, weil das FG lediglich
den einfachen Kinderfreibetrag beim Kläger in Ansatz gebracht
hat. Da die Mutter des Kindes nicht unbeschränkt
einkommensteuerpflichtig war, stand dem Kläger der verdoppelte
Kinderfreibetrag und - bezogen auf das Streitjahr 2000 - auch der
verdoppelte Betreuungsfreibetrag zu. Der im Gesetz verwandte
Begriff „zustehen“ ist hierbei im Sinne von
„ist zu gewähren“ zu verstehen; ein
Wahlrecht besteht im Hinblick auf den Ansatz der verdoppelten
Beträge also nicht (BFH-Beschluss vom 27.2.2006 III B 26/05,
BFH/NV 2006, 1089 = SIS 06 21 15). Dass die Klägerin nicht in
einem Kindschaftsverhältnis zu S stand, ist entgegen der
Auffassung des FG rechtlich unerheblich.
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c) Für die gemäß § 31
Satz 4 EStG durchzuführende Vergleichsrechnung (sog.
Günstigerprüfung) ist demnach dem verdoppelten Freibetrag
die in Norwegen an die Kindsmutter gezahlte Familienleistung in
voller Höhe gegenüberzustellen. Denn der Umfang des
Freibetrags ist maßgeblich für die Beantwortung der
Frage, in welcher Höhe das Kindergeld bei der
Günstigerprüfung anzusetzen ist (BFH-Urteil vom 13.8.2002
VIII R 53/01, BFHE 200, 206, BStBl II 2002, 867 = SIS 03 01 43;
vgl. auch Kanzler in Herrmann/Heuer/Raupach, § 31 EStG Rz 33
und 35). Dass die norwegischen Leistungen i.S. des § 65 EStG
dem deutschen Kindergeld vergleichbar sind, hat das FG zutreffend
festgestellt (vgl. Schreiben des Bundesamts für Finanzen vom
26.6.2000 St I 4 - S 2473 - 11/1999, BStBl I 2000, 1128 = SIS 00 10 45). Die Tatsache, dass die norwegische Familienleistung nicht an
den Kläger gezahlt wurde, ist unerheblich. Denn für die
Günstigerprüfung kommt es nur darauf an, dass eine dem
Kindergeld vergleichbare Leistung für das betreffende Kind
erbracht wurde, unabhängig davon, wer der Empfänger der
Leistung ist (BFH-Urteil in BFHE 200, 206, BStBl II 2002, 867 = SIS 03 01 43). Angesichts des sehr hohen zu versteuernden Einkommens
der Kläger wird die steuerliche Freistellung eines
Einkommensbetrags in Höhe des Existenzminimums eines Kindes
offenkundig, wie vom FG zutreffend bemerkt, durch den
Kinderfreibetrag und - im Streitjahr 2000 - zusätzlich durch
den Betreuungsfreibetrag bewirkt.
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d) Die norwegische Familienleistung war
gemäß § 36 Abs. 2 Satz 1 EStG hinzuzurechnen. Das
Gesetz verlangt die Hinzurechnung auch dann, wenn der
Steuerpflichtige - wie der Kläger im Streitfall - weder das
Kindergeld oder die vergleichbare ausländische Leistung
erhält noch einen unterhaltsrechtlichen Ausgleichsanspruch
geltend machen kann, etwa weil die ausländische Rechtsordnung
eine dem § 1612b Abs. 1 BGB - in der in den Streitjahren
geltenden Fassung - vergleichbare Vorschrift nicht kennt. Dieses
Gesetzesverständnis hat der BFH in seiner Rechtsprechung
für zutreffend und verfassungsrechtlich bedenkenfrei erachtet
(BFH-Urteile in BFHE 200, 206, BStBl II 2002, 867 = SIS 03 01 43;
vom 25.3.2003 VIII R 95/02, BFH/NV 2003, 1306 = SIS 03 41 71).
Daran ist festzuhalten. Nur auf diese Weise ist eine steuerliche
Doppelberücksichtigung des Kindesexistenzminimums zu
vermeiden. Bei der Prüfung, ob es zu einer von § 31 Satz
5, § 36 Abs. 2 Satz 1 EStG verbotenen Doppelbegünstigung
kommt, ist nicht isoliert der einzelne Steuerpflichtige (hier: der
Kläger als barunterhaltspflichtiger Elternteil) in den Blick
zu nehmen. Vielmehr soll - bezogen auf beide Elternteile - eine
mehrfache Begünstigung für ein und dasselbe Kind durch
die Freibeträge und das Kindergeld ausgeschlossen werden (vgl.
BFH-Beschluss vom 30.11.2004 VIII R 51/03, BFHE 207, 471, BStBl II
2008, 795 = SIS 05 08 91; BFH-Urteil vom 16.3.2004 VIII R 88/98,
BFHE 205, 465, BStBl II 2005, 594 = SIS 04 23 55). Wie der
Streitfall beispielhaft zeigt, käme es zu einer solchen
Doppelbegünstigung, wenn der eine Elternteil im Ausland
Kindergeld bezöge und der im Inland wohnhafte Elternteil ohne
Kindergeldhinzurechnung zusätzlich die verdoppelten - oder
nach dem rechtlichen Ansatz des FG jedenfalls die einfachen -
Freibeträge abziehen könnte. Für eine solche
Bevorzugung von Eltern, die in unterschiedlichen Ländern
leben, wäre kein sachlich einleuchtender Grund
ersichtlich.
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e) Die Hinzurechnung des norwegischen
Kindergeldes hatte in den Streitjahren in Höhe der
tatsächlich erfolgten Zahlungen zu erfolgen (vgl. Pust in
Littmann/Bitz/Pust, Das Einkommensteuerrecht, Kommentar, § 31
Rz 421 [Stand Mai 2008]; Schreiben des Bundesministeriums der
Finanzen vom 9.3.1998 IV B 5 - S 2280 - 45/98, BStBl I 1998, 347 =
SIS 98 08 09 Rz 23). Entgegen dieser rechtlichen Vorgabe hat das FA
in den angegriffenen Bescheiden eine Hinzurechnung in Höhe der
deutschen Kindergeldsätze vorgenommen. Die Höhe des
deutschen Kindergeldes limitiert die Hinzurechnung der
tatsächlich bezogenen ausländischen Familienleistung nach
oben (§ 31 Satz 6 EStG). Wird nach ausländischem Recht
dagegen ein niedrigeres Kindergeld als nach § 66 EStG gezahlt,
dann ist lediglich der niedrigere Zahlbetrag der tariflichen
Einkommensteuer hinzuzurechnen. Das FG hat bislang lediglich in
für den Senat bindender Weise (§ 118 Abs. 2 FGO)
festgestellt, dass in Norwegen Kindergeld an die Kindsmutter
gezahlt wurde. Wie hoch der Zahlbetrag genau war, wird im zweiten
Rechtsgang festzustellen sein.
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