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I. Zum Sachverhalt
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1
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Die Klägerin und Revisionsbeklagte
(Klägerin), eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung,
ist Unternehmerin und erbringt Vermittlungsleistungen, die im
Inland dem Anwendungs-bereich der Richtlinie des Rates vom
17.5.1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der
Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie
77/388/EWG) unterliegen. Diese Vermittlungsleistungen waren
teilweise steuerfrei und teilweise steuerpflichtig.
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2
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Soweit die Klägerin Leistungen
steuerpflichtig vermittelte, handelte es sich bei den vermittelten
Leistungen um sog. Reiseleistungen, die Reiseveranstalter an
Reisekunden erbrachten und die der Sonderregelung gemäß
Art. 26 der Richtlinie 77/388/EWG unterliegen. Obwohl es sich bei
der Klägerin um ein Reisebüro handelt, galt diese
Sonderregelung für die streitigen Leistungen der Klägerin
nicht, da sie nur als Vermittler tätig war und die
Sonderregelung nach Art. 26 Abs. 1 Satz 2 der Richtlinie 77/388/EWG
nicht auf Vermittlungsleistungen anzuwenden ist.
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3
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Für die steuerpflichtigen
Vermittlungsleistungen, die die Klägerin an die
Reiseveranstalter erbrachte, erhielt sie von den Reiseveranstaltern
die vereinbarten Provisionen. Gegenüber den Reisekunden
gewährte die Klägerin Preisnachlässe, die im
Ergebnis ihre Provisionen entsprechend schmälerten. Nachdem
sie zunächst die Provisionen in vollem Umfang versteuert
hatte, beantragte sie eine Änderung der Steuerfestsetzungen
für die Streitjahre 2002 bis 2005 beim Beklagten und
Revisionskläger (Finanzamt - FA - ), da die Gewährung der
Preisnachlässe an die Reisekunden gemäß § 17
des Umsatzsteuergesetzes 1999/2005 (UStG) zu einer Minderung der an
die Reiseveranstalter erbrachten Vermittlungsleistungen
geführt habe.
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4
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Dem schloss sich das FA nur insoweit an,
als die von den Reiseveranstaltern erbrachten Leistungen nach den
Bedingungen der Sonderregelung gemäß Art. 26 der
Richtlinie 77/388/EWG steuerpflichtig waren. Soweit die durch die
Reiseveranstalter erbrachten Leistungen nach Art. 26 Abs. 3 der
Richtlinie 77/388/EWG steuerfrei waren, lehnte das FA eine
Änderung zugunsten der Klägerin ab. Hiergegen legte die
Klägerin nach erfolglosem Einspruch Klage ein, der das
Finanzgericht (FG) mit den in EFG 2011, 2022 = SIS 11 34 79
veröffentlichten Gründen stattgab. Gegen das Urteil des
FG wendet sich das FA mit dem Rechtsmittel der Revision.
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II. Entscheidungsgründe
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1. Rechtlicher Rahmen
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a) Unionsrecht
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Nach Art. 11 Teil A Abs. 1 Buchst. a der
Richtlinie 77/388/EWG ist Besteuerungsgrundlage im Inland
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„bei Lieferungen von
Gegenständen und Dienstleistungen, die nicht unter den
Buchstaben b), c) und d) genannt sind, alles, was den Wert der
Gegenleistung bildet, die der Lieferer oder Dienstleistende
für diese Umsätze vom Abnehmer oder
Dienstleistungsempfänger oder von einem Dritten erhält
oder erhalten soll, einschließlich der unmittelbar mit dem
Preis dieser Umsätze zusammenhängenden
Subventionen“.
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Nach Art. 11 Teil A Abs. 3 Buchst. b der
Richtlinie 77/388/EWG sind in die Besteuerungsgrundlage nicht
einzubeziehen
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9
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„die Rabatte und
Rückvergütungen auf den Preis, die dem Abnehmer oder
Dienstleistungsempfänger eingeräumt werden und die er zu
dem Zeitpunkt erhält, zu dem der Umsatz bewirkt
wird“.
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Art. 11 Teil C Abs. 1 Unterabs. 1 der
Richtlinie 77/388/EWG lautet:
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„Im Falle der Annullierung, der
Rückgängigmachung, der Auflösung, der
vollständigen oder teilweisen Nichtbezahlung oder des
Preisnachlasses nach der Bewirkung des Umsatzes wird die
Besteuerungsgrundlage unter von den Mitgliedstaaten festgelegten
Bedingungen entsprechend vermindert.“
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12
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Unionsrechtlich bestimmt Art. 26 der
Richtlinie 77/388/EWG als „Sonderregelung für
Reisebüros“:
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„(1) Die Mitgliedstaaten wenden die
Mehrwertsteuer auf die Umsätze der Reisebüros nach den
Vorschriften dieses Artikels an, soweit die Reisebüros
gegenüber den Reisenden im eigenen Namen auftreten und
für die Durchführung der Reise Lieferungen und
Dienstleistungen anderer Steuerpflichtiger in Anspruch nehmen. Die
Vorschriften dieses Artikels gelten nicht für Reisebüros,
die lediglich als Vermittler handeln und auf die Artikel 11 Teil A
Absatz 3 Buchstabe c anzuwenden ist. Im Sinne dieses Artikels
gelten als Reisebüros auch Reiseveranstalter.
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(2) Die bei Durchführung der Reise vom
Reisebüro erbrachten Umsätze gelten als eine einheitliche
Dienstleistung des Reisebüros an den Reisenden. Sie wird in
dem Mitgliedstaat besteuert, in dem das Reisebüro den Sitz
seiner wirtschaftlichen Tätigkeit oder eine feste
Niederlassung hat, von wo aus es die Dienstleistung erbracht hat.
Für diese Dienstleistung gilt als Besteuerungsgrundlage und
als Preis ohne Steuer im Sinne des Artikels 22 Absatz 3 Buchstabe
b) die Marge des Reisebüros, das heißt die Differenz
zwischen dem vom Reisenden zu zahlenden Gesamtbetrag ohne
Mehrwertsteuer und den tatsächlichen Kosten, die dem
Reisebüro durch die Inanspruchnahme von Lieferungen und
Dienstleistungen anderer Steuerpflichtiger entstehen, soweit diese
Umsätze dem Reisenden unmittelbar zugute kommen.
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(3) Werden die Umsätze, für die
das Reisebüro andere Steuerpflichtige in Anspruch nimmt, von
diesen außerhalb der Gemeinschaft erbracht, so wird die
Dienstleistung des Reisebüros einer nach Artikel 15 Nummer 14
befreiten Vermittlungstätigkeit gleichgestellt. Werden diese
Umsätze sowohl innerhalb als auch außerhalb der
Gemeinschaft erbracht, so ist nur der Teil der Dienstleistung des
Reisebüros als steuerfrei anzusehen, der auf die Umsätze
außerhalb der Gemeinschaft entfällt.
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(4) Beim Reisebüro ist der
Vorsteuerabzug oder die Rückerstattung der Steuern in jedem
Mitgliedstaat für die Steuern ausgeschlossen, die dem
Reisebüro von anderen Steuerpflichtigen für die in Absatz
2 bezeichneten Umsätze in Rechnung gestellt werden, welche dem
Reisenden unmittelbar zugute kommen.“
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b) Nationales Recht
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§ 17 Abs. 1 UStG in der ab 1.1.2002
geltenden Fassung regelte:
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„Hat sich die Bemessungsgrundlage
für einen steuerpflichtigen Umsatz im Sinne des § 1 Abs.
1 Nr. 1 geändert, haben
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1. der Unternehmer, der diesen Umsatz
ausgeführt hat, den dafür geschuldeten Steuerbetrag
und
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2. der Unternehmer, an den dieser Umsatz
ausgeführt worden ist, den dafür in Anspruch genommenen
Vorsteuerabzug
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21
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entsprechend zu berichtigen; dies gilt in
den Fällen des § 1 Abs. 1 Nr. 5 und des § 13b
sinngemäß. Die Berichtigung des Vorsteuerabzugs kann
unterbleiben, soweit ein dritter Unternehmer den auf die Minderung
des Entgelts entfallenden Steuerbetrag an das Finanzamt entrichtet;
in diesem Fall ist der dritte Unternehmer Schuldner der Steuer. Die
Berichtigungen nach Satz 1 sind für den Besteuerungszeitraum
vorzunehmen, in dem die Änderung der Bemessungsgrundlage
eingetreten ist.“
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§ 17 Abs. 1 UStG in seiner ab 16.12.2004
geltenden Fassung regelt:
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„Hat sich die Bemessungsgrundlage
für einen steuerpflichtigen Umsatz im Sinne des § 1 Abs.
1 Nr. 1 geändert, hat der Unternehmer, der diesen Umsatz
ausgeführt hat, den dafür geschuldeten Steuerbetrag zu
berichtigen. Ebenfalls ist der Vorsteuerabzug bei dem Unternehmer,
an den dieser Umsatz ausgeführt wurde, zu berichtigen. Dies
gilt nicht, soweit er durch die Änderung der
Bemessungsgrundlage wirtschaftlich nicht begünstigt wird. Wird
in diesen Fällen ein anderer Unternehmer durch die
Änderung der Bemessungsgrundlage wirtschaftlich
begünstigt, hat dieser Unternehmer seinen Vorsteuerabzug zu
berichtigen. Die Sätze 1 bis 4 gelten in den Fällen des
§ 1 Abs. 1 Nr. 5 und des § 13b sinngemäß. Die
Berichtigung des Vorsteuerabzugs kann unterbleiben, soweit ein
dritter Unternehmer den auf die Minderung des Entgelts entfallenden
Steuerbetrag an das Finanzamt entrichtet; in diesem Fall ist der
dritte Unternehmer Schuldner der Steuer. Die Berichtigungen nach
den Sätzen 1 und 2 sind für den Besteuerungszeitraum
vorzunehmen, in dem die Änderung der Bemessungsgrundlage
eingetreten ist. Die Berichtigung nach Satz 4 ist für den
Besteuerungszeitraum vorzunehmen, in dem der andere Unternehmer
wirtschaftlich begünstigt wird.“
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24
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§ 25 Abs. 1 bis 4 UStG in der ab 1.4.1999
geltenden Fassung vom 9.6.1999 bestimmt:
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25
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„(1) Die nachfolgenden Vorschriften
gelten für Reiseleistungen eines Unternehmers, die nicht
für das Unternehmen des Leistungsempfängers bestimmt
sind, soweit der Unternehmer dabei gegenüber dem
Leistungsempfänger im eigenen Namen auftritt und
Reisevorleistungen in Anspruch nimmt. Die Leistung des Unternehmers
ist als sonstige Leistung anzusehen. Erbringt der Unternehmer an
einen Leistungsempfänger im Rahmen einer Reise mehrere
Leistungen dieser Art, so gelten sie als eine einheitliche sonstige
Leistung. Der Ort der sonstigen Leistung bestimmt sich nach §
3a Abs. 1. Reisevorleistungen sind Lieferungen und sonstige
Leistungen Dritter, die den Reisenden unmittelbar zugute
kommen.
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26
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(2) Die sonstige Leistung ist steuerfrei,
soweit die ihr zuzurechnenden Reisevorleistungen im
Drittlandsgebiet bewirkt werden. Die Voraussetzung der
Steuerbefreiung muss vom Unternehmer nachgewiesen sein. Das
Bundesministerium der Finanzen kann mit Zustimmung des Bundesrates
durch Rechtsverordnung bestimmen, wie der Unternehmer den Nachweis
zu führen hat.
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(3) Die sonstige Leistung bemisst sich nach
dem Unterschied zwischen dem Betrag, den der
Leistungsempfänger aufwendet, um die Leistung zu erhalten, und
dem Betrag, den der Unternehmer für die Reisevorleistungen
aufwendet. Die Umsatzsteuer gehört nicht zur
Bemessungsgrundlage. Der Unternehmer kann die Bemessungsgrundlage
statt für jede einzelne Leistung entweder für Gruppen von
Leistungen oder für die gesamten innerhalb des
Besteuerungszeitraums erbrachten Leistungen ermitteln.
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(4) Abweichend von § 15 Abs. 1 ist der
Unternehmer nicht berechtigt, die ihm für die
Reisevorleistungen gesondert in Rechnung gestellten
Steuerbeträge als Vorsteuer abzuziehen. Im übrigen bleibt
§ 15 unberührt.“
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29
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In der ab 1.1.2005 geltenden Fassung vom
21.2.2005 lautet § 25 Abs. 4 UStG:
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30
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„(4) Abweichend von § 15 Abs. 1
ist der Unternehmer nicht berechtigt, die ihm für die
Reisevorleistungen gesondert in Rechnung gestellten sowie die nach
§ 13b geschuldeten Steuerbeträge als Vorsteuer
abzuziehen. Im Übrigen bleibt § 15
unberührt.“
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2. Zur ersten Vorlagefrage
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a) Bisherige Rechtsprechung des
Gerichtshofs der Europäischen
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Union (EuGH)
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Der EuGH hat in seinem Urteil vom 24.10.1996
C-317/94, Elida Gibbs (Slg. 1996, I-5339 = SIS 97 04 27, Leitsatz)
zur Rabattgewährung entschieden:
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„Wenn ein Hersteller einen
Preisnachlaßgutschein ausgibt, der zu dem auf dem Gutschein
angegebenen Betrag beim Hersteller oder auf dessen Kosten zugunsten
des Einzelhändlers einlösbar ist, wenn der Gutschein, der
im Zuge einer Verkaufsförderungsaktion an einen potentiellen
Kunden ausgegeben wird, beim Kauf eines bestimmten Artikels durch
den Kunden von dem Einzelhändler angenommen werden darf, wenn
der Hersteller diesen Artikel zum
„Erstlieferantenpreis“ unmittelbar an den
Einzelhändler verkauft hat und wenn dieser den Gutschein beim
Verkauf des Artikels an den Kunden annimmt, ihn dem Hersteller
vorlegt und den angegebenen Betrag erhält ..., dann ist
Artikel 11 Teil A Absatz 1 Buchstabe a und Teil C Absatz 1 der
Sechsten Richtlinie dahin auszulegen, daß die
Besteuerungsgrundlage für die Bestimmung der vom Hersteller
geschuldeten Mehrwertsteuer der Herstellerpreis abzüglich des
auf dem Gutschein angegebenen und erstatteten Betrages ist. Dies
gilt auch dann, wenn der Hersteller die Artikel zuerst an einen
Großhändler statt unmittelbar an einen
Einzelhändler geliefert hat ...“
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Der EuGH führt hierfür an, diese
Auslegung sei aufgrund des Grundsatzes geboten, „daß
der Betrag, der als Besteuerungsgrundlage für die von den
Steuerbehörden zu erhebende Mehrwertsteuer dient, nicht
höher sein kann als die Gegenleistung, die der Endverbraucher
tatsächlich erbracht hat und auf deren Grundlage die von ihm
letztlich getragene Mehrwertsteuer berechnet worden ist, und sie
ergibt sich auch aus dem Grundsatz der steuerlichen
Neutralität, wonach gleichartige Waren innerhalb der
einzelnen Länder ungeachtet der Länge des Produktions-
und Vertriebswegs steuerlich gleich zu belasten sind“.
Weiter wird nach dem EuGH-Urteil Elida Gibbs in Slg. 1996, I-5339
das Mehrwertsteuersystem „durch diese Auslegung nicht
gestört, denn sie führt nicht zu einer Berichtigung der
Besteuerungsgrundlage für die Zwischenumsätze. Diese
bleibt unverändert, denn hinsichtlich dieser Umsätze wird
die Anwendung des Neutralitätsgrundsatzes durch die
Durchführung der Abzugsregelung der Richtlinie
gewährleistet, die es den Zwischengliedern der
Vertriebskette wie den Groß- oder Einzelhändlern
gestattet, an die Steuerverwaltung nur den Teil der Steuer
abzuführen, der der Differenz zwischen dem Preis, den jeder an
seinen Lieferanten gezahlt hat, und dem Preis entspricht, zu dem er
seinem Abnehmer die Ware geliefert hat“.
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b) Bisherige Rechtsprechung des erkennenden
Senats
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Der erkennende Senat ist in seiner bisherigen
Rechtsprechung davon ausgegangen, dass die Grundsätze des
EuGH-Urteils Elida Gibbs in Slg. 1996, I-5339 auch dann zu beachten
sind, wenn nicht ein Hersteller für die von ihm gelieferte
Ware, sondern ein Vermittler einen Preisnachlass für die von
ihm vermittelte Leistung gewährt. Die Bemessungsgrundlage der
von einem Vermittler an einen Reiseveranstalter erbrachten
Vermittlungsleistung mindert sich danach um den Betrag, der dem
Endverbraucher (Reisekunde) von dem Vermittler vergütet wird,
ohne dass sich dadurch der Vorsteuerabzug des Reiseveranstalters
für die von dem Vermittler in Rechnung gestellte
Vermittlungsleistung ändert und ohne dass es dadurch für
den Vermittler zu einer Steuerschuld aufgrund eines Steuerausweises
in einer Rechnung kommt. Im Gesamtergebnis erhält der Fiskus
damit die Umsatzsteuer, die in dem vom Endverbraucher aufgewendeten
Betrag enthalten ist (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom
12.1.2006 V R 3/04, BFHE 213, 69, BStBl II 2006, 479 = SIS 06 16 30, unter II.2. mit Berechnungsbeispiel; vom 13.7.2006 V R 46/05,
BFHE 214, 463, BStBl II 2007, 186 = SIS 06 45 69, unter II.1. und
2. zum Vermittler als „ersten Unternehmer“ in
einer Vertriebskette und zu Vermittlungsleistungen als Teil der
„relevanten Vertriebskette“).
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c) Zweifel an der zutreffenden Auslegung
des Unionsrechts
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Mit der ersten Vorlagefrage soll geklärt
werden, ob es nach den Grundsätzen des EuGH-Urteils Elida
Gibbs in Slg. 1996, I-5339 auch dann zu einer Minderung der
Besteuerungsgrundlage im Rahmen einer Vertriebskette kommt, wenn
ein Vermittler (hier: Reisebüro) dem Empfänger (hier:
Reisekunde) des von ihm vermittelten Umsatzes (hier: Leistung des
Reiseveranstalters an den Reisekunden) einen Teil des Preises
für den vermittelten Umsatz vergütet.
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36
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Obwohl der Senat in seiner bisherigen
Rechtsprechung die Anwendung der Grundsätze des EuGH-Urteils
Elida Gibbs in Slg. 1996, I-5339 auf Vermittlungsleistungen bejaht
hat, erscheint es fraglich, ob sich dies mit hinreichender Klarheit
aus der Rechtsprechung des EuGH ableiten lässt. Für eine
Anwendung der Grundsätze des EuGH-Urteils Elida Gibbs in Slg.
1996, I-5339 auch auf Vermittlungsleistungen spricht, dass damit
das Neutralitätsprinzip verwirklicht wird. Gleichwohl
erscheint es zweifelhaft, ob dies die Anwendung dieser
Grundsätze auch auf Vermittlungsleistungen rechtfertigt. Diese
Zweifel ergeben sich daraus, dass Vermittlungsleistungen nicht Teil
einer „Vertriebskette“ sind, bei der
„gleichartige Waren“ mehrfach und unter
denselben steuerlichen Bedingungen geliefert werden. Der erkennende
Senat geht davon aus, dass der mehrfachen Lieferung einer Ware auch
die mehrfache Erbringung einer Dienstleistung gleichzustellen
ist.
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37
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Anders könnte es aber sein, wenn es sich
bei den mehrfach erbrachten Leistungen um Umsätze
unterschiedlicher Art handelt, die jeweils eigenständigen
steuerrechtlichen Bedingungen unterliegen. Dies trifft auf das
Verhältnis von Vermittlungsleistungen (hier: Leistung der
Klägerin) zu den vermittelten Leistungen (hier: Reiseumsatz
des Reiseveranstalters) zu. Erbringt z.B. ein im
Gemeinschaftsgebiet ansässiger Reiseveranstalter eine
Reiseleistung ausschließlich im Drittlandsgebiet, ist die
Reiseleistung gemäß Art. 26 Abs. 3 der Richtlinie
77/388/EWG steuerfrei; sie gilt aber nach Abs. 2 Satz 1 dieser
Bestimmung gleichwohl als im Inland erbracht. Ist ein Vermittler
beim Absatz dieser Reiseleistung tätig, ist auf seine Leistung
gemäß Art. 26 Abs. 1 Satz 2 der Richtlinie 77/388/EWG
die Sonderregelung nicht anzuwenden. Der Vermittler unterliegt
vielmehr der allgemeinen Besteuerung und erbringt seine Leistung
gemäß Art. 28b Teil E Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie
77/388/EWG am Ort des vermittelten Umsatzes und damit am Ort der
Ansässigkeit des Reiseveranstalters. Aus dem Vorliegen eines
inländischen Leistungsorts für den vermittelten
Reiseumsatz folgt dabei die Steuerpflicht der Vermittlungsleistung.
Denn Vermittlungsleistungen sind anders als der vermittelte
Reiseumsatz gemäß Art. 15 Nr. 14 der Richtlinie
77/388/EWG nur steuerfrei, wenn sie „Umsätze
außerhalb der Gemeinschaft betreffen“; daran fehlt
es aber aufgrund des inländischen Leistungsorts des
vermittelten Reiseumsatzes. Auch die Steuerbefreiung nach Art. 26
Abs. 3 der Richtlinie 77/388/EWG ist auf die Vermittlung nicht
anzuwenden.
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38
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Gegen die Annahme einer
„Leistungskette“ könnte zudem
angeführt werden, dass der vermittelte Reiseumsatz
unterschiedlichen Regelungen unterliegen kann, wie es z.B. dann der
Fall ist, wenn der Reiseveranstalter seine Leistung teilweise unter
Inanspruchnahme von „Lieferungen und Dienstleistungen
anderer Steuerpflichtiger“ und teilweise unter Verwendung
von Eigenleistungen erbringt. In diesem Fall ist die Sonderregelung
nach Art. 26 der Richtlinie 77/388/EWG nur insoweit anzuwenden, als
der Reiseveranstalter keine Eigenleistungen einsetzt (vgl.
EuGH-Urteil vom 22.10.1998 C-308/96 und C-94/97, Madgett und
Baldwin, Slg. 1998, I-6229 = SIS 98 23 41, Leitsatz 2). Die sich
hieraus ergebenden Schwierigkeiten bei der steuerlichen Beurteilung
von Leistungen, die nur teilweise der Sonderregelung nach Art. 26
der Richtlinie 77/388/EWG unterliegen, setzen sich bei der
steuerlichen Beurteilung der Vermittlungsleistung fort, wenn der
Vermittler - wie im Streitfall die Klägerin - dem Reisekunden
einen Preisnachlass gewährt und hierfür die
Grundsätze des EuGH-Urteils Elida Gibbs in Slg. 1996, I-5339
gelten. Insbesondere kann der Vermittler möglicherweise die
Bemessungsgrundlage nur aufgrund der Kalkulationsgrundlagen des
Reiseveranstalters, nicht dagegen allein auf der Grundlage seiner
eigenen Unterlagen ermitteln. Im Hinblick auf die ohnehin schon
hohe Komplexität des Mehrwertsteuersystems könnte auch
dies es rechtfertigen, die Vermittlungsleistung und den
vermittelten Umsatz nicht als
„gleichartig“ und nicht als in einer
„Vertriebskette“ erbracht anzusehen, so
dass die Grundsätze des EuGH-Urteils Elida Gibbs in Slg. 1996,
I-5339 nicht anzuwenden sind.
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3. Zur zweiten Vorlagefrage
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a) Bisherige EuGH-Rechtsprechung
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Der EuGH musste in seiner bisherigen
Rechtsprechung nicht klären, ob die Grundsätze des
EuGH-Urteils Elida Gibbs in Slg. 1996, I-5339 auch auf
Vertriebsketten anzuwenden sind, in deren Rahmen eine Leistung
erbracht wird, die der Besteuerung nach Art. 26 der Richtlinie
77/388/EWG unterliegt. Mit der nur hilfsweise gestellten zweiten
Vorlagefrage soll für den Fall, dass die Grundsätze des
EuGH-Urteils Elida Gibbs in Slg. 1996, I-5339 auch für
Vermittlungsleistungen gelten, geklärt werden, ob dies auch
für den Fall zutrifft, dass nur der vermittelte Umsatz des
Reiseveranstalters, nicht aber auch die Vermittlungsleistung des
Reisebüros der Sonderregelung nach Art. 26 der Richtlinie
77/388/EWG unterliegt.
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b) Zweifel an der zutreffenden Auslegung
des Unionsrechts
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aa) Rechtstechnisch ist es ohne weiteres
möglich, die Grundsätze des EuGH-Urteils Elida Gibbs in
Slg. 1996, I-5339 auch auf die Vermittlung von dieser
Sonderregelung unterliegenden Reiseleistungen anzuwenden, wie das
folgende zahlenmäßig fiktiv gebildete, der Art nach aber
den Streitfall betreffende Beispiel zeigt:
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41
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Vermittler (V) vermittelt eine Art. 26 der
Richtlinie 77/388/EWG unterliegende Reiseleistung des
Reiseveranstalters (R). Der Preis für diese Reiseleistung
beträgt 2.000 EUR (brutto). R gewährt V eine
Vermittlungsprovision von 10 % zuzüglich Umsatzsteuer. Bei
Anwendung des in den Streitjahren geltenden Steuersatzes von 16 %
ergibt sich für V gegenüber R ein Provisionsanspruch von
200 EUR zuzüglich Umsatzsteuer in Höhe von 32 EUR. V
gewährt dem Reisekunden eine Preiserstattung von 3 % auf den
Reisepreis und damit von 60 EUR.
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42
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Sind die Grundsätze des EuGH-Urteils
Elida Gibbs in Slg. 1996, I-5339 anzuwenden, ist V als
„erster Steuerpflichtiger in einer
Vertriebskette“ zu einer Minderung der
Bemessungsgrundlage für die an R erbrachte
Vermittlungsleistung berechtigt. Die Gegenleistung
(Besteuerungsgrundlage zuzüglich Umsatzsteuer) von bisher 232
EUR mindert sich um 60 EUR auf 172 EUR. Die Bemessungsgrundlage
für die Vermittlungsleistung beläuft sich daher nur noch
auf 148,28 EUR (anstelle bisher 200 EUR) und die Steuer auf 23,72
EUR (anstelle bisher 32 EUR).
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43
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bb) Fraglich ist aber nach Auffassung des
erkennenden Senats gleichwohl, ob eine Anwendung der
Grundsätze des EuGH-Urteils Elida Gibbs in Slg. 1996, I-5339
zu einer zutreffenden Besteuerung führt. Dabei sind mehrere
Fragestellungen zu berücksichtigen.
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44
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(1) Zweifelhaft erscheint die Anwendung der
Grundsätze des EuGH-Urteils Elida Gibbs in Slg. 1996, I-5339
im Hinblick auf die Besonderheiten bei der Bestimmung der
Steuerbemessungsgrundlage, wie ein Vergleich zwischen der
Regelbesteuerung der vermittelten Leistung und der Anwendung des
Art. 26 der Richtlinie 77/388/EWG auf die vermittelte Leistung
zeigt.
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Unterliegt die vermittelte Leistung der
Regelbesteuerung, ist im vorstehenden Beispielsfall der Preis
für die Reiseleistung von 2.000 EUR unter Anwendung des in den
Streitjahren geltenden Steuersatzes von 16 % in eine
Steuerbemessungsgrundlage von 1.724,14 EUR und eine Steuer von
275,86 EUR aufzuteilen. Nach dem EuGH-Urteil Elida Gibbs in Slg.
1996, I-5339 ist R zum Vorsteuerabzug aus der von V erbrachten
Leistung in Höhe von 32 EUR berechtigt, während für
V nur eine Umsatzsteuer von 23,72 EUR entstünde. Die
Gesamtsteuer beläuft sich daher auf 267,58 EUR. Dies
entspricht der Steuer, die entstünde, wenn nur die vom
Reisekunden geleistete Zahlung von 1.940 EUR in
Steuerbemessungsgrundlage (1.672,42 EUR) und Steuer (267,58 EUR)
aufgeteilt wird.
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46
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Unterliegt die Leistung des R
demgegenüber der Sonderregelung nach Art. 26 der Richtlinie
77/388/EWG kann eine derartige Berechnung nicht ohne weiteres
angestellt werden, da die Steuerbemessungsgrundlage für die
Leistung des R in diesem Fall von der von ihm erzielten
„Marge“ abhängt. Denn die
Steuerbemessungsgrundlage für Leistungen des R bestimmt sich
dann gemäß Art. 26 Abs. 2 Satz 2 der Richtlinie
77/388/EWG nach einer sog. Marge als „Differenz zwischen
dem vom Reisenden zu zahlenden Gesamtbetrag ohne Mehrwertsteuer und
den tatsächlichen Kosten“, nicht aber - wie im
Regelfall gemäß Art. 11 Teil A Abs. 1 Buchst. a der
Richtlinie 77/388/EWG - nach dem „Wert der
Gegenleistung“, die im Beispielsfall unter
Berücksichtigung der Preiserstattung 1.940 EUR beträgt.
Zu berücksichtigen ist auch, dass die nach Art. 26 Abs. 2 Satz
3 der Richtlinie 77/388/EWG maßgebliche
„Marge“ sich dabei auch auf null belaufen kann,
wenn die für die Reise entstehenden Kosten am Markt nicht
erzielt werden können.
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47
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Zu berücksichtigen ist insoweit auch,
dass die Anwendung der Sonderregelung nach Art. 26 der Richtlinie
77/388/EWG für den Reiseveranstalter nicht zu einer
Einschränkung des Vorsteuerabzugs hinsichtlich der von ihm
bezogenen Vermittlungsleistung führt. Denn Art. 26 Abs. 4 der
Richtlinie 77/388/EWG schließt den Vorsteuerabzug nur
für die durch den Reiseveranstalter bezogenen Leistungen aus,
die „dem Reisenden unmittelbar zugute kommen“.
Dies trifft auf Leistungen für die Durchführung der Reise
wie z.B. die Beschaffung von Hotelzimmern oder
Flugmöglichkeiten, nicht aber auf Vermittlungsleistungen beim
Verkauf von Reiseleistungen zu. Ein derartiger Vorsteuerabzug
könnte zur Vergütung einer fiktiven Umsatzsteuer
führen, was auch nach der EuGH-Rechtsprechung nicht
zulässig wäre.
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(2) Weiter ist zu beachten, dass nach dem
EuGH-Urteil vom 15.10.2002 C-427/98, Kommission/Deutschland (Slg.
2002, I-8315 = SIS 02 98 74) die Mitgliedstaaten berechtigt sind,
die Grundsätze des EuGH-Urteils Elida Gibbs in Slg. 1996,
I-5339 - so diese bei Beantwortung der ersten Frage auf
Vermittlungsleistungen anzuwenden sind - nicht anzuwenden, wenn die
vermittelte Leistung steuerfrei ist (s. hierzu auch die dritte
Vorlagefrage). Der erkennende Senat geht insoweit davon aus, dass
das EuGH-Urteil Kommission/Deutschland in Slg. 2002, I-8315
dahingehend zu verstehen ist, dass die Grundsätze des
EuGH-Urteils Elida Gibbs in Slg. 1996, I-5339 dann nicht anzuwenden
sind, wenn die letzte Leistung in der Vertriebskette steuerfrei
ist.
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Unterliegen die vermittelten Leistungen der
Sonderregelung nach Art. 26 der Richtlinie 77/388/EWG, stellt Abs.
3 dieser Bestimmung diese Leistungen einer steuerfreien
Vermittlungsleistung gleich, wenn die Umsätze, für die
der Erbringer dieser Leistung andere Steuerpflichtige in Anspruch
nimmt, von diesen außerhalb der Gemeinschaft erbracht werden.
Werden diese Umsätze sowohl innerhalb als auch außerhalb
der Gemeinschaft erbracht, ist die Leistung nur teilweise
steuerfrei.
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Werden die Grundsätze des EuGH-Urteils
Elida Gibbs in Slg. 1996, I-5339 auch auf Vermittlungsleistungen
angewendet, mit denen Reiseumsätze vermittelt werden, die der
Sonderregelung nach Art. 26 der Richtlinie 77/388/EWG unterliegen,
erscheint fraglich, wie der Vermittler und die für ihn
zuständige Finanzbehörde feststellen sollen, inwieweit
die vermittelte Reiseleistung steuerfrei ist und daher nicht zur
Anwendung der Grundsätze des EuGH-Urteils Elida Gibbs in Slg.
1996, I-5339 berechtigt.
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Der erkennende Senat folgt dabei der
Auffassung der Klägerin, dass die nach Art. 26 Abs. 3 der
Richtlinie 77/388/EWG gebotene Aufteilung der Reiseleistung nach
Maßgabe der vom Reiseveranstalter bezogenen Vorleistungen
ohne die Kenntnis der Kalkulation des jeweiligen Reiseveranstalters
nicht möglich ist und dass die Annahme, dass Reiseveranstalter
einer Vielzahl von Vermittlern Einblick in die Kalkulation der
jeweiligen Reise ermöglichen, unrealistisch ist. Die
Entscheidung hat nach Auffassung des erkennenden Senats auch zu
berücksichtigen, dass nach Art. 26 Abs. 3 der Richtlinie
77/388/EWG aufteilungspflichtige Reiseleistungen in der Praxis
häufig vorkommen, wie das Beispiel einer in der Gemeinschaft
erfolgenden Beförderung zu einem außerhalb der
Gemeinschaft liegenden Reiseziel zeigt (vgl. hierzu z.B. BFH-Urteil
vom 19.10.2011 XI R 18/09, BFH/NV 2012, 887 = SIS 12 07 78).
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Bei der Beantwortung der Vorlagefrage ist
schließlich auch zu beachten, dass die Steuerfreiheit der
Reiseleistung für den Reiseveranstalter zu keiner
Einschränkung beim Vorsteuerabzug führt, wie sich aus
Art. 26 Abs. 3, Art. 15 Nr. 14 und Art. 17 Abs. 3 Buchst. b der
Richtlinie 77/388/EWG ergibt. Trotz der Steuerfreiheit seines
Reiseumsatzes ist der Reiseveranstalter daher zum Vorsteuerabzug
aus der durch den Vermittler erbrachten Leistung berechtigt.
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4. Zur dritten Vorlagefrage
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a) EuGH-Rechtsprechung
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Nach dem EuGH-Urteil Kommission/Deutschland in
Slg. 2002, I-8315 Rdnrn. 64 f. ist zwar „der Hersteller,
der Verkaufsförderungssysteme ... verwendet, bei
gewöhnlichen innergemeinschaftlichen
Geschäftsvorgängen zur nachträglichen Verminderung
seiner Besteuerungsgrundlage deshalb berechtigt, weil der vom
Endverbraucher gezahlte Preis die Mehrwertsteuer enthält, so
dass jeder Preisnachlass auch einen Anteil der Mehrwertsteuer
umfasst“.
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Anders ist es jedoch, wenn „der auf
dem Preisnachlassgutschein angegebene Wert aufgrund einer
Steuerbefreiung in dem Mitgliedstaat, aus dem die Ware versandt
wird, nicht steuerbar ist“. Es ist dann „in
keinem ... auf dieser oder einer folgenden Stufe der Absatzkette
berechneten Preis Mehrwertsteuer enthalten, so dass auch ein
Preisnachlass oder eine teilweise Preiserstattung keinen
Mehrwertsteueranteil umfassen kann, der eine Verminderung der vom
Hersteller entrichteten Steuer veranlassen könnte. Bei
steuerbefreiten Ausfuhr- oder innergemeinschaftlichen Lieferungen
können die Steuerbehörden den Hersteller daher mit Hilfe
der ihnen in Artikel 11 Teil C Absatz 1 der Sechsten Richtlinie
eingeräumten Befugnisse daran hindern, von seiner
Mehrwertsteuerschuld einen Mehrwertsteuerbetrag abzuziehen, der
fiktiv wäre. Dabei kann ein überhöhter
Mehrwertsteuerabzug durch Kontrollen der Buchhaltung des
Herstellers vermieden werden“.
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b) Zweifel an der zutreffenden Auslegung
des Unionsrechts
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Mit der gleichfalls nur hilfsweise gestellten
dritten Vorlagefrage soll geklärt werden, ob ein
Mitgliedstaat, der Art. 11 Teil C Abs. 1 der Richtlinie 77/388/EWG
in seinem nationalen Recht zutreffend umgesetzt hat - wie hier
durch § 17 UStG -, im Fall der Steuerfreiheit der vermittelten
Leistung nur berechtigt ist, eine Minderung der
Besteuerungsgrundlage zu versagen, wenn er in Ausübung der
Ermächtigung nach Art. 11 Teil C Abs. 1 der Richtlinie
77/388/EWG zusätzliche Bedingungen im Sinne dieser Bestimmung
durch besondere gesetzliche Regelungen im nationalen Recht
geschaffen hat.
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Zur Frage, unter welchen Voraussetzungen ein
Mitgliedstaat berechtigt ist, die Minderung der
Steuerbemessungsgrundlage abzulehnen, lässt das EuGH-Urteil
Kommission/Deutschland in Slg. 2002, I-8315 Rdnrn. 65 f. zwei
Auslegungsmöglichkeiten zu:
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aa) Zum einen können Mitgliedstaaten, die
die Richtlinie 77/388/EWG und dabei deren Art. 11 Teil C Abs. 1 der
Richtlinie 77/388/EWG zutreffend umgesetzt haben, bereits aufgrund
dieser Rechtsetzung als berechtigt angesehen werden, die sich aus
der Rechtsprechung des EuGH zu Rabatten in einer Vertriebskette
ergebende Minderung der Bemessungsgrundlage abzulehnen, wenn die
letzte Leistung (an den Endkunden) steuerfrei ist, so dass eine
Rabattgewährung zu einer unzutreffenden Besteuerung
führt.
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bb) Zum anderen könnte der Hinweis in
Rdnr. 65 des EuGH-Urteils Kommission/Deutschland in Slg. 2002,
I-8315, dass „die Steuerbehörden den Hersteller mit
Hilfe der ihnen in Art. 11 Teil C Abs. 1 der Sechsten Richtlinie
eingeräumten Befugnisse daran hindern [können], von
seiner Mehrwertsteuerschuld einen Mehrwertsteuerbetrag abzuziehen,
der fiktiv wäre“, auch dahingehend zu verstehen
sein, dass ein Mitgliedstaat im Fall der Steuerfreiheit der letzten
Leistung in der Vertriebskette nur dann berechtigt ist, die
Minderung der Steuerbemessungsgrundlage abzulehnen, wenn er nicht
nur die ausdrücklichen Bestimmungen der Richtlinie 77/388/EWG
zutreffend umgesetzt hat, sondern darüber hinaus besondere
Bedingungen gesetzlich angeordnet hat, zu deren Schaffung der
nationale Gesetzgeber in Art. 11 Teil C Abs. 1 der Richtlinie
77/388/EWG ermächtigt wird. Ein Mitgliedstaat, der für
den Fall der Steuerfreiheit der letzten Leistung in der
Vertriebskette die Minderung der Bemessungsgrundlage verhindern
will, müsste dann ein eigenständiges, auf die
Rechtsprechung des EuGH bezogenes
„Elida-Gibbs-Gesetz“ erlassen, um dieses Ziel zu
erreichen (so das Urteil des XI. Senats des BFH vom 15.2.2012 XI R
24/09, juris = SIS 12 11 30, zur Parallelfrage der Berichtigung des
Vorsteuerabzugs entsprechend Rdnr. 66 des EuGH-Urteils
Kommission/Deutschland in Slg. 2002, I-8315). Ob ein derartiges
Erfordernis tatsächlich besteht, hat der EuGH zu klären,
da es sich um eine Klarstellung zu seinem Urteil
Kommission/Deutschland in Slg. 2002, I-8315 handelt. Es erscheint
jedenfalls nicht zwingend, einen Mitgliedstaat zu verpflichten,
gesetzliche Regelungen zu schaffen, die über die
umsetzungspflichtigen Bestimmungen einer Richtlinie hinausgehen, um
die Folgen zu begrenzen, die sich aus einem die Auslegung dieser
Richtlinie betreffenden Urteil ergeben.
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5. Zur Entscheidungserheblichkeit der
Vorlagefragen
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Die Entscheidungserheblichkeit der ersten
Vorlagefrage ergibt sich daraus, dass die Klage entgegen dem Urteil
des FG abzuweisen wäre, wenn die Grundsätze des
EuGH-Urteils Elida Gibbs in Slg. 1996, I-5339 auf
Vermittlungsleistungen allgemein nicht anzuwenden sind. Zwar hat
das FA die Anwendung dieser Grundsätze nur auf die
Vermittlungsleistungen der Klägerin abgelehnt, mit denen die
Klägerin steuerfreie Umsätze der Reiseveranstalter
vermittelte. Ist das EuGH-Urteil Elida Gibbs in Slg. 1996, I-5339
jedoch allgemein nicht auf Vermittlungsleistungen anzuwenden, folgt
hieraus entgegen dem FG-Urteil die Zurückweisung des von der
Klägerin geltend gemachten Minderungsanspruchs auch für
die Vermittlung steuerfreier Reiseumsätze.
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Die Entscheidungserheblichkeit der zweiten
Vorlagefrage beruht darauf, dass - selbst wenn die erste Frage
zugunsten der Klägerin zu beantworten sein sollte - der
Klageanspruch der Klägerin zurückzuweisen wäre, wenn
die Grundsätze des EuGH-Urteils Elida Gibbs in Slg. 1996,
I-5339 zwar auch auf vermittelte Umsätze anzuwenden sind, dies
jedoch nicht für die Vermittlung von Reiseumsätzen gilt,
die Reiseveranstalter unter den Bedingungen des Art. 26 der
Richtlinie 77/388/EWG ggf. steuerfrei erbringen.
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Die Entscheidungserheblichkeit der dritten
Vorlagefrage ergibt sich daraus, dass auch bei einer Anwendung der
Grundsätze des EuGH-Urteils Elida Gibbs in Slg. 1996, I-5339
auf Vermittlungsleistungen im Allgemeinen (erste Vorlagefrage) und
auf die Vermittlung von Reiseumsätzen im Besonderen (zweite
Vorlagefrage) die Klage im Grundsatz abzuweisen wäre, wenn
zumindest die dritte Vorlagefrage zu verneinen ist und es keiner
gesetzlichen Regelung bedarf, um eine Anwendung der Grundsätze
des EuGH-Urteils Elida Gibbs in Slg. 1996, I-5339 abzulehnen, wenn
der vermittelte Umsatz steuerfrei ist. In diesem Fall müsste
das nationale Gericht prüfen, wie die dann erforderliche
Aufteilung zwischen der Vermittlung steuerpflichtiger
Reiseumsätze und steuerfreier Reiseumsätze vorzunehmen
ist.
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Ist die dritte Vorlagefrage demgegenüber
zu bejahen, da die Mitgliedstaaten bei einer Steuerfreiheit der
letzten in der Vertriebskette erbrachten Leistung die Anwendung der
Grundsätze des EuGH-Urteils Elida Gibbs in Slg. 1996, I-5339
nur dann ablehnen dürfen, wenn sie zusätzliche
Bedingungen in ihrer Gesetzgebung geschaffen haben, wäre der
Klage stattzugeben. Denn das nationale Recht enthält auch nach
der Änderung des § 17 Abs. 1 UStG mit Wirkung ab
16.12.2004 keine besonderen, über den ausdrücklichen
Regelungsinhalt der Richtlinie 77/388/EWG hinausgehenden
Regelungen, die einer Minderung der Besteuerungsgrundlage für
den Fall der Steuerfreiheit der vermittelten Leistung
entgegenstehen. Besondere Regelungen und damit
„Bedingungen“ i.S. von Art. 11 Teil C Abs. 1 der
Richtlinie 77/388/EWG enthält das nationale Recht in § 17
Abs. 1 Satz 4 UStG in seiner ab 16.12.2004 geltenden Fassung nur
für den Fall, dass die letzte Leistung in der Vertriebskette
an einen zum Vorsteuerabzug berechtigten Abnehmer erbracht wird.
Die Frage, ob es sich bei den vermittelten Reiseumsätzen um
steuerpflichtige oder steuerfreie Leistungen handelt, würde
sich bei Bejahung der dritten Vorlagefrage dann erübrigen.
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6. Zum Rechtsgrund der Vorlage
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Die Einleitung des Vorabentscheidungsersuchens
an den EuGH beruht auf Art. 267 des Vertrages über die
Arbeitsweise der Europäischen Union.
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