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I. Die Klägerin und
Revisionsklägerin (Klägerin), die von ihren Eltern durch
gemeinschaftliches Testament gemäß § 2269 Abs. 1
des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) als Schlusserbin eingesetzt
worden war, stundete im Hinblick darauf durch notariell
beurkundeten Vertrag vom 1.2.1987 den ihr nach dem Tod des zuerst
versterbenden Elternteils zustehenden Pflichtteilsanspruch dem
überlebenden Elternteil gegenüber bis zu dessen
Tod.
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Nachdem zunächst der Vater (V) und
dann die Mutter (M) verstorben waren, sah der Beklagte und
Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA - ) in der zinslosen Stundung
des der Klägerin nach dem Tod des V zustehenden
Pflichtteilsanspruchs eine freigebige Zuwendung der Klägerin
an M und setzte dafür durch Bescheid vom 7.7.2005
gegenüber der Klägerin Schenkungsteuer fest. Der
Einspruch hatte nur insoweit Erfolg, als das FA aufgrund einer
geänderten Berechnung des Werts des Erwerbs durch Bescheid vom
18.5.2006 die Schenkungsteuer auf 22.990 EUR (44.965 DM)
herabsetzte.
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Das Finanzgericht (FG) wies die Klage durch
das in EFG 2009, 1042 = SIS 09 16 72 veröffentlichte Urteil
mit der Begründung ab, die zinslose Stundung des
Pflichtteilsanspruchs stelle eine freigebige Zuwendung der
Klägerin an M gemäß § 7 Abs. 1 Nr. 1 des
Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes (ErbStG) dar.
Gegenstand der Zuwendung sei die unentgeltliche Gewährung des
Rechts gewesen, das in Form des Pflichtteilsanspruchs
überlassene Kapital zu nutzen.
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Mit der Revision wendet sich die
Klägerin gegen diese Auffassung des FG. Da der Verzicht auf
die Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs steuerfrei sei,
könne in der zinslosen Stundung des Anspruchs keine der
Schenkungsteuer unterliegende freigebige Zuwendung gesehen
werden.
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Die Klägerin beantragt, die
Vorentscheidung, die Einspruchsentscheidung vom 31.5.2006 und die
ergangenen Schenkungsteuerbescheide aufzuheben.
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Das FA beantragt, die Revision als
unbegründet zurückzuweisen.
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II. Die Revision ist begründet. Sie
führt zur Aufhebung der Vorentscheidung, der
Einspruchsentscheidung und der angefochtenen
Schenkungsteuerbescheide (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der
Finanzgerichtsordnung - FGO - ). Entgegen der Ansicht des FG liegt
in der zinslosen Stundung des Pflichtteilsanspruchs keine
freigebige Zuwendung der Klägerin an M i.S. des § 7 Abs.
1 Nr. 1 ErbStG.
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1. Der Schenkungsteuer unterliegt als
Schenkung unter Lebenden (§ 1 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG) jede
freigebige Zuwendung, soweit der Bedachte durch sie auf Kosten des
Zuwendenden bereichert wird (§ 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG; vgl.
auch § 516 Abs. 1 BGB). Erforderlich hierfür ist eine
Vermögensverschiebung, d.h. eine Vermögensminderung auf
der Seite des Schenkers und eine Vermögensmehrung auf der
Seite des Beschenkten (Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom
6.3.1985 II R 19/84, BFHE 143, 291, BStBl II 1985, 382 = SIS 85 11 05; vom 7.11.2007 II R 28/06, BFHE 218, 414, BStBl II 2008, 258 =
SIS 08 10 84, und vom 9.7.2009 II R 47/07, BFHE 226, 399, BStBl II
2010, 74 = SIS 09 36 85).
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2. Das Vorliegen dieser Voraussetzungen kann
nicht damit begründet werden, dass die Klägerin auf einen
ihr kraft Gesetzes zustehenden Zinsanspruch verzichtet habe. Ein
gesetzlicher Anspruch auf Verzinsung des Pflichtteilsanspruchs
besteht nämlich nur bei Verzug (§ 288 BGB) und
Rechtshängigkeit (§ 291 BGB; vgl. Beschluss des
Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 22.12.1980 BReg 1 Z 116/80,
MDR 1981, 404, m.w.N.) sowie bei einer Stundung nach § 2331a
BGB (§ 2331a Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 i.V.m. § 1382 Abs.
2 und 4 BGB).
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3. Eine freigebige Zuwendung liegt auch nicht
darin, dass die Klägerin beim Abschluss des Vertrags vom
1.2.1987 nicht die Vereinbarung einer Verzinsung des gestundeten
Pflichtteilsanspruchs gefordert hat.
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a) Macht der Pflichtteilsberechtigte das
vorübergehende Nichtgeltendmachen des Pflichtteilsanspruchs
nicht von einer Verzinsung abhängig, liegt keine freigebige
Zuwendung vor. Dies ergibt sich aus der Behandlung des nicht
geltend gemachten Pflichtteilsanspruchs durch das ErbStG. Nach
§ 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG gilt als Erwerb von Todes wegen u.a.
der Erwerb aufgrund eines geltend gemachten Pflichtteilsanspruchs
(§§ 2303 ff. BGB). Die Erbschaftsteuer dafür
entsteht nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b ErbStG mit dem
Zeitpunkt der Geltendmachung des Anspruchs. Dem bloßen
Entstehen des Anspruchs mit dem Erbfall (§ 2317 Abs. 1 BGB)
kommt erbschaftsteuerrechtlich noch keine Bedeutung zu. Dieses
zeitliche Hinausschieben der erbschaftsteuerrechtlichen Folgen
eines Pflichtteilsanspruchs ist im Interesse des Berechtigten
geschehen und soll ausschließen, dass bei ihm auch dann
Erbschaftsteuer anfällt, wenn er seinen Anspruch zunächst
oder dauerhaft nicht erhebt (BFH-Urteile vom 7.10.1998 II R 52/96,
BFHE 187, 50, BStBl II 1999, 23 = SIS 99 01 05, und vom 19.7.2006
II R 1/05, BFHE 213, 122, BStBl II 2006, 718 = SIS 06 35 32). Damit
korrespondierend kann der Erbe gemäß § 10 Abs. 1
Satz 2 i.V.m. Abs. 5 Nr. 2 ErbStG vom Wert des gesamten
Vermögensanfalls ebenfalls nur die Verbindlichkeiten aus
geltend gemachten Pflichtteilen abziehen. Das bloße Bestehen
von Pflichtteilsverbindlichkeiten ist auch insoweit ohne
steuerrechtliche Bedeutung (BFH-Urteile in BFHE 187, 50, BStBl II
1999, 23 = SIS 99 01 05, und in BFHE 213, 122, BStBl II 2006, 718 =
SIS 06 35 32). Der Verzicht auf die Geltendmachung des
Pflichtteilsanspruchs bleibt nach § 13 Abs. 1 Nr. 11 ErbStG
steuerfrei.
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Mit diesen Regelungen, nach denen dem nicht
geltend gemachten Pflichtteilsanspruch keine erbschaftsteuer- und
schenkungsteuerrechtliche Bedeutung zukommt, wäre es nicht
vereinbar, wenn man in dem Umstand, dass der Berechtigte das
vorübergehende Nichtgeltendmachen des Anspruchs nicht von
einer Verzinsung abhängig macht, eine freigebige, der
Schenkungsteuer unterliegende Zuwendung des Berechtigten an den
Verpflichteten sehen würde (Dressler, NJW 1997, 2848, 2851).
Die Rechtsprechung des BFH, nach der die unentgeltliche
Überlassung einer Kapitalsumme auf Zeit, durch die sich der
Darlehensgeber einer Einnahmemöglichkeit begibt, die
verkehrsüblicherweise regelmäßig genutzt wird, der
Schenkungsteuer unterliegt, wobei Gegenstand der Schenkung die dem
Zuwendungsempfänger (Darlehensnehmer) gewährte
Nutzungsmöglichkeit ist (BFH-Urteile vom 12.7.1979 II R 26/78,
BFHE 128, 266, BStBl II 1979, 631 = SIS 79 03 19; vom 30.3.1994 II
R 105/93, BFH/NV 1995, 70; vom 7.10.1998 II R 64/96, BFHE 187, 53,
BStBl II 1999, 25 = SIS 99 02 13; vom 4.12.2002 II R 75/00, BFHE
200, 406, BStBl II 2003, 273 = SIS 03 13 49, und vom 29.6.2005 II R
52/03, BFHE 210, 459, BStBl II 2005, 800 = SIS 05 42 03), betrifft
einen anderen Sachverhalt und lässt sich daher nicht auf den
Fall übertragen, dass das vorläufige Nichtgeltendmachen
des Pflichtteils nicht von einer Verzinsung abhängig gemacht
wird (Ebeling, NJW 1998, 358). Der Rechtsgedanke, dass die
Entscheidung über die Geltendmachung des Pflichtteils wegen
der familiären Verbundenheit zwischen dem Erblasser und dem
Pflichtteilsberechtigten allein diesem vorbehalten bleiben soll,
liegt auch § 852 Abs. 1 der Zivilprozessordnung zugrunde
(Urteile des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 8.7.1993 IX ZR 116/92,
BGHZ 123, 183, und vom 6.5.1997 IX ZR 147/96, NJW 1997, 2384). Nach
dieser Vorschrift ist der Pflichtteilsanspruch der Pfändung
nur unterworfen, wenn er durch Vertrag anerkannt oder
rechtshängig geworden ist (zur Auslegung dieser Vorschrift
vgl. BGH-Urteile in BGHZ 123, 183, und in NJW 1997, 2384;
BGH-Beschluss vom 26.2.2009 VII ZB 30/08, NJW-Rechtsprechungsreport
Zivilrecht 2009, 997).
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b) Eine freigebige Zuwendung der Klägerin
an M liegt danach nicht deswegen vor, weil die Klägerin die
Stundung des Pflichtteilsanspruchs nicht von einer Verzinsung
abhängig gemacht hat. Die Klägerin hat den ihr nach dem
Tod des V zustehenden Pflichtteilsanspruch gegen M nicht geltend
gemacht.
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Die „Geltendmachung“ des
Pflichtteilsanspruchs besteht in dem ernstlichen Verlangen auf
Erfüllung des Anspruchs gegenüber dem Erben. Der
Berechtigte muss seinen Entschluss, die Erfüllung des
Anspruchs zu verlangen, in geeigneter Weise bekunden, die Höhe
des Anspruchs aber nicht beziffern (BFH-Urteil in BFHE 213, 122,
BStBl II 2006, 718 = SIS 06 35 32).
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In der Stundungsvereinbarung durch Vertrag vom
1.2.1987 kann ein solches ernstliches Erfüllungsverlangen
nicht gesehen werden. Da die Stundung bis zum Tod des
überlebenden Elternteils vereinbart wurde, stellte der
Pflichtteil für M keine wirtschaftliche Belastung dar
(BFH-Urteil vom 27.6.2007 II R 30/05, BFHE 217, 190, BStBl II 2007,
651 = SIS 07 27 18). Ob die Stundung eines Pflichtteilsanspruchs
nach dessen Entstehen die Geltendmachung voraussetzt oder nicht,
kann danach auf sich beruhen (vgl. zu dieser Problematik
Wälzholz in Viskorf/ Knobel/Schuck, Erbschaftsteuer- und
Schenkungsteuergesetz, Bewertungsgesetz, Kommentar, 3. Aufl.,
§ 3 ErbStG Rz 144, m.w.N.; Gebel in Troll/Gebel/Jülicher,
ErbStG, § 3 Rz 228).
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Keine Rolle spielt, dass das Unterlassen der
Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs gegenüber M nicht auf
einer einseitigen Entscheidung der Klägerin, sondern auf einem
Vertrag mit den Eltern beruhte. Entscheidend ist allein, dass
(noch) nicht geltend gemachten Pflichtteilsansprüchen keine
erbschaftsteuer- und schenkungsteuerrechtliche Bedeutung
zukommt.
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Welche schenkungsteuerrechtlichen Folgen sich
ergeben, wenn ein bereits geltend gemachter Pflichtteilsanspruch
unverzinslich gestundet wird, bedarf im vorliegenden Fall keiner
Entscheidung (vgl. dazu einerseits Moench, DStR 1987, 139, 143;
Moench in Moench/Weinmann, § 3 ErbStG Rz 121a; Meincke,
Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, Kommentar, 15. Aufl.,
§ 7 Rz 50, § 9 Rz 33; andererseits Gebel, a.a.O., §
3 Rz 229).
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4. Da das FG von einer anderen Ansicht
ausgegangen ist, war die Vorentscheidung aufzuheben. Die Sache ist
spruchreif. Die ergangenen Schenkungsteuerbescheide und die
Einspruchsentscheidung sind rechtswidrig und waren daher ebenfalls
aufzuheben.
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