Pflichtteilsanspruch, Erbschaftsteuer: Die zur Entstehung der Erbschaftsteuer führende Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs setzt nicht die Bezifferung des Anspruchs voraus. - Urt.; BFH 19.7.2006, II R 1/05; SIS 06 35 32
I. Da sich der Kläger und
Revisionskläger (Kläger) mit der Alleinerbin (E) seines
im Juni 1995 verstorbenen Vaters nicht über die ihm
zustehenden Pflichtteilsansprüche geeinigt hatte, beauftragte
er Rechtsanwälte mit der Verfolgung seiner Interessen. Diese
führten in ihrem an E gerichteten Schreiben vom 13.12.1995
aus, sie hätten namens und im Auftrage ihres Mandanten
„hiermit dessen Pflichtteilsansprüche hinsichtlich des
Nachlasses des Verstorbenen geltend zu machen“, und
erläuterten das Wesen und die Berechnung dieser
Ansprüche. Um den dem Kläger zustehenden Geldbetrag
ermitteln zu können, forderten die Anwälte E in dem
Schreiben unter Fristsetzung auf, nach § 2314 des
Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) im Einzelnen bezeichnete
Auskünfte zu erteilen, und kündigten für den Fall
eines Verstreichenlassens der Frist weitere Schritte
einschließlich der Erhebung einer Klage an. Im Jahr 1998
einigten sich der Kläger und E über das Bestehen eines
Pflichtteilsanspruchs von 400.000 DM.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das
Finanzamt - FA - ) nahm an, der Kläger habe den
Pflichtteilsanspruch im Jahr 1995 i.S. von § 3 Abs. 1 Nr. 1
des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes (ErbStG) geltend
gemacht. Deshalb sei die Erbschaftsteuer nach § 9 Abs. 1 Nr. 1
Buchst. b ErbStG in diesem Jahr entstanden und lediglich der
seinerzeit geltende Freibetrag von 90.000 DM (§ 16 Abs. 1 Nr.
2 ErbStG a.F.) zu berücksichtigen.
Einspruch und Klage, mit denen der
Kläger den Ansatz des durch § 16 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m.
§ 37 Abs. 1 ErbStG i.d.F. des Jahressteuergesetzes (JStG) 1997
vom 20.12.1996 (BGBl I, 2049) auf 400.000 DM erhöhten
Freibetrags und demgemäß die Aufhebung des
Erbschaftsteuerbescheids begehrt hatte, blieben erfolglos. Das
Finanzgericht (FG) vertrat in dem in EFG 2005, 1137 = SIS 05 29 13
veröffentlichten Urteil die Ansicht, der Kläger habe
seinen Pflichtteilsanspruch spätestens mit dem Schreiben vom
13.12.1995 geltend gemacht. Er habe sich nicht auf ein bloßes
Auskunftsbegehren beschränkt, sondern ernstlich die
Erfüllung seines Anspruchs verlangt. Die fehlende Bezifferung
des Anspruchs sei ohne Bedeutung.
Mit der Revision rügt der Kläger
Verletzung des § 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG. Er habe seinen
Pflichtteilsanspruch im Schreiben vom 13.12.1995 nicht beziffert
und somit im Jahr 1995 noch nicht im Sinne dieser Vorschrift
geltend gemacht. Eine Bezifferung sei damals wegen der ausstehenden
Bewertung des zum Nachlass gehörenden landwirtschaftlichen
Hofes nicht möglich gewesen. Das hätte das FG
aufklären müssen.
Der Kläger beantragt, die
Vorentscheidung und den angefochtenen Erbschaftsteuerbescheid in
Gestalt der Einspruchsentscheidung aufzuheben.
Das FA beantragt, die Revision als
unbegründet zurückzuweisen.
II. Die Revision ist unbegründet und war
daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der
Finanzgerichtsordnung - FGO - ). Das FG hat zutreffend entschieden,
dass der Kläger seinen Pflichtteilsanspruch im Jahr 1995
geltend gemacht hat, die Erbschaftsteuer deshalb in diesem Jahr
entstanden ist und daher der dem Kläger zustehende
persönliche Freibetrag nur 90.000 DM beträgt.
1. Als Erwerb von Todes wegen gilt
gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG u.a. der Erwerb
aufgrund eines geltend gemachten Pflichtteilsanspruchs
(§§ 2303 ff. BGB). Die Steuer dafür entsteht nach
§ 9 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b ErbStG mit dem Zeitpunkt der
Geltendmachung des Anspruchs. Dem bloßen Entstehen des
Anspruchs mit dem Erbfall (§ 2317 Abs. 1 BGB) kommt
erbschaftsteuerrechtlich noch keine Bedeutung zu. Dieses zeitliche
Hinausschieben der erbschaftsteuerrechtlichen Folgen eines
Pflichtteilsanspruchs ist im Interesse des Berechtigten geschehen
und soll ausschließen, dass bei ihm auch dann Erbschaftsteuer
anfällt, wenn er seinen Anspruch zunächst oder dauerhaft
nicht erhebt (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 7.10.1998 II
R 52/96, BFHE 187, 50, BStBl II 1999, 23 = SIS 99 01 05). Damit
korrespondierend kann der Erbe gemäß § 10 Abs. 1
Satz 2 i.V.m. Abs. 5 Nr. 2 ErbStG vom Wert des gesamten
Vermögensanfalls ebenfalls nur die Verbindlichkeiten aus
geltend gemachten Pflichtteilen abziehen. Das bloße Bestehen
von Pflichtteilsverbindlichkeiten ist auch insoweit ohne
steuerrechtliche Bedeutung (BFH-Urteil in BFHE 187, 50, BStBl II
1999, 23 = SIS 99 01 05).
Die „Geltendmachung“ des
Pflichtteilsanspruchs besteht in dem ernstlichen Verlangen auf
Erfüllung des Anspruchs gegenüber dem Erben. Der
Berechtigte muss seinen Entschluss, die Erfüllung des
Anspruchs zu verlangen, in geeigneter Weise bekunden (BFH-Urteil
vom 30.4.2003 II R 6/01, BFH/NV 2004, 341 = SIS 04 09 68, unter
Hinweis auf das Urteil des Reichsfinanzhofs vom 19.4.1929 V A
908/28, RFHE 25, 121), die Höhe des Anspruchs aber nicht
beziffern (Urteile des FG Rheinland-Pfalz vom 10.12.2001 4 K
2203/00, ZErb 2002, 196, DStRE 2002, 459 = SIS 02 71 02, und des FG
München vom 16.10.2002 4 K 5391/00, EFG 2003, 248 = SIS 03 10 48; ebenso bereits Urteil des FG Hamburg vom 17.4.1978 V 234/77,
EFG 1978, 555; Gebel in Troll/Gebel/Jülicher, ErbStG, § 3
Tz. 226; Kapp/Ebeling, § 3 ErbStG Rz. 212, 213 und 213.2;
Hübner in Viskorf/Glier/Hübner/ Knobel/Schuck,
Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, Bewertungsgesetz, 2.
Aufl., § 3 ErbStG Rdn. 140; Schuck in diesem Kommentar, §
9 ErbStG Rdn. 30; a.A. Meincke, Erbschaftsteuer- und
Schenkungsteuergesetz, Kommentar, 14. Aufl., § 9 Anm. 32,
sowie in ZErb 2004, 1; Moench, Erbschaft- und Schenkungsteuer,
§ 3 Rz. 119a; Viskorf, FR 1999, 664, 666). Eine solche
Bezifferung ist dem Pflichtteilsberechtigten, der nicht Erbe ist,
regelmäßig erst nach Erteilung der in § 2314 Abs. 1
Satz 1 BGB vorgesehenen Auskunft durch den Erben möglich.
Hat der Berechtigte den Pflichtteilsanspruch
geltend gemacht und ist dadurch die Erbschaftsteuer entstanden, ist
der Erwerb aus steuerrechtlicher Sicht vollendet. Gegenstand des
Erwerbs ist der dem Berechtigten gegen den Erben zustehende
Geldanspruch, soweit ihn der Berechtigte geltend gemacht hat. Nach
der Entstehung des Steueranspruchs zwischen dem Erben und dem
Pflichtteilsberechtigten getroffene Erfüllungsabreden
können den einmal entstandenen Steueranspruch daher weder
aufheben noch verändern (BFH-Urteil in BFHE 187, 50, BStBl II
1999, 23 = SIS 99 01 05). Auch ein nachträglicher (teilweiser)
Verzicht des Berechtigten auf seinen Anspruch wirkt sich
grundsätzlich nicht auf die Steuer aus (Urteil des FG
München vom 24.8.2005 4 K 4361/03, EFG 2005, 1887 = SIS 05 46 23, mit zustimmender Anmerkung Loose). Eine Ausnahme hiervon gilt
lediglich dann, wenn sich der Berechtigte nach ernstlichem Streit
über die Höhe seines Pflichtteils vergleichsweise mit
weniger zufrieden gibt als er beansprucht hat und ihm zusteht; in
diesem Fall kann er nur aus diesem niedrigeren Wert besteuert
werden (BFH-Urteil vom 18.7.1973 II R 34/69, BFHE 110, 196, BStBl
II 1973, 798 = SIS 73 04 36).
Nachträglich eingetretene Umstände
der genannten Art, die sich auf die Besteuerung des
Pflichtteilsberechtigten nicht auswirken, lassen die Abziehbarkeit
des (ursprünglich) geltend gemachten Anspruchs vom Wert des
gesamten Vermögensanfalls beim Erben ebenfalls unberührt.
Die Abzugsfähigkeit einer Pflichtteilsverbindlichkeit nach
§ 10 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. Abs. 5 Nr. 2 ErbStG setzt lediglich
die Geltendmachung des Pflichtteils und nicht die Erfüllung
dieser Geldschuld voraus (BFH-Urteile in BFHE 187, 50, BStBl II
1999, 23 = SIS 99 01 05, und in BFH/NV 2004, 341 = SIS 04 09 68).
Die Korrespondenz zwischen der Besteuerung des Erwerbs des
Pflichtteilsberechtigten und der Abziehbarkeit einer entsprechenden
Nachlassverbindlichkeit beim Erben ist somit gewahrt.
Der Verzicht auf einen geltend gemachten
Pflichtteilsanspruch ist anders als ein Anspruchsverzicht vor
Geltendmachung (§ 13 Abs. 1 Nr. 11 ErbStG) nicht steuerfrei,
sondern stellt eine schenkungsteuerpflichtige Zuwendung des
Pflichtteilsberechtigten an den Erben dar (§ 1 Abs. 1 Nr. 2
i.V.m. § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG).
Diese je nach den Umständen für den
Pflichtteilsberechtigten oder Erben ungünstigen Regelungen
können nicht dazu führen, dass unter Geltendmachung des
Pflichtteils abweichend von der bisherigen Rechtsprechung nur die
Erhebung eines bezifferten Anspruchs verstanden werden kann. Eine
solche Auslegung wäre mit dem Gesetzeswortlaut nicht vereinbar
und ist auch zur Wahrung der berechtigten Interessen der
Beteiligten nicht erforderlich. Der Berechtigte kann sich
nämlich darauf beschränken, vom Erben zunächst nur
Auskunft gemäß § 2314 BGB zu verlangen, und sich
die Geltendmachung des Pflichtteils vorbehalten (vgl. von
Oertzen/Cornelius, Erbschaftsteuerberater - ErbStB - 2006, 49). Die
Erbschaftsteuer entsteht dann zunächst noch nicht.
Entgegen der Ansicht von Meincke (ZErb 2004,
1/3) und Moench (a.a.O.) setzt das Entstehen der Erbschaftsteuer
für den Pflichtteil die Bezifferung des darauf gerichteten
Anspruchs auch nicht im Hinblick darauf voraus, dass eine Steuer
nicht entstehen könne, solange der Umfang des Anspruchs und
der Steuer noch offen sei. Eine Steuer entsteht nach § 38 der
Abgabenordnung (AO 1977), sobald der Tatbestand verwirklicht ist,
an den das Gesetz die Leistungspflicht knüpft. Die
Bemessungsgrundlagen und somit auch die Höhe der
festzusetzenden Steuer sind in diesem Zeitpunkt häufig noch
offen. Dies gilt zum Beispiel für die Erbschaftsteuer, die
für den Erben regelmäßig mit dem Tode des
Erblassers entsteht (§ 9 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG) und deren
Höhe u.a. von den nach § 10 Abs. 5 Nr. 3 ErbStG
abziehbaren Bestattungs- und Nachlassabwicklungskosten sowie der
etwaigen Geltendmachung von Pflichtteilen und
Erbersatzansprüchen (§ 10 Abs. 5 Nr. 2 ErbStG)
abhängt, sowie für die nach § 36 Abs. 1 des
Einkommensteuergesetzes (EStG) regelmäßig mit Ablauf des
Veranlagungszeitraums entstehende Einkommensteuer, deren Höhe
u.a. durch die danach mögliche Ausübung von zahlreichen
Antrags- und Wahlrechten auch hinsichtlich der Bilanzierung
maßgebend beeinflusst werden kann. Die Höhe eines wie im
Streitfall ohne Einschränkung geltend gemachten
Pflichtteilsrechts ergibt sich - auch wenn noch nicht bezifferbar -
aus § 2303 Abs. 1 Satz 2 BGB, wonach der Pflichtteil in der
Hälfte des Wertes des gesetzlichen Erbteils besteht, sowie aus
den Regelungen der §§ 2311 ff. BGB, und steht somit auch
ohne Bezifferung durch den Berechtigten als Bemessungsgrundlage
für die Erbschaftsteuer im Grundsatz fest.
2. Die vom FG vorgenommene Auslegung, nach der
sich der Kläger mit dem Schreiben vom 13.12.1995 nicht auf ein
bloßes Auskunftsbegehren beschränkt, sondern ernstlich
die Erfüllung seines Anspruchs verlangt und somit seinen
Pflichtteil i.S. von § 3 Abs. 1 Nr. 1 und § 9 Abs. 1 Nr.
1 Buchst. b ErbStG geltend gemacht hat, ist revisionsrechtlich
nicht zu beanstanden. Die Auslegung des Schreibens ist als
tatsächliche Feststellung nach § 118 Abs. 2 FGO für
den BFH bindend, da das FG weder gegen gesetzliche Auslegungsregeln
(§ 133 BGB) noch gegen Denkgesetze (Gesetze der Logik) oder
Erfahrungssätze verstoßen hat (vgl. BFH-Urteil vom
30.6.2005 IV R 63/04, BFH/NV 2005, 1997 = SIS 05 44 91 m.w.N.). Der
Kläger macht insoweit selbst keine Rechtsverletzung geltend.
Auf die fehlende Bezifferung des Anspruchs kommt es unter diesen
Umständen nicht an.
3. Da die Erbschaftsteuer somit noch im Jahr
1995 entstanden ist, steht dem Kläger nur der persönliche
Freibetrag in Höhe von 90.000 DM nach § 16 Abs. 1 Nr. 1
ErbStG in der seinerzeit geltenden Fassung zu. Die Erhöhung
des Freibetrags auf 400.000 DM (§ 16 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG
i.d.F. des JStG 1997) betrifft gemäß § 37 Abs. 1
ErbStG i.d.F. des JStG 1997 nur Erwerbe, für die die Steuer
nach dem 31.12.1995 entstanden ist.
4. Die vom Kläger erhobene Rüge, das
FG hätte den Sachverhalt weiter aufklären müssen,
entspricht nicht den Anforderungen des § 120 Abs. 3 Nr. 2
Buchst. b FGO. Soweit die Revision darauf gestützt wird, dass
das Gesetz in Bezug auf das Verfahren verletzt sei, muss die
Revisionsbegründung nach dieser Vorschrift die Bezeichnung der
Tatsachen enthalten, die den Mangel ergeben. Daran fehlt es (vgl.
zu den Anforderungen an eine Aufklärungsrüge z.B.
BFH-Urteil vom 6.6.2000 VII R 72/99, BFHE 192, 390, 393 f. = SIS 00 11 62). Von einer weiteren Begründung sieht der Senat insoweit
nach § 126 Abs. 6 Satz 1 FGO ab.