1
|
I. Streitig ist, ob die Klägerin und
Revisionsklägerin (Klägerin) die Änderung von
Einkommensteuerbescheiden verlangen kann, weil Aufwendungen
nachträglich bekanntgeworden sind.
|
|
|
2
|
Die Klägerin ist von Beruf Diplom-X
und wurde für die Streitjahre 1998 bis 2000 beim Beklagten und
Revisionsbeklagten (Finanzamt - FA - ) bestandskräftig zur
Einkommensteuer veranlagt.
|
|
|
3
|
Mit Schreiben vom 3.1.2003 beantragte die
Klägerin die Änderung der genannten Steuerfestsetzungen
nach § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO). Sie
teilte dem FA mit, dass ihr in den Streitjahren hohe
außergewöhnliche Belastungen erwachsen seien. Dabei
handele es sich um Aufwendungen für medizinisch notwendige
Zahnerhaltungsmaßnahmen infolge einer Kiefererkrankung in
Höhe von 19.324,63 DM im Jahr 1998, 37.537,12 DM im Jahr 1999
und 11.213,21 DM im Jahr 2000.
|
|
|
4
|
Das FA lehnte eine Änderung der
Bescheide mit der Begründung ab, die Klägerin bzw. ihren
steuerlichen Berater treffe ein grobes Verschulden am
nachträglichen Bekanntwerden der neuen Tatsache.
|
|
|
5
|
Das Finanzgericht (FG) wies die nach
erfolglosem Vorverfahren erhobene Klage mit den in EFG 2007, 645 =
SIS 07 11 29 veröffentlichten Gründen als
unbegründet ab.
|
|
|
6
|
Mit der Revision rügt die
Klägerin die unrichtige Anwendung des § 173 Abs. 1 Satz 1
Nr. 2 AO. Sie macht insbesondere geltend, dass die wesentlichen
steuerlich relevanten Angaben und Unterlagen von der Firma Y bzw. Z
zusammengestellt und an den steuerlichen Berater übermittelt
worden seien. Das FG habe diesen Vortrag, insbesondere einen
entsprechenden Beweisantrag in der mündlichen Verhandlung,
nicht gewürdigt. Damit liege ein Verfahrensmangel vor.
|
|
|
7
|
Die Klägerin beantragt, das Urteil des
FG München vom 29.11.2006 aufzuheben und die Einkommensteuer
für den Veranlagungszeitraum 1998 auf 71.609 DM, für den
Veranlagungszeitraum 1999 auf 120.666 DM und für den
Veranlagungszeitraum 2000 auf 68.479 DM festzusetzen.
|
|
|
8
|
Das FA beantragt, die Revision als
unbegründet zurückzuweisen.
|
|
|
9
|
II. Die Revision der Klägerin ist
unbegründet und nach § 126 Abs. 2 der
Finanzgerichtsordnung (FGO) zurückzuweisen. Das FG hat zu
Recht entschieden, dass die bestandskräftigen
Einkommensteuerbescheide 1998, 1999 und 2000 nicht nach § 173
Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO zugunsten der Klägerin geändert
werden können, weil sie ein grobes Verschulden daran trifft,
dass die Tatsachen nachträglich bekannt geworden sind.
|
|
|
10
|
1. Das FG hat den entscheidungserheblichen
Sachverhalt vollständig aufgeklärt und damit nicht gegen
§ 76 Abs. 1 Satz 1 FGO verstoßen.
|
|
|
11
|
a) Nach § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO hat das FG
den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen und gemäß
§ 81 Abs. 1 Satz 2 FGO die erforderlichen Beweise zu erheben.
Dabei hat es den entscheidungserheblichen Sachverhalt so
vollständig wie möglich und bis zur Grenze des
Zumutbaren, d.h. unter Ausnutzung aller verfügbaren
Beweismittel aufzuklären. Von den Verfahrensbeteiligten
angebotene Beweise muss das FG grundsätzlich erheben, wenn es
einen Verfahrensmangel vermeiden will (vgl. auch Beschluss des
Bundesfinanzhofs - BFH - vom 21.12.2005 I B 249/04, BFH/NV 2006,
780 = SIS 06 15 59). Auf eine beantragte Beweiserhebung kann es im
Regelfall nur verzichten, wenn das Beweismittel für die zu
treffende Entscheidung unerheblich ist, wenn die in Frage stehende
Tatsache zugunsten des Beweisführenden als wahr unterstellt
werden kann, das Beweismittel unerreichbar, unzulässig oder
absolut untauglich ist (ständige Rechtsprechung, z.B.
Senatsentscheidungen vom 13.11.2007 VI B 100/07, BFH/NV 2008, 219 =
SIS 08 07 72; vom 1.2.2007 VI B 124/06, BFH/NV 2007, 956 = SIS 07 62 24; vom 16.11.2005 VI R 71/99, BFH/NV 2006, 753 = SIS 06 15 32;
jeweils m.w.N.).
|
|
|
12
|
b) Nach diesem Rechtsmaßstab musste der
in der mündlichen Verhandlung vor dem FG angebotene
Zeugenbeweis zu der Frage, ob und inwieweit die Klägerin durch
die Firma Y bzw. Z in den Streitjahren wirtschaftlich betreut und
für sie die Buchhaltung geführt wurde, nicht erhoben
werden. Hierauf kam es im Streitfall nicht an. Das FG konnte daher
auch auf die Erhebung dieses Beweises verzichten. Die Klägerin
selbst hat vorgetragen, dass das FG in der mündlichen
Verhandlung bedeutet habe, den vorgetragenen Sachverhalt bzw. die
diesbezügliche Bestätigung durch den Zeugen als
zutreffend zu unterstellen. Damit musste sich auch der
Klägerin aufdrängen, dass unter den besonderen
Umständen des Streitfalles eine Auseinandersetzung mit der
Frage eines zurechenbaren Verschuldens von Hilfspersonen nicht
entscheidungserheblich war. Das Urteil des FG geht demzufolge auch
erkennbar von der Grundannahme aus, dass ein Steuerberater
verpflichtet ist, den für die Abgabe einer vollständigen
Steuererklärung maßgebenden Sachverhalt zu ermitteln. Es
ist daher nicht zu beanstanden, wenn das FG allein auf das
Verschulden des steuerlichen Beraters abgestellt hat und - ohne
dies ausdrücklich in den Entscheidungsgründen
auszuführen - ein etwaiges Verschulden von Hilfspersonen
für die zu treffende Entscheidung als unerheblich angesehen
hat.
|
|
|
13
|
Da im Streitfall von einem eigenen Verschulden
des steuerlichen Beraters auszugehen ist, widerspricht die
Entscheidung des Senats auch nicht den Aussagen des III. und IV.
Senats des BFH zum groben Verschulden von Hilfspersonen
(BFH-Urteile vom 3.2.1983 IV R 153/80, BFHE 137, 547, BStBl II
1983, 324 = SIS 83 08 44; vom 17.11.2005 III R 44/04, BFHE 211,
401, BStBl II 2006, 412 = SIS 06 16 60). Selbst wenn man im
Streitfall von einem Verschulden weiterer Hilfspersonen ausgehen
würde, wäre dieses Verschulden nach Auffassung des Senats
dem steuerlichen Berater als eigenes Verschulden zuzurechnen. Auch
in diesem Fall ergäbe sich kein Widerspruch zur genannten
Rechtsprechung des III. und IV. Senats des BFH, da im Unterschied
zum Streitfall die Dienstleistungen der Hilfspersonen in jenen
Fällen dem Steuerpflichtigen gegenüber unmittelbar
erbracht worden waren. Im Ergebnis konnte das FG daher ein etwaiges
Verschulden weiterer Hilfspersonen unberücksichtigt
lassen.
|
|
|
14
|
2. Nach § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO sind
Steuerbescheide aufzuheben oder zu ändern, soweit Tatsachen
oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer
niedrigeren Steuer führen, und den Steuerpflichtigen kein
grobes Verschulden daran trifft, dass die Tatsachen oder
Beweismittel erst nachträglich bekannt werden.
|
|
|
15
|
a) Als grobes Verschulden hat der
Steuerpflichtige Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit zu
vertreten. Grobe Fahrlässigkeit ist nach ständiger
Rechtsprechung des BFH anzunehmen, wenn der Steuerpflichtige die
ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten und
Verhältnissen zumutbare Sorgfalt in ungewöhnlichem
Maße und in nicht entschuldbarer Weise verletzt hat (z.B.
BFH-Urteil vom 19.12.2006 VI R 59/02, BFH/NV 2007, 866 = SIS 07 61 42, m.w.N.). Grob fahrlässiges Handeln liegt insbesondere vor,
wenn ein Steuerpflichtiger seiner Erklärungspflicht nur
unzureichend nachkommt, indem er unvollständige
Steuererklärungen abgibt (BFH-Urteile vom 30.10.1986 III R
163/82, BFHE 148, 208, BStBl II 1987, 161 = SIS 87 04 53; vom
1.10.1993 III R 58/92, BFHE 172, 397, BStBl II 1994, 346 = SIS 94 02 41; vom 16.9.2004 IV R 62/02, BFHE 207, 269, BStBl II 2005, 75 =
SIS 04 40 20; in BFH/NV 2007, 866 = SIS 07 61 42). Beruht die
unvollständige Steuererklärung auf einem Rechtsirrtum
wegen mangelnder Kenntnis steuerrechtlicher Vorschriften, ist dies
dem Steuerpflichtigen in der Regel nicht als grobes Verschulden
anzulasten (BFH-Urteile vom 10.8.1988 IX R 219/84, BFHE 154, 481,
BStBl II 1989, 131 = SIS 89 12 46; vom 23.2.2000 VIII R 80/98,
BFH/NV 2000, 978 = SIS 00 57 63; BFH-Beschluss vom 31.1.2005 VIII B
18/02, BFH/NV 2005, 1212 = SIS 05 31 33).
|
|
|
16
|
b) Nach ständiger Rechtsprechung des BFH
hat der Steuerpflichtige auch ein Verschulden seines steuerlichen
Beraters bei der Anfertigung der Steuererklärung zu vertreten
(z.B. BFH-Urteil in BFHE 211, 401, BStBl II 2006, 412 = SIS 06 16 60, m.w.N.). Die Zurechnung des Verschuldens des steuerlichen
Beraters bei der Anfertigung der Steuererklärung ergibt sich
aus der Verantwortung des Steuerpflichtigen für die
Richtigkeit seiner Angaben in der Steuererklärung (§ 150
Abs. 2 Satz 1 AO). Dieser Verantwortung kann er sich nicht dadurch
entziehen, dass er die Ausarbeitung der Steuererklärung seinem
steuerlichen Berater überträgt.
|
|
|
17
|
c) Ob ein Beteiligter grob fahrlässig
gehandelt hat, ist im Wesentlichen Tatfrage. Die hierzu getroffenen
Feststellungen des FG dürfen - abgesehen von zulässigen
und begründeten Verfahrensrügen - nur daraufhin
überprüft werden, ob der Rechtsbegriff der groben
Fahrlässigkeit und die aus ihm abzuleitenden
Sorgfaltspflichten richtig erkannt worden sind und ob die
Würdigung der Umstände hinsichtlich des individuellen
Verschuldens den Denkgesetzen und allgemeinen Erfahrungssätzen
entspricht. Dies hindert das Revisionsgericht allerdings nicht,
selbst zur Annahme eines groben Verschuldens zu kommen, wenn
hierfür ausreichende tatsächliche Feststellungen
vorliegen (BFH-Urteile vom 9.8.1991 III R 24/87, BFHE 165, 454,
BStBl II 1992, 65 = SIS 92 05 44; vom 23.10.2002 III R 32/00,
BFH/NV 2003, 441 = SIS 03 17 33).
|
|
|
18
|
3. Bei Anwendung dieser Grundsätze auf
den Streitfall hat das FG rechtsfehlerfrei entschieden, dass die
Klägerin am nachträglichen Bekanntwerden der
Krankheitskosten ein grobes Verschulden trifft.
|
|
|
19
|
Wie das FG zutreffend erkannt hat, kann es im
Streitfall offen bleiben, ob sich die Klägerin auf einen die
grobe Fahrlässigkeit ausschließenden, entschuldbaren
Rechtsirrtum in ihrer Person berufen kann. Die Klägerin muss
sich aber, wie das FG ebenfalls zutreffend entschieden hat, das
Verschulden ihres steuerlichen Beraters im Streitfall zurechnen
lassen. Von Angehörigen der steuerberatenden Berufe muss
verlangt werden, dass sie den Inhalt der Merkblätter kennen
und die üblichen Vordrucke beherrschen. Der steuerliche
Berater durfte weiter gerade bei einem steuerlichen Laien, wie der
Klägerin, nicht ohne Nachfrage davon ausgehen, dass aufgrund
der bestehenden Krankenversicherung und der hohen zumutbaren
Belastung der Klägerin keine steuerlich relevanten
Krankheitskosten vorlagen. Vielmehr musste er die von ihm beratene
Steuerpflichtige im Bereich der außergewöhnlichen
Belastungen nach Aufwendungen fragen, die steuerlich zu
berücksichtigen waren. Denn ein Steuerberater hat seinen
Mandanten, von dessen Belehrungsbedürftigkeit er
grundsätzlich auszugehen hat, umfassend zu beraten. Im Rahmen
dieser Verpflichtung hat er den für die Abgabe einer
vollständigen Steuererklärung maßgebenden
Sachverhalt zu ermitteln. Er darf sich insbesondere nicht - wie im
Streitfall - darauf verlassen, dass die steuerlich relevanten
Angaben und Unterlagen durch Dritte derart aufbereitet werden, dass
Nachfragen beim Steuerpflichtigen selbst entbehrlich werden. Der
steuerliche Berater handelte daher im Streitfall grob
fahrlässig.
|