Pfandgeld, Bilanzierung: Hat ein Getränkehändler einerseits an seinen Lieferanten Pfandgelder für die an ihn gelieferten Kästen und Flaschen gezahlt und andererseits von seinen Kunden Pfandgelder in gleicher Höhe vereinnahmt, so gleichen sich diese Vorgänge in der Regel bilanziell aus. Der Händler ist nur bei Vorliegen besonderer Umstände berechtigt, in seiner Bilanz insoweit ein Verlustgeschäft auszuweisen. - Urt.; BFH 6.10.2009, I R 36/07; SIS 09 34 50
I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte
(Klägerin), eine GmbH, betrieb in den Streitjahren 1998 bis
2000 u.a. einen Groß- und Einzelhandel mit Getränken.
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA - )
vertrat die Auffassung, die Klägerin habe für den
Anspruch gegen die Getränkehersteller auf Rückerstattung
der an sie entrichteten Pfandgelder eine Forderung auszuweisen. Die
Höhe der Forderung richte sich nach der Rückstellung, die
die Klägerin für die an ihre Kunden
zurückzuzahlenden Pfandgelder gebildet habe. Gegen die
dementsprechend ergangenen Steuerbescheide für die Streitjahre
erhob die Klägerin Klage, der das Finanzgericht (FG)
Rheinland-Pfalz mit in EFG 2007, 19 = SIS 06 43 50
veröffentlichtem Urteil vom 17.5.2006 1 K 2003/03
stattgab.
Mit seiner vom Senat zugelassenen Revision
rügt das FA eine Verletzung materiellen Rechts. Es beantragt,
das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
Das dem Verfahren beigetretene
Bundesministerium der Finanzen (BMF) hat sich dem FA in der Sache
angeschlossen, jedoch keinen Antrag gestellt.
II. Die Revision ist begründet. Sie
führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der
Klage. Das FG hat zu Unrecht angenommen, der Gewinn der
Klägerin sei in Höhe der vom FA aktivierten Forderung
für an die Getränkehersteller gezahlte Pfandgelder zu
kürzen.
1. Ausgangspunkt und Grundlage der
steuerrechtlichen Beurteilung ist die einschlägige
Zivilrechtslage:
a) Werden Getränke in Flaschen und
Gebinden geliefert, die keine Individualisierungsmerkmale aufweisen
und von unbestimmt vielen Herstellern verwendet werden (sog.
Einheitsleergut), erstreckt sich nach der Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofs (BGH) der Eigentumsübergang nicht nur auf
den Inhalt, sondern auch auf die Flaschen und die Kästen
selbst (BGH-Urteil vom 9.7.2007 II ZR 233/05, NJW 2007, 2913,
m.w.N.). Dies gilt gleichermaßen auf allen Vertriebsstufen
und selbst dann, wenn der Hersteller/Vertreiber in seinen
Allgemeinen Geschäftsbedingungen den Eigentumserwerb an der
Flasche ausdrücklich ausgeschlossen hat. Eine solche
Vereinbarung wäre auf ein unmögliches und
unzulässiges Verhalten gerichtet und deshalb unbeachtlich.
Denn durch die Vermengung von Flaschen verschiedener Hersteller
kommt es zwangsläufig zu einem Eigentumsverlust des einzelnen
Herstellers (§ 948 Abs. 1, § 947 Abs. 1 des
Bürgerlichen Gesetzbuchs - BGB - ). Mit der Rückgabe von
Flaschen gleicher Art und Güte würde in dessen
Eigentumsrechte eingegriffen (BGH-Urteil in NJW 2007, 2913).
b) Anders verhält es sich hingegen, wenn
die Mehrwegflaschen dauerhaft so gekennzeichnet sind, dass sie sich
von Flaschen anderer Hersteller und Vertreiber unterscheiden und
eindeutig als Eigentum eines bestimmten Herstellers erkennbar sind.
Bei derartigen Individualflaschen verbleibt das Eigentum an den
Flaschen beim Hersteller/Vertreiber und wird auch auf den
nachfolgenden Handelsstufen nicht an den Erwerber des
Flascheninhalts übertragen (BGH-Urteil in NJW 2007, 2913).
c) Zivilrechtlich noch nicht entschieden ist
die Frage, ob das Eigentum an Flaschen und Gebinden beim Hersteller
und Lieferanten bleibt oder auf den Getränkehändler
übergeht, wenn die Flasche zwar nicht einem bestimmten
Hersteller, aber einer geschlossenen Herstellergruppe zugeordnet
werden kann (z.B. sog. Brunneneinheitsflasche, BGH-Urteil in NJW
2007, 2913, m.w.N.).
2. Welche dieser Leergutformen die
Klägerin auf dieser zivilrechtlichen Basis in den Streitjahren
in welchen Umfängen gehandelt hat und ob bei der Lieferung
sog. Einheitsleerguts trotz des zivilrechtlichen
Eigentumsübergangs die Flaschen steuerrechtlich
wirtschaftliches Eigentum (§ 39 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 der
Abgabenordnung - AO - ) der Getränkehersteller bleiben
(BMF-Schreiben vom 11.7.1995, BStBl I 1995, 363 = SIS 95 16 16;
Oberfinanzdirektion Hannover, Verfügung vom 26.9.2001, DStR
2002, 452 = SIS 02 01 19; Jakob/Kobor, DStR 2004, 1598; a.A.
Küspert, FR 2008, 710; Köhler, Die steuerliche
Betriebsprüfung - StBp - 2003, 168, 169 f.), also die
Lieferung von Einheitsleergut nicht anders zu behandeln ist als die
Lieferung des Individualleerguts, kann im Streitfall offenbleiben.
Denn gleichviel, welcher Auffassung man folgt, ist die Revision
begründet.
a) Wäre der zivilrechtliche Übergang
des Eigentums am Leergut auch steuerrechtlich nachzuvollziehen,
wäre das Pfandgeld der Kaufpreis für das Leergut. Ebenso
stellten die Pfandgelder, die an die Kunden bei Rückgabe der
Flaschen gezahlt werden, Anschaffungskosten für die erworbenen
Flaschen und Kästen dar. Spiegelbildlich hierzu wären die
beim Weiterverkauf der Ware vereinnahmten Beträge für das
Leergut gewinnwirksam als Veräußerungserlöse zu
erfassen.
Das FA hätte danach zwar zu Unrecht die
an die Getränkehersteller entrichteten Pfandgelder aktiviert,
so dass diese Forderungen zu den streitigen Bilanzstichtagen
gewinnmindernd auszubuchen wären. Zugleich wären aber die
in der Bilanz enthaltenen Rückstellungen für die
künftige Inanspruchnahme aus Pfandgeldern der Kunden, die
dieselbe Höhe ausweisen wie die Forderungen an die
Getränkehersteller, gewinnerhöhend aufzulösen. Denn
insoweit handelte es sich um künftig zu entrichtende
Anschaffungskosten für das Leergut, die steuerrechtlich nicht
zurückgestellt werden dürfen (§ 5 Abs. 4b des
Einkommensteuergesetzes - EStG 1997 - i.d.F. seit dem
Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 vom 24.3.1999, BGBl I 1999,
402, BStBl I 1999, 304; vgl. Köhler, StBp 2001, 153). § 5
Abs. 4b Satz 1 EStG 1997 galt zwar für das Streitjahr noch
nicht; jedoch hat die Regelung lediglich deklaratorischen
Charakter. Auch in der Zeit zuvor durften Rückstellungen
für künftige aktivierungspflichtige Anschaffungs- oder
Herstellungskosten eines Wirtschaftsgutes nicht gebildet werden.
Denn die Anschaffung oder Herstellung führt lediglich zu einer
Vermögensumschichtung (Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH -
vom 18.12.2001 VIII R 27/00, BFHE 197, 483, BStBl II 2002, 733 =
SIS 02 05 27; vom 19.8.1998 XI R 8/96, BFHE 186, 417, BStBl II
1999, 18 = SIS 98 23 21; Loose in Herrmann/Heuer/Raupach, § 5
EStG Rz 1885, m.w.N.). Darüber hinaus wären, da es sich
bei dem Leergut - jedenfalls auf der Ebene der
Getränkehändler - um Umlaufvermögen handelt,
für das § 6 Abs. 2 EStG 1997 nicht gilt, die bei der
Klägerin vorhandenen Flaschen und Kästen mit deren
Anschaffungskosten zu aktivieren (gl.A. Köhler, StBp 2003,
168, 212; Kirnberger, Der Ertragsteuerberater - EStB - 2004, 303;
Küspert, FR 2008, 710).
b) Die Revision hat jedoch auch dann Erfolg,
wenn man annimmt, das wirtschaftliche Eigentum bleibe, gleichviel,
ob es sich um sog. Einheits-, Brunnen- oder Individualleergut
handelt, bei den Getränkeherstellern. Denn in diesem Fall
hätte das FA zu Recht die an die Getränkelieferanten
gezahlten Pfandgelder als Forderung erfasst.
aa) Die Aktivierung einer Forderung richtet
sich bei buchführenden Gewerbetreibenden nach den
handelsrechtlichen Grundsätzen ordnungsmäßiger
Buchführung (§ 5 Abs. 1 Satz 1 EStG 1997).
Gemäß § 252 Abs. 1 Nr. 4 zweiter Halbsatz des
Handelsgesetzbuchs (HGB) sind Gewinne nur zu berücksichtigen,
wenn sie am Abschlussstichtag realisiert sind. Diese Voraussetzung
liegt vor, wenn eine Forderung entweder rechtlich bereits
entstanden ist oder die für die Entstehung wesentlichen
wirtschaftlichen Ursachen im abgelaufenen Geschäftsjahr
gesetzt worden sind und der Kaufmann mit der künftigen
Entstehung der Forderung fest rechnen kann (Senatsurteil vom
8.11.2000 I R 10/98, BFHE 193, 406, BStBl II 2001, 349 = SIS 01 06 54, m.w.N.). Nicht erforderlich ist hingegen, dass die Forderung am
Bilanzstichtag fällig ist (BFH-Urteile vom 12.5.1993 XI R
1/93, BFHE 171, 448, BStBl II 1993, 786 = SIS 93 19 17; vom
17.2.1998 VIII R 28/95, BFHE 186, 29, BStBl II 1998, 505 = SIS 98 18 23).
bb) Der Anspruch auf Rückerstattung des
Pfandgeldes ist eine unbedingte Forderung, die nur noch nicht
fällig ist, solange das Leergut, für das es geleistet
wurde, nicht an den Getränkehersteller zurückgegeben
wurde.
aaa) Erwirbt weder der Kunde noch der
Getränkehändler Eigentum an Flaschen und Kästen,
handelt es sich bei der Lieferung des Leerguts weder um ein
Sachdarlehen noch um einen Kauf, da beides einen
Eigentumsübergang voraussetzt, sondern um eine
leiheähnliche Gebrauchsüberlassung (BGH-Urteil in NJW
2007, 2913; Kollhosser/Bork, BB 1987, 909, 911 f.).
Leiheähnlich ist die Überlassung des Leergutes deshalb,
weil der Getränkehändler nicht verpflichtet ist, das
nämliche Leergut, das er von den Herstellern erhalten hat,
zurückzugeben, sondern nur die entsprechende Anzahl von
Flaschen und Kästen. Das gezahlte Pfand ist auch kein
Nutzungsentgelt, da es bei Rückgabe der Gebinde erstattet
wird. Es ist damit keine Gegenleistung für die Lieferung des
Leerguts, sondern sichert den Rückgabeanspruch des
Getränkeherstellers gegen den Händler (BGH-Urteil in NJW
2007, 2913 sowie weitere Nachweise bei Weber, NJW 2008, 949;
Küspert, FR 2008, 710; Kirnberger, EStB 2004, 303;
Köhler, StBp 2004, 121, 159, 163).
Das Pfandgeld geht, sofern es nicht auf einem
vom Vermögen der Getränkehersteller gesonderten, dem
Getränkehändler zuzurechnenden Konto gutgeschrieben wird
(vgl. BFH-Urteile vom 4.11.2004 III R 5/03, BFHE 208, 162, BStBl II
2005, 277 = SIS 05 12 85; vom 15.5.2008 IV R 25/07, BFHE 221, 169,
BStBl II 2008, 715 = SIS 08 28 84), in das Eigentum des
Getränkeherstellers über. Da der Händler bei
Rückgabe des Leerguts das Pfandgeld zurückzuerstatten
hat, handelt es sich um ein unverzinsliches Darlehen, das zugleich
mit einer Sicherungsabrede verbunden ist (§ 607 Abs. 1 BGB
a.F.; Kollhosser/Bork, BB 1987, 909, 911 f.). Es soll zwar
gegebenenfalls auf eine Vertragsstrafe oder Schadensersatzforderung
angerechnet werden können, wenn das Leergut nicht
zurückgegeben wird. Da aber noch nicht feststeht, ob diese
Bedingung eintritt, dient das Pfandgeld zunächst nicht als
vorweggenommene Tilgung einer hypothetischen
Schadensersatzforderung, sondern vorrangig der Sicherung des
Rückgabeanspruchs (Kollhosser/Bork, ebenda). Es handelt sich
demnach um eine Sicherheitsleistung (Kaution), die bei
Rückgabe des Leergutes zur Zahlung fällig wird
(Köhler, StBp 2004, 121, 159, 163; Kirnberger, EStB 2004, 303;
Küspert, FR 2008, 710).
bbb) Eine Kaution oder sonstige
Sicherheitsleistung ist bei demjenigen, der die Sicherheit gestellt
hat, zu aktivieren, und zwar entweder - bei Zugehörigkeit zum
Anlagevermögen - als „sonstige
Ausleihungen“ (§ 266 Abs. 2 A. III. Nr. 6 HGB) oder
als „sonstige Vermögensgegenstände“
(§ 266 Abs. 2 B. II. Nr. 4 HGB; Ellrott/St. Ring in Beck
Bil-Komm., 6. Aufl., § 247 HGB Rz 124 a.E.;
Adler/Düring/Schmaltz, Rechnungslegung und Prüfung der
Unternehmen, 6. Aufl., HGB § 266 Rz 63 a.E., 90; Marx/Dallmann
in Baetge/Kirsch/Thiele, Bilanzrecht, § 266 HGB Rz 67, 84;
Hayn/Jutz/Zündorf in Beck’sches Handbuch der
Rechnungslegung, B 215 Rz 14; Heuer in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG
und KStG, § 5 EStG Rz 2200 „Kaution“).
cc) Die Pfandgelder sind in der Höhe zu
erfassen, in der sie an die Getränkehersteller bezahlt wurden.
Soweit der Händler befürchten muss, vom Hersteller auf
Schadensersatz wegen unvollständiger Rückgabe von Leergut
in Anspruch genommen zu werden, ist dem nicht durch einen Abschlag
bei der Forderung gegen den Hersteller Rechnung zu tragen, sondern
durch Bildung einer Rückstellung für ungewisse
Verbindlichkeiten wegen einer Schadensersatzverpflichtung (s. auch
Heuer in Herrmann/Heuer/ Raupach, ebenda; a.A. Kirnberger, EStB
2004, 303, der zusätzlich zu einer Rückstellung wegen
einer Schadensersatzverpflichtung die Möglichkeit der nicht
vollständigen Rückgabe des Leergutes bei der Forderung
mindernd berücksichtigen will; kritisch auch Lüdenbach,
Steuern und Bilanzen 2009, 434). Eine derartige Rückstellung
kann jedoch erst dann gebildet werden, wenn die
Leistungsbeziehungen gestört sind und eine Inanspruchnahme aus
der Sicherheitsleistung droht. Hiervon ist nach den im
Getränkehandel branchenüblichen Abläufen im Rahmen
laufender Geschäftsbeziehungen nur aufgrund besonderer
Umstände auszugehen (BFH-Urteil vom 25.4.2006 VIII R 40/04,
BFHE 213, 364, BStBl II 2006, 749 = SIS 06 37 95). Derartige
Anhaltspunkte sind hier weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
Daher liegt über die vom FA bereits berücksichtigten
Rückstellungen weiterer Rückstellungsbedarf nicht
vor.
3. Da die Klägerin nach ihren Angaben
keine Aufzeichnungen über die an die Getränkehersteller
entrichteten Pfandgelder geführt hat, durfte das FA die
Höhe der Pfandgeldansprüche schätzen (§ 162
Abs. 1 Satz 1 AO). Die Schätzung ist revisionsrechtlich nicht
zu beanstanden. Es ist davon auszugehen, dass die Klägerin
zusätzlich zu den vorhandenen Lagerbeständen zumindest in
der Höhe Pfandgelder an die Getränkelieferanten gezahlt
hat, als sie ihrerseits Pfandgelder der Kunden vereinnahmt hat.
4. Das FG ist von anderen
Rechtsgrundsätzen ausgegangen. Sein Urteil ist aufzuheben und
die Klage abzuweisen.